Aber doch nicht nur. Hier poste ich fremde Beiträge zu den positiven Wissenschaften, die mehr oder weniger direkt an die Grundfrage der Philosophie stoßen, nämlich die Frage, was Wissen ist und wann es als vernünftig gelten kann. Darum begleite ich manches mit meinen Kommentaren im Sinne der Kritischen alias Transzen- dentalphilosophie. Insofern ist das hier eine Propädeutik.
Aber nicht nur. Wohl kann die Transzendentalphilosophie den realen Wissenschaften sachlich nichts hinzu- fügen. Sie teilt mit ihnen nur das, was sie trennt, nämlich den Unterschied. Die wirklichen Wissenschaften reden über Themen - Sachverhalte, Begebenheiten, Phänomene. Die Transzendentalphilosophie redet über das Reden.
Das Reden über das Reden über Sachverhalte etc. kann denselben nichts hinzufügen. Aber es kann sie in ande- rer Perspektive erscheinen lassen. Indem die Perspektive wechselt, ändern sich nicht die Sachverhalte (etc.). Aber es ändert sich womöglich das, was sie - in dieser oder in jener Hinsicht - bedeuten. Wäre das nicht so, dann wäre die Transzendentalphilosphie wie alle Philosophie überhaupt überflüssig.
Meine Kommentare haben also auch den Zweck, die Transzendentalphilosophie ihrer selbst zu vergewissern.
*
Ein Fachwissenschaftler, gar ein Naturwissenschaftler bin ich nicht. Meine Kenntnisse auf diesen Gebieten sind daher oberflächlich, will sagen: Was ich (buchstückhaft) weiß, weiß ich nicht aus eigenem Wissen, sondern nur vom Hörensagen; von dem, was wirkliche Wissenschaftler aus ihren Forschungen berichten. Dass ich dabei manches missverstehe, kann da nicht ausbleiben. Und auch nicht, dass ich in vermeintlicher Selbstbescheidung philosophierend Sachen sage, die sehr wohl in den Tatsachenbereich der Realwissenschaft übergreifen, was mir gar nicht zusteht. (Es kann freilich auch passieren, dass ich an einer Stelle vorsichtiger formuliere, als der Sache angemessen wäre.)
Dies vorausschickend, stelle ich auf dieser Seite einige meiner Kommentare zusammen.
zu: Was ist ein Naturgesetz?
Man kann das eigentliche Problem immer weiter vor sich herschieben, aber dabei wird nur immer durchsichtiger: Was wir - seit Newton und auch nach Kant - als unsere Vernunft auffassen, sträubt sich gegen den Gedanken, dass etwas ist und ist und lediglich ist: Es ist ein Ungedan- ke. Sofern wir denken, müssen wir uns einen vorangegangenen andern Zustand denken - und einen Täter; einen, der eingegriffen und aus dem vorangegangen den gegenwärtigen Zustand gemacht hat. Der abstrakt denkende Naturwissenschaftler wird gewohnheitsmäßig nicht mehr an einen Verursacher, sondern an eine Ursache denken; aber sie nicht denken kann auch er nicht.
Es ist ein Zirkel. Die Vernunft erlaubt uns nicht, ohne Kausalität zu denken. Aber Vernunft ist ursprünglich nicht anderes als das Prinzip, sich alles Seiende als verursacht vorzustellen. Denn selbstverständlich kann man sich die Welt auch anders vorstellen - nur reden wir dann nicht von denken, sondern von phantasieren; nicht von Vernunft, sondern von Irrsinn.
Die Kritik des Naturgesetzbegriffs ist nichts anderes als Vernunftkritik - so die Tendenz seit Kant. Das Vexierstück ist, dass die Vernunft sich selbst voraussetzt. Will sagen, was Vernunft ist und ob und wie sie sich begründen lässt, kann wieder nur mit den Instrumentarien der Vernunft entschieden werden. Die Vernunft kann sich nicht von außen prüfen, sondern muss gewissermaßen in sich zurückkriechen und sich dabei zusehen, wie sie es anstellt, am Ende 'zu sich selbst' zu kommen.
Sie kann sich dabei ihrer stolzesten Leistungen - Begriff und Schlussregeln - nicht bedienen, sie muss im Gegenteil darauf achten, bei der Rekonstruktion ihres Werdegangs dieses Ziel nie aus dem Auge zu lassen: Begriff und Schlussregeln festzustellen! Sie kann nicht argumentieren, sondern muss zeigen, muss an- schaulich vorführen, "wie man es sich vorstellen muss".
Vernunftkritik ist diejenige Philosophie, in die - da hat Frau Anderl ganz Recht - die Frage nach den Naturgesetzen letzten Endes hineinführt. Kant hatte die Transzendentalphilosophie bis an die Pforten seines Apriori, der zwölf Kategorien und der beiden Anschauungsformen getrieben. Da blieb er stehen. Fichte führte die Untersuchung fort. Als allererste Voraussetzung auch des Kant'schen Apriori legt er das schlecht- hin agile Ich bloß, das 'sich setzt, indem es sich ein/em Nicht-Ich entgegensetzt'. Schon Raum und Zeit, schon die Kategorien sind Weisen des Vorstellens, ja 'das Ding' selbst wird real erst, wenn es ihm entgegensteht und als ein Dieses bestimmt und vorgestellt wird. (Wir wissen nichts als was in unserm Bewusstsein vorkommt. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstelleungen vor.)
Kurz gesagt, in allem, was wir uns vorstellen, ist ein Macher immer schon mitgedacht, nämlich Ich. Aber die Kritische alias Transzendentalphilosophie erlaubt uns, davon zu abstrahieren. Doch wenn wir vom Ver- ursacher abstrahieren, sollten wir auch von der Ursache abstrahieren. In ontologischer Hinsicht kommt die Vernunft nie weiter als bis zu: Was ist, ist.* So verfahren die statistischen Fächer wie die Thermodynamik; die haben auch mit der Emergenz kein theoretisches Problem.
*) Will sagen: Die Erscheinung erscheint, und sonst nichts. Alle Attribute sind Zutaten der Intelligenz.
zu: Das Naturgesetz von der Erhaltung der Energie.
Das ist kein Streit um Worte, denn es verbirgt sich ein Grund-legende Vorstellung darin: das "Gesetz" in der Natur. Der Natur- wissenschaftler fühlt sich irgendwie unter seiner Standeswürde, wenn er einfach sagt "so und so ist es". Er muss doch durchblik- ken lassen, dass er auch weiß, warum es so ist. Wenn er sagt Gesetz, ist dieser Erwartung vorläufig Genüge getan. Unter einem Gesetz stelle ich mir eine Vorschrift vor, die ein mit Willen begabtes Subjekt 'setzt'; bei der römischen lex, deren Etymologie im Dunkeln liegt, ist es die Res publica.
Kein seriöser Wissenschaftler versteht es heute noch so, aber zu sagen: Es ist nunmal so und mehr wissen wir nicht, traut sich auch keiner. Und so bleibt in der breiten gebildeten Öffentlichkeit die dunkle Vorstellung vom intelligenten Willensakt unangefochten. Das prägt die Bewusstseinsverfassung unserer ganzen Zivilisation, und das wiegt (auch im Reden der Wissenschaftler) letztlich schwerer als die Wissenschaft selbst.
Zur Sache: Die Vorstellung von der Erhaltung der Energie setzt voraus die Vorstellung von einem, nämlich einem endlichen Universum. Vorausgesetzt, letztere Vorstellung trifft zu, bleibt die Energie erhalten. Und dann bedeu- ten beide Vorstellungen dasselbe: Der 'Stoff' des Univerums bleibt derselbe, denn das Universum ist eins; Raum und Zeit sind lediglich Attribute dieses Stoffs. Das ist kein Gesetz; das ist so. (Sofern alle Voraussetzungen zutreffen.)
Solange sich die Voraussetzunmg wechselseitig stützen, ist das theoretische System, dem sie angehören, gültig und selber eine allgemeine Voraussetzung. Wird eine der Voraussetzungen faktisch widerlegt, geraten auch die andern mehr oder weniger in Mitleidenschaft. Dann muss das Ganze revidiert und unter Umständen neu aufgelegt werden.
zu : Der Gegenstand der Naturwissenschaft ist nicht natürlich.
Die Kritik an der Künstlichkeit der Gegenstände experimenteller Naturwissenschaft kam gleichzeitig mit der Einführung des experimentellen Verfahrens durch Fr. Bacon auf. In ihren Laboren quälten, folterten und verstümmelten die Forscher die lebendige Natur, und deren abgezwungene Auskünfte seien so unverlässlich wie die Geständnisse eines Angeklagten unter der Tortur.
Freilich war das ein emphatisches Bild von der Natur und kein reduktionistisches; doch Bilder sind sie beide.
Die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften wurde von Wilhelm Dilthy systematisiert, und umgangssprachlich tut sie bis heute gute Dienste. Aber erkenntnislogisch ist sie irreführend, wie bereits Diltheys neukantianische Zeitgenossen vermerkten: Der Gegenstand der Naturwissenschaften ist vom systematisierenden Geist des Forschers intentional entworfen, und indem er sich mit ihm befasst, befasst er sich - in zweiter Instanz - ebenso mit 'dem Menschen' wie in erster Instanz die Geisteswissenschaften. Nicht nach ihren Gegenständen, sondern nach ihren Erkenntniswegen müssten die Wissenschaften unterschieden werden: in solche, die ("nomothetisch") allgemeine Gesetze für mannigfaltige Phänomene aufstellen; und solche, die ("idiographisch") einzelne Phänomene umfassend beschreiben wollen.
Jede Forschung verfährt nomothetisch, wenn und indem sie sich mathematischer Formeln bedient. Was mathematisch dargestellt wird, wird als Gesetz dargestellt. Allerdings hat nicht die Natur die Mathematik hervorgebracht. Vielmehr hat ein mathematisches Weltbild das hervorgebracht, was wir heute unter Natur verstehen; es ist ein Zirkel.
Wenn H.-J. Rheinberger den Gegensatz von Natur- und Kulturwissenschaften irgendwie übersteigen will, kann ihm das immer nur nach dieser einen Seite hin gelingen: Im 'Naturgegenstand' steckt immer schon mehr Kultur, als im Kulturereignis natürlicher Stoff...
Von Philosophie verstehe ich etwas; von Transzendentalphilosophie, genauer gesagt. Auch von den Naturwissenschaften habe ich dies und das gehört, aber dass ich es verstünde, hatte ich nicht oft das Gefühl. Doch hier handelt es sich nicht um Naturwissenschaft, sondern um deren allgemeinverständliche Zu- sammenfassung. Ob und wieweit es zutrifft, kann ich nicht beurteilen; ich nehme an, dass es den 'Stand der Wissenschaft' loyal wiedergibt.
Die Philosophie lehrt mich, dass ich von den Dingen selber gar nichts weiß. Ich habe Vorstellungen von ihnen, über die kann ich reden, und ich kann mich fragen, wie ich zu ihnen gekommen bin. Ich werde be- merken, dass ich bei der Aufnahme, Anordnung und Bewertung der Daten, die mir meine Sinnesorgane vermelden, gewisse Schemata verwende - das, was bei Kant das 'Apriori' heißt. Bis dahin ist das noch keine Philosophie, sondern entspricht den Ergebnissen der empirischen (psychologischen) Forschung. Wenn es stimmt, verwendet sie allerdings selber besagte Schemata, sie kommt hinterdrein und ist nicht befähigt, die Schemata auf ihre Herkunft und Berechtigung zu prüfen.
Das ist Sache der Philosophie, nämlich der kritischen oder 'Transzendental'-Philosophie; transzendental darum, weil sie nach den Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit fragt. So kritisch und radikal sie immer verfährt - sie bleibt doch immer im Rahmen unserer tatsächlichen Vorstellungsmöglichkeiten, will sagen: andere Voraussetzungen als die, die sie selber macht, sind ihr nicht möglich.
Kant selber hatte die Möglichkeit offengelassen, dass unser Vorstellungsvermögen von einem Schöpfer so angelegt wurde, wie es eben ist. Der Naturwissenschaftler, der an dieser Stelle wieder zu Wort kommt, sagt, unser Vorstellungsvermögen ist wie jedes andere unserer Vermögen ein Produkt der natürlichen Evolution: Anpassung und Auslese. Wir können uns nicht vorstellen, was wir uns vorstellen könnten, wenn wir uns in einer anderen Ecke des Universums hätten entwickeln müssen; wir können uns nicht einmal vorstellen, was in unserer Welt die Biene dort sieht, wo bei uns das ultraviolette Licht unsichtbar wird.
Es ist Wunders genug, dass die irdische Beschränktheit unserer Vorstellungskraft uns nicht daran gehindert hat, durch das Übersetzen von konstruierten Begriffen in mathematische Formeln uns Dinge denkbar zu machen, die wir uns nicht vorstellen können. Das Wunder hat einen Namen, es heißt Symbolisierung. Mit den Symbolen können wir operieren, ohne unsere Vorstellungskraft jeweils mitbemühen zu müssen. Da- durch werden die Symbole indessen kein bisschen objektiver: Sie bleiben immer willkürlich gewählte Zeichen für eine subjektive Bedeutung. Die Bedeutung bezieht sich immer nur darauf, was wir mit dem Ding anfangen können, und nicht auf das, was das Ding 'ist', und ob eine Bedeutung 'stimmt', wird sich erweisen oder nicht.
Wenn also Einstein meinte, sein Geist könne sich nicht mit der Vorstellung zufriedengeben, dass es im Universum "zwei getrennte Felder gibt, die in ihrer Natur völlig voneinander unabhängig sind", so sagt er etwas darüber, welche Vorstellungen unsere Gattungsgeschichte unserm Gehirn möglich gemacht hat; aber nichts über die Beschaffenheit der 'Dinge'.
Es wäre des Wunders viel zu viel, wenn sich erwiese, dass wir durch das Kombinieren von Symbolen Formeln konstruieren können, denen 'das Ding' entspricht. Denn hier geht es nicht um dieses oder jenes Ding - da könnte der Zufall beispringen -, sondern um den Inbegriff aller Dinge. Den könnte nur kennen, wer 'Alles' erschaffen hat. Und andernfalls gäbe es ihn gar nicht.
*) Kant hatte ihn dem Glauben zugestanden, aus der Wissscenschaft jedoch verbannt.
zu: Künstliche Intelligenz ist nicht objektiver als natürliche.
Das ist die Grenze maschineller Intelligenz und wird es immer bleiben: Ein Computer kann immer nur das, was ihm ein Mensch oder ein anderer von Menschen konstruierter Computer beigebracht hat. Das kann er vielfältig kombinieren, sicher schneller und gründlicher als sein Erbauer, der dann verblüfft glaubt, der Computer habe 'sich selber was ausgedacht'.
In Bereichen, wo es ohnehin nur aufs Kombinieren und nicht aufs Erfinden ankommt - also überall, wo mathematische Symbole anwendbar sind -, bleibt dieses Missverständnis folgenlos. Doch wo immer der Computer im semantischen Bereich tätig wird, ist es ein gefährlicher Irrtum, dass er selber denken könne! Semantik - das Reich der Bedeutungen - ist eine spezifisch und exklusiv menschliche, die spezifisch und exklusiv menschliche Dimension.
Denn für wen kann irgendwas irgendwas bedeuten? Nur für den, der Zwecke verfolgt, und zwar in letzter Instanz selbstgewählte Zwecke: für einen, der etwas will. Und nur Menschen können etwas wollen, weil sie etwas wollen müssen. Weil ihnen nämlich in die offenen Welt, in die sie einmal aufgebrochen sind, die Evolution keinen angestammten Weg mitgegeben hat. Weil sie ihr Leben führen müssen.
Aber natürlich kann einem semantischen Computer genausogut wie einem bloßer Rechner ein Schaltfehler unterlaufen: Er spielt dann verrückt. Wer falsche Erwartungen an den Computer mitbringt, wird dann womöglich Wahnsinn mit Genie verwecheln, und das könnte böse Folgen haben.
zu: Selbstbewusste Rhesusäffchen.
Ein
zählebiges Dogma der Biologie hat sich im allgemeinen Volksbewusstsein
festgesetzt, möchte man meinen: "Die Natur verschwendet nichts." Ein
Dogma, weil es blind geglaubt wird ohne jede empirische Grundlage, ja
entgegen dem bloßen Augenschein. Tatsächlich war sein Gang auch
umgekehrt: Nicht aus der Wissenschaft ins Volksvorurteil, sondern aus
dem Volks-, genauer: Bour- geois-Vorurteil hat es einen Weg in die Wissenschaft genommen. Im Gegenteil müsste es heißen: Nichts tut die Natur systematischer als verschwenden! Systematisch muss es ja wohl auch sein, wenn die Evolution durch Auslese stattfinden soll; Auslese der am besten Geeigneten aus einer großen Masse von Irrläufern.
Die Rhesusäffchen sind ein Beispiel. Dass Schimpansen und Gorillas imstande sind, sich im Spiegel als 'ich-selbst' wiederzuerkennen, ist lange bekannt. Doch erstens sind sie als Menschenaffen unsere nächsten Verwandten, und es muss uns nicht kränken; aber zweitens geschieht es nur unter außerge- wöhnlich günstigen Umständen, nämlich in der Versuchsstation; im Urwald liegen keine Spiegel herum.
Und nun lernen wir: Wenn man sie dressiert, können's Rhesusaffen auch. Wer weiß - und vielleicht die Katta-Lemuren?
Hypertelie hat Adolf Portmann die Neigung der Natur genannt, ihre Lebewesen mit viel mehr Fähig- keiten auszustatten, als sie in ihrer natürlich Umwelt gebrauchen können - und es für ihr allgemeines Gesetz gehalten: "Übers Ziel hinaus" müssen die Lebewesen - wenigstens immer ein paar in jeder Gattung - equipped sein, wenn die Gattungen sich auf veränderte Lebensbedingungen um- und ein- stellen können sollen.
Man könnte auf die Idee kommen, dass auch wir Menschen uns unsere besondere Intelligenz, die wir Geist nennen, nur zugezogen haben, weil wir seinerzeit overequipped in die Welt gekommen sind.
zu Können Affen reflektieren?
Die Natur ist nicht gutbürgerlich, sie ist keine Haushälterin. Die Natur schaffe keine Fähigkeiten, für die sie keine Verwendung hat, hieß es: nur so viele Töpfchen, wie es Deckelchen gibt. Das ist jedoch bloße Ideologie. Der bürgerliche Geschäftsmann wollte in sich eine gottgewollte Natur erkennen können. Die Natur ist aber eine bedenkenlose Verschwenderin. Man denke nur an die Abermilliarden männlicher Samenkörner, die Stunde für Stunde vergeudet werden!
Welche Fertigkeiten durch welche Mutationen entstehen, ist reiner Zufall. Kein Zufall ist, welche sich da- von im Leben der jeweiligen Gattung bewähren - und durch ständige Übung befestigt und ausgebaut und schließlich zum Gemeingut der Gattung werden. Und all die andern neuen Fertigkeiten bleiben ungenutzt und gehen wieder verloren.
Wenn es anders wäre, hätte sich die Familie Homo seinerzeit nicht auf die Hinterbeine gestellt und wäre nicht aus ihrer Urwaldnische in eine offene Welt ausgebrochen. Die Fähigkeit zum aufrechten Gang war schon bei manchen Vorläufern entstanden. Es musste noch die Gelegenheit - und in unseren Fall vielleicht die Erfordernis - hinzukommen, sich ihrer zu bedienen. Man sollte annehmen, dass in jeder Gattung mehr Möglichkeiten im Verborgenen schlummern, als im alltägliche Einerlei zu Tage treten. Hypertelie hat Adolf Portmann das genannt und für ein bestimmendes Merkmal alles Lebendigen gehalten.
Dass wir eine Intelligenz haben, unterscheidet uns nicht von den Tieren; allenfalls, dass unsere weiter reicht. Dass wir nicht nur viel dazulernen, sondern auch wissen können, dass wir etwas wissen; dass wir also reflektieren, unterscheidet uns jedenfalls nicht grundsätzlich von den Japanmakaken. Aber immer noch dies: dass es bei uns eine Fähigkeit der ganzen Gattung geworden, dass es heute habituell und gattungsty- pisch ist. Bei uns ist das kein Zufall mehr, sondern Ergebnis einer evolutionären Auslese.
zu Künstliche Intelligenz ist nicht objektiver als natürliche.
Das ist die Grenze maschineller Intelligenz und wird es immer bleiben: Ein Computer kann immer nur das, was ihm ein Mensch oder ein anderer von Menschen konstruierter Computer beigebracht hat. Das kann er vielfältig kombinieren, sicher schneller und gründlicher als sein Erbauer, der dann verblüfft glaubt, der Computer habe 'sich selber was ausgedacht'.
In Bereichen, wo es ohnehin nur aufs Kombinieren und nicht aufs Erfinden ankommt - also überall, wo mathematische Symbole anwendbar sind -, bleibt dieses Missverständnis folgenlos. Doch wo immer der Computer im semantischen Bereich tätig wird, ist es ein gefährlicher Irrtum, dass er selber denken könne! Semantik - das Reich der Bedeutungen - ist eine spezifisch und exklusiv menschliche, die spezifisch und exklusiv menschliche Dimension.
Denn für wen kann irgendwas irgendwas bedeuten? Nur für den, der Zwecke verfolgt, und zwar in letzter Instanz selbstgewählte Zwecke: für einen, der etwas will. Und nur Menschen können etwas wollen, weil sie etwas wollen müssen. Weil ihnen nämlich in die offenen Welt, in die sie einmal aufgebrochen sind, die Evolution keinen angestammten Weg mitgegeben hat. Weil sie ihr Leben führen müssen.
Aber natürlich kann einem semantischen Computer genausogut wie einem bloßer Rechner ein Schaltfehler unterlaufen: Er spielt dann verrückt. Wer falsche Erwartungen an den Computer mitbringt, wird dann womöglich Wahnsinn mit Genie verwecheln, und das könnte böse Folgen haben.
zu Ist Norm gut oder schlecht?
Das ist ein unerfreuliches Kuddelmuddel. Ist Norm ein metaphysisches Datum, ist Normierung eine "Idee"? Ich meine: Gibt es Norm an sich, so dass man sagen könnte: an sich gut und je mehr umso besser, oder: an sich nicht so gut und lieber weniger?
Offenbar ja nicht, denn nachdem er uns erzählt hat, wie nützlich Normen in der Natur bislang waren, redet er uns von Normen, die wir selber einführen können oder nicht. Deren Einführung wir wollen müssten.
Er sagt "Allgemeinen Normentheorie", aber meint gar nicht Normen, sondern bloß normierte Formate. Man müsste also fragen: Ist bei allem, was sich formatieren lässt, Normierung sinnvoll? Sogleich drängt sich die Frage auf: Was aber ist ein Format? Wie das Wort anklingen lässt, ist es eine Sache der Form und nicht - des Stoffs, hätte ich beinahe gesagt, aber ich sage doch besser: der Qualitas. Sie betrifft das Wie der Sache, nicht das Was. Was ist aber das Was der Sache und was das Wie? Das Was der Sache ist das, was ich mit ihr tun kann (landläufig: was ich daraus machen kann). Das Wie der Sache schreib mir vor, wie ich das anstellen müsste.
Es ist völliger Blödsinn, regelmäßige Formen, die sich im Spiel von Anpassung und Auslese in der Natur ausgebildet haben, unter denselben Begriff zu fassen wie diejenigen Formen, die ich absichtsvoll für eine Operation aushecke, die ich tausenfach selbst ausführen und an die ich tausend Folgeoperationen anknüpfen will.
'Warum Blödsinn, es geht doch immer um die Zweckmäßigkeit!' Blödsinn, weil die Natur, anders als ich, gar keine Zwecke hat. Die Natur ist kein Subjekt, ich aber bin es. Die Natur sucht blind nach dem, was passt. Ich aber suche nach dem, was gut und richtig ist. Dabei geht es viel mehr um das Was als um das Wie. Ob sich da Normierung lohnt, ist ein technisches Detail.
Nur um dieses technische Detail geht es aber dem Autor. Sein prätentiöser Wortaufwand dient nur dazu, den Leser zu beeindrucken. In Amerika haben sie Trump zum Präsidenten gemacht.
zu ...das, was man noch nicht vergessen hat.
Was eben noch Wahrnehmung war, ist in der folgenden Sekunde bereits Erinnerung - und schon deswegen etwas anderes geworden, weil es in Gesellschaft mit Abermilliarden anderen Erinnerten tritt, die es unter ihre Fittiche nehmen.
Nun war aber auch die aktuelle Wahrnehmung selber nicht etwa rein, kristallklar und 'sie selber': Sie war ihrerseits tausend- oder millionenfach gesucht, ausgewählt und gefiltert. Die "dogmatische", wie Kant sie nennt, Auffassung des Erkennens als Abdruck oder Widerspiegelung der Dinge selbst ist, aller philosophischen Erwägungen unerachtet, unter rein physiologischen Gesichtspunkt nicht haltbar.
Die psychologische Auffassung vom Selbst als Summe des Erinnerten ist ihrerseits nicht vereinbar mit der Vorstellung, der Mensch sei "das Produkt seiner Erlebnisse". Was es wahrnimmt, erlebt und erinnert, hat es schon immer moduliert und modifiziert; 'als solches' gibt es das gar nicht.
Die psychologische Auffassung vom Selbst als Summe des Erinnerten ist ihrerseits nicht vereinbar mit der Vorstellung, der Mensch sei "das Produkt seiner Erlebnisse". Was es wahrnimmt, erlebt und erinnert, hat es schon immer moduliert und modifiziert; 'als solches' gibt es das gar nicht.
Dies umso weniger, als nur wenig später Ernst Cassirer Uexkülls theoretisches Konzept um die Vorstellung des Symbolnetzes erweitert hat, das der Mensch zwischen Merk- und Wirknetz geschoben und damit beide dimensional erweitert hat, wodurch ihm seine (in Merk- und Wirknetz beschlossene) Umwelt zu einer (offenen) Welt wurde.
Dass man in Amerika Uexküll nicht kennt, ist schon erstaunlich genug. Aber Ernst Cassirer hat die letzten Jahre seines Lebens aus ungutem Grund in den Vereinigten Staaten verbracht, dort gelehrt und auch publiziert. Von dem muss man dort gehört haben.
zu Hat das Wissen Grenzen?
I. Das Wissen hat Grenzen: das, was wissbar ist. Wissen als Zeitwort wissen ist unbegrenzt. Es ist das tätige Verhalten zu allem, was mir begegnet. Wie könnte das eine Grenze haben?
Was heißt wissen? Es heißt, etwas Unbestimmtes ein wenig bestimmter machen. Unbestimmt - das sind die Reize, die unsere Sinneszellen an ihre Supervisoren im Gehirn, die Neuronen, melden. Diese Sinnesdaten zusammenführen und mit einer Bedeutung ausstatten heißt bestimmen. Und was ist eine Bedeutung? Bedeutung ist dasjenige an einem Ding, was mich veranlassen kann, mein Verhalten so oder so zu... bestimmen, nämlich auf einen Zweck zu richten. Die Zwecke muss ich mir freilich selber setzen.
Wie könnte ich damit je zu einem Ende kommen? Nicht nur begegnen an allen Ecken nund Enden neue Dinge, sondern an den bekannten Dingen bemerke ich immer wieder 'Merkmale', die es noch zu bestimmen gilt. Aber das ist trivial. Entscheidend ist, dass ich, wenn ich es sol will, meine Zwecke ändern kann. Das Bestimmen ist ohne Ende.
Denn ein Ende wäre noch nicht, wenn ich alle Dinge so genau bestimmt hätte, dass ich nichts mehr hinzu- fügen kann: wenn alle seine Zwecke restlos erfüllt sind. Ein Ende wäre, wenn ich einen allerletzten Zweck wie einen Spatz in meiner Hand hielte und nicht sehnsüchtig betrachten müsste wie eine Taube auf dem Dach. Doch damit soll es wohl noch eine gute Weile haben.
II. Selbstverständlich ist nichts, was in der Natur vorkommt, für uns restlos verstehbar. Wenn ich unter Verstehen die Einsicht in eine allerletzte Ursache 'verstehe'. Wenn es eine allerletzte nicht gibt, gibt es keine Ursache. Wenn es eine allerletze gibt, gehört sie nicht mehr zur Natur, die unserer Vorstellung nach etwas Hervorgebrachtes ist. Die allerletzte müsste also ein übernatürlich Hervorbringer sein.
Und das ist ja der Gedanke, den sie uns immer zumuten wollen, weil sich die Menschen das "immer schon so gedacht" haben. Warum? Weil es der Erfahrung entspricht, die ihre Gattung seit ihrem ersten Auftreten schon immer gemacht hat: keine Folge ohne einen Verursacher, der sie bewirkt. Wenn es eine Vorstellung gibt, von der wir in Wirklichkeit niemals abstrahieren können, dann ist es die. Das ist die Grenze, die die Evolution unserem Verstehen gezogen hat.
zu Der neuronale Code (Abrakadabra).
I. Wenn ich ihn recht verstehe, wäre der Neuronale Code ein Algorithmus, nach dem "das Gehirn" elektromagnetische Entladungen in Bedeutungen übersetzt? Wer hat ihm gesagt, dass es sowas gibt?
Die Hirnforschung hat keinen Homunculus auffinden können, keine Zentralinstanz, die das ganze Gehirn kontrolliert und dirigiert. Gäbe es das, so hätte man immerhin einen Actor, der sich im Lauf der Jahrmillionen einen solche Code sei es ausgedacht, sei es im trial-an-error-Verfahren evolutiv herausgefunden haben könnte.
Aber nun wird uns zugemutet, einen solchen Code anzunehmen ohne irgendwen und irgendwas, der ihn ausgegeben hätte, und ohne einen 'Ort', an dem er gespeichert ist; ähnlich wie in jede Körperzelle das gesamte Erbgut eingeschrioeben ist - man weiß, wo, und kann es isolieren -, wäre er in jedem Neuron (oder nur in den Grauen Zellen?) "gespeichert", aber als Qualitas occulta, die weder sich selber zeigt noch ihren Sitz verrät.
Codes gäbe es viel zu viele, schreibt der Autor. Das ist der springende Punkt: Sie sind ein Mannigfaltiges, wie der Philosoph sagen würde, er will aber ein Singulum und Individuum. Man könnte sich vorstellen, dass es sich im Lauf der Gattungsgeschichte als Synthese ausgebildet hätte. Da müsste es aber in Raum und Zeit seine Spur hinterlassen haben, so wie die partikularen Codes auch; müsste sich identifizieren lassen (das heißt nocht nicht: entziffern). Die Umkehrung hingegen kann man sich nicht vorstellen: dass sich die Partikularcodes im Lauf der Evolution aus einem hypothetische Metacode erst nach und nach 'ausgefällt' hätten. Denn dann wäre "der Neuronale Code" eine Art Großer Geist; ein intelligenter Designer, kurz: ein Schöpfergott. Ich wüsste nicht, warum ich mir so etwas vorstellen sollte; und schon gar nicht, wie.
Ich glaube, ich weiß längst, wie der Neuronale Code lautet; nämlich Abrakadabra.
II. - Aber vielleicht habe ich ihn ja nur falsch verstanden, vielleicht ist er längst nicht so ambitiös. Womöglich meint er wirklich nur einen Code, der "auf Oszillationen und Synchronisationen von Nerven- zellen basiert" wie im Fall der Partikularcodes auch. Dann läge nicht der Code 'zugrunde', sondern was da wäre, wäre lediglich das - Oszillieren und Synchronisieren von Nervenzellen: der Code wäre eine reine Beschreibung . Dann gewönne man Einblick in die systemische Struktur des Gesamthirns , könnte manchen systemischen Vorgang vielleicht in lineare Kausalketten übersetzen, wüsste genauer, 'wo man ansetzen muss', um diese oder jene Manipulation zu bewerkstelligen.
Das wäre heikel genug, da hat er Recht. Nur könnte ich nicht erknnen, welche philosophischen Fragen damit aufzuklären wären, und schonmal gar nicht das "Körper-Geist-Problem".
zu Emotionen und Gedächtnisleistung.
An sich ist das trivial. Im Zusammenhang mit dem gestrigen Eintrag erinnert es aber daran, dass die Unterscheidung zwischen kognitiven und emotiven Leistungen eine rein pragmatische, auf ihre Lebensfunktion bezogene ist, nichts aber über Herkunft und "Wesen" aussagt. Wenn auch in der Hirnforschung mancherlei umstritten ist, in einem sind sich doch alle einig: Das Gehirn ist ein System, in dem sich die Funktionen zwar begrifflich, nicht aber empirisch von einander scheiden lassen.
zu Wirklich ist, was Körper hat.
Sagen wir's prosaisch: Wirklich ist, was in Raum und Zeit vorkommt. Das hat auch Kant nicht anders gesehen. Und das Denken bringt es erst zu was, wenn es einsieht, dass Begriffe ohne Anschauung leer sind. Unter Anschauung verstand er alles, was sinnlich ist, und sinnlich ist, was... in Raum und Zeit vorkommt.
Radikalisiert wurde Kant von J. G. Fichte. Der nennt, was sinnlich ist, geradewegs Gefühl. Anschau-ung sei dagegen schon eine intellektuelle Leistung, durch die nämlich ein Gefühl erstens als dieses und zweitens als meins bestimmt wird. Doch was es ist und was Ich heißen kann, bestimme ich est durch meine Arbeit des Begreifens (und die geschieht durch Setzen und Entgegensetzen). Denn ohne Begriff bliebe meine Anschauung blind.
zu "Realismus".
'Naiven Realismus' nannten die Neukantianer vor anderthalb Jahrhunderten das, was Kant selbst die dogmatische Sicht der Welt genannt hatte, weil sie glaubt; nämlich
glaubt, dass das, was in ihrem Bewusstsein vorkommt, dasselbe ist wie
dass, was außerhalb ihres Bewusstseins da ist. Die Frage, wie es dort
hineingekommen ist, stellt sie sich naiverweise nicht: Im Bewusstsein spiegelt
sich die Welt. 'Abbildtheorie' hat man das später genannt, denn es war
das Glaubensbekenntnis der "wissenschaftlichen Weltanschauung" alias DIAlektischer MATerialismus, da war Respekt geboten, denn Sibirien lag näher, als es auf der Landkarte aussah.
Die Hirnphysiologie bringt uns aber nicht weiter. Zwar kann der Forscher uns zeigen, dass die Neurone in unserm Hirn nicht einfach die Reize, die ihnen die Sinneszellen übermitteln, einsammeln und zu Einheiten zusammensetzen (wie und warum?), sondern umgekehrt aktiv Fragen an sie stellen und dadurch vorab immer schon seine Auswahl getroffen haben, die eine Hypothese darstellt, mit der die Daten verglichen werden. Auch hier findet also nicht einfach Widerspiegelung statt.
Aber das beweist noch nicht viel. Unser Bewusstsein erschöpft sich nämlich nicht darin, dass wir 'Sachen wissen'. Das tun ja offenbar die Tiere auch. Doch anders als sie wissen wir, dass wir Sachen wissen - sonst könnten wir uns ja nicht fragen, wie es dazu kommt. Wir reflektieren, und in wachem Zustand nehmen wir nichts wahr, worauf wir nicht reflektierten: Etwas 'merken' heißt darauf reflektieren
Für die Reflexion hat die Hirnforschung nicht nur keine Erklärung. Sie kann mit all ihren Bildgebenden Verfahren nicht einmal sagen, wann, wo oder wie sie geschieht.
Intelligenz
ist, was der IQ-Test misst - das ist ein pragmatischer Begriff, der in
neun von zehn Kommunikationssituationen ausreichen dürfte. Aber bei
der künstlichen Intelligenz vermutlich nicht.
Der IQ-Test legt zugrunde eine Menge von Leistungen, die einer im täglichen Leben erbringen muss, wenn er als 'intelligent' gelten soll. Wo es um künstliche Intelligenz geht, geht es aber nicht um das tägliche Leben. Sondern zum Beispiel um die Meisterschaft im Go-Spiel. Das ist etwas, das auch für unsere natürliche Intelligenz an der Grenze liegt. Mit andern Worten: beim Vergleich von natürlicher und künstlicher Intelligenz geht es darum, welche die engeren und welche die weiteren Grenzen hat.
Das klingt, als ginge es um die Menge der Probleme, die zu lösen sind. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist, so muss man annehmen, begrenzt: Erstens durch die Verschaltungen, die zwischcn den Neuronen möglich sind. Faktisch wird es nicht möglich sein zu berechnen, wie viele das sind, faktisch dürften sie "so gut wie unendlich" sein. Aber eben nur so gut wie. Theoretisch, nach dem Begriff, sind sie es nicht. Und ob in dieser Hinsicht das künstliche Gehirn dem menschlichen überlegen ist, ist eine rein technologische Frage, die sich im Lauf der Zeit von allein zugunsten der KI entscheiden wird.
Der IQ-Test legt zugrunde eine Menge von Leistungen, die einer im täglichen Leben erbringen muss, wenn er als 'intelligent' gelten soll. Wo es um künstliche Intelligenz geht, geht es aber nicht um das tägliche Leben. Sondern zum Beispiel um die Meisterschaft im Go-Spiel. Das ist etwas, das auch für unsere natürliche Intelligenz an der Grenze liegt. Mit andern Worten: beim Vergleich von natürlicher und künstlicher Intelligenz geht es darum, welche die engeren und welche die weiteren Grenzen hat.
Das klingt, als ginge es um die Menge der Probleme, die zu lösen sind. Die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns ist, so muss man annehmen, begrenzt: Erstens durch die Verschaltungen, die zwischcn den Neuronen möglich sind. Faktisch wird es nicht möglich sein zu berechnen, wie viele das sind, faktisch dürften sie "so gut wie unendlich" sein. Aber eben nur so gut wie. Theoretisch, nach dem Begriff, sind sie es nicht. Und ob in dieser Hinsicht das künstliche Gehirn dem menschlichen überlegen ist, ist eine rein technologische Frage, die sich im Lauf der Zeit von allein zugunsten der KI entscheiden wird.
Nun
kann man einwenden: Aber die KI kann ihre Problem nur 'erfinden' aus
dem Fundus der Daten, die ihr eingegeben wurden und die sie aufgrund
ihres Programms ermitteln konnte. Das mögen unvorstellbar viele sein;
aber erfinden kann sie nichts.
Kommt sogleich der Einwand: Der Mensch kann sich auch nichts andres einbilden, als was in seinem Erfahrungsschatz schon irgendwann mal vorgekommen ist.
Kommt sogleich der Einwand: Der Mensch kann sich auch nichts andres einbilden, als was in seinem Erfahrungsschatz schon irgendwann mal vorgekommen ist.
Eben das wird bestritten - allen Ernstes mit dem Hinweis auf einen Umstand, den schon Kant in Erwägung zog: Im "Spiel der Einbildungskraft" beruft er sich auf den Traum; was nur philogogisch von Interesse wäre, wenn nicht die Hirnphysiologie heute ebendort ansetzte: "Ich vertrete die These, dass die vorgeburt- liche Phase des Menschen
entscheidend ist für die Prägung des visuellen Systems. Das Sehsystem
ist das einzige, das vor der Geburt nicht gereizt wird. Damit es aber
gleich nach der Geburt funktionieren kann, wird das visuelle System im
Gehirn mit Hilfe von Träumen gleichsam eingefahren. Mehr als 50 Prozent
der Zeit verbringen Kinder im Mutterleib in der Traumphase. Es hat dann
keinen evolutionären Grund gegeben, die Träume nach der Geburt wieder
abzuschaffen", sagt Ernst Pöppel.
Es geht um Einbild ung. Sind deren Möglichkeiten wirklich ohne Grenzen? Dann wäre die menschliche Intelligenz der künstlichen theoretisch doch überlegen. Praktisch würde sie freilich bei jedem möglichen Wettbewerb vor ihr schlappmachen; wie oben im Go-Spiel.
Mit andern Worten: Ob menschliche oder künstliche Intelligenz überlegen ist, ließe sich schlechterdings nicht beurteilen.
Wenn wir nämlich nach dem Menge der Einfälle fragen. Haben wir es aber nicht mit der Frage nach der Qualität der Einfälle zu tun?
Das ist offenbar nicht eine Frage des Auszählens, sondern der Urteilens. Die Frage ist hier: Kann künstliche Intelligenz urteilen? - Natürlich; sofern ihr Urteilsmaßstäbe einprogrammiert wurden - womöglich so, dass sie subtilere Maßstäbe daraus selber destillieren kann. Aber kann sie letztendlich urteilen, auch über das, was ihr einprogrammiert wurde? Klipp und klar gesagt: Kann sie gut und böse unterscheiden?
Kann sie nicht.
Das ist nämlich der springende Punkt bei der Abwägung von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Menschliche Intelligenz kann nicht nur, sondern sie kann nicht anders.
zu Ganz richtig im Kopf ist doch keiner.
Dass jeder Mensch ein bisschen anders ist, dass die Grenzen des Normalen ein wenig fließen, dass Genie und Wahnsinn bei einander liegen - das sind alles Alltagstrivialitäten, die niemand bestreitet, weil sonst das tägliche Zusammenleben äußerst strapaziös wäre.
Doch muss man sich klarmachen: Das gilt nicht nur für das Ungefähr unserer alltäglichen Begegnungen, sondern in einem strengen Sinn.
Nicht alle Lebern sind gleich, nicht alle Herzen, nicht alle Schilddrüsen, nicht alle Blinddärme. Aber alle von ihnen - nein, der letzte nicht - haben im Organismus eine bestimmte Funktion, und wenn sie die in auffälliger Weise nicht erfüllen, sind sie krank.
Für unser Gehirn - so, wie es heute ist, unsere stammesgeschichtlich jüngste Erwerbung - gilt das nicht. Welche genau die Funktionen sind, die es zu erfüllen hätte, kann kein Anatom, kein Neurologe, kein Hirnforscher und kein Irrenarzt uns sagen; denn ab wann ein Organismus nicht mehr funktionsfähig ist, ist bei uns längst nicht mehr eine biologische, sondern eine soziokulturelle Frage; und im äußersten Falle eine technologische. Was bei uns irre, was genial und was stinknormal ist, ist vielfältig historisch bedingt - auch das in dieser Abstraktheit eine Trivialität, doch mit den Trivialitäten ist es, wie Friedrich Schlegel einmal bemerkte, so, dass man gerade die Binsenwahrheiten immer wieder mal aussprechen muss, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass sie doch Wahrheiten sind.
zu Weltschaum.
Rein wissenschaftlich gesehen, ist leben Stoffwechsel und Fortpflanzung. Das lässt sich in unendlich viele biochemische Mikroprozesse auflösen. Was leben "wirklich ist", wird sich dabei aber nicht erfahren lassen.
Der Philosophie wurden vor zweieinhalb Jahrhunderten von Kant ihre Grenzen gezogen. Dass sie sie überschritte, kann man der gegenwärtigen Philosophie nicht vorwerfen; eher schon, dass sie sie nicht einmal ausfüllt.
Hat der Naturwissenschaft je einer ihre Grenzen gezeigt? Hirnforschung, Molekularbiologie, Mikro- und Makrophysik - nirgends genieren die Forscher sich zu spekulieren, und manch einer wartet dazu nicht einmal den Tag seiner Emeritierung ab.
Es geht um Einbild ung. Sind deren Möglichkeiten wirklich ohne Grenzen? Dann wäre die menschliche Intelligenz der künstlichen theoretisch doch überlegen. Praktisch würde sie freilich bei jedem möglichen Wettbewerb vor ihr schlappmachen; wie oben im Go-Spiel.
Mit andern Worten: Ob menschliche oder künstliche Intelligenz überlegen ist, ließe sich schlechterdings nicht beurteilen.
Wenn wir nämlich nach dem Menge der Einfälle fragen. Haben wir es aber nicht mit der Frage nach der Qualität der Einfälle zu tun?
Das ist offenbar nicht eine Frage des Auszählens, sondern der Urteilens. Die Frage ist hier: Kann künstliche Intelligenz urteilen? - Natürlich; sofern ihr Urteilsmaßstäbe einprogrammiert wurden - womöglich so, dass sie subtilere Maßstäbe daraus selber destillieren kann. Aber kann sie letztendlich urteilen, auch über das, was ihr einprogrammiert wurde? Klipp und klar gesagt: Kann sie gut und böse unterscheiden?
Kann sie nicht.
Das ist nämlich der springende Punkt bei der Abwägung von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Menschliche Intelligenz kann nicht nur, sondern sie kann nicht anders.
zu Ganz richtig im Kopf ist doch keiner.
Dass jeder Mensch ein bisschen anders ist, dass die Grenzen des Normalen ein wenig fließen, dass Genie und Wahnsinn bei einander liegen - das sind alles Alltagstrivialitäten, die niemand bestreitet, weil sonst das tägliche Zusammenleben äußerst strapaziös wäre.
Doch muss man sich klarmachen: Das gilt nicht nur für das Ungefähr unserer alltäglichen Begegnungen, sondern in einem strengen Sinn.
Nicht alle Lebern sind gleich, nicht alle Herzen, nicht alle Schilddrüsen, nicht alle Blinddärme. Aber alle von ihnen - nein, der letzte nicht - haben im Organismus eine bestimmte Funktion, und wenn sie die in auffälliger Weise nicht erfüllen, sind sie krank.
Für unser Gehirn - so, wie es heute ist, unsere stammesgeschichtlich jüngste Erwerbung - gilt das nicht. Welche genau die Funktionen sind, die es zu erfüllen hätte, kann kein Anatom, kein Neurologe, kein Hirnforscher und kein Irrenarzt uns sagen; denn ab wann ein Organismus nicht mehr funktionsfähig ist, ist bei uns längst nicht mehr eine biologische, sondern eine soziokulturelle Frage; und im äußersten Falle eine technologische. Was bei uns irre, was genial und was stinknormal ist, ist vielfältig historisch bedingt - auch das in dieser Abstraktheit eine Trivialität, doch mit den Trivialitäten ist es, wie Friedrich Schlegel einmal bemerkte, so, dass man gerade die Binsenwahrheiten immer wieder mal aussprechen muss, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass sie doch Wahrheiten sind.
zu Weltschaum.
Rein wissenschaftlich gesehen, ist leben Stoffwechsel und Fortpflanzung. Das lässt sich in unendlich viele biochemische Mikroprozesse auflösen. Was leben "wirklich ist", wird sich dabei aber nicht erfahren lassen.
Der Philosophie wurden vor zweieinhalb Jahrhunderten von Kant ihre Grenzen gezogen. Dass sie sie überschritte, kann man der gegenwärtigen Philosophie nicht vorwerfen; eher schon, dass sie sie nicht einmal ausfüllt.
Hat der Naturwissenschaft je einer ihre Grenzen gezeigt? Hirnforschung, Molekularbiologie, Mikro- und Makrophysik - nirgends genieren die Forscher sich zu spekulieren, und manch einer wartet dazu nicht einmal den Tag seiner Emeritierung ab.
zu Der Geist entstand aus einem Gendefekt.
Seit Darwin und Mendel zu höherer Einheit versöhnt wurden, wissen wir, dass unsere Stammesentwicklung aus lauter kleinen Webfehlern besteht, die von der gütigen Fee Selektion so zusammengesucht werden, dass wir immer größer, schöner und klüger werden: Das sind die Mutationen, genetische Irrläufer, die pro Generation zu Tausenden entstehen; 99 von 100 davon sind schädlich oder zumindest unnütz, und weil sie ihren Träger belasten, wird er sich - auf die Dauer! - nicht erfolgreich forpflanzen und stirbt aus, und sie mit ihm.
Die sich als nützlich erweisen, verschaffen ihrem Träger einen Fortpflanzungsvorteil und werden schnell zum Erbbestand der ganzen Gattung. Das nennen wir Evolution durch Selektion und erkennen darin eines unserer beliebtesten, weil vorteilhaftesten Naturgesetze: das Positive schlechthin.
Es ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Auslese aus lauter Fehlern handelt, die sich nur darum als vortelhaft erweisen, weil sie irgendwann auf äußere Bedingungen trafen, unter denen sich ihre Nachteile in Vorteile verkehrten. Dieses 'Positive' ist eine Verkehrung von Verkehrtem, nämlich ein Negatives, dem gegen die Gesetze der Zufall zu Hilfe kommt!
Insofern ist meine Überschrift reißerisch. Alles, was uns an uns lieb und teuer ist, verdanken wir solchen Gendefekten, daran ist nichts neu. Und doch wird die Frage, wo die Menschen ihren Geist herhaben, so behandelt, als suchten wir nach einem Topf voll Gold! Was wir suchen, ist eine Missgeburt, die durch einen Zufall auf einen Dunghaufen gefallen und ins Kraut geschossen ist. Und egal, ob gut oder schlecht - es war Zufall, kein 'Gesetz', es hätte unter normalen Umständen gar nicht dazu kommen dürfen. (Der Zufall dürfte in diesem Fall der aus ganz andern Ursachen erworbene aufrechte Gang gewesen sein.)
Ob man für die Wissenschaft wie für die Kunst ein besonderes eingeborenes Talent braucht, ist höchst zweifelhaft. Zum Ethos der Wissenschaft gehört die Annahme, dass man mit Gewissenhaftigkeit beim Sammeln des Materials und bei Genauigkeit in der Befolgung der geltenden Regeln und natürlich mit etwas Fleiß schon zu Ergebnissen kommen werde, die immerhin der Überprüfung durch die Kollegen standhalten.
Ob Genie ausreicht, um diese Bedingungen im Einzelfall auch mal zu überspringen? Eine wahre Einsicht kann einem im Traum kommen, ganz ohne Begabung. Dass sie wahr ist, kann der Traum nicht bezeugen: Das muss die Wissenschaft schon erst noch prüfen.
Ebenso wenig wie ein Kunstwerk lässt sich ein Stück Wissenschaft individuell bestimmen. Kunst und Wissenschaft sind en gros regulative Instanzen im Lebenszusammenhang einer Kultur, en détail sind sie die spezifische Tätigkeit eines Berufsstandes. Der steht in Konkurrenz und Austausch miteinander; rechtferti- gen und bewähren muss er sich auf längere Sicht vor einer Öffentlichkeit, die ihm einen Markt bietet, Wis- senschaftler oder Künstler ist keiner für sich allein, sondern wenn, dann für den Rest der Welt.
Das ist es zugleich, was gegebenenfalls ihr Selbstvertrauen rechtfertigt: Als Angehörige eines streitbaren Standes weiß sich ein jeder unter ständiger Beobachtung durch seinesgleichen, und wo er sich vergreift, werden die andern schon laut schreien, bevor er es selber merkt. Wissenschaftlich werden sie durch Teil- habe an einer unablässig prozessierenden Kritik.
Und nicht durch eine zünftige Ausbildung noch durch genaues Befolgen der zünftigen Regeln. Die wird man wohl brauchen, um der Kritik der Andern standzuhalten. Doch nicht auf sie kommt es an, sondern eben - auf die prozessierende Kritik.
*
Entlastend für Goethe muss man ihm zugute halten, dass Wissenschaft in diesem Sinn zu seiner Zeit erst noch im entstehen begriffen war - wozu er mit seinem dilettantischen Auftritt ja seinen Beitrag geliefert hat. Dilettantisch war er, weil schon dmals (schon seit der Scholastik) die Kritik, die er ja an Newton vor- nahm, darin zu bestehen hatte, zuerst die Voraussetzungen zu prüfen, von denen der Kritisierte ausgeht. Hätte Goethe das getan, hätte er Newtons Lehre genauer verstanden und nicht fälschlich gemeint, sie widerlegt zu haben, bloß weil sein eignes Experiment daneben gegriffen hat.
Der Grund für Goethes Fehlgriff ist, dass er selbstgefällig war wie jeder Philister, und deren Schutzheiliger ist er bis heute.
6. 11. 18
zu Ein neues kosmologisches Standardmodell?
Die Erwartung an neue Fakten in der kosmologischen Forschung ist so groß, dass man meinen könnte, alle Welt freue sich auf eine Widerlegung der einstweiligen Erklärungsmodelle; dass man jede Erklärung begrüßen würde, wenn sie nur nicht die Gängige wäre. Als ob das Anderssein ein wissenschaft- licher Vorzug wäre!
Die Erwartung an neue Fakten in der kosmologischen Forschung ist so groß, dass man meinen könnte, alle Welt freue sich auf eine Widerlegung der einstweiligen Erklärungsmodelle; dass man jede Erklärung begrüßen würde, wenn sie nur nicht die Gängige wäre. Als ob das Anderssein ein wissenschaft- licher Vorzug wäre!
Psychologisch steckt aber wohl etwas anderes dahinter. Es ist die heimliche Hoffnung, dass mit der über- lieferten Gesetzmäßigkeit die Gesetzmäßigkeit überhaupt ins Trudeln geriete.
Wilhelm Dilthey hatte dem im Laufe des 19. Jahrhunderts an der Naturforschung ausgebildeten Begriff von positiver Wissenschaft den Begriff einer einer problematisch orientierten Geistes wissenschaft entgegenge- setzt. Das hat nicht lange gehalten. Aus theorieimmanenten Gründen wurde dem die Unterscheidung in 'no- mothetische', Gesetze suchende und verkündende, und 'idiographische', bestimmte Einzelphänomene (mög- lichst) erschöpfend beschreibende Wissenschaften nachgeschoben. Was aber in 'der Natur' gesucht wird, seien eo ipso Gesetze, Naturwissenschaft sei daher wesentlich nomothetisch (während sich historische und gesellschaftliche Forschung mit Beschreibungen bescheiden müssten).
Das kann aber das letzte Wort auch nicht sein. Die Vorstellung von einem Gesetz supponiert die Vorstel- lung von einem, der es gesetzt hat. Der läge freilich jenseits des Gesetzes - und führte die Nomothesis ad absurdum. Kein Wissenschaftler kann sich freilich leisten, einfach zu sagen: Es ist nunmal, wie es ist. Wenn er nichts anbieten kann, was dem 'zu Grunde liegt', ist er bei den Kollegen unten durch. Aber wenn er etwas aufbietet, von dem er sagt, dass es 'zu Grunde liegt', und sich damit blamiert, lachen sich alle andern ins Fäustchen.
Dem neuen Modell wird es dann so ergehen wie dem bislang gültigen. Und irgendwann mal wird man sich endlich an den Gedanken gewöhnt haben, dass... es nunmal so ist, wie es ist.
16. 1. 2019
zu Das Auge denkt voraus
'Wahr'nehmen ist nicht einfach Auf nehmen - wir wissen es längst. Es ist zuerst Suchen nach etwas Erwartetem - Erwünschten, Befürchteten. Es ist intentional, 'tendenziös' und - selektiv. Ein Inter- esse an Objektivität hat uns die Evolution nicht angestammt, sondern das Interesse an Selbst- und Art- erhaltung. Doch die Fähigkeit zum Reflektieren hat sie uns mitgegeben: Sie ermöglicht uns, auf uns abzusehen; und erlaubt uns, von uns abzusehen, von uns und unsern Interessen und Intentionen. Die Vorstellung von einer Welt, "wie sie wirklich ist", ist die Vorstellung von einer Wahrnehmung ohne Interesse. Die kann es nicht geben, aber verlockend ist sie doch.
zu "Wahnwitzige Modelle".
Tinguely, Heureka
Natürlich ist es schön, wenn etwas schön ist. Aber was schön ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Darüber ließe sich philosophieren. Der einzige Weg, Schönheit zu objektivieren, wäre der Nachweis, dass unser aller Geschmacksurteilen bei allem Unterschied im Detail im Großen doch eine gemeinsame evolutionär angestammte Wurzel zu Grunde liegt: Selektion und Anpassung.
Aber dies natürlich in der Mesosphäre, in der unsere irdische Species sich entwickelt hat. Weder Makro- noch Mikrophysisches ist je in unseren gattungsmäßigen Erfahrensschatz eingegangen. Sollte es einem von uns heute schön vorkommen, wäre das ein reiner Zufall. Ein schöner Zufall, aber wissenslogisch ganz ohne Belang.
zu Und er hat doch gewürfelt.
Dass aus dem Urknall nicht hervorging, was hervorgehen musste, ahnen wir längst. Das Müssen hätte ihm ja dann vorausgesetzt sein 'müssen' - und er wäre ein Ur-Knall nie gewesen. Doch jetzt wird es für den gesunden Menschenverstand um einiges schlimmer: Es ist nicht einmal entstanden, was entstehen konnte!
Es gibt nicht nur keine (wirkliche) Notwendigkeit, es gibt nichteinmal eine (wirkliche) Möglichkeit. Das sind beides Reflexionsprodukte, bloße Gedanken! Bleibt zwischen beiden übrig: 'Wirklichkeit', mit andern Worten: bloßer Zufall. Es ist eben, wie es ist.
zu Intuition in der Physik.
Material des Symbols, des mathematischen wie des begrifflichen, ist die Vorstellung - die ihrerseits das als dauerhaft fixierte Bild einer flüchtigen Anschauung ist. Angeschaut wird Veränderung ('Bewegung') vor einem ruhenden Grund. Das ist das Material, das unsere symbolischen - mathematischen wie begriff- lichen - Konstruktionen wiedergeben sollen.
Das Symbol ist nicht das Bild, sondern repräsentiert es nur. Es ist ein digital transfiguriertes Analogon. Mit den digits lässt sich operieren, als wären sie aus einem ganz andern Stoff als die analogen Bilder. Und lassen sich Ergebnisse erzielen, die vorher nicht möglich waren. Solange das gelingt, gibt es keine Notwendigkeit, sie in den anschaulichen analogen Modus zurück zu übersetzen.
Sie sind aber eben nur Stellvertreter und haben keine eigene Realität. Wenn ihr operatives Potenzial er- schöpft ist, beweist das nichts anderes als - dass ihr Potenzial erschöpft ist. Dann muss man allerdings nach neuen Vorstellungen suchen. Andere Bilder wären durch andere Digits zu symbolisieren. Ob neue Operatio- nen dadurch wirklich möglich werden, muss man ausprobieren, wie soll es anders gehen? Man muss, wie der Autor treffend sagt, aus dem Olymp der Symbole wieder in die Niederungen der Anschauungen herabsteigen und neu anfangen. Ob der Zeitpunkt gekommen ist, müssen aber die Physiker unter sich ausmachen.
zu Neurophysiologie des Sozialen.
Das 'radikal Böse im Menschen' ist nach Kant seine Fähigkeit, das, was er als gut oder richtig er- kannt hat, nicht zu tun. Mit andern Worten: Das Gute und Richtige sei für den Menschen das, was ihm am nächsten liegt. Die Untugend ist demgegenüber sekundär und nur als Folge einer zusätzlichen Reflexion möglich.
Dies scheint dieser Test zu beweisen.
Doch haben Sie's bemerkt? Moralisch, hilfsbereit, sozial, altruistisch - das ist für die Zürcher Forscher alles ein- und dasselbe. Dagegen stehen materiell, egoistisch, Interessen und Anreize. Gut und böse kommen da- gegen gar nicht vor.
Das liegt an der Versuchsanordnung. Die Prämisse ist: Es ist neurobiologisch lokalisierbar. Der unausge- sprochene Hintergedanke: Es ist stammesgeschichtlich erworben und hat in der Hirnstruktur einen physi- schen Niederschlag gefunden; nämlich beide Fähigkeiten ihren je eigenen.
Wenn man nun experimentell herausfindet, welches von beiden das andere dominiert, kann man sagen: Das ist unser Eigentliches, es entspricht unserer innersten Natur, ist das Primäre. Zum Glück hat sich gefunden, dass es Charakerzüge sind, die die Kooperation begünstigen; was zu erwarten war, weil auf der Grundlage familiärer Gruppenbildung die Gattung H. sapiens überhaupt erst entstanden ist: Auf der Grundlage eines konkurrenziellen Kampfes jeder gegen jeden wäre das nicht möglich gewesen.
Nun hat der Gruppenvorteil mit Moral genausowenig zu tun wie der Eigennutz. Er erlaubt größere Grup- penbildung, innere Differenzierung, höhere Arbeitsteilung und Kooperation. Er ist wirtschaftlich erfolg- reicher. Nämlich en gros. En détail mag der Privatvorteil doch immer seinen Reiz haben: Es ist eine Sache des Abwägens und der Reflexion.
Auf die allein hat die Evolution sich nicht verlassen mögen: Sie hat daher die Priorität des Sozialen gene- tisch verankert, und wie der Test zeigt, tat sie gut daran.
Merke: Das Soziale ist - wie das Recht - das, was ich meinen Nächsten schulde. Moral dagegen schulde ich mir und keinem andern. Was ich unter Ich verstehe, hat die Evolution noch nicht in unsere Gehirne einge- baut, dafür ist es phylogenetisch zu rezent; es entstand mit der bürgerlichen Gesellschaft. Für eine ganze Weile werden wir es noch, jeder für sich, immer wieder neu selber entscheiden müssen. Es ist keine Sache von Auslese und Anpassung, sondern von selbst-Bestimmung.
Das Bestimmen ist uns freilich erst möglich, seit der rechte temporoparietale Kortex die Versuchung zuge- lassen hat: das Gute am Schlechten.
zu Mathematik durchdringt den Alltag.
Wo von der Verwissenschaftlichung der Welt die Rede ist, ist in allererster Hinsicht die Mathematik gemeint, die in jeden Lebensbereich eingedrungen ist.
Das macht deutlich, wie man jenes Wort nicht verstehen darf: nämlich nicht so, als ob wir alle Mathema- tiker geworden wären und den ganzen Tag Berechnungen anstellten. Es sind vielmehr die Produkte einer hochtechnisierten Industrie, die auf mathematischen Abstraktionen beruhen, bei denen neunundneunzig von hundert Zeitgenossen schwindelig würde, die die 'Wissenschaftlichkeit' unseres Lebens ausmachen. Der Normalgebildete hat gar kein eigenes Urteil, ihm blcibt nur ein hoffendes Vertrauen.
Die Wissenschaft ist eine Instanz aus eigenem Rechtsgrund geworden, die keinerlei Kontrolle einer höheren Autorität unterworfen (allerdings auch nicht gegen willkürliche Eingriffe politischer Machthaber gefeit) ist. In ihrer Realität ist diese Instanz aber Betrieb nicht anders als 'die Wirtschaft', und dass sie Mittel hat oder auch nur sucht, sich selbst zu kontrollieren, ist so zweifelhaft wie bei jener,
wird fortgesetzt
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen