Kann ein Schimpanse die Perspektive eines anderen einnehmen?
Schimpansen versetzen sich in andere hinein
Menschenaffen verstehen, ob sich Artgenossen einer Gefahr bewusst sind oder nicht
Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten - und verblüffen uns immer wieder mit ihren kognitiven Fähigkeiten: Schimpansen, Orang-Utans und Co benutzen nicht nur Werkzeuge und haben ein uns sehr ähnliches Sozialverhalten. Sie erkennen sich auch selbst im Video und sind offenbar sogar dazu in der Lage, ihr eigenes Wissen zu hinterfragen und zu beurteilen, wie Experimente zeigen.
Doch können die Primaten auch erkennen, was ihre Artgenossen wissen? Die Fähigkeit, die eigenen Gedanken von denen anderer Personen zu unterscheiden, gilt beim Menschen als eine grundlegende Voraussetzung für soziale Interaktionen. Ab einem Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass andere womöglich etwas Anderes denken als sie selbst.
Vermeintliche Gefahr
Ob auch Schimpansen verstehen, dass andere Gruppenmitglieder andere Überzeugungen haben können als sie selbst, haben Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Kollegen nun bei wildlebenden Tieren im Budongo-Wald in Uganda untersucht.
Für ihre Experimente platzierten die Forscher zunächst eine Schlangenattrappe im Wald und warteten ab, was passierte. Wie erwartet, begannen Schimpansen, die die vermeintliche Bedrohung entdeckt hatten, sofort Warnrufe auszustoßen. Zudem machten sie ihre Artgenossen auch mit Gesten und Blicken auf die Bedrohung aufmerksam.
Wer weiß was?
Der entscheidende Test folgte in einem zweiten Experiment: Jetzt platzierten Crockford und ihre Kollegen neben der Schlange auch einen versteckten Lautsprecher in die Nähe der Schimpansen. Aus diesem war einmal ein Ruf eines anderen Schimpansen zu vernehmen, der alarmiert klang - er wusste demnach scheinbar von der Schlange. Ein anderes Mal waren dagegen entspannte Laute eines Artgenossen zu hören, der die Gefahr offenbar noch nicht erkannt hatte.
Würden die Schimpansen je nach Situation unterschiedlich reagieren? Tatsächlich zeigte sich: Hatten sie zuvor den Laut gehört, der Unwissenheit eines anderen Gruppenmitglieds suggerierte, zeigten die Menschenaffen nach der Begegnung mit der Schlange ein deutlich verstärktes Warnverhalten und stießen unter anderem mehr alarmierende Rufe aus.
Angepasste Kommunikation
Damit scheint klar: Die Tiere können nicht nur die Perspektive anderer Individuen einnehmen - sie passen darauf basierend auch ihr Kommunikationsverhalten an. Diese Fähigkeit galt lange Zeit als einzigartig für den Menschen, wie die Wissenschaftler schreiben. Die neuen Ergebnisse legten nun jedoch etwas Anderes nahe: Womöglich reichen die Wurzeln von Kommunikationssystemen, die verstärkt die Perspektive anderer anstatt die eigene Sicht der Dinge berücksichtigen, weit in unsere Entwicklungsgeschichte zurück. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1701742)
(AAAS, 17.11.2017 - DAL)
aus derStandard.at, 20. November 2017, 08:00
Schimpansen erkennen die Wissenslücken anderer
Forscher brachten Schlangenattrappen zum Einsatz, um die Reaktionen der Menschenaffen zu testen
Leipzig – Schimpansen können es erkennen, wenn Artgenossen eine drohende Gefahr nicht bemerkt haben. Dann passen sie ihre Warnrufe und Körpersprache an, um mit besonderem Nachdruck auf das Risiko hinzuweisen, wie eine Studie mit Beteiligung der Uni Neuenburg zeigt.
Die Perspektive anderer einzunehmen und seine Kommunikation entsprechend anzupassen, schien bisher eine typisch menschliche Eigenschaft. Aber auch Schimpansen sind dazu in der Lage, wie Forscher um Catherine Crockford vom Max Planck Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig berichteten. Das internationale Forscherteam, zu dem auch Klaus Zuberbühler von der Universität Neuenburg gehört, beobachtete in Uganda Schimpansen in freier Wildbahn im Budongo-Waldgebiet.
Das Experiment
Zunächst versteckten die Forscher eine Schlangen-Attrappe und beobachteten, wie sich die Schimpansen verhielten, wenn sie die vermeintliche Gefahr entdeckten. In einem zweiten Experiment spielten sie zuvor aufgezeichnete Laute von Schimpansen ab, die sich der nahen Schlange bewusst waren, und von solchen, die die Gefahr nicht bemerkt hatten. Dabei beobachteten die Wissenschafter, wie sich derjenige Affe verhielt, der die Schlangen-Attrappe entdeckte.
Hörte dieser Schimpanse die Laute von arglosen Artgenossen, stieß er deutlich mehr Warnrufe aus und machte verstärkt durch Blicke auf die Gefahr aufmerksam. Davon berichten die Wissenschafter im Fachblatt "Science Advances".
Das Ergebnis zeige, dass auch Schimpansen einen wichtigen Schritt in der Sprachevolution vollzogen haben, der bisher nur von der menschlichen Evolution bekannt war, so Crockford: nämlich den, die Wissenslücke eines Gegenübers zu erkennen und die eigene Kommunikation gezielt darauf einzustellen. (APA.)
Stammt Intelligenz eher aus der sozialen oder doch eher aus der ökonomischen Klugheit?
aus Die Presse, Wien, 28. 10. 2014
Nicht jeder kann am Morgen, noch im Halbschlaf, den immer gleichen Weg zur Nahrungsquelle schlurfen und in den auch immer gleichen Ritualen des Frühstücks in den Tag gleiten. Das ist unser Privileg, auch das unserer Haus-, Nutz- und Zootiere, in der Natur sieht es anders aus, dort ist der Tisch nicht immer gedeckt, zumindest nicht ausreichend, dort müssen alle Sinne offen gehalten werden, gegenüber Lockungen, Drohungen, Konkurrenz. All das muss das Gehirn verrechnen, das hat Katherine Milton (Berkeley) vor 30 Jahren zu einer Hypothese über die Evolution der Intelligenz geführt, sie hieß zunächst „ecological intelligence“.
Inzwischen hat sie Namen und Ausformungen ohne Ende, im Kern geht es darum, dass ein Tier erstens wissen muss, wo es Nahrung findet, und zweitens, wie es diese Nahrung erschließt, öffnet etc. Dann kam Konkurrenz, die Hypothese der „social intelligence“ setzte darauf, dass die Anforderungen des Gemeinschaftslebens das Gehirn verfeinern. Das setzte sich durch, wurde aber in der letzten Zeit dahin relativiert, dass soziale Intelligenz auf das Sozialleben beschränkt ist und nichts etwa damit zu tun hat, wo man eine Nuss findet und wie man sie knackt.
Hier kam die ökologische Intelligenz zurück, lange auf den Raum beschränkt, aber nun hat Karline Janmaat (MPI Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) auch die Zeit integriert: Tiere, die im Regenwald hinter Früchten her sind, müssen nicht nur wissen, wo die Bäume stehen, sondern auch, wann sie tragen. Vor dieser Herausforderung stehen etwa Schimpansen im Tai-Nationalpark der Elfenbeinküste, vor allem die Weibchen mit Jungen stehen davor. Janmaat hat fünf über 275 Tage exakt beobachtet, in der Zeit nahm das Futterangebot drei Mal zu und ab, vor allem das einer höchst begehrten, aber immer nur ganz kurz zur Verfügung stehenden Frucht, der des Feigenbaums.
Ist ein erreichbarer reif, stehen die Schimpansinnen früh auf aus den Nestern, die sie jeden Abend hoch oben in Bäumen anlegen. Dann sind sie vor Sonnenaufgang unterwegs, der Dunkelheit und ihren Gefahren zum Trotz – um die Zeit jagen Leoparden –, sie wissen, dass die Konkurrenz groß ist. Aber woher wissen sie, wann sie wohin müssen? Sie riechen die Feigen nicht, sie sehen sie nicht, beides kann Janmaat ausschließen, es hängt alles am Gedächtnis der Mütter, die schon einmal an den Bäumen waren. Aber warum gehen sie die Risken ein, warum bauen sie die Nester nicht direkt neben den Feigen? Weil beim Nestbau viel berücksichtigt werden muss, nur wenige Bäume bieten eine optimale Architektur der Äste etc.
Der Mensch bedroht die Affenklugheit
Immerhin, die Nester werden an Wegen zu Feigenbäumen hin angelegt (Pnas, 27. 10.). „Unsere Studie ist die erste, die zeigt, wie eine zukunftsorientierte kognitive Fähigkeit bei Nahrungsknappheit und hoher Konkurrenz benutzt wird“, schließt Janmaat. Ihre Studie könnte auch eine der letzten dieser Art sein: Sabine Crief (Patris) hat an den Rändern eines Nationalparks in Uganda bemerkt, dass Schimpansen bei der Futtersuche zunehmend in die Nacht ausweichen, weil ihnen Menschen mit ihren Aktivitäten bei Tag zu eng auf den Hals rücken (PLoS One, 22. 10.).
Nota.
Bevor die Wissenschaften im Blick auf die Drittmittel marktschreierisch wurden, hätte man in herkömmlicher und prosaischer Weise von ökonomischer Klugheit gesprochen: Ressourcen erschließen, den Hunger vorhersehen, Zeit sparen und der Konkurrenz zuvorkommen: was ist daran "ökologisch"? Es ist wirtschaften im strengsten Sinn. Aber wie klingt das heut in dieser unseren Zeit: "wirtschaftliche Klugheit"! Da kriegen alle Menschen guten Willens ja ein Gänsehaut.
Doch die Menschen haben wohl, seit sie von ihren Bäumen in die Savanne hinabstiegen, stets Ressourcen gemeinsam erschlossen, den Hunger gemeinsam vorhergesehen, Zeit durch Kooperation gespart und sich der Konkurrenz in Gruppen erwehrt. Da ist ökonomisch Intelligenz zugleich soziale Intelligenz, und umgekehrt. Insofern sind die Schimpansen für uns kein Modell.
Darum kann die Frage der Verteilung bei ihnen auch nicht zur Triebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts werden.
JE
Schimpansen planen ihr Frühstück exakt
Die Evolution der Intelligenz hängt daran, dass in die Zukunft gedacht wird, wann und wo es Futter gibt.
Nicht jeder kann am Morgen, noch im Halbschlaf, den immer gleichen Weg zur Nahrungsquelle schlurfen und in den auch immer gleichen Ritualen des Frühstücks in den Tag gleiten. Das ist unser Privileg, auch das unserer Haus-, Nutz- und Zootiere, in der Natur sieht es anders aus, dort ist der Tisch nicht immer gedeckt, zumindest nicht ausreichend, dort müssen alle Sinne offen gehalten werden, gegenüber Lockungen, Drohungen, Konkurrenz. All das muss das Gehirn verrechnen, das hat Katherine Milton (Berkeley) vor 30 Jahren zu einer Hypothese über die Evolution der Intelligenz geführt, sie hieß zunächst „ecological intelligence“.
Inzwischen hat sie Namen und Ausformungen ohne Ende, im Kern geht es darum, dass ein Tier erstens wissen muss, wo es Nahrung findet, und zweitens, wie es diese Nahrung erschließt, öffnet etc. Dann kam Konkurrenz, die Hypothese der „social intelligence“ setzte darauf, dass die Anforderungen des Gemeinschaftslebens das Gehirn verfeinern. Das setzte sich durch, wurde aber in der letzten Zeit dahin relativiert, dass soziale Intelligenz auf das Sozialleben beschränkt ist und nichts etwa damit zu tun hat, wo man eine Nuss findet und wie man sie knackt.
Hier kam die ökologische Intelligenz zurück, lange auf den Raum beschränkt, aber nun hat Karline Janmaat (MPI Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) auch die Zeit integriert: Tiere, die im Regenwald hinter Früchten her sind, müssen nicht nur wissen, wo die Bäume stehen, sondern auch, wann sie tragen. Vor dieser Herausforderung stehen etwa Schimpansen im Tai-Nationalpark der Elfenbeinküste, vor allem die Weibchen mit Jungen stehen davor. Janmaat hat fünf über 275 Tage exakt beobachtet, in der Zeit nahm das Futterangebot drei Mal zu und ab, vor allem das einer höchst begehrten, aber immer nur ganz kurz zur Verfügung stehenden Frucht, der des Feigenbaums.
Ist ein erreichbarer reif, stehen die Schimpansinnen früh auf aus den Nestern, die sie jeden Abend hoch oben in Bäumen anlegen. Dann sind sie vor Sonnenaufgang unterwegs, der Dunkelheit und ihren Gefahren zum Trotz – um die Zeit jagen Leoparden –, sie wissen, dass die Konkurrenz groß ist. Aber woher wissen sie, wann sie wohin müssen? Sie riechen die Feigen nicht, sie sehen sie nicht, beides kann Janmaat ausschließen, es hängt alles am Gedächtnis der Mütter, die schon einmal an den Bäumen waren. Aber warum gehen sie die Risken ein, warum bauen sie die Nester nicht direkt neben den Feigen? Weil beim Nestbau viel berücksichtigt werden muss, nur wenige Bäume bieten eine optimale Architektur der Äste etc.
Der Mensch bedroht die Affenklugheit
Immerhin, die Nester werden an Wegen zu Feigenbäumen hin angelegt (Pnas, 27. 10.). „Unsere Studie ist die erste, die zeigt, wie eine zukunftsorientierte kognitive Fähigkeit bei Nahrungsknappheit und hoher Konkurrenz benutzt wird“, schließt Janmaat. Ihre Studie könnte auch eine der letzten dieser Art sein: Sabine Crief (Patris) hat an den Rändern eines Nationalparks in Uganda bemerkt, dass Schimpansen bei der Futtersuche zunehmend in die Nacht ausweichen, weil ihnen Menschen mit ihren Aktivitäten bei Tag zu eng auf den Hals rücken (PLoS One, 22. 10.).
Nota.
Bevor die Wissenschaften im Blick auf die Drittmittel marktschreierisch wurden, hätte man in herkömmlicher und prosaischer Weise von ökonomischer Klugheit gesprochen: Ressourcen erschließen, den Hunger vorhersehen, Zeit sparen und der Konkurrenz zuvorkommen: was ist daran "ökologisch"? Es ist wirtschaften im strengsten Sinn. Aber wie klingt das heut in dieser unseren Zeit: "wirtschaftliche Klugheit"! Da kriegen alle Menschen guten Willens ja ein Gänsehaut.
Doch die Menschen haben wohl, seit sie von ihren Bäumen in die Savanne hinabstiegen, stets Ressourcen gemeinsam erschlossen, den Hunger gemeinsam vorhergesehen, Zeit durch Kooperation gespart und sich der Konkurrenz in Gruppen erwehrt. Da ist ökonomisch Intelligenz zugleich soziale Intelligenz, und umgekehrt. Insofern sind die Schimpansen für uns kein Modell.
Darum kann die Frage der Verteilung bei ihnen auch nicht zur Triebkraft des gesellschaftlichen Fortschritts werden.
JE
Die Intelligenz der Tiere
Konnektom im Menschenhirn
aus Süddeutsche.de, 24. Dezember 2013 15:55
Intelligenz im Tierreich
Was im Kopf steckt
Keine Frage, Menschen sind intelligenter als alle anderen Tiere dieser Welt. Doch welche Eigenschaften eines Gehirns entscheiden über die Leistungsfähigkeit? Allein um Größe geht es nicht.
Von Monika Offenberger
Schimpansen spielen die Ahnungslosen, wenn sie versteckte Leckerbissen vor Artgenossen verbergen wollen. Krähen biegen Drähte zu Haken, um damit Futter zu angeln. Tintenfische finden spielend aus einem Labyrinth heraus und behalten den Weg mehrere Tage lang im Gedächtnis. Bienen weisen ihren Schwestern vom dunklen Stock aus den Weg zu weit entfernten Nektarquellen. Die Beispiele zeigen: Intelligenz hat viele Erscheinungsformen. Und sie hat sich im Laufe der Evolution mehrmals in verschiedenen Tiergruppen entwickelt.
Entsprechend unterschiedlich ist die Architektur der Nervensysteme, denen Insekten, Weichtiere, Vögel oder Primaten ihre besonderen Fähigkeiten verdanken. Doch gibt es ein paar universelle Kriterien, auf denen Intelligenz basiert.
Das erste Kriterium klingt trivial: Ein Gehirn braucht Nervenzellen. Dass es sich auch ohne Neuronen gut leben lässt, machen Bakterien und viele andere Organismen vor, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Auch mehrzellige Tiere wie die Schwämme kommen ganz gut ohne Nervenzellen aus.
Allerdings gehen sie ihren Alltag etwas gemütlicher an als nervöse Zeitgenossen: Bis ein Reiz (etwa eine ungewohnte Berührung) zu einer Reaktion (Zurückzucken) führt, vergehen mehrere Minuten. Weil ihm Übertragungsleitungen fehlen, stellt der Schwammkörper bestimmte Zellen ab, die als Boten von den Sinnes- zu den Bewegungsorganen wandern und dort Bescheid geben, wenn etwas zu tun ist.
Die schnellere Erregungsübermittlung via Nervenzellen hat die Informationsverarbeitung und das Reaktionsvermögen von Tieren um Größenordnungen beschleunigt. Doch erst die Bündelung der Neuronen an einem zentralen Organ, dem Gehirn, ermöglicht komplexe Leistungen.
Das auffälligste Kennzeichen eines Gehirns ist seine absolute Größe. Weil diese an die Körpermaße gekoppelt ist, haben große Tiere größere Gehirne als kleine. Innerhalb einer Tiergruppe garantiert das größte Hirn folglich die höchste Intelligenz. Spitzenplätze belegen unter den Insekten die Bienen, bei den Weichtieren die Oktopusse und bei den Vögeln die Papageien, Eulen und Krähen.
Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen absoluter Gehirngröße und Intelligenz bei den Primaten: Lemuren und andere Halbaffen haben ein sehr kleines Gehirn und entsprechend geringere Intelligenz. Die Neu- und Altweltaffen sind mit ihren größeren Gehirnen schon um einiges schlauer. Schimpansen und andere Menschenaffen haben noch größere Gehirne und weiter reichende kognitive Fähigkeiten. Die intelligenteste Spezies mit dem größten Primatenhirn sind zweifellos wir Menschen selbst. Und auch bei den übrigen Säugetieren sind die Klügsten jene mit den größten Gehirnen, nämlich die Elefanten, Wale und Delfine.
Jedes Äffchen hat mehr Hirnmasse als ein Hund
Doch wer schon einmal ein Kapuzineräffchen beim Lausen, Raufen oder Grimassenschneiden beobachtet und mit einer weidenden Kuh verglichen hat, muss zugeben: Obwohl das Affenhirn deutlich kleiner ist - es misst nur ein Fünftel eines Rinderhirns - leistet es erkennbar mehr.
Auch die klugen Meeressäuger und Rüsseltiere schneiden schlecht ab, sobald man sie am Schimpansen oder gar am Menschen misst: Die riesigen Gehirne der Schwertwale (bis 10 Kilogramm) und des Elefanten (4,2 Kilogramm) sind sieben- beziehungsweise dreimal so groß wie das menschliche Denkorgan, die Geistesleistungen reichen jedoch nicht an die vieler Primaten heran.
Offensichtlich entscheidet nicht nur die absolute, sondern auch die relative Größe über die Leistungsfähigkeit eines Gehirns. Unter den meisten Wirbeltieren haben die größeren Arten ein relativ kleineres Gehirn als die kleineren. Außer bei den Primaten: Hier steigt die Gehirngröße etwa im selben Maße an wie die Körpergröße. Deshalb hat jedes Äffchen mehr Hirnmasse als ein gleich großer Hund oder Hase. Innerhalb der Primaten setzt der Mensch noch eins drauf: Wir haben für jedes Kilo des Körpergewichts dreimal so viel Hirn wie ein Schimpanse und achtmal so viel wie eine Katze.
Dennoch reicht auch die relative Größe eines Gehirns nicht zur Qualitätsbestimmung aus: Es kommt vor allem auf den Inhalt an. "Wale sind ein gutes Beispiel dafür, dass ein größeres Gehirn nicht unbedingt mehr Nervenzellen enthalten muss. Entscheidend ist, wie dicht die Neuronen gepackt sind", erklärt Onur Güntürkün, Biopsychologe an der Uni Bochum.
Bei den meisten Wirbeltieren ist es so: Je größer ihr Gehirn, umso geringer ist die Packungsdichte der Neuronen. Deshalb haben Delfine wie der Große Tümmler zwar genauso viel Hirnmasse wie der Mensch, doch enthält diese mit 5,8 Milliarden Nervenzellen wesentlich weniger Neuronen.
Wieso die winzigen Vogelhirne erfolgreich sind
Vögel und Primaten sind die einzigen Wirbeltiere, bei denen dieses Prinzip nicht gilt. Ihre Neuronen sind in großen wie in kleinen Gehirnen gleich dicht gepackt. "Bei Vögeln ist die Packungsdichte sogar noch höher als bei den Primaten, sie haben also je Gramm Hirngewicht noch mehr Nervenzellen. Das erklärt zumindest zum Teil, warum sie trotz ihrer kleinen Gehirne so erfolgreich sind", so Güntürkün.
Die Familie der Rabenvögel hat besonders einsichtige, lern- und merkfähige Arten hervorgebracht: Krähen setzen oft spontan - also ohne Training oder Abschauen - Werkzeuge ein oder stellen sogar passende Hilfsmittel her. Tannenhäher verstecken im Herbst hunderte Zirbelsamen in der Erde oder in Felsblöcken und finden sie später sogar unter einer meterhohen Schneedecke wieder. Elstern erkennen ihr eigenes Spiegelbild, was sonst nur Menschaffen, Elefanten und Delfinen gelingt.
Alle Rabenvögel haben relativ zum Körpergewicht ein größeres Gehirn als beispielsweise Tauben oder Hühner. Ihr überproportionales Denkorgan enthält dementsprechend vermutlich auch absolut gesehen eine höhere Zahl von Nervenzellen - besonders in denjenigen Bereichen, die für Intelligenz zuständig sind. Konkrete Zahlen sind für Vögel bislang nicht bekannt.
Der Mensch verarbeitet Informationen viel schneller als das Riesenhirn des Wals
Der Hirnforscher Gerhard Roth, Emeritus an der Universität Bremen, schätzt die Zahl der Neuronen im Intelligenzzentrum von Vogelgehirnen je nach Art auf 100-400 Millionen. Bei den Primaten ist dieses Zentrum die Großhirnrinde: Sie fasst beim Menschen 12 bis 15 Milliarden Neuronen (von insgesamt rund 100 Milliarden) und bei den kleineren Affen etwa so viele wie das Pendant im Rabengehirn. Beim Oktopus enthält der Vertikallobus immerhin 24 Millionen Nervenzellen. Und im Gehirn der Honigbiene konzentriert sich rund ein Drittel der insgesamt 960.000 Neuronen in zwei symmetrisch angeordneten Strukturen, den so genannten Pilzkörpern.
"Nun wissen wir natürlich: Die eigentliche Musik spielt sich in den Verbindungen der Nervenzellen ab. Und wir können davon ausgehen, dass eine größere Zahl an Nervenzellen auch mehr synaptische Verbindungen ausbildet", sagt Onur Güntürkün. Über die Zahl der Synapsen, die ein Neuron - zum Beispiel in der menschlichen Hirnrinde - formen kann, gibt es unterschiedliche Befunde: Einige Forscher gehen von 1000 bis 10.000 aus, andere von bis zu 30.000.
Unstrittig ist jedoch, dass der Mensch sämtliche Tiere auch in der Zahl der Synapsen übertrifft. Unsere Hirnrinde ist mit maximal fünf Millimetern rund viermal so dick und zudem noch doppelt so dicht mit Neuronen bepackt wie die der Wale und Elefanten. Diese vielen, eng benachbarten Zellen können besonders schnell miteinander kommunizieren. "Nach meinen Schätzungen ist die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn sechs- bis zehnmal höher als in den sehr viel größeren Gehirnen der Elefanten und Wale", erläutert Gerhard Roth.
Eine sehr dichte Neuronenpackung und sehr hohe Erregungsleitungsgeschwindigkeiten kennzeichnen nicht nur die Hirnrinde der Primaten und insbesondere des Menschen, sondern auch die Intelligenzzentren im Gehirn von Vögeln und einigen wirbellosen Tieren. Sie haben die Packungsdichte sogar noch optimiert, so Gerhard Roth: "Oktopusse und Bienen haben in ihren Intelligenzzentren sehr viel kleinere Neuronen als wir. Und auch die Vögel und Primaten haben im Vergleich zu anderen Wirbeltieren sehr kleine Nervenzellen." Deshalb stecken in den kleinen Gehirnen der Tintenfische und insbesondere in den winzigen Insektengehirnen pro Volumen deutlich mehr Neuronen als in den Wirbeltierhirnen. Deshalb können sie Information oft schneller verarbeiten.
Vom Gehirn einer Biene oder eines Tintenfischs zu dem eines Raben oder Affen ist es freilich ein sehr großer quantitativer Sprung: Wirbeltiere haben in ihrem Schaltzentrum mehrere Milliarden Nervenzellen, Oktopusse immerhin 42 Millionen, Insekten dagegen nur eine halbe bis eine Million. "Und trotzdem stehen einige dieser kleinen Tiere den großen in vielen Intelligenzleistungen nicht nach. Dazu gehören zum Beispiel Lernen, Gedächtnis, Selbstwahrnehmung, Unterscheidung zwischen dem eigenen Körper und der Außenwelt sowie komplexe soziale Interaktionen zwischen Individuen. Diese Fähigkeit haben auch die kleinen Gehirne", sagt Randolf Menzel, Neurowissenschaftler und Verhaltensbiologe an der FU Berlin.
Wie Menzels Forschung zeigt, sind die Pilzköper des Bienengehirns in zahlreiche Module gegliedert, die parallel viele sensorische, motorische, modulatorische und bewertende Informationen entgegennehmen. "Dort werden sie auf eine Vielzahl von internen Neuronen verteilt und dann auf eine geringe Zahl von Ausgangsneuronen verschaltet.
Wir haben also zuerst eine Divergenzschaltung und anschließend konvergiert es wieder", erklärt Menzel. Je mehr Neuronen in diesen parallel verknüpften Pilzkörper-Modulen liegen, umso komplexer sind die Leistungen, die sie ermöglichen: Honigbienen haben dort mit etwa 130.000 Neuronen rund 26-mal so viele wie die Taufliege Drosophila.
Auch die Hirnrinde im Säugergehirn ist in Parzellen unterteilt, wo die Vielzahl von äußeren Sinneseindrücken und inneren Körperzuständen verarbeitet und zusammengeführt werden. Je stärker diese Parzellierung ist, umso besser: Mäuse und andere kleine Säugetiere haben etwa zehn Areale, die unterschiedliche Informationen aufnehmen und weiterleiten.
Dagegen verfügt die menschliche Hirnrinde über 150 Areale mit 60 Verbindungsstellen, die insgesamt 9000 Areal-Verschaltungen ermöglichen. "Man kann also wirklich sagen: Es gibt ein Grundprinzip für hohe Intelligenz, das man auch als Ingenieur beschreiben könnte", sagt Gerhard Roth und zieht das Fazit: "Das menschliche Gehirn kombiniert einen großen Cortex mit einer relativ dichten Packung, hoher Übertragungsgeschwindigkeit und starker Parzellierung. Daraus resultiert die höchste Informationsverarbeitungskapazität und Intelligenz unter allen Lebewesen".
Bakterien, 0 Neuronen
Bakterien brauchen keine Nervenzellen, geschweige denn ein Nervensystem. Dennoch funktionieren Reizerkennung und Informationsverarbeitung bei den Einzellern nach denselben Prinzipien wie bei komplexeren Organismen: Es gibt Elemente zur Sinneswahrnehmung und solche zum Bewegungsantrieb; die Kommunikation läuft über Signalstoffe innerhalb der Zelle. Das Darmbakterium E. coli trägt in seiner Außenhülle mehr als ein Dutzend Typen von Chemorezeptoren, die nahrhafte von giftigen Substanzen unterscheiden können und fortwährend deren Konzentration melden. Andere Einzeller wie das zu den Archäen zählende Halobacterium salinarum orientieren sich mit Hilfe lichtempfindlicher Pigmente, die jenen der menschlichen Retina ähneln. Ein Kurzzeitgedächtnis von wenigen Sekunden erlaubt es den Mikroben, die Stärke zweier aufeinander folgender Reize zu vergleichen und sich wahlweise zur Reizquelle hin oder von ihr weg zu bewegen. Weder Bakterien noch Archäen können lernen.
Schleimpilze, 0 Neuronen
Schleimpilze sind kernhaltige Einzeller, die als geißelbewehrte Schwärmer oder kriechende Amöben auftreten und je nach Wasserangebot zwischen beiden Lebensformen wechseln. In guten Zeiten vermehren sie sich und verschmelzen milliardenfach zu vielkernigen Riesenzellen, die auf feuchten Oberflächen oft grell gefärbte schleimige Überzüge bilden. Physarum polycephalum bringt es auf bis zu zwei Quadratmeter große Exemplare, die sich einen Zentimeter pro Stunde vorwärts schieben und dabei Hindernisse überwinden können. Dazu nutzen sie dieselben Proteine, mit denen auch Menschen ihre Muskeln in Bewegung setzen. Die Art hat durch ein Experiment in Japan Aufsehen erregt: Der Schleimpilz fand in einem 25 x 35 Zentimeter großen Labyrinth den kürzesten von vier Wegen zwischen zwei Häufchen Haferflocken. In allen Versuchen nahm er den direkten Weg und fiel weder auf Sackgassen noch Umwege herein. Grund genug, dem schleimigen Wesen eine primitive (Körper-)Intelligenz zuzusprechen.
Fadenwurm, 302 Neuronen im Körper
Das beliebte Versuchstier der Genetiker - der Fadenwurm - besitzt ein primitives zentrales Nervensystem: Mehrere Nervenstränge ziehen sich vom Nervenring am Schlund bis zum hinteren Ende und in die Kopfregion. Bei manchen Arten sitzt dort ein Paar mit Sehzellen besetzter Grubenaugen, andere haben einfache Linsen. Besonders gut erforscht ist die Art Caenorhabditis elegans. Der Wurm hat exakt 302 Nervenzellen, die über 6393 chemische Verbindungsstellen und 890 Ionenkanäle vernetzt sind und sich über weitere 1410 Ionenkanäle mit Muskelzellen austauschen. Dieses Netzwerk befähigt C. elegans zu assoziativem Lernen, wie ein Versuch zeigt: Man hält den Wurm in einer Schale voller nahrhafter Bakterien. Sobald er davon frisst, gibt man einen Duftstoff dazu, den das Tier wahrnimmt. In der Folge wirkt der Duft wie die berühmte Glocke auf Pawlows Hund: Der Wurm assoziiert damit Bakterien und macht auch dann Fressversuche, wenn er die Substanz in einer leeren Schale riecht.
Bienen, 960.000 Neuronen im Gehirn
Ihr kleines Gehirn ist nur etwa einen Kubikmillimeter groß, dennoch verfügen Bienen über ein breites Verhaltensrepertoire. Sie lernen schnell eine Fülle von Signalen, wenn sie für die richtige Lösung mit Zuckerwasser belohnt werden: So lassen sie sich etwa darauf dressieren, Farben, Formen oder Gerüche zu unterscheiden und Eigenschaften zu erkennen. Sie können Regeln lernen, bei welchen Verknüpfungen sie eine Belohnung erwarten können. Diese Leistungen speichern sie dauerhaft im Gedächtnis. Es gelingt ihnen, geometrische Formen nach ihrer Ähnlichkeit zu unterscheiden. Sie können die Zahl von bis zu vier Objekten unterscheiden, scheitern aber bei größeren Mengen. Für ihren Alltag ist ihr Navigationsvermögen relevanter: Mit ihrem Schwänzeltanz informieren sie Stockgenossinnen über wichtige Orte im Gelände wie Futterquellen oder Nisthöhlen. Die jeweilige Flugrichtung teilen sie symbolhaft nach dem Sonnenkompass und der mit den Augen gemessenen Entfernung mit.
Oktopusse gehören wie alle Tintenfische, Muscheln und Schnecken zu den Weichtieren. Ihr hoch entwickeltes zentrales Nervensystem, das völlig anders aufgebaut ist als das der Wirbeltiere, befähigt sie zu erstaunlichen Leistungen: Sie finden selbst nach langen Ausflügen auf dem kürzesten Weg nach Hause, auch wenn sie diesen niemals zuvor benutzt haben. Außerdem lernen sie schnell, aus einem Irrgarten zu entkommen - und erinnern sich noch eine Woche später an den einmal entdeckten Ausweg. Sie finden selbst heraus, dass sie Krabben in einem verschlossenen Glasgefäß nur greifen können, wenn sie zuvor den Deckel öffnen. Sie können geometrische Formen wie Würfel oder Kugeln durch Abtasten unterscheiden. Einige Biologen wollen beobachtet haben, dass sie nicht nur aus eigener Erfahrung lernen, sondern auch, indem sie Artgenossen beim Lösen von Aufgaben zusehen. In neueren Untersuchungen konnten diese Befunde allerdings nicht bestätigt werden.
Rabenvögel, 400.000.000 Neuronen im Gehirn
Rabenvögel benutzen Werkzeuge und bringen diese wenn nötig in eine passende Form. Neukaledonien-Krähen rupfen kleine Stücke aus Blättern, um damit Insekten aus Felsritzen herauszufischen. Vor fahrende Autos werfen sie Nüsse und warten auf rotes Ampellicht, um aus den überfahrenen, zerbrochenen Schalen gefahrlos die Kerne aufzulesen. Als besonders erfinderisch erwies sich die zahme Krähe Betty: Um an ein außer Reichweite postiertes Stück Fleisch zu gelangen, bog sie einen herumliegenden Eisendraht spontan zu einem Haken und zog damit den Happen zu sich heran. Krähen sind neben Primaten die einzigen Tiere, die sich mit Hilfe von Werkzeugen andere Werkzeuge besorgen. Im Versuch angelten sich die Vögel mit kurzen Stöcken längere Stöcke, die sie zum Heranholen einer Futterbox benötigten. Ob solches Verhalten auf Einsicht basiert oder durch Probieren entsteht, ist umstritten. Die ebenfalls zu den Rabenvögeln zählenden Elstern erkennen zudem ihr eigenes Spiegelbild.
Elefanten, 11.000.000.000
Sie sind die größten Landtiere der Welt, entsprechend groß ist ihr Gehirn. Mit tiefen Tönen im Infraschall-Bereich verständigen sich Elefanten über Entfernungen von bis zu 20 Kilometern und orten individuelle Gruppenmitglieder ebenso wie Regengüsse oder Wirbelstürme. Dank ihres guten Gedächtnisses und Orientierungsvermögens merken sie sich die Standorte von Wasserquellen im Umkreis von 60 Kilometern. Zur Körperpflege stutzen sie Stöcke und Zweige zu Kratzbürsten und Fliegenpatschen zurecht. Im Experiment begreifen zwei ungeschulte Elefanten, dass sie eine entfernte Futterquelle nicht alleine, sondern nur gemeinsam mittels Seilen zu sich heranziehen können. Die Riesen scheinen sich selbst im Spiegel zu erkennen, verlieren dann aber schnell das Interesse an ihrem Konterfei. Im Gegensatz zu Bienen lernen sie aber nur mühsam oder gar nicht, kleine von großen oder runde von eckigen Objekten zu unterscheiden und entsprechenden Kategorien zuzuordnen.
Zahnwale,5.800.000.000 Neuronen im Gehirn
Sie haben erheblich größere Gehirne als Menschen. Diese benötigen Delfine und andere Zahnwale insbesondere für ihr ausgefeiltes auditorisches System. Es erlaubt ihnen, mit vielerlei Pfeif- und Klickgeräuschen zu kommunizieren und sich via Echoortung zu orientieren. Schwertwale verständigen sich oft auch lautlos, um sich bei der gemeinsamen Jagd nicht zu verraten. Je nach Beuteart setzen sie Fangmethoden ein, die perfektes Teamwork voraussetzen: Sie schlagen koordiniert Wellen, um Robben von Eisschollen zu kippen, Fischschwärme mit Luftblasen zu verwirren und Blauwale zu ertränken. Versuche mit trainierten Delfinen legen nahe, dass sie sich darüber bewusst sind, wenn sie an einer Aufgabe scheitern - etwa wenn sie zwei minimal unterschiedlich hohe Töne nicht auseinander halten können. Dagegen versagen sie bei einfachen Intelligenztests: Sie können unbekannte Gegenstände nicht passenden Kategorien zuordnen - eine Aufgabe, die Affen, Hunde, Tauben und Bienen meistern.
Schimpansen, 6.200.000.000 Neuronen
Schimpansen nutzen und fertigen bis zu 20 verschiedene Werkzeuge - zum Beispiel zum Angeln von Termiten oder Aufsaugen von Wasser - und setzen sie in wechselnden Zusammenhängen ein. Dabei löst jede Gruppe ein Problem auf etwas andere Weise und begründet damit unterschiedliche Traditionen: So haben die Schimpansen in Guinea herausgefunden, wie man Fallen von Wilderern unschädlich macht. Nur Schimpansen gelingt es, aus einem Material verschiedene Werkzeuge oder denselben Werkzeugtyp aus unterschiedlichen Rohstoffen anzufertigen. Sie nutzen mehrere Werkzeuge in Abfolge oder kombinieren sie. Damit beweisen sie ebenso wie Orang-Utans Einsicht in ein Problem. Sie können Handlungen planen und Objekte auswählen, die sie erst später als Werkzeuge brauchen. Schimpansen finden versteckte Objekte, indem sie den Blicken eines Artgenossen oder des Menschen folgen. Sie erkennen, ebenso wie Gorillas, ihr Spiegelbild. Doch sind nicht alle Individuen gleich erfolgreich.
aus Tagesspiegel.de,
Raben planen für die Zukunft
„Dieses Experiment ist ein wichtiger Schritt, die Evolution der Intelligenz zu verstehen“, kommentiert der Verhaltensforscher Markus Böckle von der Universität Cambridge in Großbritannien die im Fachblatt „Science“ veröffentlichte Arbeit der schwedischen Kollegen.
Dass nun auch bei Kolkraben vorausschauendes Denken nachgewiesen ist, bedeutet aber nicht, dass schon der letzte gemeinsame Vorfahr von Vögeln und Menschenaffen, der vor über 300 Millionen Jahren gelebt haben dürfte, diese Fähigkeit besaß. Offenbar hat sich das intelligente Verhalten im Verlauf der Evolution der Vögel eigenständig entwickelt.
Rabenvögel gelten schon lange als clever
Rabenvögel gelten schon lange als besonders clever. So werfen mitteleuropäische Nebelkrähen gern Nüsse auf Straßen. Rollt ein Auto darüber, wird die Schale geknackt und die Krähe kommt an den Kern. „Neukaledonische Krähen stochern mit kleinen Ästchen nach Larven, die im Holz leben und stellen sich solche Werkzeuge sogar gezielt her“, sagt Böckle, der das Verhalten der Südsee-Krähen untersucht.
Die Experimente von Kabadayi und Osvath offenbaren nun das vorausschauende Denken der schwarzen Vögel. Dabei gibt ein kleiner Apparat einen Leckerbissen in Form von Hundefutter erst heraus, wenn ein Stein von oben in eine Öffnung geworfen wird. Die Kolkraben meistern diese Aufgabe mit Bravour. Danach dürfen die Tiere beobachten, dass der Apparat sich mit verschiedenen anderen Gegenständen nicht öffnen lässt. Am nächsten Tag sitzen die Kolkraben ohne Stein vor dem Apparat und kommen an ihren Leckerbissen nicht heran. Anschließend entfernen die Forscher das Gerät, lassen die Vögel eine Stunde warten und bieten den anscheinend frustrierten Tieren an einem anderen Ort vier verschiedene Gegenstände an. Auch wenn der Apparat mit dem Leckerbissen gar nicht da ist, nehmen die Kolkraben zielstrebig den Stein, der in die Öffnung passt. Eine Viertelstunde später stellen die Forscher das Gerät wieder an seinen Platz und die Vögel kommen mithilfe des Steins endlich an den Leckerbissen heran.
Die Vögel entscheiden sich für das, das langfristig mehr bringt
Im nächsten Teil des Experiments lernen die Kolkraben, dass sie für einen Flaschenverschluss ein Stück Hundefutter eintauschen können, das sie als ganz besonderen Leckerbissen sehr schätzen. In der Abschlussprüfung müssen sich die Tiere dann zwischen einem eigentlich begehrten Futter, das sie sofort schlucken können, und einem Stein oder einem Flaschendeckel entscheiden, mit dem sie sich später das noch begehrtere Hundefutter selbst aus dem Apparat holen oder es eintauschen können.
Die meisten Tiere ließen das direkt verfügbare Futter liegen und schnappten sich den nicht fressbaren Gegenstand, der ihnen später einen noch besseren Leckerbissen bescherte. Ein überzeugender Beweis für die vorausplanende Intelligenz der Kolkraben.
aus scinexx
Auch Raben können vorausschauend planen
Schlaue Vögel schneiden in Tests sogar besser als als vierjährige Kinder
Lange Zeit glaubte man, dass nur der Mensch die Fähigkeit besitzt, für die Zukunft zu planen. Denn egal, ob wir überlegen, welche Dinge wir auf eine Reise mitnehmen oder beim Mittagessen weniger essen, damit wir uns später noch ein Eis gönnen können - all dies erfordert komplexe geistige Leistungen. Wir müssen uns in zukünftige Situationen versetzen und unmittelbare Bedürfnisse zugunsten des langfristigen Ziels zurückstellen können.
Inzwischen belegen Beobachtungen, dass zumindest Menschenaffen ebenfalls zu diesen Leistungen fähig sind: So sammeln Zooschimpansen Steine, um später Besucher damit bewerfen zu können und Orang-Utans teilen ihren Artgenossen schon am Vorabend mit, wohin es am nächsten Tag geht. Ob jedoch auch Tiere außer unseren nächsten Verwandten vorausplanen können, blieb unklar.
Raben im Planungstest
Jetzt belegen Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund, dass auch Raben in den illustren Club der begabten Vorausplaner gehören. Denn ihre Experimente demonstrierten: Die schlauen Krähenvögel haben selbst dann einen Sinn für die Zukunft, wenn es nicht um instinktgeleitete Verhaltensweisen wie das Verstecken von Futter geht.
In ihren Experimenten stellten die Forscher ihre fünf Raben absichtlich vor Aufgaben, die nicht zu ihrem normalen Verhaltensrepertoire gehören. In einem Test sollten sie eine Futterbox mit einem speziellen Werkzeug öffnen, in einem anderen eine Wertmarke nutzen, um sich damit vom Menschen Futter zu erkaufen. Beides fällt Kakadus und Krähen leicht, nicht jedoch den Raben.
Nutzen erst im Nachhinein
Der Clou dabei: Das Werkzeug und die Wertmarke bekamen die Raben nicht dann, wenn sie diese brauchten. Stattdessen erhielten sie diese Objekte 15 Minuten oder sogar mehrere Stunden vorher – und mussten sich dabei zwischen diesen nützlichen Utensilien und einem Leckerbissen entscheiden. Die Vögel würden sich daher nur dann für Werkzeug oder Wertmarke entscheiden, wenn ihnen bewusst war, dass sich dies später auszahlen würde.
Und tatsächlich: Die Raben verzichteten auf das sofortige Leckerli und entschieden sich für das erst in der Zukunft nützliche Utensil. In gut 88 Prozent der Fälle wählten sie das Werkzeug statt der Belohnung, für die Wertmarke entschieden sie sich sogar in 95 Prozent der Durchgänge, wie die Biologen berichten.
Besser als vierjährige Kinder
"Damit schneiden die Raben mindestens so gut ab wie Menschenaffen – und sogar besser als vierjährige Kinder", sagen Kabadayi und Osvath. Ihrer Ansicht nach belegen diese Ergebnisse, dass Raben zu echtem Vorausplanen fähig sind. "Sie zeigen Selbstbeherrschung und wägen auch den zeitlichen Abstand zu künftigen Ereignissen ab", so die Forscher. Zudem wenden die Vögel diese Fähigkeiten auch in Situationen an, die für sie keine Routine sind.
Die Raben gehören damit zum bisher kleinen Kreis der Tiere, die ebenso wie wir Menschen für ihre Zukunft planen können. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil die Krähenvögel im Gegensatz zu den Menschenaffen nicht eng mit uns verwandt sind. Immerhin trennen Mensch und Vogel rund 320 Millionen Jahre der Evolution. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aam8138)
(Science/AAAS, 14.07.2017 - NPO)
Nota. - Rabenvögel sind nur die Avantgarde; wir mussten längst einsehen, dass sich menschliche Intelli- genz von tierischer Intelligenz nicht prinzipiell, sondern nur graduell unterscheidet. Aber in sehr hohem Grade; nicht doch etwa qualitativ?
Dass unsere Intelligenz einen sehr viel weiteren Kreis unserer Lebenstätigkeit umfasst als die Intelligenz von Tieren, ist kein geringfügiger, sondern ein erheblicher Sachverhalt. Denn er hat eine systematische Ursache. Die Intelligenz von Tieren steht im Dienst der ihnen genetisch angestammten Bedürfnisse, sie ist ökonomisch und quantifizierend; tierische Intelligenz ist Verstand. Der Mensch aber erschafft sich selber neue Bedürfnisse.
Wie das? Außer nach seinen Naturbedürfnissen beurteilt er das, was er vorfindet, auch qualitativ - nach gut und schlecht - und erweitert den Kreis seiner Lebenstätigkeit damit um ein Vielfaches. Seine Intelligenz enthält das Reich des Ästhetischen. Sie ist mehr als Verstand, sie ist Vernunft.
JE
aus Die Presse, Wien,11.06.2016
Denken ohne Gehirn
Viele Einzeller zeigen hohe Intelligenz, sie orientieren sich damit in Raum und Zeit, sie lernen. Und sie lösen Probleme, für die wir Computer brauchen.
Von Jürgen Langenbach
Von A nach B kommt man leicht, auch C lässt sich noch ohne Probleme in den Reiseplan integrieren. Wenn aber die Zahl der Ziele weiter steigt, ist unser Gehirn auf der Suche nach der optimalen Route so rasch überfordert, dass das Ganze als „Problem des Handelsreisenden“ in die Fachliteratur einging – da helfen nur noch höhere Mathematik bzw. ausgefeilte Algorithmen. Aber einer schafft es ganz ohne Hirn, er kann keines haben, denn er besteht aus einer einzigen Zelle: Physarum polycephalon, der Schleimpilz. Seinem deutschen Namen entspricht er nur halb, er ist kein Pilz – auch keine Pflanze und kein Tier, sondern eine Amöbe, die seit 700 Millionen Jahren alle Unbill überstanden hat. Schleim allerdings ist er, und wie: Er kann sich über riesige Flächen ausdehnen, im Labor liegt der Rekord bei 5,5 Quadratmetern. In der Natur gibt es noch größere, manchen Wanderern sind sie als Hexenbutter vertraut.
Das mit der Butter stimmt nicht, das mit dem Hexen eher: Auf der Futtersuche etwa wandern Schleimpilze einen Zentimeter pro Stunde. Wie? Sie sind mit Leitungsbahnen zur Ver- und Entsorgung durchzogen, diese lassen sich verkürzen und verlängern, verengen und erweitern. Das treibt sie auch voran, so können sie ganz ohne Beine gehen. Denken können sie ebenso ganz ohne Gehirn: Wenn sie herumtasten, meiden sie alle Stellen, an denen sie schon waren. Dort haben sie etwas Schleim hinterlassen, er erinnert sie, er ist ein ausgelagertes Gedächtnis, wie man es sonst etwa von Ameisen kennt, die Wege zum Futter mit Duft markieren.
Damit beginnt der Reigen der Hexenkräfte aber erst: Setzt man einen Schleimpilz in ein quadratisches Labyrinth, das zwei Tore hat und überall am Boden mit Futter ausgestattet ist, breitet er sich auf der ganzen Fläche in der Form des Quadrats aus. Wenn das Futter sich neigt und nur noch an den Toren Nachschub kommt, wandelt er seine Gestalt, wird zu einem Faden, der die beiden Tore auf dem kürzesten Weg miteinander verbindet.
So löst er das Problem des Handelsreisenden, Toshiyuki Nakagaki (Sapporo) zeigte es erst im Grundsatz (Nature 407, S. 470), später verfeinerte er es und platzierte auf dem Labortisch Futter – Haferflocken – dort, wo auf dem Stadtplan von Tokio die Bahnstationen sind: Bald bildete der Schleimpilz ein „Streckennetz“, das frappant jenem glich, das mit aller Raffinesse des Menschengeistes ausgetüftelt worden war (Science 327, S. 439).
Kluge Kolibakterien.
Der Hexer orientiert sich nicht nur im Raum, sondern er hat auch ein Gefühl für Zeit, kann aus Erfahrung lernen und Künftiges kommen sehen. Das können andere Einzeller auch, Kolibakterien: Sie wechseln oft den Lebensraum, leben einmal in Gedärmen, etwa von Rindern, und gehen dann mit den Fladen ab. Auf der Wiese gibt es Sauerstoff, auf ihn müssen sie sich einstellen. Geraten sie ins Maul einer grasenden Kuh, müssen sie wieder umlernen: Im Gedärm ist kein Sauerstoff. Darauf bereiten sie sich beizeiten vor: Sie stellen ihren Stoffwechsel schon im Maul der Kuh um, da ist es warm, dieses Signal verarbeiten sie. Wenn man alles umdreht und auf Wärme Sauerstoff folgen lässt und auf Kühle keinen, lernen sie das auch.
Das Experiment ist Saed Tavazoie (Princeton) zu verdanken (Science 320, S. 1313), ein ähnliches hat Yitzak Pilpel (Rehovot) mit Bierhefe durchgeführt (Natur 460, S. 220). Allerdings lernten in beiden Fällen nicht Individuen, es brauchte mehrere Generationen. Darauf weisen Kritiker gern hin, denen die ganze Geschichte von der Intelligenz von Einzellern suspekt ist. Nakagaki sieht es lockerer, unter Berufung auf die japanische Kultur, die Intelligenz nicht so strikt auf Menschen limitiert: Für ihn ist sie „Selbstorganisation, in der Information verarbeitet wird“. Er bewundert auch in Fachpublikationen den Schleimpilz gern als „smart“ – und vergleicht die nächste Leistung, die er fand, mit jener der Ägypter, als sie bemerkten, dass das Hochwasser des Nil periodisch kommt. Daraus entwickelten sie eine Grundlage der Zivilisation: den Kalender.
Auch in Nakagakis Labor kam etwas periodisch, das Gegenteil von Hochwasser: Dürre, im Stundentakt, dreimal hintereinander. Jedes Mal stellten die Schleimpilze ihr Wachstum ein. Sie taten es auch nach der vierten Stunde, obgleich es da nicht trocken wurde, und nach der fünften auch, erst dann verblasste die Erinnerung (Physical Review Letters 100, 018101).
Was fehlt noch zur Intelligenz? Das Sich-an-etwas-Gewöhnen: Wenn man etwa die Meeresschnecke Aplysia taktil reizt, ohne ihr weiter etwas zu tun, reagiert sie bald nicht mehr. Das hat Eric Kandel – der Wiener Emigrant, der anno 2000 einen Nobelpreis erhielt – vor bald 50 Jahren gezeigt (Science 167, S. 1740), seitdem gehört Gewöhnung (habituation) zu den Definitionsmerkmalen von Lernen. Der Schleimpilz erfüllt es: Versperrt man ihm mit bitteren Substanzen wie Chinin oder Koffein (in harmlosen Dosen) den Weg zum Futter, schreckt er erst zurück, nach sechs Tagen hat er sich daran gewöhnt. Aber nicht an alles: Wenn er auf Chinin nicht mehr reagiert, verstört ihn überraschendes Koffein zunächst, dann gewöhnt er sich auch daran. Ist plötzlich von beidem nichts mehr da, entwöhnt er sich, beim nächsten Auftauchen lernt er wieder neu (Proc. Roy. Soc. B 27. 4.).
Das Experiment stammt von Audrey Dussutour (Toulouse), nicht von Nakagaki, er hat sich einem anderen Hexer zugewandt: Tetrahymena, das ist ein Wimperntierchen, das im Wasser lebt. Wenn es nur einen kleinen Tropfen zur Verfügung hat, stößt es bald nicht mehr an die Wand und schwimmt nur in engstem Kreis. Setzt man es dann in einen größeren Behälter, bleibt es zunächst bei diesem Muster, erst allmählich holt es weiter aus. An diesem handlicheren Wesen will Nakagaki klären, was der Schleimpilz noch nicht preisgab: die molekularen Mechanismen des Gedächtnisses von Einzellern (Interface 25. 5.). Dafür nutzt Tetrahymena vermutlich einen mechanosensitiven Ionenkanal, einen für Kalzium. Er erweitert sich, wenn das Tier irgendwo anstößt, dann strömt mehr Kalium hinein. Das wiederum beeinflusst die Schwimmrichtung: Ist keines da, geht es gerade aus, steigen die Konzentrationen, geht es in immer engeren Kreisen.
Nota. - Dies ist ein bedenkenswerter Beitrag zu den Begriffen Lernen und Intelligenz; zum Thema Be-wusstsein dagegen nur mittelbar, nämlich negativ: ohne Reflexion kommt es nicht aus; der Schleimpilz schon.
JE
Auch Kakadus gucken voneinander ab
Soziale Weitergabe des Werkzeuggebrauchs erstmals bei Vögeln beobachtet
Die in Indonesien heimischen Goffin-Kakadus haben schon häufiger
für Überraschungen gesorgt: So knabberte der in einem Gehege der
Universität Wien lebende Kakadu Figaro
aus einem Holzbalken ein Span heraus, um sich eine Nuss durch das
Käfiggitter zu angeln. Da wildlebende Goffin-Kakadus normalerweise keine
Werkzeuge benutzen, überraschte dieser "Do-it-Yourself"-Werkzeugbau
selbst die Biologen. Figaros Artgenosse Pipin überraschte das
Forscherteam damit, dass er problemlos ein fünfschrittiges Kombischloss an einem Futtertresor öffnete – und das im ersten Anlauf und ohne Hilfe.
Figaro als "Vorturner"
Jetzt haben Figaro und seine Kollegen erneut für Aufsehen gesorgt. Denn in einem Experiment gelang ihnen etwas, das bisher nur von Primaten bekannt war: das "Abgucken" des Werkzeuggebrauchs. Alice Auersperg von der Universität Wien und ihre Kollegen ließen sechs Kakadus zuschauen, wie Figaro sein Stöckchen einsetzte, um eine Nuss aus einer vergitterten Versuchsbox herauszuholen.
Drei weitere Kakadus sahen, wie eine Nuss scheinbar von selbst auf Figaro zuwanderte – sie wurde unsichtbar durch einen Magneten bewegt. Weitere drei sahen, wie ein Stock – ebenfalls durch einen unsichtbaren Magneten gesteuert - die Nuss auf Figaro zuschob. Anschließend wurden alle Kakadu-"Schüler" ihrerseits vor eine Versuchsbox gesetzt und durften ihr Glück versuchen.
Soziale Weitergabe funktioniert
Wie sich zeigte, machte das Vorbild des "Lehrers" Figaro Schule: Alle sechs Kakadus, die ihm bei der Werkzeugnutzung zugesehen hatten, begannen eifrig, mit den bereitgelegten Holzstäbchen herumzuexperimentieren. Die drei Männchen hatten nach vier bis fünf "Schulstunden" den Dreh raus und angelten die Nuss nun ebenfalls mit einem Holzstöckchen aus dem Gitterkäfig. Die Weibchen gaben dagegen auf - wahrscheinlich, weil sie es gewohnt sind, gefüttert zu werden.
"Das ist der erste Beleg für eine soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung bei einem Vogel", konstatieren die Forscher. Denn nur wenn die Vögel einen ihrer Artgenossen in Aktion sahen, wie bei Figaro der Fall, ließen sie sich zur Werkzeugnutzung inspirieren. Bewegte sich nur die Nuss oder das Stäbchen wie von allein, konnten sie damit offenbar nicht viel anfangen.
Prinzip begriffen und verbessert
Doch damit nicht genug: Die drei erfolgreichen Nachahmer kopierten nicht nur, sondern entwickelten ihre ganz eigene Technik. Während Figaro von oben mit dem Stöckchen hinter die Nuss zielte und diese dann zu sich herschob, nutzten die drei anderen Kakadus eher eine Schleudertechnik:
Sie legten das Stöckchen auf den Boden und schoben es so in den Gitterkäfig hinein, dass sein Ende hinter der Nuss lag. Dann packten sie das Stöckchen so geschickt am anderen Ende, dass es eine schnellende Vorwärtsbewegung machte und die Nuss aus dem Käfig katapultierte. Wie die Forscher berichten, war diese Methode deutlich effektiver als die von Figaro – die Schüler hatten damit nicht nur von ihrem Lehrer gelernt, sondern ihn sogar noch übertroffen.
Anregung zum "Do-it-Yourself"-Bau
Einer der Goffin-Kakadus erwies sich zudem als ganz besonders innovativ: Er lernte nicht nur ein Werkzeug zu benutzen, sondern begann in einem weiteren Experiment sogar, sich ebenfalls Holzstöckchen aus einem größeren Holzstück herauszuknabbern – obwohl er diese Technik nie zuvor bei einem anderen Artgenossen gesehen hatte. Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass die soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung nicht nur zu Variationen in der Nutzungstechnik anregt, sondern auch weitere innovative Verhaltensweisen in diesem Kontext fördert.
"Es ist ein großer Unterschied, ob man einfach nur das Verhalten seines Lehrers nachahmt oder ob man dessen Erfolgsprinzip übernimmt, dann aber seine eigene Methode daraus entwickelt", erklärt Koautor Alex Kacelnik von der Oxford University. Denn Letzteres sei ein kreativer Prozess, der durch das soziale Lernen angestoßen wird – und damit anspruchsvoller als das bloße Kopieren. (Proceedings of the Royal Society B, 2014; doi: 10.1098/rspb.2014.0972)
(Royal Society / Universität Wien, 03.09.2014 - NPO)
Nota. - Wir sehen: Es wird immer schwieriger, das spezifisch Menschliche durch unsere Intelligenz zu definieren. Wohin man immer schaut - die Unterschiede werden immer fließender. Wenn es bei der Intelligenz lediglich um Steigerung ginge, wäre der Unterschied zwischen Mensch und Tier ganz relativ. Damit Intelligenz zu Vernunft wird, ist aber eine qualitative Zutat nötig.
JE
Das sind einfache Botschaften, und man weiß nicht, wie fein sie sich verästeln – ob Schimpansen auch über das Wetter plaudern? Allzu weit hergeholt ist es nicht. Zum Gestenschatz gehört bei einsetzendem Regen auch ein Regentanz – man weiß nicht, ob es regionale Dialekte gibt. Das ist stark zu vermuten, denn in einem anderen Segment der Schimpansenkultur, dem des Gebrauchens, gar Erfindens von Werkzeugen, gibt es sie: Nüsse werden mit verschiedenen Techniken geknackt, Termiten mit anderen Methoden geangelt; irgendeiner erfindet sie, die anderen übernehmen sie, dann gehen sie als lokale Traditionen von Generation zu Generation.
Dabei ging es bisher um Nützliches, aber jetzt kommt auch der Luxus und die Mode ins Spiel: 2010 gingen Edwin von Leeuwen (Nijmwegen) beim Beobachten von Schimpansen in Sambia die Augen über: In einer Gruppe steckte sich ein Weibchen (Julie) einen langen Grashalm ins Ohr, sie rückte ihn gut zurecht und behielt ihn den lieben langen Tag während aller Aktivitäten. Ihr Sohn Jack sah nicht lange untätig zu, er tat es nach, es folgten die beiden besten Freundinnen von Julie, am Ende tat es die ganze Gruppe (Animal Cognition, 11.6.).
Schmuck bezeugt bei uns Intelligenz
Sie tut es heute noch, obwohl Julie gestorben ist (ihr und ihrem Sohn widmen die Forscher die Arbeit), aber wozu? Bei unseren Ahnen gilt Schmuck als Zeichen sehr hoher Intelligenz, in der abstrakt und symbolisch gedacht wird, das kam vor etwa 70.000 Jahren. Aber was immer Julie damit wollte, sicher ist, dass es bei der ansteckenden Kraft des „grass-in-ear-behavior“ – so es nennt van Leeuwen neutral – um soziales Lernen geht, wie bei den Werkzeugen, wie bei den Gesten.
Vom Gestikulieren zum Sprechen?
Letztere haben eine noch tiefere Dimension, die jetzigen Beobachtungen beleben die alte Debatte über die Entstehung unserer Sprache. Babys gestikulieren, bevor sie sprechen, gattungsgeschichtlich könnte es auch so gewesen sein, und andere Primaten könnten in der Evolution vorgearbeitet haben: Bei ihnen rückt unter den Sinnen das Auge nach vorn, zugleich werden die Hände frei. Und wenn einer sieht, dass ein anderer die seinen bewegt, macht er das auch, zumindest im Gehirn: Spiegelneuronen imitieren Bewegungen, man hat es an Makaken bemerkt.
Diese Spiegel sind in letzter Zeit etwas umstritten, klar hingegen ist die Organisation des Ganzen: Unsere Sprachzentren sitzen in der linken Hirnhälfte, die Gestenzentren der Schimpansen auch. Zugleich ist die linke Hirnhälfte jene, die die Motorik der rechten Körperhälfte steuert, Hand inklusive. Diese meldet auch nach links oben, was sie macht, so könnten beide gemeinsam den Grundstock aller Sprachen gelegt haben. Das könnte auch dahinterstecken, dass die meisten von uns Rechtshänder sind – und dass die Bonobos mit der Rechten zum Tänzchen laden.
Nota.
Dass der Übergang von niederer zu höherer Intelligenz ein fließender und der zwischen Menschenaffen und Menschen auch gar kein so großer ist, hat sich langsam herumgesprochen. Dass die Anlagen zum Sprechen und womöglich zur Symbolbildung sich ebenfalls schon bei den Affen auffinden lassen, wäre da keine Sensation.
Als letzten spezifizierten Unterschied hatte ich das ästhetische Vermögen postuliert, das den Menschen befähigt, wertende Urteile zu fällen, die über die Erfordernisse von Selbst- und Arterhaltung hinausgehen. Ein erstes sichtbares Zeugnis dieses neuen Vermögens sollte der Körperschmuck gewesen sein, zuerst in Form von Bemalung; archäologisch belegt durch die regelmäßige Herstellung von verschiedenen Ockerfarben im südlichsten Afrika (ohne dass entsprechende Keramik gefunden wurde).
Auch geht es nicht um die Schärfe des Begriffs. Ist ein Grashalm im Ohr als Schmuck zu verstehen? Das Nachäffen durch die ganze Gruppe ist jedenfalls ein luxuriöses Verhalten, das, wenn sie es alle treiben, nicht einmal als Partnerwerbung aufgefasst werden kann. Die Frage ist im Ernst ja nicht, ob solches Verhalten in diesem oder dem Fall 'überhaupt möglich' ist, sondern welches die Bedingungen sind, unter denen es in der ganzen Art so habituell werden könnte, dass es der Artentwicklung eine ganz neue Dimension eröffnete.
Man denke an die Ziergärten der pazifischen Laubenvögel. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als darin eine 'ästhetische Praxis' zu erkennen. Aber über Jahrzehntausende ist es dabei geblieben, sie dient der Balz. Wenn ästhetische Urteilskraft im Spiel ist, hat sie jedenfalls zu keinem Zeitpunkt auf andere Gegenstände übergegriffen, sodass sich daraus eine neue kulturelle Tradition hätte entwickeln können.
Wahr bliebe allerdings, dass auch dieser Übergang vom Tier zum Menschen kein Sprung wäre, sondern 'nur' ein Gleiten.
JE
Nota. Die obigen Foto gehören mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen,
Grünau - Walter will nicht. Das Tier steht an der Tür, schaut immer wieder misstrauisch zu dem fremden Besucher herüber und schimpft laut krächzend. Ja, er beschwert sich, meint Theresa Rößler. Alles Neue sei ihm grundsätzlich suspekt. Das wird heute anscheinend nichts mehr mit dem Test. Zumindest nicht, solange dieser Mann da ist. Ein Jammer.
Walter ist eine Aaskrähe, zoologisch Corvus corone, und Rößler Studentin der Universität Wien, die zurzeit an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) in Grünau für ihre Masterarbeit im Bereich Verhaltensbiologie gastiert. Ihr Interesse gilt den kognitiven Fähigkeiten der schwarzen Vögel. Dabei geht es um grundsätzliche Logik.
Können die Tiere nach dem Ausschlussprinzip vorgehen und so zielstrebig Entscheidungen treffen? Welche Informationen benötigen sie dazu? Um diese Fragen zu klären, führt Rößler mit fünf in einer Voliere lebenden Krähen Experimente durch. Deren Behausung steht im benachbarten Cumberland-Wildpark.
Zweimal täglich treten die geflügelten Studienteilnehmer vor einem Computer mit Touchscreen an und bekommen dort verschiedene Symbole zur Auswahl vorgesetzt. Wenn sie das richtige anpicken, gibt's jedes Mal eine kleine Leckerei. Aber Walter will jetzt nicht, und seine Artgenossin Bärbel traut sich erst gar nicht an die Tür, so viel Angst hat sie.
Doch dann hat Theresa Rößler eine Idee. Im Inneren des Voliere-Gebäudes steht ein Käfig leer. Wenn der Zuschauer hinter dessen Gitter gehen würde und sie den Eingang abschließt, könnte es
vielleicht klappen. Krähen verstehen nämlich das Konzept des Einsperrens, erklärt die Nachwuchsforscherin.
Gesagt, getan. Rößler macht demonstrativ das Vorhängeschloss zu, der Fremde sitzt gefangen. Und das ändert offenbar alles. Walter hat den Vorgang aufmerksam beobachtet. Er legt den Kopf schräg, schaut sich den Eingesperrten noch einmal genau an, und stapft anschließend mit erhobenem Haupt an ihm vorbei. Auf zum Rechner.
Symbole picken
Ab diesem Moment verläuft alles nach Plan. Der Vogel hüpft auf den Sitzstock vor dem Touchscreen und legt los. Das Programm zeigt ihm jedes Mal zwei kleine Bilder nebeneinander - ein Zelt und eine Blume zum Beispiel. Was sie darstellen, ist unwichtig. Aber eines davon bedeutet Nahrung, das andere nicht.
Manche Symbole kennt Walter bereits. Er pickt das Zelt an. Sofort rollt in das Näpfchen unter dem Bildschirm ein Stück Hundekuchen. Später erscheint die Blume erneut, diesmal in Kombination mit einem Baum. Die Krähe wählt Letzteren, und wieder gibt es ein Leckerli. Anscheinend hat sich das Tier gemerkt, dass die Blume zuvor für ein negatives Ergebnis stand. Folglich müsste das neue, unbekannte Bild Futter erbringen. Logik nach dem Ausschlussprinzip eben.
Der Test verläuft erstaunlich schnell. "Ich muss mich auch konzentrieren", sagt Rößler. Walter ist nach gut vier Minuten fertig. Von 20 Kombinationen hat er bei 18 sofort das richtige Motiv angepeilt und nur in zwei Fällen knapp daneben gepickt. Da musste er nur kurz nachsetzen. Fehlentscheidungen: keine. "Er ist zurzeit sehr motiviert", sagt Rößler lächelnd.
Die Studentin basiert ihre Arbeit auf den Ergebnissen einer Reihe vorangegangener Studien. Nicht nur am KLF befassen sich Verhaltensforscher zunehmend mit der tierischen Kognition. Sie suchen dabei unter anderem nach dem evolutionären Ursprung solcher Fähigkeiten. So lassen sich vielleicht auch neue Einblicke in die Entstehung der menschlichen Intelligenz gewinnen. Abgesehen davon wird zunehmend klar, dass die Trennlinie zwischen Homo sapiens und diversen anderen Spezies gar nicht so scharf ist, wie man lange gerne glaubte.
Bisher konnte das Ausschlussprinzip als Entscheidungsgrundlage bereits bei mehreren Tierarten nachgewiesen werden, darunter bei Menschenaffen wie Schimpansen, aber auch bei Hunden. Unter den Vögeln zeichnen sich vor allem Kolkraben durch logisches Vorgehen bei schnellen Entscheidungen aus. Die ebenfalls als überaus klug geltenden Keas - neuseeländische Papageien - scheinen derartige Fähigkeiten nicht so einzusetzen. Sie suchen einfach nur intensiver, wie ein direkter Vergleich zwischen beiden Vogelspezies gezeigt hat.
Der Unterschied könnte im Fressverhalten begründet liegen, glauben Experten wie Thomas Bugnyar von der Universität Wien und dessen ehemaliger Student Christian Schlögl. Keas ernähren sich überwiegend von Früchten, Samen und Wurzeln, die sie am Boden finden und sofort verzehren. Raben dagegen leben als junge, sich noch nicht fortpflanzende Vögel einige Jahre lang in Gruppen zusammen. Dort herrscht ein starker Konkurrenzdruck.
Tricksen und tarnen
Die Tiere treten häufig auch gemeinsam bei einer ergiebigen Nahrungsquelle wie zum Beispiel einem Kadaver an. Wer sich eines schönen Futterbrockens bemächtigt hat, versteckt ihn zunächst gerne. Die Artgenossen schauen allerdings oft zu, weil sie den Leckerbissen später stehlen wollen. Der Eigentümer wiederum versucht, seine Beute durch Täuschungsmanöver zu schützen. Tricksen und Tarnen gehört bei Jungraben somit zum Alltag.
Interessanterweise zeigen die nah verwandten Dohlen kein solches Verhalten. Diese kleineren schwarzen Gesellen fressen hauptsächlich Insekten, Würmer und dergleichen, welche sofort verschluckt werden. Verstecken ist nicht nötig. Schlögl hat die oben erwähnten Tests zum Vergleich von Raben und Keas auch bei Dohlen durchgeführt und stellte fest, dass Letztere anscheinend nicht nach dem Ausschlussprinzip vorgehen. Ein weiterer Hinweis auf den Ursprung dieser Logik, zumindest bei Vögeln.
Diese Form der Kognition könnte infolge des Versteckens von Futter entstanden sein - als Anpassung an das Gruppenleben und die dabei auftretende Nahrungskonkurrenz. Den Dohlen hingegen ist diese Fähigkeit womöglich sogar nachträglich abhandengekommen, als sie im Laufe der Evolution eine Ernährungsumstellung durchmachten und ihr Futter nicht mehr zu verbergen brauchten. Wenn man ein Talent nicht nutzt, verkümmert es.
Krähen jedoch sind den Raben viel ähnlicher. Sie treten ebenfalls oft in Trupps auf, und ähnlich wie ihre größeren Verwandten verstecken sie gerne ihren Proviant. Ihr sozialer Zusammenhalt ist gleichwohl ausgeprägter, meint Theresa Rößler. Das zeige sich besonders bei äußeren Bedrohungen wie zum Beispiel Raubvögeln. Neulich tauchte ein Uhu in der Nähe des Wildparks auf, berichtet Rößler. "Der wurde von fünf Krähen durchs Tal getrieben."
Rößlers Untersuchungen sollen nun klären, ob Corvus corone ebenfalls nach dem Ausschlussverfahren seine Auswahl trifft. Die ersten Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten. Eine wissenschaftliche Auswertung der Daten steht allerdings noch aus, betont die Studentin. Walter ahnt von all dem nichts. Er hat seine zweite Testreihe für heute beendet und bekommt zur Belohnung noch Grammeln. Krähen lieben Speck, sagt Rößler. "Je fetter, desto besser." Aber könnten Sie bitte noch das Schloss an der Tür aufsperren? "Ach ja, natürlich." Fast hätte sie es vergessen.
aus nzz.ch, 20. 9. 2015
Bilden, optimieren, perfektionieren
Über neue Menschen, Bioingenieure und Transhumanisten
Wollen wir überhaupt noch Menschen sein? – Diese Frage drängt sich angesichts einiger wissenschaftlich-technischer Bestrebungen und Visionen der Gegenwart auf.
von Konrad Paul Liessmann
Alles wird besser. Auch der Mensch. Schon vor der Geburt beginnen die Optimierungsprogramme, die dafür sorgen sollen, dass später umfassend Kompetenzen angeeignet, Begabungen erkannt und Höchstleistungen erbracht werden können. Der Körper wird trainiert und modelliert, richtige Ernährung, leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel und eine langfristigeAnti-Aging-Strategiesorgen für effiziente Nutzung der physischen Ressourcen, kleine Defizite und Verfallserscheinungen werden durch die ästhetische Chirurgie, grössere durch künstliche Implantate und intelligente Prothesen korrigiert. Das Hirn wird umfassend gefördert, mit chemischen Substanzen gedopt, mit digitalen Informations- und Kommunikationsmedien kurzgeschlossen, die Seele wird durch Psychopharmaka von allen Irritationen befreit und durch permanente Kontrolle im Gleichgewicht gehalten. Am Ende solcher Optimierungsprozesse steht die Version eines perfekten, transhumanen Wesens, das reibungslos funktioniert und dem alles Menschliche fremd geworden ist.
Giovanni Pico della Mirandola
Noch sind wir nicht so weit. Aber unser Bild vom Menschen hat sich grundlegend gewandelt. Was der Mensch ist, wissen wir in einem ontologischen oder anthropologischen Sinn heute weniger denn je. Begriffe wie «Exzentrizität» oder «Mängelwesen» haben ihre Plausibilität verloren, im Grunde lässt sich Menschsein nur als offenes Projekt beschreiben. An die Stelle vermeintlicher anthropologischer Gewissheiten treten Modelle und Konzepte, die den Menschen immer wieder neu denken. Aktuell arbeiten wir am Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn: Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.
Am Beginn jener Bilderkette, die den Menschen als das Wesen zeigt, das sich selbst überhaupt erst entwerfen und gestalten muss, steht die Renaissance-Anthropologie des Humanisten Giovanni Pico della Mirandola, der die universelle Autoplastizität des Menschen gelehrt hatte. In seiner grandiosen Rede über die Würde des Menschen aus dem Jahre 1486 lässt Pico della Mirandola Gottvater zu seinem Geschöpf sagen: «Den übrigen Wesen ist ihre Natur durch die von uns vorgeschriebenen Gesetze bestimmt und wird dadurch in Schranken gehalten. Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen sogar jene Natur dir selbst vorherbestimmen.»
Man mag das als Beginn der neuzeitlichen Hybris des Menschen zur Selbstermächtigung und auch Selbstschöpfung deuten oder als vertiefte Reflexion jenes Verdachts, der den Menschen umtreibt, seit er über sich nachdenkt: dass er dasjenige Wesen ist, das sich selbst immer erst herstellen muss. Zumindest seit Nietzsches Bemerkung, dass der Mensch das «nicht festgestellte Tier» sei, gehört die Annahme einer fundamentalen Plastizität und Weltoffenheit des Menschen zu den Grundüberlegungen der modernen philosophischen Anthropologie. Vergessen wird, dass Nietzsche diese Offenheit als Symptom einer «krankhaften Entwicklung» gewertet hat. Günther Anders allerdings, der Autor der «Antiquiertheit des Menschen» und einer der schärfsten Kritiker der technischen Zivilisation, hatte diesen Befund in jungen Jahren auf den Punkt gebracht, als er von der «Pathologie der Freiheit» des Menschen sprach und diese mit dem eleganten Satz charakterisierte: «Künstlichkeit ist die Natur des Menschen, und sein Wesen ist Unbeständigkeit.»*
Die Möglichkeiten des Menschen, sich selbst immer wieder neu zu bestimmen und zu entwerfen, das nicht zuletzt von Nietzsche propagierte Pathos der Selbstschöpfung – «Wir sind die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden» – hatte nicht nur eine stark ästhetische Ausrichtung, sondern fand im Ich auch den entscheidenden Massstab: «Wir aber wollen die werden, die wir sind.» Man kann diesen Anspruch des modernen Menschen auf permanente «Selbsterfindung» als ein Projekt der «Autoinvenienz» bezeichnen; der Akzent läge dabei aber auf dem poetisch-kreativen Umgang mit den Möglichkeiten der Selbstgestaltung.
«Human Enhancement»
Die aktuellen Debatten, die weniger das ästhetische Potenzial als vielmehr die technischen Möglichkeiten der Veränderung des Menschen sehen, sprechen denn auch lieber von «Human Enhancement» und zielen ebenso auf die Optimierung des menschlichen Körpers und seiner Leistungsfähigkeit wie auf die Möglichkeiten, geistige und emotionale Dispositionen zu verbessern. Mithilfe technischer, chemischer, chirurgischer oder auch genetischer Veränderungen, Eingriffe und Ergänzungen sollen vorhandene Fähigkeiten verbessert und vor allem beschleunigt werden: Das Gedächtnis soll leistungsfähiger werden, mehr Informationen sollen in kürzerer Zeit verarbeitet werden, der Mensch soll sich schneller bewegen und ausdauernder werden, er soll seine Gesundheit, das heisst die entsprechenden Werte – Puls, Blutdruck, Fettablagerungen usw. – optimieren, er soll überhaupt länger leben, weniger schlafen und sich richtig ernähren.
Während Nietzsches Prozess der Selbstschaffung noch den kreativen Überschuss, die Verausgabung, die Verschwendung und den dionysischen Rausch kannte, dominieren im Konzept der Selbstoptimierung das rational verbrämte Kalkül der Effizienz und der olympische Gedanke: citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker. Es wundert so wenig, dass der Sport auch als Experimentierfeld für die Möglichkeiten des Human Enhancement betrachtet werden kann. Doping in all seinen Varianten zeigt, wie weit wir es bringen können.
Geht es um die Verbesserung des Menschengeschlechts, sind unserer Phantasie schon seit langem wenig Grenzen gesetzt. Den meisten dieser Konzeptionen liegt die Überzeugung zugrunde: Der Mensch, wie er ist, soll oder wird verschwinden. Wie dies zu bewerkstelligen ist – darüber gehen die Phantasien allerdings auseinander. Grob lassen sich zwei «Denkschulen» unterscheiden: Einmal die der Bioingenieure, denen es um die Verbesserung des genetischen Ausgangsmaterials des Menschen geht, zum anderen die der Transhumanisten, die vor allem mithilfe der künstlichen Intelligenz den Menschen überhaupt durch Maschinen ablösen wollen.
Die Konzeptionen einer biologischen und genetischen Optimierung des Menschen erinnern natürlich an die eugenischen Projekte der jüngeren Vergangenheit. Anders als in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts setzt eine moderne liberale Eugenik allerdings nicht auf zentrale Steuerung und gewaltsame Durchsetzung genetischer Züchtungsutopien, sondern der Einzelne, vor allem also die Eltern, sollen nach dem Modell eines freien Marktes jene Optionen ergreifen und zur Optimierung ihrer Kinder nutzen, die durch die biomedizinischen Technologien schon bereitgestellt worden sind bzw. in naher Zukunft noch bereitgestellt werden könnten. Die Medizin hört auf, in erster Linie Krankheiten zu therapieren und Defizite oder Mängel auszugleichen, sondern wird zu einer Technik, der es wesentlich um die Optimierung des gesunden Menschen geht, um die Steigerung seiner Fähigkeiten: Das gesunde Auge wird nun geschärft, das gesunde Gehirn gedopt, der gesunde Körper perfektioniert, die gesunde Seele auf zusätzliche Belastbarkeit programmiert, das gesunde Leben verlängert, weit über bisher bekannte Lebensspannen hinaus, vielleicht bis zur physischen Unsterblichkeit.
Funktionale Unsterblichkeit
Die andere Fraktion setzt demgegenüber auf die Ablösung der biologischen Evolution durch die Weiterentwicklung der Maschinen. Das Konzept des Cyborgs, des durch implantierte komplexe Technologien optimierten Mensch-Maschine-Mischwesens, wird dabei zunehmend überboten von der Vision transhumaner Wesen, die entweder aus den von Menschen entwickelten Robotern entstehen sollen oder aus der Möglichkeit, Bewusstsein und damit die Identität des Menschen vollständig digital abzubilden, zu speichern und so einer neuen Existenzform zuzuführen, die, ganz nebenbei, das Malaise der Leiblichkeit und die damit verbundene Endlichkeit des Menschen überwinden soll.
Dass gerade unter Vertretern der sogenannten Zukunftstechnologie die ganz alte Vorstellung einer möglichen Trennung von Geist und Körper wieder in den Vordergrund rückt, mag verwundern, entspricht aber nur der Beobachtung, dass wir auch mit avanciertesten technischen Möglichkeiten immer wieder auf historisch verbürgte Konzeptionen zurückgreifen. Die Idee, Bewusstsein lasse sich maschinell reproduzieren und einer funktionalen Unsterblichkeit zuführen, wie sie von dem aus Österreich stammenden amerikanischen Computerwissenschafter Hans Moravec formuliert wurde, liesse sich auch als säkularisierte gnostische Erlösungssehnsucht lesen. Hinter den Träumen vom Cyborg, gar von der reinen Maschine, der virtuellen «Superintelligenz», steht womöglich dieselbe Leibfeindlichkeit, für die das Christentum – zu Recht oder zu Unrecht – gegeisselt worden war.
Am Ende dieser Optimierungsphantasien steht also die Ablösung des Menschen durch von ihm geschaffene perfekte Entitäten, von denen nicht gesagt werden kann, ob sie als Vollendung oder Überwindung des Projektes «Mensch» gedacht werden sollen. Die von Ray Kurzweil, zurzeit Forschungsdirektor bei Google, propagierte «Menschheit 2.0» deutet nicht nur durch die modisch gewordene Versionsnummer an, dass der Mensch in seiner durch die Evolution hervorgebrachten Form als ein fehlerhaftes Programm gedeutet wird, das seine Optimierung erst im transhumanen Raum erfahren wird.
Schöpfungsphantasien
Das Warten der technophilen Transhumanisten auf die «Singularität», also jenen Moment, in dem der rasante technische Fortschritt vor allem im Bereich der Computer- und Nanotechnologie zum Entstehen von «nichtbiologischen, dem Menschen überlegenen Intelligenzformen» führen wird – Formen einer Intelligenz, die schliesslich das ganze Weltall durchdringen und «Gott ziemlich nahe» kommen werden –, demonstriert allerdings weniger technischen Sachverstand als eine naive Allmachtsphantasie. Dass manch einem Verkünder solch einer strahlenden transhumanen Zukunft dann dabei doch etwas mulmig zumute wird, zeigt sich an jener Konzeption der «Superintelligenz», die der schwedische Philosoph und Enhancement-Theoretiker Nick Bostrom mit Angstlust entworfen hat und zu deren Eigenschaften es durchaus zählen könnte, unter der Perspektive der eigenen Selbstoptimierung alle dabei störenden Faktoren wie etwa die Menschen auszurotten.
Abgesehen von der Frage, wie realistisch in einem technischen Sinn diese Szenarien sind, verbergen sich, wenn auch im Gewand einer technizistischen Rhetorik, dahinter mitunter uralte Sehnsüchte des Menschen: nicht nur im Sinne Pico della Mirandolas zum Schöpfer seiner selbst zu werden, sondern zum Schöpfer eines anderen, überlegenen Wesens. Von den belebten Statuen der Antike über die Automaten des mechanischen Zeitalters bis zur Kreatur, die der junge Frankenstein schuf, reichen die mythischen und literarischen Antizipationen, die den Menschen in zutiefst ambivalenten Situationen zeigen: Schöpfer eines Geschöpfs zu sein, dessen er nicht mehr Herr wird.
Wer heute nach dem Menschen fragt, fragt immer auch danach, ob wir überhaupt noch Menschen sein wollen. Sein Glück, so liesse sich pointiert formulieren, findet der rezente Mensch nur in den Bildern seines Nichtmenschseins. Das Bild, das der moderne Mensch von sich zeichnet, ist also immer schon durchgestrichen. Die zeitgenössische Antwort auf die Frage «Was ist der Mensch?» lautet: «Das, was nicht sein soll.» – Vielleicht ist es an der Zeit, den Menschen, dieses fragile und fragliche Wesen, das nach älteren Lesarten immer zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Geist und Körper, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen Natur und Kultur schwanken muss, zumindest gegenüber den Gebildeten unter seinen Verächtern zu verteidigen.
Konrad Paul Liessmann hat eine Professur am Institut für Philosophie der Universität Wien inne. Beim vorliegenden Text handelt es sich um das gekürzte Manuskript des Vortrags, den der Autor zur Eröffnung des 19. Philosophicum Lech am 17. September 2015 in Lech am Arlberg gehalten hat.
*) "La nature de L'homme est l'artificiel." Emmanuel Mounier
Nota. - Alles richtig, nur leider auf den Kopf gestellt. Human enhancement ist keine historische Fortent-wicklung des Selbsterfindungs-Plans von Pico, Fichte, Nietzsche und den Existenzialisten, sondern der Gegenentwurf dazu. Was immer die Enhancer ihren Homunculis einbauen mögen - das spezifische Huma-num, das poietische Vermögen, wird nicht darunter sein. Ihr technokratisches Menschenbild wird nicht scheitern an Liessmanns heimlich resignierendem Modell vom zu-voll-geschriebenen Blatt, sondern, wenn überhaupt, am Bild des Homo poieticus.
JE
aus Süddeutsche.de,
Raben nutzen Mobilfunk
Artgenossen, Wölfe und selbst Autos: Raben lassen andere für sich arbeiten. Für soviel Schläue haben sie einen Platz unter den heimlichen Gewinnern der Tierwelt verdient. Sogar vom Mobilfunk profitieren die Vögel.
Von Katrin Collmar
Raben haben als Aasfresser einen schlechten Ruf. Im Mittelalter verschmähten die Vögel auch menschliche Überreste nicht und wurden deshalb Galgenvögel genannt. Anders in der Mythologie: Hier symbolisieren die Tiere, etwa als Begleiter des nordischen Gottes Odin, Weisheit und Intelligenz. Zu Recht, denn die Tiere aus der Familie der Rabenvögel sind weit anpassungsfähiger als andere Vögel, sie sind schlau und lernfähig.
So nutzen Krähen in Japan Autos als Nussknacker. Wo andere Vögel scheu die Flucht ergreifen, stolziert der Rabe gemächlich auf die Straße und platziert sorgfältig eine Nuss. Geduldig wartet er am Straßenrand, bis ein vorbeifahrendes Auto die Schale knackt. Dann widmet sich das Tier genüsslich seiner Mahlzeit.
Einen weiteren Beleg für die Lernfähigkeit und rasche Anpassung von Raben liefern nun Wissenschaftler der Idaho State University und der Wildlife Conservation Society in einer Studie, die in der Fachzeitschrift The Condor erschienen ist. Sie zählten Nester von Kolkraben sowie anderen Raubvögeln in einer Steppe im US-Bundesstaat Idaho und verglichen die Zahlen mit historischen Daten. Das Ergebnis: Die Raben haben gelernt, auf Strom- und Mobilfunkmasten sowie auf Gebäuden Nester zu bauen.
Die Anzahl an Kolkraben in der Region hat zugenommen. Im Jahr 1986 galt der Kolkrabe in der Region noch als unüblicher Brutvogel, heute ist er dort der häufigste. Fast 50 Prozent aller Nester sind Kolkrabennester. Die anderen Vögel in der Steppe, wie der Rotschwanzbussard, der Präriebussard oder der Königsbussard, sind dagegen weniger angepasst. Sie bevorzugen die naturbelassenen Nist-Orte. Diese werden durch zunehmende Landwirtschaft und Bebauung immer seltener.
Wölfe zerlegen Beutetiere für Raben in schnabelgerechte Stücke
Die Kolkraben profitieren von den neuen, menschgemachten Nistplätzen sogar so stark, dass sie diese nun bevorzugen. Mehr als 70 Prozent der Rabennester fanden die Forscher beispielsweise an Gebäuden und Mobilfunkmasten. Klarer Favorit der Tiere war der Strommast. Die Wissenschaftler vermuten hinter den Nistgewohnheiten eiskaltes Kalkül. Stürzen sich die Vögel von den Stahlriesen zum Angriff ab, erreichen sie eine größere Geschwindigkeit als beim Sprung vom Wüsten-Beifuß-Strauch, der dominierenden Pflanze in der Steppe. Und die Nester sind weit besser vor Feinden geschützt. Außerdem weht dort oben auch an heißen Sommertagen eine frische Brise.
Solche Vorteile wissen die Raben also geschickt zu nutzen. Ebenso talentiert sind sie darin, andere ihre Arbeit erledigen zu lassen. So locken sie mit ihrem Gesang - die krächzenden Tiere gehören zu den Singvögeln - Wölfe zu Tierkadavern und lassen sich von ihnen ihren Snack in schnabelgerechte Stücke zerteilen. Denn ohne die Hilfe der beißstarken Jäger würden die zahnlosen Raben nicht durch Fell und Haut an das zarte Fleisch kommen.
Und auch bei den eigenen Artgenossen schmarotzen die Tiere. Sie plündern Futterverstecke und achten gleichzeitig penibel darauf, dass niemand sie beim Verstecken der eigenen Beute beobachtet. Sie kennen schließlich die Marotten ihrer Kollegen.
aus Süddeutsche.de, 24. Dezember 2013 15:55
Intelligenz im Tierreich
Was im Kopf steckt
Keine Frage, Menschen sind intelligenter als alle anderen Tiere dieser Welt. Doch welche Eigenschaften eines Gehirns entscheiden über die Leistungsfähigkeit? Allein um Größe geht es nicht.
Von Monika Offenberger
Schimpansen spielen die Ahnungslosen, wenn sie versteckte Leckerbissen vor Artgenossen verbergen wollen. Krähen biegen Drähte zu Haken, um damit Futter zu angeln. Tintenfische finden spielend aus einem Labyrinth heraus und behalten den Weg mehrere Tage lang im Gedächtnis. Bienen weisen ihren Schwestern vom dunklen Stock aus den Weg zu weit entfernten Nektarquellen. Die Beispiele zeigen: Intelligenz hat viele Erscheinungsformen. Und sie hat sich im Laufe der Evolution mehrmals in verschiedenen Tiergruppen entwickelt.
Entsprechend unterschiedlich ist die Architektur der Nervensysteme, denen Insekten, Weichtiere, Vögel oder Primaten ihre besonderen Fähigkeiten verdanken. Doch gibt es ein paar universelle Kriterien, auf denen Intelligenz basiert.
Das erste Kriterium klingt trivial: Ein Gehirn braucht Nervenzellen. Dass es sich auch ohne Neuronen gut leben lässt, machen Bakterien und viele andere Organismen vor, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Auch mehrzellige Tiere wie die Schwämme kommen ganz gut ohne Nervenzellen aus.
Allerdings gehen sie ihren Alltag etwas gemütlicher an als nervöse Zeitgenossen: Bis ein Reiz (etwa eine ungewohnte Berührung) zu einer Reaktion (Zurückzucken) führt, vergehen mehrere Minuten. Weil ihm Übertragungsleitungen fehlen, stellt der Schwammkörper bestimmte Zellen ab, die als Boten von den Sinnes- zu den Bewegungsorganen wandern und dort Bescheid geben, wenn etwas zu tun ist.
Die schnellere Erregungsübermittlung via Nervenzellen hat die Informationsverarbeitung und das Reaktionsvermögen von Tieren um Größenordnungen beschleunigt. Doch erst die Bündelung der Neuronen an einem zentralen Organ, dem Gehirn, ermöglicht komplexe Leistungen.
Das auffälligste Kennzeichen eines Gehirns ist seine absolute Größe. Weil diese an die Körpermaße gekoppelt ist, haben große Tiere größere Gehirne als kleine. Innerhalb einer Tiergruppe garantiert das größte Hirn folglich die höchste Intelligenz. Spitzenplätze belegen unter den Insekten die Bienen, bei den Weichtieren die Oktopusse und bei den Vögeln die Papageien, Eulen und Krähen.
Besonders deutlich wird der Zusammenhang zwischen absoluter Gehirngröße und Intelligenz bei den Primaten: Lemuren und andere Halbaffen haben ein sehr kleines Gehirn und entsprechend geringere Intelligenz. Die Neu- und Altweltaffen sind mit ihren größeren Gehirnen schon um einiges schlauer. Schimpansen und andere Menschenaffen haben noch größere Gehirne und weiter reichende kognitive Fähigkeiten. Die intelligenteste Spezies mit dem größten Primatenhirn sind zweifellos wir Menschen selbst. Und auch bei den übrigen Säugetieren sind die Klügsten jene mit den größten Gehirnen, nämlich die Elefanten, Wale und Delfine.
Jedes Äffchen hat mehr Hirnmasse als ein Hund
Doch wer schon einmal ein Kapuzineräffchen beim Lausen, Raufen oder Grimassenschneiden beobachtet und mit einer weidenden Kuh verglichen hat, muss zugeben: Obwohl das Affenhirn deutlich kleiner ist - es misst nur ein Fünftel eines Rinderhirns - leistet es erkennbar mehr.
Auch die klugen Meeressäuger und Rüsseltiere schneiden schlecht ab, sobald man sie am Schimpansen oder gar am Menschen misst: Die riesigen Gehirne der Schwertwale (bis 10 Kilogramm) und des Elefanten (4,2 Kilogramm) sind sieben- beziehungsweise dreimal so groß wie das menschliche Denkorgan, die Geistesleistungen reichen jedoch nicht an die vieler Primaten heran.
Offensichtlich entscheidet nicht nur die absolute, sondern auch die relative Größe über die Leistungsfähigkeit eines Gehirns. Unter den meisten Wirbeltieren haben die größeren Arten ein relativ kleineres Gehirn als die kleineren. Außer bei den Primaten: Hier steigt die Gehirngröße etwa im selben Maße an wie die Körpergröße. Deshalb hat jedes Äffchen mehr Hirnmasse als ein gleich großer Hund oder Hase. Innerhalb der Primaten setzt der Mensch noch eins drauf: Wir haben für jedes Kilo des Körpergewichts dreimal so viel Hirn wie ein Schimpanse und achtmal so viel wie eine Katze.
Dennoch reicht auch die relative Größe eines Gehirns nicht zur Qualitätsbestimmung aus: Es kommt vor allem auf den Inhalt an. "Wale sind ein gutes Beispiel dafür, dass ein größeres Gehirn nicht unbedingt mehr Nervenzellen enthalten muss. Entscheidend ist, wie dicht die Neuronen gepackt sind", erklärt Onur Güntürkün, Biopsychologe an der Uni Bochum.
Bei den meisten Wirbeltieren ist es so: Je größer ihr Gehirn, umso geringer ist die Packungsdichte der Neuronen. Deshalb haben Delfine wie der Große Tümmler zwar genauso viel Hirnmasse wie der Mensch, doch enthält diese mit 5,8 Milliarden Nervenzellen wesentlich weniger Neuronen.
Wieso die winzigen Vogelhirne erfolgreich sind
Vögel und Primaten sind die einzigen Wirbeltiere, bei denen dieses Prinzip nicht gilt. Ihre Neuronen sind in großen wie in kleinen Gehirnen gleich dicht gepackt. "Bei Vögeln ist die Packungsdichte sogar noch höher als bei den Primaten, sie haben also je Gramm Hirngewicht noch mehr Nervenzellen. Das erklärt zumindest zum Teil, warum sie trotz ihrer kleinen Gehirne so erfolgreich sind", so Güntürkün.
Die Familie der Rabenvögel hat besonders einsichtige, lern- und merkfähige Arten hervorgebracht: Krähen setzen oft spontan - also ohne Training oder Abschauen - Werkzeuge ein oder stellen sogar passende Hilfsmittel her. Tannenhäher verstecken im Herbst hunderte Zirbelsamen in der Erde oder in Felsblöcken und finden sie später sogar unter einer meterhohen Schneedecke wieder. Elstern erkennen ihr eigenes Spiegelbild, was sonst nur Menschaffen, Elefanten und Delfinen gelingt.
Alle Rabenvögel haben relativ zum Körpergewicht ein größeres Gehirn als beispielsweise Tauben oder Hühner. Ihr überproportionales Denkorgan enthält dementsprechend vermutlich auch absolut gesehen eine höhere Zahl von Nervenzellen - besonders in denjenigen Bereichen, die für Intelligenz zuständig sind. Konkrete Zahlen sind für Vögel bislang nicht bekannt.
Der Mensch verarbeitet Informationen viel schneller als das Riesenhirn des Wals
Der Hirnforscher Gerhard Roth, Emeritus an der Universität Bremen, schätzt die Zahl der Neuronen im Intelligenzzentrum von Vogelgehirnen je nach Art auf 100-400 Millionen. Bei den Primaten ist dieses Zentrum die Großhirnrinde: Sie fasst beim Menschen 12 bis 15 Milliarden Neuronen (von insgesamt rund 100 Milliarden) und bei den kleineren Affen etwa so viele wie das Pendant im Rabengehirn. Beim Oktopus enthält der Vertikallobus immerhin 24 Millionen Nervenzellen. Und im Gehirn der Honigbiene konzentriert sich rund ein Drittel der insgesamt 960.000 Neuronen in zwei symmetrisch angeordneten Strukturen, den so genannten Pilzkörpern.
"Nun wissen wir natürlich: Die eigentliche Musik spielt sich in den Verbindungen der Nervenzellen ab. Und wir können davon ausgehen, dass eine größere Zahl an Nervenzellen auch mehr synaptische Verbindungen ausbildet", sagt Onur Güntürkün. Über die Zahl der Synapsen, die ein Neuron - zum Beispiel in der menschlichen Hirnrinde - formen kann, gibt es unterschiedliche Befunde: Einige Forscher gehen von 1000 bis 10.000 aus, andere von bis zu 30.000.
Unstrittig ist jedoch, dass der Mensch sämtliche Tiere auch in der Zahl der Synapsen übertrifft. Unsere Hirnrinde ist mit maximal fünf Millimetern rund viermal so dick und zudem noch doppelt so dicht mit Neuronen bepackt wie die der Wale und Elefanten. Diese vielen, eng benachbarten Zellen können besonders schnell miteinander kommunizieren. "Nach meinen Schätzungen ist die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn sechs- bis zehnmal höher als in den sehr viel größeren Gehirnen der Elefanten und Wale", erläutert Gerhard Roth.
Eine sehr dichte Neuronenpackung und sehr hohe Erregungsleitungsgeschwindigkeiten kennzeichnen nicht nur die Hirnrinde der Primaten und insbesondere des Menschen, sondern auch die Intelligenzzentren im Gehirn von Vögeln und einigen wirbellosen Tieren. Sie haben die Packungsdichte sogar noch optimiert, so Gerhard Roth: "Oktopusse und Bienen haben in ihren Intelligenzzentren sehr viel kleinere Neuronen als wir. Und auch die Vögel und Primaten haben im Vergleich zu anderen Wirbeltieren sehr kleine Nervenzellen." Deshalb stecken in den kleinen Gehirnen der Tintenfische und insbesondere in den winzigen Insektengehirnen pro Volumen deutlich mehr Neuronen als in den Wirbeltierhirnen. Deshalb können sie Information oft schneller verarbeiten.
Vom Gehirn einer Biene oder eines Tintenfischs zu dem eines Raben oder Affen ist es freilich ein sehr großer quantitativer Sprung: Wirbeltiere haben in ihrem Schaltzentrum mehrere Milliarden Nervenzellen, Oktopusse immerhin 42 Millionen, Insekten dagegen nur eine halbe bis eine Million. "Und trotzdem stehen einige dieser kleinen Tiere den großen in vielen Intelligenzleistungen nicht nach. Dazu gehören zum Beispiel Lernen, Gedächtnis, Selbstwahrnehmung, Unterscheidung zwischen dem eigenen Körper und der Außenwelt sowie komplexe soziale Interaktionen zwischen Individuen. Diese Fähigkeit haben auch die kleinen Gehirne", sagt Randolf Menzel, Neurowissenschaftler und Verhaltensbiologe an der FU Berlin.
Wie Menzels Forschung zeigt, sind die Pilzköper des Bienengehirns in zahlreiche Module gegliedert, die parallel viele sensorische, motorische, modulatorische und bewertende Informationen entgegennehmen. "Dort werden sie auf eine Vielzahl von internen Neuronen verteilt und dann auf eine geringe Zahl von Ausgangsneuronen verschaltet.
Wir haben also zuerst eine Divergenzschaltung und anschließend konvergiert es wieder", erklärt Menzel. Je mehr Neuronen in diesen parallel verknüpften Pilzkörper-Modulen liegen, umso komplexer sind die Leistungen, die sie ermöglichen: Honigbienen haben dort mit etwa 130.000 Neuronen rund 26-mal so viele wie die Taufliege Drosophila.
Auch die Hirnrinde im Säugergehirn ist in Parzellen unterteilt, wo die Vielzahl von äußeren Sinneseindrücken und inneren Körperzuständen verarbeitet und zusammengeführt werden. Je stärker diese Parzellierung ist, umso besser: Mäuse und andere kleine Säugetiere haben etwa zehn Areale, die unterschiedliche Informationen aufnehmen und weiterleiten.
Dagegen verfügt die menschliche Hirnrinde über 150 Areale mit 60 Verbindungsstellen, die insgesamt 9000 Areal-Verschaltungen ermöglichen. "Man kann also wirklich sagen: Es gibt ein Grundprinzip für hohe Intelligenz, das man auch als Ingenieur beschreiben könnte", sagt Gerhard Roth und zieht das Fazit: "Das menschliche Gehirn kombiniert einen großen Cortex mit einer relativ dichten Packung, hoher Übertragungsgeschwindigkeit und starker Parzellierung. Daraus resultiert die höchste Informationsverarbeitungskapazität und Intelligenz unter allen Lebewesen".
Bakterien, 0 Neuronen
Bakterien brauchen keine Nervenzellen, geschweige denn ein Nervensystem. Dennoch funktionieren Reizerkennung und Informationsverarbeitung bei den Einzellern nach denselben Prinzipien wie bei komplexeren Organismen: Es gibt Elemente zur Sinneswahrnehmung und solche zum Bewegungsantrieb; die Kommunikation läuft über Signalstoffe innerhalb der Zelle. Das Darmbakterium E. coli trägt in seiner Außenhülle mehr als ein Dutzend Typen von Chemorezeptoren, die nahrhafte von giftigen Substanzen unterscheiden können und fortwährend deren Konzentration melden. Andere Einzeller wie das zu den Archäen zählende Halobacterium salinarum orientieren sich mit Hilfe lichtempfindlicher Pigmente, die jenen der menschlichen Retina ähneln. Ein Kurzzeitgedächtnis von wenigen Sekunden erlaubt es den Mikroben, die Stärke zweier aufeinander folgender Reize zu vergleichen und sich wahlweise zur Reizquelle hin oder von ihr weg zu bewegen. Weder Bakterien noch Archäen können lernen.
Schleimpilze, 0 Neuronen
Schleimpilze sind kernhaltige Einzeller, die als geißelbewehrte Schwärmer oder kriechende Amöben auftreten und je nach Wasserangebot zwischen beiden Lebensformen wechseln. In guten Zeiten vermehren sie sich und verschmelzen milliardenfach zu vielkernigen Riesenzellen, die auf feuchten Oberflächen oft grell gefärbte schleimige Überzüge bilden. Physarum polycephalum bringt es auf bis zu zwei Quadratmeter große Exemplare, die sich einen Zentimeter pro Stunde vorwärts schieben und dabei Hindernisse überwinden können. Dazu nutzen sie dieselben Proteine, mit denen auch Menschen ihre Muskeln in Bewegung setzen. Die Art hat durch ein Experiment in Japan Aufsehen erregt: Der Schleimpilz fand in einem 25 x 35 Zentimeter großen Labyrinth den kürzesten von vier Wegen zwischen zwei Häufchen Haferflocken. In allen Versuchen nahm er den direkten Weg und fiel weder auf Sackgassen noch Umwege herein. Grund genug, dem schleimigen Wesen eine primitive (Körper-)Intelligenz zuzusprechen.
Fadenwurm, 302 Neuronen im Körper
Das beliebte Versuchstier der Genetiker - der Fadenwurm - besitzt ein primitives zentrales Nervensystem: Mehrere Nervenstränge ziehen sich vom Nervenring am Schlund bis zum hinteren Ende und in die Kopfregion. Bei manchen Arten sitzt dort ein Paar mit Sehzellen besetzter Grubenaugen, andere haben einfache Linsen. Besonders gut erforscht ist die Art Caenorhabditis elegans. Der Wurm hat exakt 302 Nervenzellen, die über 6393 chemische Verbindungsstellen und 890 Ionenkanäle vernetzt sind und sich über weitere 1410 Ionenkanäle mit Muskelzellen austauschen. Dieses Netzwerk befähigt C. elegans zu assoziativem Lernen, wie ein Versuch zeigt: Man hält den Wurm in einer Schale voller nahrhafter Bakterien. Sobald er davon frisst, gibt man einen Duftstoff dazu, den das Tier wahrnimmt. In der Folge wirkt der Duft wie die berühmte Glocke auf Pawlows Hund: Der Wurm assoziiert damit Bakterien und macht auch dann Fressversuche, wenn er die Substanz in einer leeren Schale riecht.
Bienen, 960.000 Neuronen im Gehirn
Ihr kleines Gehirn ist nur etwa einen Kubikmillimeter groß, dennoch verfügen Bienen über ein breites Verhaltensrepertoire. Sie lernen schnell eine Fülle von Signalen, wenn sie für die richtige Lösung mit Zuckerwasser belohnt werden: So lassen sie sich etwa darauf dressieren, Farben, Formen oder Gerüche zu unterscheiden und Eigenschaften zu erkennen. Sie können Regeln lernen, bei welchen Verknüpfungen sie eine Belohnung erwarten können. Diese Leistungen speichern sie dauerhaft im Gedächtnis. Es gelingt ihnen, geometrische Formen nach ihrer Ähnlichkeit zu unterscheiden. Sie können die Zahl von bis zu vier Objekten unterscheiden, scheitern aber bei größeren Mengen. Für ihren Alltag ist ihr Navigationsvermögen relevanter: Mit ihrem Schwänzeltanz informieren sie Stockgenossinnen über wichtige Orte im Gelände wie Futterquellen oder Nisthöhlen. Die jeweilige Flugrichtung teilen sie symbolhaft nach dem Sonnenkompass und der mit den Augen gemessenen Entfernung mit.
Oktopusse gehören wie alle Tintenfische, Muscheln und Schnecken zu den Weichtieren. Ihr hoch entwickeltes zentrales Nervensystem, das völlig anders aufgebaut ist als das der Wirbeltiere, befähigt sie zu erstaunlichen Leistungen: Sie finden selbst nach langen Ausflügen auf dem kürzesten Weg nach Hause, auch wenn sie diesen niemals zuvor benutzt haben. Außerdem lernen sie schnell, aus einem Irrgarten zu entkommen - und erinnern sich noch eine Woche später an den einmal entdeckten Ausweg. Sie finden selbst heraus, dass sie Krabben in einem verschlossenen Glasgefäß nur greifen können, wenn sie zuvor den Deckel öffnen. Sie können geometrische Formen wie Würfel oder Kugeln durch Abtasten unterscheiden. Einige Biologen wollen beobachtet haben, dass sie nicht nur aus eigener Erfahrung lernen, sondern auch, indem sie Artgenossen beim Lösen von Aufgaben zusehen. In neueren Untersuchungen konnten diese Befunde allerdings nicht bestätigt werden.
Rabenvögel, 400.000.000 Neuronen im Gehirn
Rabenvögel benutzen Werkzeuge und bringen diese wenn nötig in eine passende Form. Neukaledonien-Krähen rupfen kleine Stücke aus Blättern, um damit Insekten aus Felsritzen herauszufischen. Vor fahrende Autos werfen sie Nüsse und warten auf rotes Ampellicht, um aus den überfahrenen, zerbrochenen Schalen gefahrlos die Kerne aufzulesen. Als besonders erfinderisch erwies sich die zahme Krähe Betty: Um an ein außer Reichweite postiertes Stück Fleisch zu gelangen, bog sie einen herumliegenden Eisendraht spontan zu einem Haken und zog damit den Happen zu sich heran. Krähen sind neben Primaten die einzigen Tiere, die sich mit Hilfe von Werkzeugen andere Werkzeuge besorgen. Im Versuch angelten sich die Vögel mit kurzen Stöcken längere Stöcke, die sie zum Heranholen einer Futterbox benötigten. Ob solches Verhalten auf Einsicht basiert oder durch Probieren entsteht, ist umstritten. Die ebenfalls zu den Rabenvögeln zählenden Elstern erkennen zudem ihr eigenes Spiegelbild.
Elefanten, 11.000.000.000
Sie sind die größten Landtiere der Welt, entsprechend groß ist ihr Gehirn. Mit tiefen Tönen im Infraschall-Bereich verständigen sich Elefanten über Entfernungen von bis zu 20 Kilometern und orten individuelle Gruppenmitglieder ebenso wie Regengüsse oder Wirbelstürme. Dank ihres guten Gedächtnisses und Orientierungsvermögens merken sie sich die Standorte von Wasserquellen im Umkreis von 60 Kilometern. Zur Körperpflege stutzen sie Stöcke und Zweige zu Kratzbürsten und Fliegenpatschen zurecht. Im Experiment begreifen zwei ungeschulte Elefanten, dass sie eine entfernte Futterquelle nicht alleine, sondern nur gemeinsam mittels Seilen zu sich heranziehen können. Die Riesen scheinen sich selbst im Spiegel zu erkennen, verlieren dann aber schnell das Interesse an ihrem Konterfei. Im Gegensatz zu Bienen lernen sie aber nur mühsam oder gar nicht, kleine von großen oder runde von eckigen Objekten zu unterscheiden und entsprechenden Kategorien zuzuordnen.
Zahnwale,5.800.000.000 Neuronen im Gehirn
Sie haben erheblich größere Gehirne als Menschen. Diese benötigen Delfine und andere Zahnwale insbesondere für ihr ausgefeiltes auditorisches System. Es erlaubt ihnen, mit vielerlei Pfeif- und Klickgeräuschen zu kommunizieren und sich via Echoortung zu orientieren. Schwertwale verständigen sich oft auch lautlos, um sich bei der gemeinsamen Jagd nicht zu verraten. Je nach Beuteart setzen sie Fangmethoden ein, die perfektes Teamwork voraussetzen: Sie schlagen koordiniert Wellen, um Robben von Eisschollen zu kippen, Fischschwärme mit Luftblasen zu verwirren und Blauwale zu ertränken. Versuche mit trainierten Delfinen legen nahe, dass sie sich darüber bewusst sind, wenn sie an einer Aufgabe scheitern - etwa wenn sie zwei minimal unterschiedlich hohe Töne nicht auseinander halten können. Dagegen versagen sie bei einfachen Intelligenztests: Sie können unbekannte Gegenstände nicht passenden Kategorien zuordnen - eine Aufgabe, die Affen, Hunde, Tauben und Bienen meistern.
Schimpansen, 6.200.000.000 Neuronen
Schimpansen nutzen und fertigen bis zu 20 verschiedene Werkzeuge - zum Beispiel zum Angeln von Termiten oder Aufsaugen von Wasser - und setzen sie in wechselnden Zusammenhängen ein. Dabei löst jede Gruppe ein Problem auf etwas andere Weise und begründet damit unterschiedliche Traditionen: So haben die Schimpansen in Guinea herausgefunden, wie man Fallen von Wilderern unschädlich macht. Nur Schimpansen gelingt es, aus einem Material verschiedene Werkzeuge oder denselben Werkzeugtyp aus unterschiedlichen Rohstoffen anzufertigen. Sie nutzen mehrere Werkzeuge in Abfolge oder kombinieren sie. Damit beweisen sie ebenso wie Orang-Utans Einsicht in ein Problem. Sie können Handlungen planen und Objekte auswählen, die sie erst später als Werkzeuge brauchen. Schimpansen finden versteckte Objekte, indem sie den Blicken eines Artgenossen oder des Menschen folgen. Sie erkennen, ebenso wie Gorillas, ihr Spiegelbild. Doch sind nicht alle Individuen gleich erfolgreich.
Raben können in die Zukunft planen.
aus Tagesspiegel.de,
Raben planen für die Zukunft
Vorausschauendes Denken gilt als typisch menschliche Fähigkeit. Jetzt beweisen Verhaltensforscher: Vögel können das auch.
von Roland Knauer
Ist
es der Schraubverschluss einer Pfandflasche, das Holzstäbchen, der
Strohhalm oder doch das Stück Baumrinde? Der Kolkrabe beäugt genau, was
ihm die Verhaltensforscher Can Kabadayi und Mathias Osvath von der
Universität Lund in Schweden im Rahmen eines Experiments anbieten. Sie
wollen herausfinden, ob der Vogel vorausschauend denken kann. Seit
Wochen haben sie dem Tier beigebracht, dass es für einen der Gegenstände
am nächsten Tag ein leckeres Stück Hundefutter bekommt. Was für
Menschen und Menschenaffen eine ziemlich leicht zu treffende
Entscheidung ist, weil vorausschauendes Denken zum Standardrepertoire
ihrer Gehirne gehört, haben Forscher Vögeln oder anderen Tieren bislang
nicht zugetraut. Doch überraschenderweise muss der Kolkrabe nicht lange
überlegen und greift sich den Flaschendeckel – wissend, dass es nur
dafür am nächsten Morgen ein Leckerli geben wird.„Dieses Experiment ist ein wichtiger Schritt, die Evolution der Intelligenz zu verstehen“, kommentiert der Verhaltensforscher Markus Böckle von der Universität Cambridge in Großbritannien die im Fachblatt „Science“ veröffentlichte Arbeit der schwedischen Kollegen.
Dass nun auch bei Kolkraben vorausschauendes Denken nachgewiesen ist, bedeutet aber nicht, dass schon der letzte gemeinsame Vorfahr von Vögeln und Menschenaffen, der vor über 300 Millionen Jahren gelebt haben dürfte, diese Fähigkeit besaß. Offenbar hat sich das intelligente Verhalten im Verlauf der Evolution der Vögel eigenständig entwickelt.
Rabenvögel gelten schon lange als clever
Rabenvögel gelten schon lange als besonders clever. So werfen mitteleuropäische Nebelkrähen gern Nüsse auf Straßen. Rollt ein Auto darüber, wird die Schale geknackt und die Krähe kommt an den Kern. „Neukaledonische Krähen stochern mit kleinen Ästchen nach Larven, die im Holz leben und stellen sich solche Werkzeuge sogar gezielt her“, sagt Böckle, der das Verhalten der Südsee-Krähen untersucht.
Die Experimente von Kabadayi und Osvath offenbaren nun das vorausschauende Denken der schwarzen Vögel. Dabei gibt ein kleiner Apparat einen Leckerbissen in Form von Hundefutter erst heraus, wenn ein Stein von oben in eine Öffnung geworfen wird. Die Kolkraben meistern diese Aufgabe mit Bravour. Danach dürfen die Tiere beobachten, dass der Apparat sich mit verschiedenen anderen Gegenständen nicht öffnen lässt. Am nächsten Tag sitzen die Kolkraben ohne Stein vor dem Apparat und kommen an ihren Leckerbissen nicht heran. Anschließend entfernen die Forscher das Gerät, lassen die Vögel eine Stunde warten und bieten den anscheinend frustrierten Tieren an einem anderen Ort vier verschiedene Gegenstände an. Auch wenn der Apparat mit dem Leckerbissen gar nicht da ist, nehmen die Kolkraben zielstrebig den Stein, der in die Öffnung passt. Eine Viertelstunde später stellen die Forscher das Gerät wieder an seinen Platz und die Vögel kommen mithilfe des Steins endlich an den Leckerbissen heran.
Die Vögel entscheiden sich für das, das langfristig mehr bringt
Im nächsten Teil des Experiments lernen die Kolkraben, dass sie für einen Flaschenverschluss ein Stück Hundefutter eintauschen können, das sie als ganz besonderen Leckerbissen sehr schätzen. In der Abschlussprüfung müssen sich die Tiere dann zwischen einem eigentlich begehrten Futter, das sie sofort schlucken können, und einem Stein oder einem Flaschendeckel entscheiden, mit dem sie sich später das noch begehrtere Hundefutter selbst aus dem Apparat holen oder es eintauschen können.
Die meisten Tiere ließen das direkt verfügbare Futter liegen und schnappten sich den nicht fressbaren Gegenstand, der ihnen später einen noch besseren Leckerbissen bescherte. Ein überzeugender Beweis für die vorausplanende Intelligenz der Kolkraben.
aus scinexx
Auch Raben können vorausschauend planen
Schlaue Vögel schneiden in Tests sogar besser als als vierjährige Kinder
Lange Zeit glaubte man, dass nur der Mensch die Fähigkeit besitzt, für die Zukunft zu planen. Denn egal, ob wir überlegen, welche Dinge wir auf eine Reise mitnehmen oder beim Mittagessen weniger essen, damit wir uns später noch ein Eis gönnen können - all dies erfordert komplexe geistige Leistungen. Wir müssen uns in zukünftige Situationen versetzen und unmittelbare Bedürfnisse zugunsten des langfristigen Ziels zurückstellen können.
Inzwischen belegen Beobachtungen, dass zumindest Menschenaffen ebenfalls zu diesen Leistungen fähig sind: So sammeln Zooschimpansen Steine, um später Besucher damit bewerfen zu können und Orang-Utans teilen ihren Artgenossen schon am Vorabend mit, wohin es am nächsten Tag geht. Ob jedoch auch Tiere außer unseren nächsten Verwandten vorausplanen können, blieb unklar.
Raben im Planungstest
Jetzt belegen Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund, dass auch Raben in den illustren Club der begabten Vorausplaner gehören. Denn ihre Experimente demonstrierten: Die schlauen Krähenvögel haben selbst dann einen Sinn für die Zukunft, wenn es nicht um instinktgeleitete Verhaltensweisen wie das Verstecken von Futter geht.
In ihren Experimenten stellten die Forscher ihre fünf Raben absichtlich vor Aufgaben, die nicht zu ihrem normalen Verhaltensrepertoire gehören. In einem Test sollten sie eine Futterbox mit einem speziellen Werkzeug öffnen, in einem anderen eine Wertmarke nutzen, um sich damit vom Menschen Futter zu erkaufen. Beides fällt Kakadus und Krähen leicht, nicht jedoch den Raben.
Nutzen erst im Nachhinein
Der Clou dabei: Das Werkzeug und die Wertmarke bekamen die Raben nicht dann, wenn sie diese brauchten. Stattdessen erhielten sie diese Objekte 15 Minuten oder sogar mehrere Stunden vorher – und mussten sich dabei zwischen diesen nützlichen Utensilien und einem Leckerbissen entscheiden. Die Vögel würden sich daher nur dann für Werkzeug oder Wertmarke entscheiden, wenn ihnen bewusst war, dass sich dies später auszahlen würde.
Und tatsächlich: Die Raben verzichteten auf das sofortige Leckerli und entschieden sich für das erst in der Zukunft nützliche Utensil. In gut 88 Prozent der Fälle wählten sie das Werkzeug statt der Belohnung, für die Wertmarke entschieden sie sich sogar in 95 Prozent der Durchgänge, wie die Biologen berichten.
Besser als vierjährige Kinder
"Damit schneiden die Raben mindestens so gut ab wie Menschenaffen – und sogar besser als vierjährige Kinder", sagen Kabadayi und Osvath. Ihrer Ansicht nach belegen diese Ergebnisse, dass Raben zu echtem Vorausplanen fähig sind. "Sie zeigen Selbstbeherrschung und wägen auch den zeitlichen Abstand zu künftigen Ereignissen ab", so die Forscher. Zudem wenden die Vögel diese Fähigkeiten auch in Situationen an, die für sie keine Routine sind.
Die Raben gehören damit zum bisher kleinen Kreis der Tiere, die ebenso wie wir Menschen für ihre Zukunft planen können. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil die Krähenvögel im Gegensatz zu den Menschenaffen nicht eng mit uns verwandt sind. Immerhin trennen Mensch und Vogel rund 320 Millionen Jahre der Evolution. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aam8138)
(Science/AAAS, 14.07.2017 - NPO)
Nota. - Rabenvögel sind nur die Avantgarde; wir mussten längst einsehen, dass sich menschliche Intelli- genz von tierischer Intelligenz nicht prinzipiell, sondern nur graduell unterscheidet. Aber in sehr hohem Grade; nicht doch etwa qualitativ?
Dass unsere Intelligenz einen sehr viel weiteren Kreis unserer Lebenstätigkeit umfasst als die Intelligenz von Tieren, ist kein geringfügiger, sondern ein erheblicher Sachverhalt. Denn er hat eine systematische Ursache. Die Intelligenz von Tieren steht im Dienst der ihnen genetisch angestammten Bedürfnisse, sie ist ökonomisch und quantifizierend; tierische Intelligenz ist Verstand. Der Mensch aber erschafft sich selber neue Bedürfnisse.
Wie das? Außer nach seinen Naturbedürfnissen beurteilt er das, was er vorfindet, auch qualitativ - nach gut und schlecht - und erweitert den Kreis seiner Lebenstätigkeit damit um ein Vielfaches. Seine Intelligenz enthält das Reich des Ästhetischen. Sie ist mehr als Verstand, sie ist Vernunft.
JE
Der Schleimpilz, manchen Wanderern auch als Hexenbutter bekannt, hat nur eine Zelle, aber viele Hexenkräfte.
aus Die Presse, Wien,11.06.2016
Denken ohne Gehirn
Viele Einzeller zeigen hohe Intelligenz, sie orientieren sich damit in Raum und Zeit, sie lernen. Und sie lösen Probleme, für die wir Computer brauchen.
Von Jürgen Langenbach
Von A nach B kommt man leicht, auch C lässt sich noch ohne Probleme in den Reiseplan integrieren. Wenn aber die Zahl der Ziele weiter steigt, ist unser Gehirn auf der Suche nach der optimalen Route so rasch überfordert, dass das Ganze als „Problem des Handelsreisenden“ in die Fachliteratur einging – da helfen nur noch höhere Mathematik bzw. ausgefeilte Algorithmen. Aber einer schafft es ganz ohne Hirn, er kann keines haben, denn er besteht aus einer einzigen Zelle: Physarum polycephalon, der Schleimpilz. Seinem deutschen Namen entspricht er nur halb, er ist kein Pilz – auch keine Pflanze und kein Tier, sondern eine Amöbe, die seit 700 Millionen Jahren alle Unbill überstanden hat. Schleim allerdings ist er, und wie: Er kann sich über riesige Flächen ausdehnen, im Labor liegt der Rekord bei 5,5 Quadratmetern. In der Natur gibt es noch größere, manchen Wanderern sind sie als Hexenbutter vertraut.
Das mit der Butter stimmt nicht, das mit dem Hexen eher: Auf der Futtersuche etwa wandern Schleimpilze einen Zentimeter pro Stunde. Wie? Sie sind mit Leitungsbahnen zur Ver- und Entsorgung durchzogen, diese lassen sich verkürzen und verlängern, verengen und erweitern. Das treibt sie auch voran, so können sie ganz ohne Beine gehen. Denken können sie ebenso ganz ohne Gehirn: Wenn sie herumtasten, meiden sie alle Stellen, an denen sie schon waren. Dort haben sie etwas Schleim hinterlassen, er erinnert sie, er ist ein ausgelagertes Gedächtnis, wie man es sonst etwa von Ameisen kennt, die Wege zum Futter mit Duft markieren.
Damit beginnt der Reigen der Hexenkräfte aber erst: Setzt man einen Schleimpilz in ein quadratisches Labyrinth, das zwei Tore hat und überall am Boden mit Futter ausgestattet ist, breitet er sich auf der ganzen Fläche in der Form des Quadrats aus. Wenn das Futter sich neigt und nur noch an den Toren Nachschub kommt, wandelt er seine Gestalt, wird zu einem Faden, der die beiden Tore auf dem kürzesten Weg miteinander verbindet.
So löst er das Problem des Handelsreisenden, Toshiyuki Nakagaki (Sapporo) zeigte es erst im Grundsatz (Nature 407, S. 470), später verfeinerte er es und platzierte auf dem Labortisch Futter – Haferflocken – dort, wo auf dem Stadtplan von Tokio die Bahnstationen sind: Bald bildete der Schleimpilz ein „Streckennetz“, das frappant jenem glich, das mit aller Raffinesse des Menschengeistes ausgetüftelt worden war (Science 327, S. 439).
Kluge Kolibakterien.
Der Hexer orientiert sich nicht nur im Raum, sondern er hat auch ein Gefühl für Zeit, kann aus Erfahrung lernen und Künftiges kommen sehen. Das können andere Einzeller auch, Kolibakterien: Sie wechseln oft den Lebensraum, leben einmal in Gedärmen, etwa von Rindern, und gehen dann mit den Fladen ab. Auf der Wiese gibt es Sauerstoff, auf ihn müssen sie sich einstellen. Geraten sie ins Maul einer grasenden Kuh, müssen sie wieder umlernen: Im Gedärm ist kein Sauerstoff. Darauf bereiten sie sich beizeiten vor: Sie stellen ihren Stoffwechsel schon im Maul der Kuh um, da ist es warm, dieses Signal verarbeiten sie. Wenn man alles umdreht und auf Wärme Sauerstoff folgen lässt und auf Kühle keinen, lernen sie das auch.
Das Experiment ist Saed Tavazoie (Princeton) zu verdanken (Science 320, S. 1313), ein ähnliches hat Yitzak Pilpel (Rehovot) mit Bierhefe durchgeführt (Natur 460, S. 220). Allerdings lernten in beiden Fällen nicht Individuen, es brauchte mehrere Generationen. Darauf weisen Kritiker gern hin, denen die ganze Geschichte von der Intelligenz von Einzellern suspekt ist. Nakagaki sieht es lockerer, unter Berufung auf die japanische Kultur, die Intelligenz nicht so strikt auf Menschen limitiert: Für ihn ist sie „Selbstorganisation, in der Information verarbeitet wird“. Er bewundert auch in Fachpublikationen den Schleimpilz gern als „smart“ – und vergleicht die nächste Leistung, die er fand, mit jener der Ägypter, als sie bemerkten, dass das Hochwasser des Nil periodisch kommt. Daraus entwickelten sie eine Grundlage der Zivilisation: den Kalender.
Auch in Nakagakis Labor kam etwas periodisch, das Gegenteil von Hochwasser: Dürre, im Stundentakt, dreimal hintereinander. Jedes Mal stellten die Schleimpilze ihr Wachstum ein. Sie taten es auch nach der vierten Stunde, obgleich es da nicht trocken wurde, und nach der fünften auch, erst dann verblasste die Erinnerung (Physical Review Letters 100, 018101).
Was fehlt noch zur Intelligenz? Das Sich-an-etwas-Gewöhnen: Wenn man etwa die Meeresschnecke Aplysia taktil reizt, ohne ihr weiter etwas zu tun, reagiert sie bald nicht mehr. Das hat Eric Kandel – der Wiener Emigrant, der anno 2000 einen Nobelpreis erhielt – vor bald 50 Jahren gezeigt (Science 167, S. 1740), seitdem gehört Gewöhnung (habituation) zu den Definitionsmerkmalen von Lernen. Der Schleimpilz erfüllt es: Versperrt man ihm mit bitteren Substanzen wie Chinin oder Koffein (in harmlosen Dosen) den Weg zum Futter, schreckt er erst zurück, nach sechs Tagen hat er sich daran gewöhnt. Aber nicht an alles: Wenn er auf Chinin nicht mehr reagiert, verstört ihn überraschendes Koffein zunächst, dann gewöhnt er sich auch daran. Ist plötzlich von beidem nichts mehr da, entwöhnt er sich, beim nächsten Auftauchen lernt er wieder neu (Proc. Roy. Soc. B 27. 4.).
Das Experiment stammt von Audrey Dussutour (Toulouse), nicht von Nakagaki, er hat sich einem anderen Hexer zugewandt: Tetrahymena, das ist ein Wimperntierchen, das im Wasser lebt. Wenn es nur einen kleinen Tropfen zur Verfügung hat, stößt es bald nicht mehr an die Wand und schwimmt nur in engstem Kreis. Setzt man es dann in einen größeren Behälter, bleibt es zunächst bei diesem Muster, erst allmählich holt es weiter aus. An diesem handlicheren Wesen will Nakagaki klären, was der Schleimpilz noch nicht preisgab: die molekularen Mechanismen des Gedächtnisses von Einzellern (Interface 25. 5.). Dafür nutzt Tetrahymena vermutlich einen mechanosensitiven Ionenkanal, einen für Kalzium. Er erweitert sich, wenn das Tier irgendwo anstößt, dann strömt mehr Kalium hinein. Das wiederum beeinflusst die Schwimmrichtung: Ist keines da, geht es gerade aus, steigen die Konzentrationen, geht es in immer engeren Kreisen.
Nota. - Dies ist ein bedenkenswerter Beitrag zu den Begriffen Lernen und Intelligenz; zum Thema Be-wusstsein dagegen nur mittelbar, nämlich negativ: ohne Reflexion kommt es nicht aus; der Schleimpilz schon.
JE
Sind Pflanzen intelligent?
aus Die Presse, Wien, 14. 2. 2014
Er behandelt den Sonnentau wie eine lebende Kreatur, und ich vermute, dass er am Ende noch beweisen will, dass es sich um ein Tier handelt.“ Das schrieb Emma Darwin 1860 in einem Brief über ihren Mann, sie machte sich Sorgen um seinen Verstand, weil es für ihn, Charles, durchaus vorstellbar war, dass auch Pflanzen einen Verstand haben: Beim Wachsen der Wurzeln etwa ließen sie sich „von etwas gleich dem Gehirn niederer Tiere“ leiten. Das stammt von ihm, und es war nicht so dahergeschrieben, Darwin experimentierte viel und bahnbrechend mit Pflanzen und bemerkte etwa, dass sie auf Reize an einer Stelle ihres Körpers auf einer ganz anderen Stelle reagieren, dass sie also Information übertragen können, durch Nervenbahnen. Ihm fiel auch auf, dass sich etwa der Sonnentau extrem rasch bewegen kann, wenn er mit seinen Tentakeln Beute macht, die Signale müssen blitzschnell laufen, eben wie in Nerven.
Neuronen, zu Deutsch: Pflanzenfasern
Folgen wollte dieser Spekulation kaum jemand, obgleich Alexander von Humboldt schon bemerkt hatte, dass sich in Pflanzen elektrische Erregungen fortpflanzen, er vermutete ein gemeinsames bioelektrisches Prinzip bei Flora und Fauna. Aber die Zellwände der Pflanzen sind so dick, dass man ihnen wenig elektrische Kommunikation zutraut, also kein peripheres Nervensystem wie das der Tiere. Und ein zentrales – ein Gehirn – schon gar nicht, auch wenn die Gehirnzellen der Tiere ihren Namen wunderlicherweise aus dem Pflanzenreich haben: Das griechische „Neuron“ bedeutet „pflanzliche Faser“.
Sonnentau
Dieser Zufall besage überhaupt nichts, erklärte eine 33-köpfige Phalanx von Botanikern, als sie sich 2007 in Trends in Plant Science mit Wucht über Revolutionäre hermachte, die die Pflanzenkunde um ein neues Feld erweitern wollten, die Pflanzen-Neurobiologie. Die ist hinter der Intelligenz von Pflanzen her – breit definiert als „Fähigkeit, Probleme zu lösen“ –, sie sieht sie etwa, wie Darwin, in Wurzeln am Werk. Die bahnen sich ihren Weg nicht irgendwie, sondern mit Bedacht, sie weichen anderen Wurzeln aus. Ist das Intelligenz? Oder zeigt die sich bei der „Kommunikation“ der Pflanzen? Wenn eine von hungrigen Mäulern verletzt ist, fahren noch unattackierte Nachbarn ihre Abwehr hoch. Denn verletzte Pflanzen senden Duftstoffe aus. Wollen sie etwas mitteilen, wollen sie die Nachbarn warnen? Eher nicht: Was sie aussenden, sind Duftstoffe – zur Abwehr der Attacken –, keine Signale; aber diese Duftstoffe können von anderen Pflanzen als Signale wahrgenommen und interpretiert werden, das spräche schon für Intelligenz, die der Empfänger. Bemerken sie eine kommende Bedrohung und sorgen vor? Oder reagieren sie schlicht auf einen Reiz?
Ultima Ratio: Abtreibung des Samens
Letzteres kann es bei Berberitzen (Berberis vulgaris) kaum sein, diese Dornsträucher haben ein Problem, das sie mit Weitsicht lösen müssen, Katrin Meyer (Leipzig) hat es erkundet (American Naturalist, März 2014): Berberitzenfrüchte können von Parasiten befallen werden, Fruchtfliegen, deren Larven sich über die Samenkörner hermachen. Von denen gibt es in jeder Frucht entweder einen oder zwei. Sind es zwei, dann greift die Berberitze häufig, aber nicht immer und automatisch zu einer Ultima Ratio: Sie treibt den befallenen Samen ab – dieses Mittel gibt es auch anderswo im Pflanzenreich –, um den noch nicht befallenen Samen zu retten, am abgetriebenen verendet die Fruchtfliegenlarve, sie kommt nicht zum gesunden.
Ist hingegen nur ein Same in der Frucht, tut die Berberitze nichts, sie gibt ihn verloren und will nicht noch Energie für das Abtreiben aufwenden. „Es ist eine komplexe Entscheidung“, interpretiert Meyer, sie braucht „Erinnerung“ – daran, wie viele Samen da sind – und wägt „unter Vorwegnahme künftiger Risken – Verlust des zweiten Samens – ab“.
Wie weit denken Pflanzen voraus?
Berberitzen
regen die Debatte um die Intelligenz der Flora wieder an: Sie treffen
Entscheidungen, zu denen es Gedächtnis braucht und einen weiten Blick in
die Zukunft.
Er behandelt den Sonnentau wie eine lebende Kreatur, und ich vermute, dass er am Ende noch beweisen will, dass es sich um ein Tier handelt.“ Das schrieb Emma Darwin 1860 in einem Brief über ihren Mann, sie machte sich Sorgen um seinen Verstand, weil es für ihn, Charles, durchaus vorstellbar war, dass auch Pflanzen einen Verstand haben: Beim Wachsen der Wurzeln etwa ließen sie sich „von etwas gleich dem Gehirn niederer Tiere“ leiten. Das stammt von ihm, und es war nicht so dahergeschrieben, Darwin experimentierte viel und bahnbrechend mit Pflanzen und bemerkte etwa, dass sie auf Reize an einer Stelle ihres Körpers auf einer ganz anderen Stelle reagieren, dass sie also Information übertragen können, durch Nervenbahnen. Ihm fiel auch auf, dass sich etwa der Sonnentau extrem rasch bewegen kann, wenn er mit seinen Tentakeln Beute macht, die Signale müssen blitzschnell laufen, eben wie in Nerven.
Neuronen, zu Deutsch: Pflanzenfasern
Folgen wollte dieser Spekulation kaum jemand, obgleich Alexander von Humboldt schon bemerkt hatte, dass sich in Pflanzen elektrische Erregungen fortpflanzen, er vermutete ein gemeinsames bioelektrisches Prinzip bei Flora und Fauna. Aber die Zellwände der Pflanzen sind so dick, dass man ihnen wenig elektrische Kommunikation zutraut, also kein peripheres Nervensystem wie das der Tiere. Und ein zentrales – ein Gehirn – schon gar nicht, auch wenn die Gehirnzellen der Tiere ihren Namen wunderlicherweise aus dem Pflanzenreich haben: Das griechische „Neuron“ bedeutet „pflanzliche Faser“.
Sonnentau
Dieser Zufall besage überhaupt nichts, erklärte eine 33-köpfige Phalanx von Botanikern, als sie sich 2007 in Trends in Plant Science mit Wucht über Revolutionäre hermachte, die die Pflanzenkunde um ein neues Feld erweitern wollten, die Pflanzen-Neurobiologie. Die ist hinter der Intelligenz von Pflanzen her – breit definiert als „Fähigkeit, Probleme zu lösen“ –, sie sieht sie etwa, wie Darwin, in Wurzeln am Werk. Die bahnen sich ihren Weg nicht irgendwie, sondern mit Bedacht, sie weichen anderen Wurzeln aus. Ist das Intelligenz? Oder zeigt die sich bei der „Kommunikation“ der Pflanzen? Wenn eine von hungrigen Mäulern verletzt ist, fahren noch unattackierte Nachbarn ihre Abwehr hoch. Denn verletzte Pflanzen senden Duftstoffe aus. Wollen sie etwas mitteilen, wollen sie die Nachbarn warnen? Eher nicht: Was sie aussenden, sind Duftstoffe – zur Abwehr der Attacken –, keine Signale; aber diese Duftstoffe können von anderen Pflanzen als Signale wahrgenommen und interpretiert werden, das spräche schon für Intelligenz, die der Empfänger. Bemerken sie eine kommende Bedrohung und sorgen vor? Oder reagieren sie schlicht auf einen Reiz?
Ultima Ratio: Abtreibung des Samens
Letzteres kann es bei Berberitzen (Berberis vulgaris) kaum sein, diese Dornsträucher haben ein Problem, das sie mit Weitsicht lösen müssen, Katrin Meyer (Leipzig) hat es erkundet (American Naturalist, März 2014): Berberitzenfrüchte können von Parasiten befallen werden, Fruchtfliegen, deren Larven sich über die Samenkörner hermachen. Von denen gibt es in jeder Frucht entweder einen oder zwei. Sind es zwei, dann greift die Berberitze häufig, aber nicht immer und automatisch zu einer Ultima Ratio: Sie treibt den befallenen Samen ab – dieses Mittel gibt es auch anderswo im Pflanzenreich –, um den noch nicht befallenen Samen zu retten, am abgetriebenen verendet die Fruchtfliegenlarve, sie kommt nicht zum gesunden.
Ist hingegen nur ein Same in der Frucht, tut die Berberitze nichts, sie gibt ihn verloren und will nicht noch Energie für das Abtreiben aufwenden. „Es ist eine komplexe Entscheidung“, interpretiert Meyer, sie braucht „Erinnerung“ – daran, wie viele Samen da sind – und wägt „unter Vorwegnahme künftiger Risken – Verlust des zweiten Samens – ab“.
Tierische Intelligenz und kulturelle Tradierung.
aus scinexx
Auch Kakadus gucken voneinander ab
Soziale Weitergabe des Werkzeuggebrauchs erstmals bei Vögeln beobachtet
Figaro als "Vorturner"
Jetzt haben Figaro und seine Kollegen erneut für Aufsehen gesorgt. Denn in einem Experiment gelang ihnen etwas, das bisher nur von Primaten bekannt war: das "Abgucken" des Werkzeuggebrauchs. Alice Auersperg von der Universität Wien und ihre Kollegen ließen sechs Kakadus zuschauen, wie Figaro sein Stöckchen einsetzte, um eine Nuss aus einer vergitterten Versuchsbox herauszuholen.
Drei weitere Kakadus sahen, wie eine Nuss scheinbar von selbst auf Figaro zuwanderte – sie wurde unsichtbar durch einen Magneten bewegt. Weitere drei sahen, wie ein Stock – ebenfalls durch einen unsichtbaren Magneten gesteuert - die Nuss auf Figaro zuschob. Anschließend wurden alle Kakadu-"Schüler" ihrerseits vor eine Versuchsbox gesetzt und durften ihr Glück versuchen.
Soziale Weitergabe funktioniert
Wie sich zeigte, machte das Vorbild des "Lehrers" Figaro Schule: Alle sechs Kakadus, die ihm bei der Werkzeugnutzung zugesehen hatten, begannen eifrig, mit den bereitgelegten Holzstäbchen herumzuexperimentieren. Die drei Männchen hatten nach vier bis fünf "Schulstunden" den Dreh raus und angelten die Nuss nun ebenfalls mit einem Holzstöckchen aus dem Gitterkäfig. Die Weibchen gaben dagegen auf - wahrscheinlich, weil sie es gewohnt sind, gefüttert zu werden.
"Das ist der erste Beleg für eine soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung bei einem Vogel", konstatieren die Forscher. Denn nur wenn die Vögel einen ihrer Artgenossen in Aktion sahen, wie bei Figaro der Fall, ließen sie sich zur Werkzeugnutzung inspirieren. Bewegte sich nur die Nuss oder das Stäbchen wie von allein, konnten sie damit offenbar nicht viel anfangen.
Prinzip begriffen und verbessert
Doch damit nicht genug: Die drei erfolgreichen Nachahmer kopierten nicht nur, sondern entwickelten ihre ganz eigene Technik. Während Figaro von oben mit dem Stöckchen hinter die Nuss zielte und diese dann zu sich herschob, nutzten die drei anderen Kakadus eher eine Schleudertechnik:
Sie legten das Stöckchen auf den Boden und schoben es so in den Gitterkäfig hinein, dass sein Ende hinter der Nuss lag. Dann packten sie das Stöckchen so geschickt am anderen Ende, dass es eine schnellende Vorwärtsbewegung machte und die Nuss aus dem Käfig katapultierte. Wie die Forscher berichten, war diese Methode deutlich effektiver als die von Figaro – die Schüler hatten damit nicht nur von ihrem Lehrer gelernt, sondern ihn sogar noch übertroffen.
Anregung zum "Do-it-Yourself"-Bau
Einer der Goffin-Kakadus erwies sich zudem als ganz besonders innovativ: Er lernte nicht nur ein Werkzeug zu benutzen, sondern begann in einem weiteren Experiment sogar, sich ebenfalls Holzstöckchen aus einem größeren Holzstück herauszuknabbern – obwohl er diese Technik nie zuvor bei einem anderen Artgenossen gesehen hatte. Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass die soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung nicht nur zu Variationen in der Nutzungstechnik anregt, sondern auch weitere innovative Verhaltensweisen in diesem Kontext fördert.
"Es ist ein großer Unterschied, ob man einfach nur das Verhalten seines Lehrers nachahmt oder ob man dessen Erfolgsprinzip übernimmt, dann aber seine eigene Methode daraus entwickelt", erklärt Koautor Alex Kacelnik von der Oxford University. Denn Letzteres sei ein kreativer Prozess, der durch das soziale Lernen angestoßen wird – und damit anspruchsvoller als das bloße Kopieren. (Proceedings of the Royal Society B, 2014; doi: 10.1098/rspb.2014.0972)
(Royal Society / Universität Wien, 03.09.2014 - NPO)
Nota. - Wir sehen: Es wird immer schwieriger, das spezifisch Menschliche durch unsere Intelligenz zu definieren. Wohin man immer schaut - die Unterschiede werden immer fließender. Wenn es bei der Intelligenz lediglich um Steigerung ginge, wäre der Unterschied zwischen Mensch und Tier ganz relativ. Damit Intelligenz zu Vernunft wird, ist aber eine qualitative Zutat nötig.
JE
Tiere und Menschen: Der Unterschied wird immer kleiner.
Hüttengärtner
aus Die Presse, Wien, 8. 7. 2014
Schimpansen gehen mit der Mode
Unsere Cousins rücken uns immer näher: In der Kommunikation der Bonobos
hat man erstmals eine hochkomplexe Geste und bei Schimpansen Schmuck
bemerkt.
Wenn ein Bonobo, ob nun
Männchen oder Weibchen, einem anderen begegnet, der ihm gefällt und mit
dem er Spaß haben will, dann richtet er sich auf, stützt sich nur mit
einem Arm auf den Boden und streckt den anderen – meist den rechten– zum
Gegenüber hin. Dann schwingt er ihn in einem weiten Bogen zum Körper
zurück und dreht die Handfläche nach oben. Schließlich dreht er sich um,
steuert einen ruhigen Ort an, schaut ab und zu über die Schulter. Das
ist eine Einladung zum Sex – Bonobos (Pan paniscus) sind die
Schimpansen, die ihn häufig betreiben –, für die Beteiligten ist sie
eindeutig. Endlich haben auch Menschen, Emilie Genty und Klaus
Zuberbühler (Neuchâtel), die Botschaft verstanden.
Sie beobachten lange schon halb wild lebende Bonobos im Kongo, nun
haben sie 20 Einladungen zum Quickie auf Videos dokumentiert – 15 waren
erfolgreich. Sie sehen in der Geste nicht irgendein Signal, sondern
eines, das den Kontext zwischen zwei Individuen aufnimmt und etwas mit
räumlicher Bedeutung übermittelt: Es ist ein Herbeiwinken. Das braucht
hohe Intelligenz, bislang traute man diese unseren Cousins nicht zu.
Dabei weiß man seit Jane Goodall, dass Schimpansen ein breites Spektrum
an Gesten haben, 65 hat man bei den Schimpansen beobachtet, die wir so
nennen (Pan troglodytes), das reicht vom Stampfen auf den Boden bis zum
Vorzeigen von Blättern.
Lexikon der Schimpansengesten
Diese Gesten sind nicht so komplex, wie die eine der Bonobos es ist, aber auch sie übermitteln eine Intention, und auch sie haben eine geteilte und etablierte Bedeutung; alle Sender einer Gruppe verwenden sie, alle Empfänger verstehen sie. Wir endlich auch: Catherine Horbait und Richard Byrne (St.Andrews) haben erstmals durch Beobachtung frei lebender Schimpansen in Kenia ein Lexikon erstellt. Aus 4500 Gesten konnten 36 Typen mit einer festen Bedeutung extrahiert werden, 15 hatten eine eindeutige Bedeutung (die anderen können Verschiedenes signalisieren): Wer mit beiden Füßen aufstampft, will, dass der andere mit irgendetwas aufhört; wer einen anderen wegschicken will, schwingt einen Arm vor oder schüttelt ein Objekt; mit so einem winkt er schließlich, wenn ein anderer ihm folgen soll (Current Biology, 3.7.).
Lexikon der Schimpansengesten
Diese Gesten sind nicht so komplex, wie die eine der Bonobos es ist, aber auch sie übermitteln eine Intention, und auch sie haben eine geteilte und etablierte Bedeutung; alle Sender einer Gruppe verwenden sie, alle Empfänger verstehen sie. Wir endlich auch: Catherine Horbait und Richard Byrne (St.Andrews) haben erstmals durch Beobachtung frei lebender Schimpansen in Kenia ein Lexikon erstellt. Aus 4500 Gesten konnten 36 Typen mit einer festen Bedeutung extrahiert werden, 15 hatten eine eindeutige Bedeutung (die anderen können Verschiedenes signalisieren): Wer mit beiden Füßen aufstampft, will, dass der andere mit irgendetwas aufhört; wer einen anderen wegschicken will, schwingt einen Arm vor oder schüttelt ein Objekt; mit so einem winkt er schließlich, wenn ein anderer ihm folgen soll (Current Biology, 3.7.).
Das sind einfache Botschaften, und man weiß nicht, wie fein sie sich verästeln – ob Schimpansen auch über das Wetter plaudern? Allzu weit hergeholt ist es nicht. Zum Gestenschatz gehört bei einsetzendem Regen auch ein Regentanz – man weiß nicht, ob es regionale Dialekte gibt. Das ist stark zu vermuten, denn in einem anderen Segment der Schimpansenkultur, dem des Gebrauchens, gar Erfindens von Werkzeugen, gibt es sie: Nüsse werden mit verschiedenen Techniken geknackt, Termiten mit anderen Methoden geangelt; irgendeiner erfindet sie, die anderen übernehmen sie, dann gehen sie als lokale Traditionen von Generation zu Generation.
Dabei ging es bisher um Nützliches, aber jetzt kommt auch der Luxus und die Mode ins Spiel: 2010 gingen Edwin von Leeuwen (Nijmwegen) beim Beobachten von Schimpansen in Sambia die Augen über: In einer Gruppe steckte sich ein Weibchen (Julie) einen langen Grashalm ins Ohr, sie rückte ihn gut zurecht und behielt ihn den lieben langen Tag während aller Aktivitäten. Ihr Sohn Jack sah nicht lange untätig zu, er tat es nach, es folgten die beiden besten Freundinnen von Julie, am Ende tat es die ganze Gruppe (Animal Cognition, 11.6.).
Schmuck bezeugt bei uns Intelligenz
Sie tut es heute noch, obwohl Julie gestorben ist (ihr und ihrem Sohn widmen die Forscher die Arbeit), aber wozu? Bei unseren Ahnen gilt Schmuck als Zeichen sehr hoher Intelligenz, in der abstrakt und symbolisch gedacht wird, das kam vor etwa 70.000 Jahren. Aber was immer Julie damit wollte, sicher ist, dass es bei der ansteckenden Kraft des „grass-in-ear-behavior“ – so es nennt van Leeuwen neutral – um soziales Lernen geht, wie bei den Werkzeugen, wie bei den Gesten.
Vom Gestikulieren zum Sprechen?
Letztere haben eine noch tiefere Dimension, die jetzigen Beobachtungen beleben die alte Debatte über die Entstehung unserer Sprache. Babys gestikulieren, bevor sie sprechen, gattungsgeschichtlich könnte es auch so gewesen sein, und andere Primaten könnten in der Evolution vorgearbeitet haben: Bei ihnen rückt unter den Sinnen das Auge nach vorn, zugleich werden die Hände frei. Und wenn einer sieht, dass ein anderer die seinen bewegt, macht er das auch, zumindest im Gehirn: Spiegelneuronen imitieren Bewegungen, man hat es an Makaken bemerkt.
Diese Spiegel sind in letzter Zeit etwas umstritten, klar hingegen ist die Organisation des Ganzen: Unsere Sprachzentren sitzen in der linken Hirnhälfte, die Gestenzentren der Schimpansen auch. Zugleich ist die linke Hirnhälfte jene, die die Motorik der rechten Körperhälfte steuert, Hand inklusive. Diese meldet auch nach links oben, was sie macht, so könnten beide gemeinsam den Grundstock aller Sprachen gelegt haben. Das könnte auch dahinterstecken, dass die meisten von uns Rechtshänder sind – und dass die Bonobos mit der Rechten zum Tänzchen laden.
Nota.
Dass der Übergang von niederer zu höherer Intelligenz ein fließender und der zwischen Menschenaffen und Menschen auch gar kein so großer ist, hat sich langsam herumgesprochen. Dass die Anlagen zum Sprechen und womöglich zur Symbolbildung sich ebenfalls schon bei den Affen auffinden lassen, wäre da keine Sensation.
Als letzten spezifizierten Unterschied hatte ich das ästhetische Vermögen postuliert, das den Menschen befähigt, wertende Urteile zu fällen, die über die Erfordernisse von Selbst- und Arterhaltung hinausgehen. Ein erstes sichtbares Zeugnis dieses neuen Vermögens sollte der Körperschmuck gewesen sein, zuerst in Form von Bemalung; archäologisch belegt durch die regelmäßige Herstellung von verschiedenen Ockerfarben im südlichsten Afrika (ohne dass entsprechende Keramik gefunden wurde).
Auch geht es nicht um die Schärfe des Begriffs. Ist ein Grashalm im Ohr als Schmuck zu verstehen? Das Nachäffen durch die ganze Gruppe ist jedenfalls ein luxuriöses Verhalten, das, wenn sie es alle treiben, nicht einmal als Partnerwerbung aufgefasst werden kann. Die Frage ist im Ernst ja nicht, ob solches Verhalten in diesem oder dem Fall 'überhaupt möglich' ist, sondern welches die Bedingungen sind, unter denen es in der ganzen Art so habituell werden könnte, dass es der Artentwicklung eine ganz neue Dimension eröffnete.
Man denke an die Ziergärten der pazifischen Laubenvögel. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als darin eine 'ästhetische Praxis' zu erkennen. Aber über Jahrzehntausende ist es dabei geblieben, sie dient der Balz. Wenn ästhetische Urteilskraft im Spiel ist, hat sie jedenfalls zu keinem Zeitpunkt auf andere Gegenstände übergegriffen, sodass sich daraus eine neue kulturelle Tradition hätte entwickeln können.
Wahr bliebe allerdings, dass auch dieser Übergang vom Tier zum Menschen kein Sprung wäre, sondern 'nur' ein Gleiten.
JE
Nota. Die obigen Foto gehören mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen,
Und nun auch die Kakadus!
aus scinexx
Kakadus schaffen den Hakentest
Vögel biegen sich ihre Werkzeuge zur Angel zurecht – zumindest einige
Clevere Vögel: Nach den Krähen haben nun auch Goffini-Kakadus den "Hakentest" bestanden: Mit ein wenig Herumprobieren lernen die Vögel, sich einen Draht so zurechtzubiegen, dass sie mit ihm einen Futterkorb aus einem Rohr angeln können. Allerdings: Diesen komplexen Ablauf bewältigte nur eine Minderheit der Testkakadus – möglicherweise, weil diese Vögel im Unterschied zu Krähen nicht von Natur aus Werkzeuge kennen und nutzen, mutmaßen die Forscher.
Vor 15 Jahren verblüffte die Krähe Betty die Wissenschaftswelt: Biologen beobachteten, wie das Tier aus einem Draht einen Haken bog, um damit ein kleines Körbchen mit Futter aus einer Röhre zu angeln. Inzwischen ist auch von anderen Vögeln bekannt, dass sie Werkzeuge nutzen und herstellen. Vor allem die Goffini-Kakadus haben sich als erstaunlich clever erwiesen: Sie knacken Tresore, schlussfolgern logisch und wägen sehr genau ab, ob sich ein Einsatz lohnt.
Ein Draht, eine Nuss und ein Röhrchen
Ob die schlauen Kakadus auch mit der Krähe Betty mithalten können, haben Isabelle Laumer von der Universität Wien und ihre Kollegen nun untersucht. "Wir konfrontierten unsere Kakadus mit dem gleichen Problem wie Betty: Die Vögel erhielten ein mit einer Cashewnuss befülltes Körbchen am Boden eines vertikalen Plexiglasröhrchens und als einziges Hilfsmittel ein gerades Stück Draht", berichtet Laumer.
Um an den Inhalt des Körbchens zu gelangen, mussten die Vögel den Draht zu einem Haken verbiegen, das Werkzeug richtig herum einführen, den Haken in den Henkel einhängen und das Körbchen hochziehen – eine komplexe Abfolge von Schritten. In einem weiteren Versuch befand sich die Cashewnuss in der Mitte eines horizontalen Röhrchens. Um das Futter herausstoßen zu können, mussten die Tiere ein um 90 Grad gebogenes Drahtstück gerade biegen.
(Universität Wien, 06.09.2017 - NPO)
Nota. - Das ist der springende Punkt: Im Prinzip könnten sie, doch die Erfolgsquote ist gering; denn warum sollten sie? Der Erfolg der vier von dreizehn ist ja mehr der Langeweile in der Gefangenschaft geschuldet, als den Notwendigkeiten des Überlebens: Für sie ist gesorgt, da sind die Cashewkerne ein Luxus - auf den man aber auch ganz guz verzichten kann. Die Leistung der Vier ist fast Verschwendung, denn wenn der Versuch abgeschlossen ist, können sie biegen, so viel sie wollen: Cashewkerne wirds dafür nicht mehr geben. Tiere in freiner Wildbahn, die mit Selbsterhaltung voll beschäftigt sind, können sich keine Verschwendung leisten; jedenfalls nicht so oft, dass eine soziale Tradition daraus würde!
JE
Kakadus schaffen den Hakentest
Vögel biegen sich ihre Werkzeuge zur Angel zurecht – zumindest einige
Clevere Vögel: Nach den Krähen haben nun auch Goffini-Kakadus den "Hakentest" bestanden: Mit ein wenig Herumprobieren lernen die Vögel, sich einen Draht so zurechtzubiegen, dass sie mit ihm einen Futterkorb aus einem Rohr angeln können. Allerdings: Diesen komplexen Ablauf bewältigte nur eine Minderheit der Testkakadus – möglicherweise, weil diese Vögel im Unterschied zu Krähen nicht von Natur aus Werkzeuge kennen und nutzen, mutmaßen die Forscher.
Vor 15 Jahren verblüffte die Krähe Betty die Wissenschaftswelt: Biologen beobachteten, wie das Tier aus einem Draht einen Haken bog, um damit ein kleines Körbchen mit Futter aus einer Röhre zu angeln. Inzwischen ist auch von anderen Vögeln bekannt, dass sie Werkzeuge nutzen und herstellen. Vor allem die Goffini-Kakadus haben sich als erstaunlich clever erwiesen: Sie knacken Tresore, schlussfolgern logisch und wägen sehr genau ab, ob sich ein Einsatz lohnt.
Ein Draht, eine Nuss und ein Röhrchen
Ob die schlauen Kakadus auch mit der Krähe Betty mithalten können, haben Isabelle Laumer von der Universität Wien und ihre Kollegen nun untersucht. "Wir konfrontierten unsere Kakadus mit dem gleichen Problem wie Betty: Die Vögel erhielten ein mit einer Cashewnuss befülltes Körbchen am Boden eines vertikalen Plexiglasröhrchens und als einziges Hilfsmittel ein gerades Stück Draht", berichtet Laumer.
Um an den Inhalt des Körbchens zu gelangen, mussten die Vögel den Draht zu einem Haken verbiegen, das Werkzeug richtig herum einführen, den Haken in den Henkel einhängen und das Körbchen hochziehen – eine komplexe Abfolge von Schritten. In einem weiteren Versuch befand sich die Cashewnuss in der Mitte eines horizontalen Röhrchens. Um das Futter herausstoßen zu können, mussten die Tiere ein um 90 Grad gebogenes Drahtstück gerade biegen.
(Universität Wien, 06.09.2017 - NPO)
Nota. - Das ist der springende Punkt: Im Prinzip könnten sie, doch die Erfolgsquote ist gering; denn warum sollten sie? Der Erfolg der vier von dreizehn ist ja mehr der Langeweile in der Gefangenschaft geschuldet, als den Notwendigkeiten des Überlebens: Für sie ist gesorgt, da sind die Cashewkerne ein Luxus - auf den man aber auch ganz guz verzichten kann. Die Leistung der Vier ist fast Verschwendung, denn wenn der Versuch abgeschlossen ist, können sie biegen, so viel sie wollen: Cashewkerne wirds dafür nicht mehr geben. Tiere in freiner Wildbahn, die mit Selbsterhaltung voll beschäftigt sind, können sich keine Verschwendung leisten; jedenfalls nicht so oft, dass eine soziale Tradition daraus würde!
JE
Repräsentierende Raben.
aus derStandard.at, 23. April 2014, 17:03
Raben durchschauen Raben-Beziehungen
Und sie reagierten nicht nur auf die Männchen der eigenen Gruppe, sondern auch auf die im Nachbargehege, mit denen sie überhaupt nichts zu tun hatten – außer dass sie sie beobachten konnten. Das taten sie auch, sie waren über die Rangordnung der anderen bestens informiert Nature Communications, 22. 4.. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Raben geistige Repräsentationen über andere bilden“, schließt Massen. Das ist eine hohe Leistung, sie legt nahe, dass Raben viel Intelligenz für das haben, was sie brauchen, das Soziale. Bei der Selbstbeherrschung hingegen, über die nebenan berichtet wird, schnitten Rabenvögel – in diesem Fall Häher, sie erbringen ihre Leistungen mit einem kleinen Gehirn von 2,85 cm3 – eher mittelmäßig ab
Raben durchschauen Raben-Beziehungen
Wiener Wissenschafter sprechen von geistigen Repräsentationen, wie man sie höchstens Menschenaffen zugetraut hätte
Wien - Kolkraben wissen nicht nur über die Beziehungen der verschiedenen Mitglieder ihrer eigenen Gruppe zueinander bescheid, sie kennen offenbar auch die Hierarchien in Nachbar-Gruppen, zu denen sie nachweislich lediglich Sicht- und Hörkontakt hatten. Darüber berichten Wiener Forscher in der Fachzeitschrift "Nature Communications". Bisher wurde diese Fähigkeit nur bei Menschenaffen angenommen.
Das Experiment ...
Kolkraben leben in unterschiedlichen sozialen Beziehungen: Neben Paarbildung und vewandtschaftlichen Beziehungen gibt es auch Freundschaftsbande sowie strikte Dominanzhierarchien. Um herauszufinden, ob die Tiere verstehen, wie die Beziehungen von Mitgliedern von Gruppen, denen sie selbst nicht angehören, gestaltet sind, spielten Wissenschafter vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien den Vögeln Tonaufnahmen anderer Raben vor.
Darauf waren Tiere zu hören, die in der Forschungsstation Haidlhof bei Bad Vöslau bereits über ein Jahr hinweg im jeweils angrenzenden Gehege in Hör- und Sichtweite untergebracht waren. Die Kognitionsbiologen um Jorg Massen und Thomas Bugnyar ließen die Vögel einerseits Aufnahmen anhören, in denen zwei ihrer Nachbarn entweder so miteinander interagieren, wie es aufgrund der Rangordnung in ihrer Gruppe zu erwarten wäre. Andererseits lauschten die Raben auch Unterhaltungen, in denen die hierarchischen Verhältnisse umgedreht waren, indem ein niederrangigeres plötzlich ein höherrangiges Tier dominierte.
... und seine Ergebnisse
Es zeigte sich, dass die Raben auf eine solche Rollenumkehrung mit verstärktem Erkundungs- und Stressverhalten reagierten. Die überraschten Tiere drehten ihre Köpfe öfters, schüttelten sich häufiger, was darauf schließen lasse, dass ihre Erwartung an die Dominanzverhältnisse erschüttert wurden, berichten die Forscher. Daraus folgern sie, dass Raben auf die Beziehungsstrukturen von Artgenossen rein auf der Basis von Beobachtungen schließen können.
Es handle sich hier um den ersten experimentellen Nachweis von tatsächlichen geistigen Repräsentationen von Beziehungen bei Tieren, erklärte Massen. Darunter versteht man, dass die Raben sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen nicht als Referenz heranziehen können. Das Wissen über die Hierarchien unter ihren Nachbarn konnten sie nämlich nicht aus einer egozentrischen Perspektive heraus in jeder Situation neu ableiten. "Sie müssen wirklich eine Idee über die andere Gruppe und die Beziehungen in der Gruppe haben", so Massen.
Von Menschenaffen nehme man zwar an, dass sie dazu auch fähig sind, ein direkter experimenteller Nachweis sei allerdings schwierig und wurde auch noch nicht erbracht. "Was wir hier gemacht haben, war wirklich etwas Neues", so der Forscher.
APA/red,
Wien - Kolkraben wissen nicht nur über die Beziehungen der verschiedenen Mitglieder ihrer eigenen Gruppe zueinander bescheid, sie kennen offenbar auch die Hierarchien in Nachbar-Gruppen, zu denen sie nachweislich lediglich Sicht- und Hörkontakt hatten. Darüber berichten Wiener Forscher in der Fachzeitschrift "Nature Communications". Bisher wurde diese Fähigkeit nur bei Menschenaffen angenommen.
Das Experiment ...
Kolkraben leben in unterschiedlichen sozialen Beziehungen: Neben Paarbildung und vewandtschaftlichen Beziehungen gibt es auch Freundschaftsbande sowie strikte Dominanzhierarchien. Um herauszufinden, ob die Tiere verstehen, wie die Beziehungen von Mitgliedern von Gruppen, denen sie selbst nicht angehören, gestaltet sind, spielten Wissenschafter vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien den Vögeln Tonaufnahmen anderer Raben vor.
Darauf waren Tiere zu hören, die in der Forschungsstation Haidlhof bei Bad Vöslau bereits über ein Jahr hinweg im jeweils angrenzenden Gehege in Hör- und Sichtweite untergebracht waren. Die Kognitionsbiologen um Jorg Massen und Thomas Bugnyar ließen die Vögel einerseits Aufnahmen anhören, in denen zwei ihrer Nachbarn entweder so miteinander interagieren, wie es aufgrund der Rangordnung in ihrer Gruppe zu erwarten wäre. Andererseits lauschten die Raben auch Unterhaltungen, in denen die hierarchischen Verhältnisse umgedreht waren, indem ein niederrangigeres plötzlich ein höherrangiges Tier dominierte.
... und seine Ergebnisse
Es zeigte sich, dass die Raben auf eine solche Rollenumkehrung mit verstärktem Erkundungs- und Stressverhalten reagierten. Die überraschten Tiere drehten ihre Köpfe öfters, schüttelten sich häufiger, was darauf schließen lasse, dass ihre Erwartung an die Dominanzverhältnisse erschüttert wurden, berichten die Forscher. Daraus folgern sie, dass Raben auf die Beziehungsstrukturen von Artgenossen rein auf der Basis von Beobachtungen schließen können.
Es handle sich hier um den ersten experimentellen Nachweis von tatsächlichen geistigen Repräsentationen von Beziehungen bei Tieren, erklärte Massen. Darunter versteht man, dass die Raben sich selbst und ihre eigenen Erfahrungen nicht als Referenz heranziehen können. Das Wissen über die Hierarchien unter ihren Nachbarn konnten sie nämlich nicht aus einer egozentrischen Perspektive heraus in jeder Situation neu ableiten. "Sie müssen wirklich eine Idee über die andere Gruppe und die Beziehungen in der Gruppe haben", so Massen.
Von Menschenaffen nehme man zwar an, dass sie dazu auch fähig sind, ein direkter experimenteller Nachweis sei allerdings schwierig und wurde auch noch nicht erbracht. "Was wir hier gemacht haben, war wirklich etwas Neues", so der Forscher.
APA/red,
aus DiePresse.com, 23.04.2014 | 17:14
Wer sozial lebt, tut gut daran, sich in der eigenen Gruppe auszukennen und vor allem über die aktuellen Machtverhältnisse Bescheid zu wissen, das ist bei Menschen so, das ist bei anderen Primaten so, man kennt es auch bei Hyänen. Und wie ist es bei den Geflügelten, die in sozialen Dingen auch höchst kompetent sind, bei den Rabenvögeln? Von denen weiß man schon, dass sie sich auf der Futtersuche zusammentun, aber dann, wenn einer etwas gefunden hat, die Gefahren des Sozialen mit List abwehren: Hat ein Häher Futter, das er gerade nicht verzehren kann, lagert er es ein, er versteckt es irgendwo.
Aber vorher schaut er sich um, ob ihn ein anderer Häher beobachtet. Bemerkt er einen, versteckt er ganz auffällig etwas ganz anderes, einen Stein etwa, und im nächsten unbeobachteten Moment bringt er seine echte Beute in Sicherheit. Er kann sich also in den anderen hineinversetzen und dessen Züge durchkreuzen. Kann er sich auch so in ihn hineinversetzen, dass er den Rang eines jeden in der Gruppe im Bewusstsein hat? Jorg Massen Kognitionsbiologie Uni Wien) hat es getestet, in Playback-Experimenten, in denen anderen Rabenvögeln – Raben (Corvus corax) – aus versteckten Lautsprechern etwas vorgespielt wurde, die Stimmen von Mitraben.
Ohren lauschen geschlechtsspezifisch
Diese klangen entweder wie gewohnt – das Tier mit dem höheren Rang hatte das Sagen –, oder sie bargen eine verwirrende Überraschung: Das höherrangige Tier war plötzlich in der Rolle des niederrangigen. Die Überraschung kam an, vor allem die weiblichen Raben zeigten sie – sie haben generell einen niederen Rang – gegenüber Mitgliedern der eigenen Gruppe, und je älter sie wurden, desto hellhöriger reagierten sie. Und die Weibchen reagierten vor allem auf andere Weibchen, bei den Männchen war es ähnlich, die reagierten auf Männchen, nur nicht so stark.
Raben haben ihre Mitraben gut im Blick
Die Vögel beobachten den Rang anderer sowohl in der eigenen Gruppe wie auch bei Nachbarn.
Wer sozial lebt, tut gut daran, sich in der eigenen Gruppe auszukennen und vor allem über die aktuellen Machtverhältnisse Bescheid zu wissen, das ist bei Menschen so, das ist bei anderen Primaten so, man kennt es auch bei Hyänen. Und wie ist es bei den Geflügelten, die in sozialen Dingen auch höchst kompetent sind, bei den Rabenvögeln? Von denen weiß man schon, dass sie sich auf der Futtersuche zusammentun, aber dann, wenn einer etwas gefunden hat, die Gefahren des Sozialen mit List abwehren: Hat ein Häher Futter, das er gerade nicht verzehren kann, lagert er es ein, er versteckt es irgendwo.
Aber vorher schaut er sich um, ob ihn ein anderer Häher beobachtet. Bemerkt er einen, versteckt er ganz auffällig etwas ganz anderes, einen Stein etwa, und im nächsten unbeobachteten Moment bringt er seine echte Beute in Sicherheit. Er kann sich also in den anderen hineinversetzen und dessen Züge durchkreuzen. Kann er sich auch so in ihn hineinversetzen, dass er den Rang eines jeden in der Gruppe im Bewusstsein hat? Jorg Massen Kognitionsbiologie Uni Wien) hat es getestet, in Playback-Experimenten, in denen anderen Rabenvögeln – Raben (Corvus corax) – aus versteckten Lautsprechern etwas vorgespielt wurde, die Stimmen von Mitraben.
Ohren lauschen geschlechtsspezifisch
Diese klangen entweder wie gewohnt – das Tier mit dem höheren Rang hatte das Sagen –, oder sie bargen eine verwirrende Überraschung: Das höherrangige Tier war plötzlich in der Rolle des niederrangigen. Die Überraschung kam an, vor allem die weiblichen Raben zeigten sie – sie haben generell einen niederen Rang – gegenüber Mitgliedern der eigenen Gruppe, und je älter sie wurden, desto hellhöriger reagierten sie. Und die Weibchen reagierten vor allem auf andere Weibchen, bei den Männchen war es ähnlich, die reagierten auf Männchen, nur nicht so stark.
Und sie reagierten nicht nur auf die Männchen der eigenen Gruppe, sondern auch auf die im Nachbargehege, mit denen sie überhaupt nichts zu tun hatten – außer dass sie sie beobachten konnten. Das taten sie auch, sie waren über die Rangordnung der anderen bestens informiert Nature Communications, 22. 4.. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Raben geistige Repräsentationen über andere bilden“, schließt Massen. Das ist eine hohe Leistung, sie legt nahe, dass Raben viel Intelligenz für das haben, was sie brauchen, das Soziale. Bei der Selbstbeherrschung hingegen, über die nebenan berichtet wird, schnitten Rabenvögel – in diesem Fall Häher, sie erbringen ihre Leistungen mit einem kleinen Gehirn von 2,85 cm3 – eher mittelmäßig ab
. jl
Gründelnde Ethik.
aus NZZ, 12. 9. 2013 pixelpart / pixelio.de
Otfried Höffe: Ethik. Eine Einführung. C. H. Beck, München 2013. 128 S., Fr. 13.50.
Nota.
Der phänomenale Ausgangspunkt einer jeden nach Gründen suchenden Ethik ist die faktische Gegebenheit der positiven Moralen rund um den Erdball und auf allen Kulturstufen. Sie wirft die Frage auf nach einer Verwurzelung des ubiquitären Moralismus in der Conditio humana selbst. Diese wiederum zerfällt in die Frage, was der Mensch historisch (geworden) ist, und die Frage, was er heute daraus machen will, d. h. soll.
Historisch ist nicht davon zu abstrahieren, dass die Menschen, d. h. ihre Vorfahren den Sprung aus der Urwaldnische in die offene Welt der Savannen nicht hätten überstehen können ohne eine Festiguung und Formalisierung ihrer gemeinschaftlichen Lebensweise. Aus der Blutsverwandtschaft und dem Totemismus entstand das positive Recht; es kompensiert in vieler Hinsicht die mit seiner Weltoffenheit korrelieren 'Istinktentbundenheit'.
In anderer Hinsicht korreliert mit der Weltoffenheit des Menschen seine Freiheit. Merkwürdig, dass das Wort in dieser Rezension nicht vorkommt. Bei Otfried Höffe nicht? Denn dass U. J. Wenzel es andernfalls übergangen hätte, kann ich kaum glauben. Dem Tier ist durch die Anpasssungleistungen seiner Gattungsgeschichte der Platz, der ihm in seiner Umweltnische zukommt, angewiesen. Das Invividuum lebt, wie seine Gattung lebt. Die Menschen jedoch haben kollektiv eine eigene Geschichte, weil auch die Individuen ihre eigenen Geschichten haben. Mit andern Worten: Seit der Neueröffnung der Welt aus der selbstgemachten, sekundären Nische des Ackerbaus durch die große Industrie und die bürgerliche Verkehrsgesellschaft muss ein jedes Individuum sein eigenes Leben führen. Was es zu tun hat, ist ihm nicht eingeboren. Es muss danach fragen - und wen, wenn nicht sich selbst?
"Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen."
Novalis, Allgemeines Brouillon, N°670
J.E
Gründliche Ethik
Die Moral und die Frage nach dem Warum - ein neues Buch von Otfried Höffe
Uwe Justus Wenzel ·
Der Mensch ist vergesslich. Darum muss er immer wieder einmal gesagt
bekommen, was seine Bestimmung ist - salopper formuliert: was in ihm
steckt. In ihm stecken, wie die vielen kursierenden
Homo-dies-und-Homo-das-Formeln verraten, viele verschiedene Menschen:
ein schmeckender und einsichtsvoller Mensch (der «Homo sapiens»), ein
tuender und machender, ein tötender, ein denkender, ein sprechender, ein
spielender und so fort. Manche sehen im Menschen auch das Tier oder
mancherlei Tiere; jedenfalls lassen die Prägungen nach dem Muster des
«Animal rationale», des vernunftbegabten Tieres (freilich auch:
Lebewesens), dies vermuten.
Otfried Höffe, der am heutigen 12.
September siebzig wird, hat den vielfach begabten, aber vergesslichen
Menschen mehr als einmal daran erinnert, dass in ihm ein «Animal morale»
stecke. Und da das Moraltier (oder Moralwesen) im Menschen
gewissermassen schlummert, ist der Mensch nicht schon an sich moralisch,
sondern, wie der Philosoph es nennt, nur erst ein «Animal morabile»,
ein zur Moral fähiges Lebewesen. In einem neuen Büchlein, das in die
Ethik einführen will, schreibt Höffe, der Mensch sei zur Moral nicht nur
fähig, sondern auch «berufen».
Den Ruf des moralischen Sollens
hört Höffe nicht nur und nicht erst aus dem Munde der kultur- und
geistesgeschichtlich sozusagen voll ausgebildeten Vernunft erschallen,
er registriert vielmehr einen «basaleren Imperativ», der dem Menschen
bereits als Naturwesen, näherhin als «biologischem Multitalent»,
moralisch Beine mache. Der Autor, der die Erläuterungen zu dieser
Überlegung knapp hält, scheint das «basalere» Sollen aus dem hervorgehen
zu sehen, was die philosophische Anthropologie als «Weltoffenheit» des
Menschen charakterisiert: Das Naturwesen Mensch ist seiner eigenen Natur
und seinen Lebensumständen nicht völlig ausgeliefert; der Mensch ist,
mit Nietzsche gesprochen, das «nicht festgestellte Tier». Aus dieser
Offenheit, die im Lichte der Instinktsicherheit der anderen, der
«festgestellten» Tiere auch als Mangel begriffen werden kann, erwächst
die Nötigung, Verbindlichkeiten der Lebensführung allererst zu schaffen.
Solches Müssen ist noch kein Sollen, aber doch wohl dessen Vorform.
Weltoffenheit, so Höffe explizit,
bedeute ausserdem: Energie- und Antriebsüberschuss, der der Intelligenz
zugutekomme, der aber auch Allmachtsphantasien befördere. Darum lasse
sich der Mensch als «einen Affen definieren, der gelegentlich wie Gott
sein will». - Bei so viel Ambivalenz, die die anthropologische
Grundausstattung des «Animal morabile» mit sich bringt, nimmt es nicht
wunder, dass Höffe - nachdem er schulmässig Methoden und Modelle der
Ethik aufgefächert und sortiert hat - auch der Frage «Warum moralisch
sein?» ein kleines Kapitel widmet. Eine «gründliche Ethik» dürfe ihr,
die recht eigentlich die doppelte Frage nach dem Warum des Sollens wie
auch die nach dem Warum des Wollens meine, nicht ausweichen.
Soweit die Frage die Rechtsmoral
betreffe, ergebe sich die Antwort von selbst: «Man soll es, weil man es
einander schuldet. Die Menschen haben ein Recht darauf, weder betrogen
noch bestohlen oder getötet zu werden.» Sobald es aber um die
«verdienstlichen Pflichten», um die im engeren Sinne moralische
Verbindlichkeit geht - um das also, was Menschen nicht von anderen,
sondern nur von sich selbst fordern können -, ist die Frage
augenscheinlich nicht so einfach zu beantworten. Höffe bringt ein
«Interesse an moralischer Selbstachtung» ins Spiel. Allerdings bleibt
undeutlich, ob dies Interesse selbst schon ein moralisches, mithin
selbst- und interesseloses Interesse sein kann. Hier macht sich
bemerkbar, dass, wie Höffe zu Beginn schreibt, Moral in
anthropologischer Perspektive «eine merkwürdige Mischung» sei - eine
Mixtur aus «Sollen, Bedürfnis und Sein».
An einer Stelle heisst es, die
Frage «Warum moralisch sein?» zu stellen, sei selbst so etwas wie eine
moralische Pflicht. Von hier aus wäre der Schritt zu einem Gedanken
Nietzsches nicht weit, wonach die Frage nach dem Warum als die
zeitgemässe, die «jetzige Form der Moralität selbst» angesehen werden
solle. - In solchen Passagen von Höffes neuem Buch zeigt sich, dass sein
Autor bei aller erworbenen und in rund zwanzig Werken zu Themen der
Ethik dokumentierten Routine das Grübeln nicht ganz vergessen hat - das
Grübeln, das das nicht geschäftsmässige Kerngeschäft der Philosophie
ist. Vielleicht gibt Otfried Höffe dieser sublimen Art intellektueller
Rechtschaffenheit (um noch einmal mit Nietzsche zu reden) in einem
anderen Buch dereinst mehr Raum.
Otfried Höffe: Ethik. Eine Einführung. C. H. Beck, München 2013. 128 S., Fr. 13.50.
Nota.
Der phänomenale Ausgangspunkt einer jeden nach Gründen suchenden Ethik ist die faktische Gegebenheit der positiven Moralen rund um den Erdball und auf allen Kulturstufen. Sie wirft die Frage auf nach einer Verwurzelung des ubiquitären Moralismus in der Conditio humana selbst. Diese wiederum zerfällt in die Frage, was der Mensch historisch (geworden) ist, und die Frage, was er heute daraus machen will, d. h. soll.
Historisch ist nicht davon zu abstrahieren, dass die Menschen, d. h. ihre Vorfahren den Sprung aus der Urwaldnische in die offene Welt der Savannen nicht hätten überstehen können ohne eine Festiguung und Formalisierung ihrer gemeinschaftlichen Lebensweise. Aus der Blutsverwandtschaft und dem Totemismus entstand das positive Recht; es kompensiert in vieler Hinsicht die mit seiner Weltoffenheit korrelieren 'Istinktentbundenheit'.
In anderer Hinsicht korreliert mit der Weltoffenheit des Menschen seine Freiheit. Merkwürdig, dass das Wort in dieser Rezension nicht vorkommt. Bei Otfried Höffe nicht? Denn dass U. J. Wenzel es andernfalls übergangen hätte, kann ich kaum glauben. Dem Tier ist durch die Anpasssungleistungen seiner Gattungsgeschichte der Platz, der ihm in seiner Umweltnische zukommt, angewiesen. Das Invividuum lebt, wie seine Gattung lebt. Die Menschen jedoch haben kollektiv eine eigene Geschichte, weil auch die Individuen ihre eigenen Geschichten haben. Mit andern Worten: Seit der Neueröffnung der Welt aus der selbstgemachten, sekundären Nische des Ackerbaus durch die große Industrie und die bürgerliche Verkehrsgesellschaft muss ein jedes Individuum sein eigenes Leben führen. Was es zu tun hat, ist ihm nicht eingeboren. Es muss danach fragen - und wen, wenn nicht sich selbst?
"Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen."
Novalis, Allgemeines Brouillon, N°670
J.E
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Logische Krähe.
aus Der Standard, 22. 10. 2014
Kluge Krähen beim Computerspielen
Können
Krähen logisch überlegen? Eine Wiener Verhaltensbiologin geht dieser
Frage nach, indem sie die Vögel vor ein Touchscreen setzt und ihnen
Aufgaben stellt
Grünau - Walter will nicht. Das Tier steht an der Tür, schaut immer wieder misstrauisch zu dem fremden Besucher herüber und schimpft laut krächzend. Ja, er beschwert sich, meint Theresa Rößler. Alles Neue sei ihm grundsätzlich suspekt. Das wird heute anscheinend nichts mehr mit dem Test. Zumindest nicht, solange dieser Mann da ist. Ein Jammer.
Walter ist eine Aaskrähe, zoologisch Corvus corone, und Rößler Studentin der Universität Wien, die zurzeit an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) in Grünau für ihre Masterarbeit im Bereich Verhaltensbiologie gastiert. Ihr Interesse gilt den kognitiven Fähigkeiten der schwarzen Vögel. Dabei geht es um grundsätzliche Logik.
Können die Tiere nach dem Ausschlussprinzip vorgehen und so zielstrebig Entscheidungen treffen? Welche Informationen benötigen sie dazu? Um diese Fragen zu klären, führt Rößler mit fünf in einer Voliere lebenden Krähen Experimente durch. Deren Behausung steht im benachbarten Cumberland-Wildpark.
Zweimal täglich treten die geflügelten Studienteilnehmer vor einem Computer mit Touchscreen an und bekommen dort verschiedene Symbole zur Auswahl vorgesetzt. Wenn sie das richtige anpicken, gibt's jedes Mal eine kleine Leckerei. Aber Walter will jetzt nicht, und seine Artgenossin Bärbel traut sich erst gar nicht an die Tür, so viel Angst hat sie.
Doch dann hat Theresa Rößler eine Idee. Im Inneren des Voliere-Gebäudes steht ein Käfig leer. Wenn der Zuschauer hinter dessen Gitter gehen würde und sie den Eingang abschließt, könnte es
vielleicht klappen. Krähen verstehen nämlich das Konzept des Einsperrens, erklärt die Nachwuchsforscherin.
Gesagt, getan. Rößler macht demonstrativ das Vorhängeschloss zu, der Fremde sitzt gefangen. Und das ändert offenbar alles. Walter hat den Vorgang aufmerksam beobachtet. Er legt den Kopf schräg, schaut sich den Eingesperrten noch einmal genau an, und stapft anschließend mit erhobenem Haupt an ihm vorbei. Auf zum Rechner.
Symbole picken
Ab diesem Moment verläuft alles nach Plan. Der Vogel hüpft auf den Sitzstock vor dem Touchscreen und legt los. Das Programm zeigt ihm jedes Mal zwei kleine Bilder nebeneinander - ein Zelt und eine Blume zum Beispiel. Was sie darstellen, ist unwichtig. Aber eines davon bedeutet Nahrung, das andere nicht.
Manche Symbole kennt Walter bereits. Er pickt das Zelt an. Sofort rollt in das Näpfchen unter dem Bildschirm ein Stück Hundekuchen. Später erscheint die Blume erneut, diesmal in Kombination mit einem Baum. Die Krähe wählt Letzteren, und wieder gibt es ein Leckerli. Anscheinend hat sich das Tier gemerkt, dass die Blume zuvor für ein negatives Ergebnis stand. Folglich müsste das neue, unbekannte Bild Futter erbringen. Logik nach dem Ausschlussprinzip eben.
Der Test verläuft erstaunlich schnell. "Ich muss mich auch konzentrieren", sagt Rößler. Walter ist nach gut vier Minuten fertig. Von 20 Kombinationen hat er bei 18 sofort das richtige Motiv angepeilt und nur in zwei Fällen knapp daneben gepickt. Da musste er nur kurz nachsetzen. Fehlentscheidungen: keine. "Er ist zurzeit sehr motiviert", sagt Rößler lächelnd.
Die Studentin basiert ihre Arbeit auf den Ergebnissen einer Reihe vorangegangener Studien. Nicht nur am KLF befassen sich Verhaltensforscher zunehmend mit der tierischen Kognition. Sie suchen dabei unter anderem nach dem evolutionären Ursprung solcher Fähigkeiten. So lassen sich vielleicht auch neue Einblicke in die Entstehung der menschlichen Intelligenz gewinnen. Abgesehen davon wird zunehmend klar, dass die Trennlinie zwischen Homo sapiens und diversen anderen Spezies gar nicht so scharf ist, wie man lange gerne glaubte.
Bisher konnte das Ausschlussprinzip als Entscheidungsgrundlage bereits bei mehreren Tierarten nachgewiesen werden, darunter bei Menschenaffen wie Schimpansen, aber auch bei Hunden. Unter den Vögeln zeichnen sich vor allem Kolkraben durch logisches Vorgehen bei schnellen Entscheidungen aus. Die ebenfalls als überaus klug geltenden Keas - neuseeländische Papageien - scheinen derartige Fähigkeiten nicht so einzusetzen. Sie suchen einfach nur intensiver, wie ein direkter Vergleich zwischen beiden Vogelspezies gezeigt hat.
Der Unterschied könnte im Fressverhalten begründet liegen, glauben Experten wie Thomas Bugnyar von der Universität Wien und dessen ehemaliger Student Christian Schlögl. Keas ernähren sich überwiegend von Früchten, Samen und Wurzeln, die sie am Boden finden und sofort verzehren. Raben dagegen leben als junge, sich noch nicht fortpflanzende Vögel einige Jahre lang in Gruppen zusammen. Dort herrscht ein starker Konkurrenzdruck.
Tricksen und tarnen
Die Tiere treten häufig auch gemeinsam bei einer ergiebigen Nahrungsquelle wie zum Beispiel einem Kadaver an. Wer sich eines schönen Futterbrockens bemächtigt hat, versteckt ihn zunächst gerne. Die Artgenossen schauen allerdings oft zu, weil sie den Leckerbissen später stehlen wollen. Der Eigentümer wiederum versucht, seine Beute durch Täuschungsmanöver zu schützen. Tricksen und Tarnen gehört bei Jungraben somit zum Alltag.
Interessanterweise zeigen die nah verwandten Dohlen kein solches Verhalten. Diese kleineren schwarzen Gesellen fressen hauptsächlich Insekten, Würmer und dergleichen, welche sofort verschluckt werden. Verstecken ist nicht nötig. Schlögl hat die oben erwähnten Tests zum Vergleich von Raben und Keas auch bei Dohlen durchgeführt und stellte fest, dass Letztere anscheinend nicht nach dem Ausschlussprinzip vorgehen. Ein weiterer Hinweis auf den Ursprung dieser Logik, zumindest bei Vögeln.
Diese Form der Kognition könnte infolge des Versteckens von Futter entstanden sein - als Anpassung an das Gruppenleben und die dabei auftretende Nahrungskonkurrenz. Den Dohlen hingegen ist diese Fähigkeit womöglich sogar nachträglich abhandengekommen, als sie im Laufe der Evolution eine Ernährungsumstellung durchmachten und ihr Futter nicht mehr zu verbergen brauchten. Wenn man ein Talent nicht nutzt, verkümmert es.
Krähen jedoch sind den Raben viel ähnlicher. Sie treten ebenfalls oft in Trupps auf, und ähnlich wie ihre größeren Verwandten verstecken sie gerne ihren Proviant. Ihr sozialer Zusammenhalt ist gleichwohl ausgeprägter, meint Theresa Rößler. Das zeige sich besonders bei äußeren Bedrohungen wie zum Beispiel Raubvögeln. Neulich tauchte ein Uhu in der Nähe des Wildparks auf, berichtet Rößler. "Der wurde von fünf Krähen durchs Tal getrieben."
Rößlers Untersuchungen sollen nun klären, ob Corvus corone ebenfalls nach dem Ausschlussverfahren seine Auswahl trifft. Die ersten Ergebnisse scheinen darauf hinzudeuten. Eine wissenschaftliche Auswertung der Daten steht allerdings noch aus, betont die Studentin. Walter ahnt von all dem nichts. Er hat seine zweite Testreihe für heute beendet und bekommt zur Belohnung noch Grammeln. Krähen lieben Speck, sagt Rößler. "Je fetter, desto besser." Aber könnten Sie bitte noch das Schloss an der Tür aufsperren? "Ach ja, natürlich." Fast hätte sie es vergessen.
Ob der Mensch sich selbst entwirft?
aus nzz.ch, 20. 9. 2015
Bilden, optimieren, perfektionieren
Über neue Menschen, Bioingenieure und Transhumanisten
Wollen wir überhaupt noch Menschen sein? – Diese Frage drängt sich angesichts einiger wissenschaftlich-technischer Bestrebungen und Visionen der Gegenwart auf.
von Konrad Paul Liessmann
Alles wird besser. Auch der Mensch. Schon vor der Geburt beginnen die Optimierungsprogramme, die dafür sorgen sollen, dass später umfassend Kompetenzen angeeignet, Begabungen erkannt und Höchstleistungen erbracht werden können. Der Körper wird trainiert und modelliert, richtige Ernährung, leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel und eine langfristigeAnti-Aging-Strategiesorgen für effiziente Nutzung der physischen Ressourcen, kleine Defizite und Verfallserscheinungen werden durch die ästhetische Chirurgie, grössere durch künstliche Implantate und intelligente Prothesen korrigiert. Das Hirn wird umfassend gefördert, mit chemischen Substanzen gedopt, mit digitalen Informations- und Kommunikationsmedien kurzgeschlossen, die Seele wird durch Psychopharmaka von allen Irritationen befreit und durch permanente Kontrolle im Gleichgewicht gehalten. Am Ende solcher Optimierungsprozesse steht die Version eines perfekten, transhumanen Wesens, das reibungslos funktioniert und dem alles Menschliche fremd geworden ist.
Giovanni Pico della Mirandola
Noch sind wir nicht so weit. Aber unser Bild vom Menschen hat sich grundlegend gewandelt. Was der Mensch ist, wissen wir in einem ontologischen oder anthropologischen Sinn heute weniger denn je. Begriffe wie «Exzentrizität» oder «Mängelwesen» haben ihre Plausibilität verloren, im Grunde lässt sich Menschsein nur als offenes Projekt beschreiben. An die Stelle vermeintlicher anthropologischer Gewissheiten treten Modelle und Konzepte, die den Menschen immer wieder neu denken. Aktuell arbeiten wir am Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn: Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.
Am Beginn jener Bilderkette, die den Menschen als das Wesen zeigt, das sich selbst überhaupt erst entwerfen und gestalten muss, steht die Renaissance-Anthropologie des Humanisten Giovanni Pico della Mirandola, der die universelle Autoplastizität des Menschen gelehrt hatte. In seiner grandiosen Rede über die Würde des Menschen aus dem Jahre 1486 lässt Pico della Mirandola Gottvater zu seinem Geschöpf sagen: «Den übrigen Wesen ist ihre Natur durch die von uns vorgeschriebenen Gesetze bestimmt und wird dadurch in Schranken gehalten. Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen sogar jene Natur dir selbst vorherbestimmen.»
Man mag das als Beginn der neuzeitlichen Hybris des Menschen zur Selbstermächtigung und auch Selbstschöpfung deuten oder als vertiefte Reflexion jenes Verdachts, der den Menschen umtreibt, seit er über sich nachdenkt: dass er dasjenige Wesen ist, das sich selbst immer erst herstellen muss. Zumindest seit Nietzsches Bemerkung, dass der Mensch das «nicht festgestellte Tier» sei, gehört die Annahme einer fundamentalen Plastizität und Weltoffenheit des Menschen zu den Grundüberlegungen der modernen philosophischen Anthropologie. Vergessen wird, dass Nietzsche diese Offenheit als Symptom einer «krankhaften Entwicklung» gewertet hat. Günther Anders allerdings, der Autor der «Antiquiertheit des Menschen» und einer der schärfsten Kritiker der technischen Zivilisation, hatte diesen Befund in jungen Jahren auf den Punkt gebracht, als er von der «Pathologie der Freiheit» des Menschen sprach und diese mit dem eleganten Satz charakterisierte: «Künstlichkeit ist die Natur des Menschen, und sein Wesen ist Unbeständigkeit.»*
Die Möglichkeiten des Menschen, sich selbst immer wieder neu zu bestimmen und zu entwerfen, das nicht zuletzt von Nietzsche propagierte Pathos der Selbstschöpfung – «Wir sind die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden» – hatte nicht nur eine stark ästhetische Ausrichtung, sondern fand im Ich auch den entscheidenden Massstab: «Wir aber wollen die werden, die wir sind.» Man kann diesen Anspruch des modernen Menschen auf permanente «Selbsterfindung» als ein Projekt der «Autoinvenienz» bezeichnen; der Akzent läge dabei aber auf dem poetisch-kreativen Umgang mit den Möglichkeiten der Selbstgestaltung.
«Human Enhancement»
Die aktuellen Debatten, die weniger das ästhetische Potenzial als vielmehr die technischen Möglichkeiten der Veränderung des Menschen sehen, sprechen denn auch lieber von «Human Enhancement» und zielen ebenso auf die Optimierung des menschlichen Körpers und seiner Leistungsfähigkeit wie auf die Möglichkeiten, geistige und emotionale Dispositionen zu verbessern. Mithilfe technischer, chemischer, chirurgischer oder auch genetischer Veränderungen, Eingriffe und Ergänzungen sollen vorhandene Fähigkeiten verbessert und vor allem beschleunigt werden: Das Gedächtnis soll leistungsfähiger werden, mehr Informationen sollen in kürzerer Zeit verarbeitet werden, der Mensch soll sich schneller bewegen und ausdauernder werden, er soll seine Gesundheit, das heisst die entsprechenden Werte – Puls, Blutdruck, Fettablagerungen usw. – optimieren, er soll überhaupt länger leben, weniger schlafen und sich richtig ernähren.
Während Nietzsches Prozess der Selbstschaffung noch den kreativen Überschuss, die Verausgabung, die Verschwendung und den dionysischen Rausch kannte, dominieren im Konzept der Selbstoptimierung das rational verbrämte Kalkül der Effizienz und der olympische Gedanke: citius, altius, fortius – schneller, höher, stärker. Es wundert so wenig, dass der Sport auch als Experimentierfeld für die Möglichkeiten des Human Enhancement betrachtet werden kann. Doping in all seinen Varianten zeigt, wie weit wir es bringen können.
Geht es um die Verbesserung des Menschengeschlechts, sind unserer Phantasie schon seit langem wenig Grenzen gesetzt. Den meisten dieser Konzeptionen liegt die Überzeugung zugrunde: Der Mensch, wie er ist, soll oder wird verschwinden. Wie dies zu bewerkstelligen ist – darüber gehen die Phantasien allerdings auseinander. Grob lassen sich zwei «Denkschulen» unterscheiden: Einmal die der Bioingenieure, denen es um die Verbesserung des genetischen Ausgangsmaterials des Menschen geht, zum anderen die der Transhumanisten, die vor allem mithilfe der künstlichen Intelligenz den Menschen überhaupt durch Maschinen ablösen wollen.
Die Konzeptionen einer biologischen und genetischen Optimierung des Menschen erinnern natürlich an die eugenischen Projekte der jüngeren Vergangenheit. Anders als in den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts setzt eine moderne liberale Eugenik allerdings nicht auf zentrale Steuerung und gewaltsame Durchsetzung genetischer Züchtungsutopien, sondern der Einzelne, vor allem also die Eltern, sollen nach dem Modell eines freien Marktes jene Optionen ergreifen und zur Optimierung ihrer Kinder nutzen, die durch die biomedizinischen Technologien schon bereitgestellt worden sind bzw. in naher Zukunft noch bereitgestellt werden könnten. Die Medizin hört auf, in erster Linie Krankheiten zu therapieren und Defizite oder Mängel auszugleichen, sondern wird zu einer Technik, der es wesentlich um die Optimierung des gesunden Menschen geht, um die Steigerung seiner Fähigkeiten: Das gesunde Auge wird nun geschärft, das gesunde Gehirn gedopt, der gesunde Körper perfektioniert, die gesunde Seele auf zusätzliche Belastbarkeit programmiert, das gesunde Leben verlängert, weit über bisher bekannte Lebensspannen hinaus, vielleicht bis zur physischen Unsterblichkeit.
Funktionale Unsterblichkeit
Die andere Fraktion setzt demgegenüber auf die Ablösung der biologischen Evolution durch die Weiterentwicklung der Maschinen. Das Konzept des Cyborgs, des durch implantierte komplexe Technologien optimierten Mensch-Maschine-Mischwesens, wird dabei zunehmend überboten von der Vision transhumaner Wesen, die entweder aus den von Menschen entwickelten Robotern entstehen sollen oder aus der Möglichkeit, Bewusstsein und damit die Identität des Menschen vollständig digital abzubilden, zu speichern und so einer neuen Existenzform zuzuführen, die, ganz nebenbei, das Malaise der Leiblichkeit und die damit verbundene Endlichkeit des Menschen überwinden soll.
Dass gerade unter Vertretern der sogenannten Zukunftstechnologie die ganz alte Vorstellung einer möglichen Trennung von Geist und Körper wieder in den Vordergrund rückt, mag verwundern, entspricht aber nur der Beobachtung, dass wir auch mit avanciertesten technischen Möglichkeiten immer wieder auf historisch verbürgte Konzeptionen zurückgreifen. Die Idee, Bewusstsein lasse sich maschinell reproduzieren und einer funktionalen Unsterblichkeit zuführen, wie sie von dem aus Österreich stammenden amerikanischen Computerwissenschafter Hans Moravec formuliert wurde, liesse sich auch als säkularisierte gnostische Erlösungssehnsucht lesen. Hinter den Träumen vom Cyborg, gar von der reinen Maschine, der virtuellen «Superintelligenz», steht womöglich dieselbe Leibfeindlichkeit, für die das Christentum – zu Recht oder zu Unrecht – gegeisselt worden war.
Am Ende dieser Optimierungsphantasien steht also die Ablösung des Menschen durch von ihm geschaffene perfekte Entitäten, von denen nicht gesagt werden kann, ob sie als Vollendung oder Überwindung des Projektes «Mensch» gedacht werden sollen. Die von Ray Kurzweil, zurzeit Forschungsdirektor bei Google, propagierte «Menschheit 2.0» deutet nicht nur durch die modisch gewordene Versionsnummer an, dass der Mensch in seiner durch die Evolution hervorgebrachten Form als ein fehlerhaftes Programm gedeutet wird, das seine Optimierung erst im transhumanen Raum erfahren wird.
Schöpfungsphantasien
Das Warten der technophilen Transhumanisten auf die «Singularität», also jenen Moment, in dem der rasante technische Fortschritt vor allem im Bereich der Computer- und Nanotechnologie zum Entstehen von «nichtbiologischen, dem Menschen überlegenen Intelligenzformen» führen wird – Formen einer Intelligenz, die schliesslich das ganze Weltall durchdringen und «Gott ziemlich nahe» kommen werden –, demonstriert allerdings weniger technischen Sachverstand als eine naive Allmachtsphantasie. Dass manch einem Verkünder solch einer strahlenden transhumanen Zukunft dann dabei doch etwas mulmig zumute wird, zeigt sich an jener Konzeption der «Superintelligenz», die der schwedische Philosoph und Enhancement-Theoretiker Nick Bostrom mit Angstlust entworfen hat und zu deren Eigenschaften es durchaus zählen könnte, unter der Perspektive der eigenen Selbstoptimierung alle dabei störenden Faktoren wie etwa die Menschen auszurotten.
Abgesehen von der Frage, wie realistisch in einem technischen Sinn diese Szenarien sind, verbergen sich, wenn auch im Gewand einer technizistischen Rhetorik, dahinter mitunter uralte Sehnsüchte des Menschen: nicht nur im Sinne Pico della Mirandolas zum Schöpfer seiner selbst zu werden, sondern zum Schöpfer eines anderen, überlegenen Wesens. Von den belebten Statuen der Antike über die Automaten des mechanischen Zeitalters bis zur Kreatur, die der junge Frankenstein schuf, reichen die mythischen und literarischen Antizipationen, die den Menschen in zutiefst ambivalenten Situationen zeigen: Schöpfer eines Geschöpfs zu sein, dessen er nicht mehr Herr wird.
Wer heute nach dem Menschen fragt, fragt immer auch danach, ob wir überhaupt noch Menschen sein wollen. Sein Glück, so liesse sich pointiert formulieren, findet der rezente Mensch nur in den Bildern seines Nichtmenschseins. Das Bild, das der moderne Mensch von sich zeichnet, ist also immer schon durchgestrichen. Die zeitgenössische Antwort auf die Frage «Was ist der Mensch?» lautet: «Das, was nicht sein soll.» – Vielleicht ist es an der Zeit, den Menschen, dieses fragile und fragliche Wesen, das nach älteren Lesarten immer zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Geist und Körper, zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit, zwischen Natur und Kultur schwanken muss, zumindest gegenüber den Gebildeten unter seinen Verächtern zu verteidigen.
Konrad Paul Liessmann hat eine Professur am Institut für Philosophie der Universität Wien inne. Beim vorliegenden Text handelt es sich um das gekürzte Manuskript des Vortrags, den der Autor zur Eröffnung des 19. Philosophicum Lech am 17. September 2015 in Lech am Arlberg gehalten hat.
*) "La nature de L'homme est l'artificiel." Emmanuel Mounier
Nota. - Alles richtig, nur leider auf den Kopf gestellt. Human enhancement ist keine historische Fortent-wicklung des Selbsterfindungs-Plans von Pico, Fichte, Nietzsche und den Existenzialisten, sondern der Gegenentwurf dazu. Was immer die Enhancer ihren Homunculis einbauen mögen - das spezifische Huma-num, das poietische Vermögen, wird nicht darunter sein. Ihr technokratisches Menschenbild wird nicht scheitern an Liessmanns heimlich resignierendem Modell vom zu-voll-geschriebenen Blatt, sondern, wenn überhaupt, am Bild des Homo poieticus.
JE
Raben sind klug.
Raben nutzen Mobilfunk
Artgenossen, Wölfe und selbst Autos: Raben lassen andere für sich arbeiten. Für soviel Schläue haben sie einen Platz unter den heimlichen Gewinnern der Tierwelt verdient. Sogar vom Mobilfunk profitieren die Vögel.
Von Katrin Collmar
Raben haben als Aasfresser einen schlechten Ruf. Im Mittelalter verschmähten die Vögel auch menschliche Überreste nicht und wurden deshalb Galgenvögel genannt. Anders in der Mythologie: Hier symbolisieren die Tiere, etwa als Begleiter des nordischen Gottes Odin, Weisheit und Intelligenz. Zu Recht, denn die Tiere aus der Familie der Rabenvögel sind weit anpassungsfähiger als andere Vögel, sie sind schlau und lernfähig.
So nutzen Krähen in Japan Autos als Nussknacker. Wo andere Vögel scheu die Flucht ergreifen, stolziert der Rabe gemächlich auf die Straße und platziert sorgfältig eine Nuss. Geduldig wartet er am Straßenrand, bis ein vorbeifahrendes Auto die Schale knackt. Dann widmet sich das Tier genüsslich seiner Mahlzeit.
Einen weiteren Beleg für die Lernfähigkeit und rasche Anpassung von Raben liefern nun Wissenschaftler der Idaho State University und der Wildlife Conservation Society in einer Studie, die in der Fachzeitschrift The Condor erschienen ist. Sie zählten Nester von Kolkraben sowie anderen Raubvögeln in einer Steppe im US-Bundesstaat Idaho und verglichen die Zahlen mit historischen Daten. Das Ergebnis: Die Raben haben gelernt, auf Strom- und Mobilfunkmasten sowie auf Gebäuden Nester zu bauen.
Die Anzahl an Kolkraben in der Region hat zugenommen. Im Jahr 1986 galt der Kolkrabe in der Region noch als unüblicher Brutvogel, heute ist er dort der häufigste. Fast 50 Prozent aller Nester sind Kolkrabennester. Die anderen Vögel in der Steppe, wie der Rotschwanzbussard, der Präriebussard oder der Königsbussard, sind dagegen weniger angepasst. Sie bevorzugen die naturbelassenen Nist-Orte. Diese werden durch zunehmende Landwirtschaft und Bebauung immer seltener.
Wölfe zerlegen Beutetiere für Raben in schnabelgerechte Stücke
Die Kolkraben profitieren von den neuen, menschgemachten Nistplätzen sogar so stark, dass sie diese nun bevorzugen. Mehr als 70 Prozent der Rabennester fanden die Forscher beispielsweise an Gebäuden und Mobilfunkmasten. Klarer Favorit der Tiere war der Strommast. Die Wissenschaftler vermuten hinter den Nistgewohnheiten eiskaltes Kalkül. Stürzen sich die Vögel von den Stahlriesen zum Angriff ab, erreichen sie eine größere Geschwindigkeit als beim Sprung vom Wüsten-Beifuß-Strauch, der dominierenden Pflanze in der Steppe. Und die Nester sind weit besser vor Feinden geschützt. Außerdem weht dort oben auch an heißen Sommertagen eine frische Brise.
Solche Vorteile wissen die Raben also geschickt zu nutzen. Ebenso talentiert sind sie darin, andere ihre Arbeit erledigen zu lassen. So locken sie mit ihrem Gesang - die krächzenden Tiere gehören zu den Singvögeln - Wölfe zu Tierkadavern und lassen sich von ihnen ihren Snack in schnabelgerechte Stücke zerteilen. Denn ohne die Hilfe der beißstarken Jäger würden die zahnlosen Raben nicht durch Fell und Haut an das zarte Fleisch kommen.
Und auch bei den eigenen Artgenossen schmarotzen die Tiere. Sie plündern Futterverstecke und achten gleichzeitig penibel darauf, dass niemand sie beim Verstecken der eigenen Beute beobachtet. Sie kennen schließlich die Marotten ihrer Kollegen.
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