Freitag, 26. Oktober 2018

Die Revolution des Kleinhirns.

aus scinexx                                                           Das Cerebellum liegt beim Menschen oberhalb des Nackens.

Überraschung im Kleinhirn
Cerebellum kontrolliert viel mehr als nur unsere Bewegungen

Unterschätzte Hirnregion: Das Kleinhirn ist offenbar doch nicht nur für die Steuerung von Bewegungsabläufen zuständig. Stattdessen scheint dieser Teil des Gehirns entgegen bisheriger Annahme an so gut wie jeder höheren kognitiven Funktion beteiligt zu sein – von der Aufmerksam- keit bis hin zur Entscheidungsfindung. Demnach übernimmt das Kleinhirn für all diese Prozesse offenbar eine Art Qualitätskontrolle, wie Forscher im Fachmagazin "Neuron" berichten. 

Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, dass das Kleinhirn vor allem eines tut: die Motorik steuern. Demnach ist dieser oberhalb des Nackens liegende, stark gefurchte Teil des Gehirns für die Planung und Feinabstimmung von Bewegungen sowie für das Erlernen neuer Bewegungsabläufe zuständig. Wer sich für diese Prozesse nicht interessierte, ließ die in der Fachsprache Cerebellum genannte Region bei der Forschung meist links liegen – ein Fehler?

Blick aufs vermeintliche Bewegungszentrum

In jüngster Zeit zeichnet sich ab, dass das Kleinhirn womöglich doch auch für zahlreiche nicht-motorische Funktionen eine Rolle spielt. Forscher um Scott Marek von der Washington University School of Medicine in St. Louis glauben nun sogar herausgefunden zu haben: Das Cerebellum ist an jeder höheren kognitiven Funktion beteiligt - von der Aufmerksamkeit, über das Gedächtnis bis hin zu Entscheidungsprozessen. 

Für ihre Studie griffen die Wissenschaftler auf Gehirnscans von Kollegen zurück, die sich selbst zu Forschungsobjekten gemacht und sich regelmäßig in den Magnetresonanztomografen gelegt hatten. Jeweils über zehn Stunden Scanmaterial standen ihnen von insgesamt zehn Personen zur Verfügung – genug, um sich das Cerebellum genauer anzusehen. Vom gut erforschten Cortex ist bekannt, dass er über Schaltkreise verfügt, die unterschiedliche Hirnregionen zu funktionellen Netzwerken verknüpfen: Würden sich ähnliche Netzwerke auch im Kleinhirn finden lassen?

80 Prozent für höhere Funktionen 

Die Auswertung der Aufnahmen zeigte: Mit den Sinnesfunktionen Sehen, Hören und Tasten assoziierte Netzwerke fehlen im Cerebellum tatsächlich völlig – aber nur 20 Prozent dieses Gehirnteils sind der Bewegung gewidmet. Das ist den Forschern zufolge ähnlich viel wie beim Cortex. Die restlichen 80 Prozent sind dagegen von an höheren Funktionen beteiligten Netzwerken besetzt, wie das Team berichtet.

Bei diesen Netzwerken handelt es sich um das Aufmerksamkeits-Netzwerk und das Default-Mode-Netzwerk, das unter anderem für Tagträume und das Abrufen von Erinnerungen eine Rolle spielt. Außerdem identifizierten Marek und seine Kollegen zwei Netzwerke, die an exekutiven Funktionen wie Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt sind.

Zentrum für Qualitätskontrolle

Interessant dabei: Weitere Analysen offenbarten, dass das Cerebellum immer als letzter Schritt in einer Kette von Gehirnreaktionen aktiv wird. Signale werden von Sinnessystemen empfangen, von Netzwerken im Cortex verarbeitet und danach erst an das Kleinhirn weitergeleitet. Dies deutet nach Ansicht der Forscher daraufhin, dass dieser Teil des Gehirns als Zentrum für eine Art Qualitätskontrolle fungiert.

"In einer Fertigungsstraße wäre das Cerebellum die Person, die das Auto am Ende inspiziert und sagt, 'Das ist gut' oder 'Das muss noch einmal ausgebessert werden'. Hier werden alle Gedanken und Aktionen kontrolliert und präzisiert", sagt Mareks Kollege Nico Dosenbach. "Alle dachten, das Kleinhirn drehe sich nur um Bewegung. Doch genauso wie es eine Qualitätskontrolle unserer Bewegungen durchführt, tut es dies auch für viele andere Dinge."

Neues Verständnis

Diese Erkenntnis könnte beispielsweise erklären, warum betrunkene Menschen nicht nur torkeln, sondern mitunter auch schlechte Entscheidungen treffen. Denn wie die Forscher berichten, reagiert das Kleinhirn sehr sensibel auf Alkohol. Im Rausch gefällte Fehlentscheidungen könnten demnach die Folge einer nicht mehr funktionierenden Qualitätskontrolle exekutiver Funktionen sein.

In Zukunft wollen die Wissenschaftler die Schaltkreise im Kleinhirn näher unter die Lupe nehmen. Klar ist aber schon jetzt: "Unser Verständnis des Cerebellums muss sich verschieben – weg von einem reinen Bewegungszentrum hin zu einem generellen Kontrollbereich für höhere, kognitive Funktionen", konstatiert Marek. (Neuron, 2018; doi: 10.1016/j.neuron.2018.10.010)

(Washington University School of Medicine, 26.10.2018 - DAL)


Nota. - Wenn es die Feinabstimmung und die Schlusskontrolle leistet, sollten sich die Hirnforscher, die bis- her vergeblich nach dem 'Sitz des Ich' gesucht haben, vielleicht einmal das Kleinhirn vornehmen - ich wette, sie waren bisher nur im Großhirn tätig; denn es liegt ja auf der Hand: Die höchste Leistung des Gesamtsys- tems erbringt die Region, die als allerletzte zum Schluss dazugekommen ist.

Ja, das Gehirn ist eben wirklich ein System. Und anscheinend nicht so, dass mit jeder neu hinzukommenden Funktion bzw, der für sie neu ausgebildeten Region das Gesamtsystem rückwirkend umgebaut werden müss- te, sondern eher so, dass bei jeder neu entwickelten Funktion die ältesten Regionen die Finger immer gleich mit im Spiel gehabt haben und die Systemerweiterung jeweils progressiv geschehen konnte. Das eine ist so plausibel wie das andere. Man muss nur erst drauf kommen. 
JE

Freitag, 19. Oktober 2018

Intuition.


aus derStandard.at, 19. Oktober 2018, 06:30

Das "Bauchgefühl" in der Wissenschaft
Psychologin nützt Intuition für Forschungsarbeit: Sie könne ein mächtiges Instrument im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess sein

von  

Wissenschaft gilt als Inbegriff der Vernunft. Logisches Denken, gründliches Prüfen sind ihre unverzichtbaren Werkzeuge. Sie sollen Objektivität garantieren. Ahnungen sind demgegenüber verpönt. Die Psychologin Barbara Kump, Universitätsassistentin am Institut für KMU-Management an der Wirtschaftsuniversität Wien, möchte dieses Bild allerdings korrigieren.

Das "Bauchgefühl" Intuition kann ein mächtiges Instrument im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess sein, so ihre These. Intuition darf dabei jedoch nicht als "sechster Sinn" verklärt werden. Vielmehr versteht Kump darunter eine Form der Datenverarbeitung.

Während das rationale Denken bewusst abläuft und dabei einen im Hirn lokalisierten Arbeitsspeicher benutzt, umgeht Intuition diesen Speicher. Ein Nachteil dieser Form von Denken ist, dass sie unbewusst abläuft. "Dieser Nachteil ist aber gleichzeitig ein Vorteil", meint Kump. "Unser bewusster Arbeitsspeicher ist sehr klein, er kann deshalb nur einen Bruchteil aller Eindrücke aufnehmen. Intuition kann viel mehr Daten schnell verarbeiten."

Sprachliche Bilder

Intuition lässt sich nur schwer sprachlich ausdrücken. Man behilft sich deshalb sprachlicher Bilder. Kennt man diese Einschränkungen, kann Intuition nutzbringend eingesetzt werden. "Intuition kann schnell Muster in Daten erkennen", so Kump. "Ein Beispiel ist der Arzt, der einen Patienten ansieht und intuitiv weiß, dass mit ihm etwas nicht stimmt."


Die Wissenschafterin hat ihren Ansatz bereits in einem Projekt aus dem Bereich der Organisationsforschung angewandt. Dabei ging es um die Frage, wie Unternehmen mit Veränderungen umgehen und welchen Herausforderungen sie dabei gegenüberstehen. Dafür hat sie mit einem Team Interviews mit Vertretern der Unternehmen durchgeführt.

"Einerseits sind wir mit einem rationalen Blick an die Aufgabe herangegangen", erklärt Kump. "Gleichzeitig haben wir aber explizit unsere Eindrücke auf uns wirken lassen." Ein Schritt im Rahmen der Auswertung der Interviews bestand dann darin, Assoziationen, Metaphern oder sprachliche Bilder zu entwickeln. Dabei tauchten etwa Begriffe wie "Ameisenhaufen", "Gleichmacherei" oder "Feriencamp" als Beschreibungen der Unternehmen auf. In der sehr emotional geführten Diskussion kristallisierten sich dann Hypothesen heraus.

Hypothesen überprüfen

Vielversprechende wurden von weniger plausiblen Hypothesen getrennt. Als letzter Schritt überprüften die Wissenschafter, ob die intuitiv gewonnenen Hypothesen von den Daten bestätigt werden oder nicht. Als externe Bestätigung der Methodik darf gelten, dass sich die Unternehmen in den Ergebnissen durchwegs wiederfanden. So war eine Firma beispielsweise sehr auf die Gleichwertigkeit aller Mitarbeiter bedacht. Das Projekt konnte jedoch herausarbeiten, dass zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern ein latenter Konflikt besteht.

Kumps Ideen dürften auch in der wissenschaftlichen Community auf Gehör stoßen. So publizierte sie gemeinsam mit Christina Schweiger von der FH Wien der WKW ein Paper, das bei der Managementkonferenz Euram mit dem "Most Inspirational Paper Award" ausgezeichnet wurde.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Kein Passwort.

aus derStandard.at, 18. Oktober 2018, 09:00

Warum Materie existiert, bleibt rätselhaft.
Warum es mehr Materie als Antimaterie gibt, kann das Standardmodell auch nach den jüngsten Experimenten nicht erklären.

Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist jene Gesamttheorie, mit der Forscher versuchen, die Gesetze des Universums, dessen fundamentalen Kräfte und die darin enthaltenen Teilchen zu erklären. Das Modell ist gleichsam ein mathematisches Abbild der Realität – allerdings eines, in dem noch viele große Löcher klaffen. Eines der größten ist etwa die Lücke, in die in Zukunft vielleicht einmal auch die Gravitation hineinpasst, denn noch lässt sie sich nicht mit dem Standardmodell vereinbaren.

Jenen Teil des Kosmos allerdings, den das Standardmodell zu beschreiben versucht, erklärt es recht schlüssig: Bisher konnte noch kein Experiment signifikante Ergebnisse vorweisen, die den Vorhersagen dieser Theorie widersprechen würden. Ein Grund mehr für die Physiker, zufrieden zu sein, sollte man meinen. Tatsächlich aber ist es gerade die fehlende Widersprüchlichkeit, die die Köpfe der Theoretiker seit Jahrzehnten qualmen lässt.

Mangelhaftes Weltmodell

"Das Standardmodell, so wie es heute dasteht, hat vor allem einen großen Mangel: Es kann nicht erklären, warum die Materie im Kosmos überhaupt existiert", sagt Gerald Gabrielse von der Northwestern University. Eigentlich sollten sich nämlich nach diesem Modell Materie und Antimaterie bereits kurz nach dem Urknall gegenseitig ausgelöscht haben. Der Physiker und sein Team haben einen Großteil ihrer Karriere darauf verwendet, dieses Problem zu lösen. Letztlich blieb ihnen nur übrig, sich alternativen Theorien zuzuwenden.

Diese Thesen gehen von bisher unentdeckten subatomaren Teilchen aus, die unter anderem dazu beitragen würden, dass die Ladung von Elektronen nicht kugelförmig ist, sondern eine verzerrte Sphäre bildet. Könnte man diese verbeulte Elektronenform nachweisen, wäre dies gleichzeitig ein fundierter Beleg dafür, dass das Standardmodell doch nicht so stimmig ist wie gedacht.

Mit anderen Worten: Sollten diese beispielsweise von der Supersymmetrietheorie vorhergesagten massereichen Quantenpartikel tatsächlich existieren, dann könnten sie auch erklären, warum ein offensichtliches Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie herrscht, das letztlich dafür sorgt, dass sich die Materie unseres Universums nicht längst in Energie aufgelöst hat.

Absage an Alternativen

"Annähernd alle alternativen Modelle sagen voraus, dass die Ladungssphäre von Elektronen eigentlich verzerrt sein sollte", meint Gabrielse. "Unser Ziel war es daher, diese Eigenschaften von Elektronen mit einer Präzision zu analysieren, die bisher noch nie erreicht wurde." Das ist dem Team um Gerald Gabrielse nun tatsächlich gelungen: Die Forscher stellten im Rahmen des Advanced-Cold-Molecule-Electron-Experiments jedoch fest, dass Elektronen eindeutig eine perfekte Kugel besitzen. Die nun im Fachjournal "Nature" präsentierten Resultate bedeuten damit auch, dass die hypothetischen Partikel zumindest in der angenommenen Form nicht existieren.

"Unsere Daten lassen also keinen Zweifel daran, dass man die alternativen Modelle zur Erklärung des Kosmos offenbar ernsthaft infrage stellen muss", sagt Gabrielse. Und – noch wichtiger – sie bestätigen einmal mehr, dass das etablierte Standardmodell, so lückenhaft es auch sein mag, weiterhin die plausibelste Theorie zur Erklärung des Universums ist, auch wenn damit die Frage nach dem Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie weiterhin ungeklärt bleibt. (tberg.)

Abstract 
Nature: "Improved limit on the electric dipole moment of the electron."


Das Standardmodell der Teilchenphysik steht, und es steht gut. 
aus Die Presse, Wien,

Enttäuschung in Physik: 
Das Elektron bleibt rund
Seit gut 40 Jahren hoffen theoretische Physiker auf Daten, die über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausweisen. Doch auch bei einer sehr genauen Bestimmung der Ladungsverteilung des Elektrons fand sich keine Spur bisher unbekannter Elementarteilchen.



Zwölf Elementarteilchen (darunter z. B. das Elektron und sechs Quarks) bauen die Materie auf, fünf weitere Teilchen stehen für drei der vier Grundkräfte (die vierte, die Gravitation, passt nicht wirklich dazu), dazu kommt noch das erst 2012 nachgewiesene Higgs-Boson: Das Standardmodell der Teilchenphysik steht, und es steht gut.

Zu gut – finden viele Theoretiker. Sie haben ein merkwürdig gespaltenes Verhältnis zum Standardmodell, sie wünschen sich ganz offen, dass endlich Physik entdeckt wird, die über es hinausweist.

Denn es lässt einiges unerklärt. Etwa warum es im Universum so viel Materie gibt und kaum Antimaterie. Laut Standardmodell hätten die beiden in gleichen Mengen entstehen und einander längst auslöschen müssen. Unzufrieden sind auch die Vertreter einer Supersymmetrie, die die starke Kraft mit der schwachen Kraft und dem Elektromagnetismus vereinen soll: Sie meinen, dass es zu jedem Teilchen des Standardmodells ein supersymmetrisches Pendant geben müsste. Doch man hat auch im stärksten Teilchenbeschleuniger bisher keines davon nachweisen können. Das heißt, dass diese Teilchen, wenn es sie denn gibt, allesamt ganz schön schwer sein müssen. Was wieder den Vorteil hätte, dass sie gleich auch die rätselhafte dunkle Materie erklären könnten . . .

Im Vakuum ist vieles möglich

Auch die nun in Nature (17. 10.) publizierte Messung erhöht die Schranke, über der die Massen etwaiger bisher unbekannter Elementarteilchen liegen müssen, beträchtlich, über die Kapazität des derzeit größten Teilchenbeschleunigers, des LHC in Genf, hinaus. Gemessen wurde das Dipolmoment des Elektrons. Es hat keines, sagt das Standardmodell: Seine Ladungsverteilung ist perfekt kugelförmig. Wenn es aber schwere Elementarteilchen jenseits des Standardmodells gäbe, dann würden sie die Ladungsverteilung leicht verzerren – auch wenn sie gar nicht real präsent sind. Denn im Vakuum der Quantenelektrodynamik – die auch im Standardmodell regiert – bilden sich fortwährend Paare von Teilchen und ihren Antiteilchen, um schnell wieder zu verschwinden. So kurz ihre Existenz ist, sie tut ihre Wirkung. Man kann etwa die Eigenschaften des Elektrons nicht exakt berechnen, ohne die es umgebende Wolke an stets entstehenden und wieder vergehenden Teilchen einzukalkulieren. (Genau das tut die Quantenelektrodynamik.)

Jedenfalls fand sich bei der Messung keine Spur von unbekannten schweren Teilchen. Denn die Ladungsverteilung wurde als perfekt kugelförmig bestätigt. „Wenn ein Elektron so groß wie die Erde wäre, könnten wir detektieren, wenn sein Mittelpunkt um eine Entfernung verschoben würde, die um eine Million Mal kleiner als ein Haar ist“, sagt Gerald Gabrielse, Leiter des Experiments: „So empfindlich ist unsere Apparatur.“ Er weiß: „Wenn wir entdeckt hätten, dass das Elektron nicht völlig rund ist, wäre das die größte Schlagzeile der Physik seit Jahrzehnten.“ Trotzdem sei sein Experiment wichtig: „Es stärkt das Standardmodell und schließt alternative Modelle aus.“ Das Standardmodell müsse falsch sein, davon ist Gabrielse weiter überzeugt, „aber wir finden offensichtlich nicht, wo es falsch ist.“

Gabrielse schwärmt auch davon, wie moderat der Aufwand für das Experiment – bei dem sehr kalte Thoriumoxid-Moleküle mit Laserstrahlen beschossen wurden – war: „Das Team bestand nur aus einem Dutzend Forscher, die Apparatur passte in einen Kellerraum in Harvard.“ Beides kann man von den gigantischen Teilchenbeschleunigern, mit denen derzeit nach „neuer Physik“ gesucht wird, nicht behaupten.


Nota. - Man stelle sich vor, da steckt ein intelligenter Designer hinter. Der muss sich sehr gelangweilt haben, als er bei der Schöpfung der Materie so umständlich vorging. Doch so kompliziert es ist - es erklärt nicht, warum er auf einen Trick verfiel, der so jenseits aller Wahrscheinlichkeit liegt, dass die versammelte Gesellschaft unserer klügsten Köpfe bis heute keine Ahnung haben, was dahintersteckt. Gegen welchen Mitbewerber wollte er sein System verschlüsseln? Er hat doch keinen, oder? Hat er denn befürchtet, sobald seine Geschöpfe das Passwort herausfänden, würden sie seine Schöpfung kaputtmachen? Da war unser De- signer aber nicht intelligent genug! Denn das schaffen wir auch so.

Der Theologe sagt, die Wege des Herrn sind unergründlich, man dürfe Gott nicht begreifen wollen. Wissen- schaft ist aber um des Begreifens willen da.
JE

Mittwoch, 10. Oktober 2018

Swinging universe?

aus welt.de, 10. 10. 2018                                                            

Physiker streiten
Das All dehnt sich ewig aus. Oder doch nicht
Bislang wird die Expansion des Weltalls durch eine dunkle Energie erklärt. Doch jetzt fragen sich Physiker: Ist sie überhaupt stabil? Die Ausdehnung des Universums könnte wieder zum Stillstand kommen. 



In die Stringtheorie setzen die Physiker große Hoffnungen. Sie soll zwei zentrale Theoriegebäude miteinander vereinen, die bislang noch unverbunden nebeneinanderstehen: die Quantenphysik und die Gravitation. Das ist abstrakte Mathematik, mit der sich die ganze Welt, von den kleinsten Teilchen bis hin zu den größten Strukturen im Universum, beschreiben lassen soll. Das Universum dehnt sich bekanntlich aus, und zwar sogar beschleunigt. Für diese Erkenntnis wurde der Physik-Nobelpreis des Jahres 2011 vergeben.

Erklärt wird die Expansion des Weltalls bislang durch eine überall vorhandene „dunkle Energie“. Den mathematischen Ausdruck für diese geheimnisvolle Energie des Raums hatte bereits Albert Einstein in die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie eingeführt – wenngleich er damit ursprünglich ein nicht expandierendes Weltall konstruieren wollte. Jetzt ist plötzlich eine intensive Diskussion unter den Stringtheorie-Forschern entbrannt.

Begonnen hatte es mit einer Veröffentlichung des Physikers Cumrun Vafa von der Harvard University. Er hat darin die revolutionäre These aufgestellt, dass die Stringtheorie mit der Existenz von dunkler Energie grundsätzlich nicht vereinbar sei. Die Felder, mit denen man bislang die dunkle Energie zu erklären versuchte, seien innerhalb der Stringtheorie nicht möglich.

Der Physiker Timm Wrase von der TU Wien hat sich mit den Konsequenzen dieser Vermutung auseinandergesetzt und seine Folgerungen im renommierten Journal „Physical Review“ veröffentlicht. Wenn die bisherige Erklärung der dunklen Energie nicht mehr funktioniert, dann müsse es ein Energiefeld mit ganz anderen Eigenschaften geben.

Plötzlich hat das Modell vom „Big Crunch“ wieder Chancen

Wrase folgert, dass sich der Betrag der dunklen Energie mit der Zeit verändern muss und deshalb die Expansion des Universums möglicherweise doch irgendwann zum Stillstand kommt. Dann könnte die Gravitation die gesamte Materie im Universum zusammenziehen und wieder in einem Punkt vereinen. Das wäre die Umkehrung des Urknalls – eine Möglichkeit, die schon in den 1960er-Jahren von dem britischen Physiker Sir Martin Rees angedacht wurde.

Seit dem Nachweis der beschleunigten Expansion des Weltalls hatte das Modell vom „Big crunch“ keine Chancen mehr. Das könnte sich jetzt ändern. Einmal mehr lernen wir: In der Physik gibt es keine endgültigen Wahrheiten.


Nota. - Die Konsequenz wäre ein Universum, das von einem Urknall zu einem Big Crunch schwingt und dann wieder zu einem Urknall zurück, usw. Die Vorstellung von einem swinging universe ist uralt; während die Heraklit zugeschriebene Lehre der Ewigen Wiederkehr desselben nicht verbürgt ist, war in der griechisch-römischen Stoa die Idee eines "atmenden Kosmos" lange Zeit verbreitet. Auch Friedrich Engels hat in seiner umstrittenen Dialektik der Natur mit diesem Gedanken gespielt. In der Wissenschaft wurde sie wohl nie ernsthaft diskutiert.
JE




aus derStandard.at, 8. Oktober 2018, 13:50

Wiener Physiker dämpft neuen Vorstoß der Stringtheorie Seit Monaten diskutieren Physiker über eine neuen Ansatz führender Stringtheoretiker. Timm Wrase von der TU Wien sagt, die Idee schließe das Higgs-Teilchen aus

Wien – Über Theorien, die sich Experimenten entziehen, lässt sich trefflich streiten – etwa über die Stringtheorie. Mit ihr wird seit Jahrzehnten versucht, die Gravitation mit der Quantentheorie zu einer gemeinsamen Theorie aller Kräfte zu vereinen. Seit einigen Monaten wird über einen revolutionär klingenden Vorstoß von US-Forschern diskutiert, dem nun ein Wiener Physiker entgegentritt.

Im Standardmodell der Physik geht man von Elementarteilchen aus, die unsere Welt aufbauen. Die Stringtheorie kennt dagegen keine Teilchen, sondern nur eindimensionale Objekte: Strings. Die verschiedenen bekannten Teilchen würden sich demnach nur durch unterschiedliche Schwingungen dieser "Strings" manifestieren. Dazu bräuchte es aber nicht nur die drei, sondern deutlich mehr Raumdimensionen. Mathematisch liefert die Stringtheorie durchaus nachvollziehbare Ergebnisse, doch experimentell lassen sich ihre Vorhersagen kaum überprüfen.

Vafas Vermutung

Vor dem Sommer hat ein Team um den Harvard-Physiker Cumrun Vafa, einer der führenden Stringtheoretiker, eine revolutionär klingende Vermutung veröffentlicht: Demnach soll die Stringtheorie mit der Existenz von Dunkler Energie wie sie bisher verstanden wurde grundsätzlich unvereinbar sein. Das Problem dabei: Nur mit Dunkler Energie lässt sich die beschleunigte Expansion des Universums erklären.

Diese immer schnellere Ausbreitung ist aber anerkannt, für ihre Entdeckung wurde 2011 der Physiknobelpreis vergeben. Daher diskutieren Stringtheoretiker weltweit seit Monaten diese Frage, wie die Technische Universität Wien mitteilte.

Neuer Antrieb

Timm Wrase vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien erkannte aber, dass an Vafas Vermutung etwas nicht stimmen kann. Wäre es tatsächlich so, dürfte es auch kein Higgs-Teilchen geben, zeigen seine Berechnungen, die er gemeinsam mit deutschen und US-Kollegen nun im Fachjournal "Physical Review D" veröffentlicht hat. Doch das Higgs-Teilchen wurde zweifelsfrei nachgewiesen – dafür wurde 2013 der Physiknobelpreis vergeben.

Bereits vor der Publikation hat Wrase seine Ergebnisse auf der Online-Plattform "Arxiv" veröffentlicht und damit heftige Diskussionen ausgelöst. "Diese Kontroverse ist eine gute Sache für die Stringtheorie", sagte der Forscher. Denn plötzlich hätten viele Leute ganz neue Ideen, über die bisher noch niemand nachgedacht habe. "Vielleicht führt uns das zu spannenden neuen Erkenntnissen über die Natur der Dunklen Energie – das wäre ein großer Erfolg", so Wrase. (APA, red, 8.10.2018)


Abstract
Physical Review D: "de Sitter swampland conjecture and the Higgs potential"