aus Telepolis, 9. Januar 2019
Beim Urknall könnte mit dem Universum auch ein Antiuniversum entstanden sein
Kanadische Physiker stellen ein
kosmologisches Modell vor, das die CPT-Symmetrie wahrt und erklärt,
warum es in unserem Universum sehr viel mehr Materie als Antimaterie
gibt
Mit dem Urknall, dem Big Bang, beginnt alles, zumindest der
Kosmos, den wir kennen. Der Urknall er- eignete sich irgendwann vor 13,7
Milliarden Jahren, was davor war und ob es etwas davor gegen hat, ist
eine Frage der Spekulation (Hubble und die Expansion des Universums).
Mit dem Urknall sind Zeit, Raum und Materie sowie Antimaterie
entstanden, indem sich das irrwitzig kleine und heiße Universum mit
irrwit- ziger Geschwindigkeit in der Phase der Inflation ausdehnte, auch
heute noch expandiert das Universum unaufhaltsam weiter.
Ein Paradox ist jedoch, dass es im Universum weitaus mehr Materie als
Antimaterie gibt, obgleich sie eigentlich zu gleichen Teilen nach dem
Urknall vorhanden gewesen sein müssten. Es muss mithin die an- genommene
CP-Invarianz, wonach in einem physikalisches System sich nichts ändert,
wenn alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und gleichzeitig alle
Raumkoordinaten gespiegelt werden, verletzt (CP-Ver- letzung) werden, um
das Ungleichgewicht zu erklären (Antimaterie: Mehr als nur Anti).
Nach dem darauf aufbauenden CPT-Theorem, also der Annahme der
Symmetrie bei der Transformation von Ladung, Parität und der Zeit, ist
das Übergewicht der Materie ebenfalls nur durch eine Verletzung der
Symmetrie erklärbar. Nach der CPT-Symmetrie müsste beispielsweise ein
Atom, das in der Zeit vorwärts durch das Universum reist, von einem
Antimaterie-Atom, das in der Zeit rückwärts in einem Spiegeluni- versum
reist, ununterscheidbar sein. Wasserstoffatome und Anti-Wasserstoffatome
müssten identische Spektren haben etc. (Antimaterie für Minuten eingesperrt).
Nun haben die kanadischen Wissenschaftler Latham Boyle, Kieran Finn, and Neil Turok vom Perimeter Institute for Theoretical Physics
einen Vorschlag entwickelt, der sowohl das Ungleichgewicht als auch die
ebenfalls bislang nur angenommene Dunkle Materie erklären können soll.
Nach ihrem Modell, das sie in Pysical Review Letters vorstellen (CPT-Symmetric Universe),
gab es zwar auch nur einen Urknall, aus dem seien aber gleichzeitig das
Universum und ein Antiuniversum entstanden, in dem die Zeit in die
entgegen- gesetzte Richtung läuft und in dem spiegelbildlich die
Antimaterie überwiegt. Die Wissenschaftler erklären, dass eine solche
CPT-Symmetrie mit zwei spiegelbildlichen Universen mit der kosmischen
Expansion übereinstimmt.
Überdies benötige man für dieses Modell keine
neuen Teilchen oder Felder zur Erklärung.
Auch für die angenommene Inflation kurz nach dem Urknall, die zwar
einige kosmologische Beobach- tungen erklären könne, aber zusätzlich das
Vorhandensein von bislang nur hypothetischen Quantenfeldern voraussetze,
schlagen sie eine Alternative mit ihrem Modell vor. Danach habe sich
das Universum nicht explosiv oder exponentiell aufgebläht, sondern Zeit
und Raum hätten sich kontinuierlich im Universum und Antiuniversum
ausgedehnt. Zwar hätten die Wissenschaftler, wie Michael Schirber,
Redakteur der Zeit- schrift Physics schreibt, noch nicht zeigen können,
wie aus ihrem Modell die Uniformität des Kosmos erklärt werden kann, was
die Inflationstheorie leiste. Aber ihr Modell beinhalte eine Erklärung
für die Dunkle Materie. Ein CPT-symmterische Universum würde eine große
Zahl von superschweren sterilen Neutrinos produzieren, die auch die
Ursache der kürzlich beobachteten hochergetischen kosmischen Strahlung sein könnten.
Nota. - Die Erwartung an neue Fakten in der kosmologischen Forschung ist so groß, dass man meinen könnte, alle Welt freue sich auf eine Widerlegung der einstweiligen Erklärungsmodelle; dass man jede Erklärung begrüßen würde, wenn sie nur nicht die Gängige wäre. Als ob das Anderssein ein wissenschaft- licher Vorzug wäre!
Psychologisch steckt aber wohl etwas anderes dahinter. Es ist die heimliche Hoffnung, dass mit der über- lieferten Gesetzmäßigkeit die Gesetzmäßigkeit überhaupt ins Trudeln geriete.
Wilhelm Dilthey hatte dem im Laufe des 19. Jahrhunderts an der Naturforschung ausgebildeten Begriff von positiver Wissenschaft den Begriff einer einer problematisch orientierten Geistes wissenschaft entgegenge- setzt. Das hat nicht lange gehalten. Aus theorieimmanenten Gründen wurde dem die Unterscheidung in 'no- mothetische', Gesetze suchende und verkündende, und 'idiographische', bestimmte Einzelphänomene (mög- lichst) erschöpfend beschreibende Wissenschaften nachgeschoben. Was aber in 'der Natur' gesucht wird, seien eo ipso Gesetze, Naturwissenschaft sei daher wesentlich nomothetisch (während sich historische und gesellschaftliche Forschung mit Beschreibungen bescheiden müssten).
Das kann aber das letzte Wort auch nicht sein. Die Vorstellung von einem Gesetz supponiert die Vorstel- lung von einem, der es gesetzt hat. Der läge freilich jenseits des Gesetzes - und führte die Nomothesis ad absurdum. Kein Wissenschaftler kann sich freilich leisten, einfach zu sagen: Es ist nunmal, wie es ist. Wenn er nichts anbieten kann, was dem 'zu Grunde liegt', ist er bei den Kollegen unten durch. Aber wenn er etwas aufbietet, von dem er sagt, dass es 'zu Grunde liegt', und sich damit blamiert, lachen sich alle andern ins Fäustchen.
Dem neuen Modell wird es dann so ergehen wie dem bislang gültigen. Und irgendwann mal wird man sich endlich an den Gedanken gewöhnt haben, dass... es nunmal so ist, wie es ist.
JE
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