Der kleine Unterschied reicht bis tief in die Zellen
Zellen von Männern und Frauen haben andere Charakteristika. Darauf nimmt die Pharmakologie bisher wenig Bedacht.
Von 1997 bis 2001 ließ die in den USA zuständige Behörde FDA zehn rezeptpflichtige Medikamente vom Markt nehmen, acht davon, weil sie auf Frauen anders als auf Männer wirkten: gefährlich. Das kommt natürlich auf den ersten Blick daher, dass klinische Tests von Medikamenten überwiegend an Männern durchgeführt werden – jungen, weißen, das sind zwei andere Probleme –, Frauen sind unterrepräsentiert. Aber die Ursachen liegen tiefer, das bemerkte Johnny Huard (University of Pittsburgh) 2007 an Zellen, schlichten Muskelstammzellen: Jene von Frauen reagieren anders auf Stress als die von Männern, sie haben auch einen anderen Stoffwechsel.
Das fiel vor einiger Zeit Elizabeth Pollitzer auf. Sie hat mit Biologie/Medizin vorderhand nichts zu tun, sondern ist Computerexpertin und Chefin von GenSET, einem von der EU geförderten Projekt, das sich mit Genderfragen im Wissenschaftssystem beschäftigt, und sah sich plötzlich mit ganz anderem konfrontiert als der „gläsernen Decke“: „Als größtes Problem erwiesen sich nicht Ungleichheiten bei den Arbeitsbedingungen und in der Forschungsförderung, sondern die fehlende Berücksichtigung des Geschlechts beim Design von Experimenten der Grundlagenforschung und bei ihrer Dokumentation“ (Nature, 500, S. 23).
Das Geschlecht, von dem die Rede ist, ist das (der Spender) der Zellen, an denen in der Pharmakologie Medikamente getestet werden. Und diese Zellen sind – zumindest bei Mäusen – schon in Embryonalstadien, in denen noch keine hormonelle Steuerung eingesetzt hat, von Geschlecht zu Geschlecht verschieden, Hirnzellen von männlichen Mäusen etwa halten Sauerstoffmangel schlechter aus. Darauf reagierten manche früh: Als das Journal Pain seine Publikationen des Jahres 2007 durchging (bzw. bei den Forschern nachfragte), stammten 79 Prozent der verwendeten Zelllinien von Männern bzw. männlichen Versuchstieren (aber oft war das nicht ausgewiesen). Pain publiziert seitdem nur noch, was an Zellen beider Geschlechter erkundet wurde, auch die American Physiological Society hat das in ihre Richtlinien aufgenommen.
Herumgesprochen hat es sich noch nicht überall. „Als ich vor ein paar Wochen beim Kongress der Eurpoean Biochemical Societies in St. Petersburg war“, erinnert sich Pollitzer, „war ich schon überrascht, dass in den Titeln der Vorträge die Geschlechterfrage nicht vorkam.“ jl
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