Lernen im Schlaf
Wie unser Gedächtnis während der Nacht aufgebaut wird
Im Schlaf speichert und verarbeitet unser Gehirn die Tageseindrücke
Auch wenn wir schlafen, hat unser Gehirn keine Pause. Denn dann hat es endlich Zeit, sich um das zu kümmern, was es tagsüber gelernt hat: Es spielt Erfahrungen und Eindrücke nochmal durch und speichert sie dann im Langzeit-Gedächtnis ab. Wie genau das funktioniert, finden Neurowissenschaftler gerade Stück für Stück heraus.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen erforschen schon seit längerem die Aktivität unseres Gehirns im Schlaf und in Ruheperioden. Um die Mechanismen der Gedächtnisbildung und das Geschehen in den Netzwerken des Gehirns dabei genauer erkunden zu können, haben sie eine neue Messmethode entwickelt. Sie basiert auf der Kombination von lokalen Messungen der Hirnströme mittels Elektroden mit Aufzeichnungen der gesamten Hirnaktivität der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT).
Damit konnten Forscher die Hirnareale identifiziert werden, die in Abhängigkeit von episodischen gedächtnisbezogenen Ereignissen im Hippocampus, den sogenannten Ripples, ihre Aktivität immer wieder erhöhen oder vermindern. Die Erkenntnisse ermöglichen fortan neue Einblicke in die Mechanismen der Gedächtniskonsolidierung.
Inhalt:
Im Schlaf gelernt
Warum unser Gehirn auch nachts aktiv ist
Wenn das Gehirn offline geht
Was passiert, wenn die äußeren Reize und Einflüsse wegfallen?
Den Ripples auf der Spur
Wie kommuniziert der Hippocampus mit dem Rest des Gehirns?
Mit Hirnscan und Elektroden
Neuer Blick ins Gehirn verrät Zusammenhang
Im Schlaf gelernt
Das Gehirn ruht nie, sondern verarbeitet ununterbrochen Informationen aus der äußeren und inneren Welt. Eine der faszinierendsten Eigenschaften unseres Gehirns ist dabei die Fähigkeit zu lernen. Beim Lernen spielt die Plastizität des Gehirns eine wichtige Rolle, also die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich in Abhängigkeit von der Aktivität oder der Verwendung in ihren Eigenschaften zu ändern.
In der Hirnrinde werden die Verknüpfungen gebildet, die unser Langzeit-Gedächtnis ausmachen
Wo sitzt das Gedächtnis?
Für das, was wir unser „Gedächtnis“ nennen, spielen insbesondere neuronale Strukturen im Neokortex, dem evolutionär jüngsten Teil der Hirnrinde, eine zentrale Rolle. Hier ist der Sitz des sogenannten deklarativen Gedächtnisses. Dieses umfasst alle Erinnerungen, die wir bewusst abrufen. Dazu gehören sowohl Erinnerungen an Fakten und Tatsachen, als auch Erinnerungen an Ereignisse und Erfahrungen in unserem Leben.
Das deklarative Gedächtnis wird dabei nochmals in zwei Bereiche unterteilt: in das semantische Gedächtnis, welches Wissen und allgemeine Fakten über die Welt enthält, und das episodische Gedächtnis, welches Episoden, Ereignisse und Tatsachen aus unserem persönlichen Leben enthält. Der Aufbau eines episodischen Gedächtnisses wird dabei entscheidend vom wechselseitigen Zusammenspiel anatomischer Hirnstrukturen im medialen Temporallappen und dem Neokortex bestimmt.
Schlaf stärkt Verbindungen - und damit Erinnerungen
Wenn keine Interaktion mit der äußeren Welt stattfindet - wie beispielsweise im Schlaf, ist das Gehirn dennoch aktiv: Die Aktivitätszustände des Gehirns spiegeln dabei verschiedene mentale Funktionen wider. Dazu gehört die Gedächtniskonsolidierung. Nach einer vorherrschenden Theorie des Gedächtnisses werden neue Erfahrungen kurzzeitig im Hippocampus gespeichert und anschließend – während der Ruhezeiten – reaktiviert.
Verbindungen zwischen Nervenzellen -Synapsen - verändern sich, wenn Erinnerungen gespeichert werden.
Während des Schlafes werden dann die Verbindungen in der Hirnrinde gestärkt, die dem Langzeitgedächtnis zu Grunde liegen. Die Nervenzellen, die dabei in einer bestimmten Reihenfolge aktiviert und dauerhaft miteinander verbunden werden, entsprechen dann einem bestimmten Gedächtnisinhalt. Einen solchen Zellverband bezeichnet man als neokortikale Repräsentation.
Der Prozess, der die Erinnerungen als neokortikale Repräsentation festigt, geschieht dabei in zwei aufeinanderfolgenden Schritten. In beide ist der Hippocampus als Teil des Temporallappens und der Kortex im Zusammenspiel eingebunden. Im ersten Schritt, der Enkodierungsphase, findet im Hippocampus eine schnelle Verknüpfung der neokortikalen Repräsentation in lokalen Gedächtnisspuren statt. Im zweiten Schritt, dem sogenannten Offline-Modus, werden die neuen, noch labilen Spuren gleichzeitig im Hippocampus und Kortex reaktiviert, um so die Nervenzellverbindungen innerhalb des Kortex zu verstärken, die der gespeicherten Repräsentation zu Grunde liegen.
Wenn das Gehirn offline geht
Was passiert, wenn die äußeren Reize und Einflüsse wegfallen?
Wenn wir schlafen, ist unser Gehirn im Offline-Modus. Dieser Begriff bezeichnet in den Neurowissenschaften Zustände, in denen wir nicht aktiv mit der Außenwelt interagieren. Offline-Modi treten im ruhigen Wachzustand, während des Schlafes oder unter Narkose auf. Sie alle sind durch Aktivität innerhalb eines bestimmten Netzwerks von eng miteinander verknüpften Hirnregionen gekennzeichnet. Wichtig ist hier, dass sich das Aktivitätsmuster während des Offline-Modus von dem Aktivitätsmuster im aufmerksamen Wachzustand unterscheidet, also wenn ein Individuum aktiv Signale aus der Außenwelt wahrnimmt.
Schema des Default-Mode Networks (rot) eines 25-Jährigen. Die Farben der Knoten stehen für bestimmte Hirnbereiche.
Das Default Mode Network – das Bewusstseinsnetzwerk oder Ruhezustands-Netzwerk des Gehirns – ist ein weiteres Beispiel für einen intern generierten Gehirnzustand. Es scheint vorzugsweise dann aktiv zu sein, wenn man sich auf interne Aufgaben konzentriert, etwa wenn Menschen tagträumen, Zukunftspläne machen, Erinnerungen wiederaufleben lassen oder die Sichtweisen anderer Menschen abschätzen. Das zeigen Studien mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie. Sie ergaben auch, dass ein eingeschränktes Default-mode-Netzwerk mit mehreren psychiatrischen Störungen in Zusammenhang gebracht werden kann.
Die Hirnrinde ist ein langsamer Lerner
Eine faszinierende Funktion des Offline-Modus ist die Speicherung neuer Erfahrungen. In der wissenschaftlichen Literatur gibt es breite Unterstützung für die Ansicht, dass frische Erinnerungen sehr Interferenz-anfällig sind und daher Zeit brauchen, um sich zu stabilisieren. Die Hirnrinde ist ein recht „langsamer Lerner“, weil Veränderungen in der kortikalen Synapsenstärke typischerweise Zeit brauchen. Dies ist vielleicht auch gut so, weil wir beziehungsweise unser Gehirn dadurch nicht mit unsinnigen und willkürlichen Informationen überfrachtet werden.
Aber es gibt auch Informationen, die wir schnell und kurzfristig aufnehmen müssen. Diese kurzfristige Speicherung von räumlich-zeitlichen Aktivitätsmustern findet daher vorzugsweise in Strukturen mit schneller Plastizitätsregulierung statt - also in Bereichen, die schneller reagieren und sich schneller verändern können als die Synapsenstärke der Hirnrinde. Der Hippocampus gilt als das Beispiel schlechthin für einen solchen Mikroschaltkreis-Verband: Er speichert frische Erinnerungen und kann sie reaktivieren, um die kortikale Plastizität zu fördern. Perioden der Ruhe oder des Schlafes begünstigen dabei die Gedächtnisstabilisierung.
Doch worauf basiert dieser Dialog zwischen Hippocampus und Kortex und wie kommuniziert der Hippocampus mit dem Rest des Gehirns?
Den Ripples auf der Spur
Wie kommuniziert der Hippocampus mit dem Rest des Gehirns?
Doch worauf basiert dieser Dialog zwischen Hippocampus und Kortex und wie kommuniziert der Hippocampus mit dem Rest des Gehirns? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen Veränderungen in der neuronalen Aktivität aufgespürt und identifiziert werden, die auf eine spezifische Gehirnfunktion hindeuten. Der Stärkung des Gedächtnisses im Schlaf soll ein intern generierter Zustand des Gehirns, das neuronale Replay, zu Grunde liegen.
Im Schlaf rekapituliert das Gehirn bestimmte Aktivitätsmuster
Kurz gesagt, Informationen aus der externen Welt aktivieren spezifische Neuronen, die für diese Art Information, beispielsweise für das Gesicht einer Person, die Stimme oder den Ort, empfänglich sind. Diese neuronale Aktivierung geschieht in einer bestimmten Reihenfolge.
Überraschenderweise wird nun im Offline-Modus, etwa bei ruhiger Wachsamkeit oder im Schlaf, dieselbe Abfolge an neuronaler Aktivität wiederholt, quasi erneut abgespielt. Dieses Phänomen der Wiederholung wurde an Nagetieren eingehend untersucht. Auch im menschlichen Gehirn geht derselbe neurophysiologische Mechanismus vonstatten.
Synchrone Signale im Hippocampus
Neuroforscher haben festgestellt, dass Episoden neuronaler Wiederholung vorzugsweise im Hippocampus während enger Zeitfenster vorkommen. Sie zeigen dabei mit wenigstens zwei charakteristische Signal-Dynamiken: (a) große Abweichungen im lokalen Feldpotenzial, die auch im Standard-EEG-Signal leicht zu beobachten sind, und (b) damit verbundene schnelle Schwingungen, die Ripples genannt werden und das synchrone Feuern von 50.000-100.000 interagierenden Projektionsneuronen und Interneuronen widerspiegeln.
Ripples (Pfeile) im Hippocampus des Affen.
Ripple-Ereignisse lassen sich mit Elektroden messen, die man in das entsprechende Subfeld des Hippocampus platziert. Die Ripples verteilen sich über den gesamten Hippocampus. Durch diesen globalen Charakter sind sie optimal als Modulator von Plastizität geeignet. Tatsächlich weist eine große Anzahl von Studien darauf hin, dass der Hippocampus mit Hilfe der Ripples Botschaften an den Kortex schickt und so dessen Plastizität verändert.
So überträgt er möglicherweise frisch erworbenes Wissen in das Langzeitgedächtnis. Die regionalen Interaktionen zwischen den Zellgruppen wurden und werden sehr detailliert untersucht. Doch was macht der Rest des Gehirns während dieser faszinierenden Aktivität in einem Subfeld des Hippocampus? Aktivieren die Ripples tatsächlich die für das Gedächtnis wichtigen Zentren in der Hirnrinde?
Mit Hirnscan und Elektroden
Neuer Blick ins Gehirn verrät Zusammenhang
Erst kürzlich haben Nikos Logothetis und sein Team vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik eine neue multimodale Methodik entwickelt, das sogenannte neural event-triggered functional magnetic resonance imaging (NET-fMRI oder NET-fMRT). Bei dieser Methode werden die vom Gehirn erzeugten Signale mittels Elektroden erfasst, die unter die Schädeldecke gepflanzt werden. Aufgenommen werden damit vor allem die Hirnströme, die während des Non-REM-Schlafs und der Ruhephasen auftreten.
Gleichzeitig wird die Hirnaktivität des Probanden mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufgezeichnet. Dieses bildgebende Verfahren zeigt, welche Hirnregionen besonders stark mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden - und daher gerade besonders aktiv sind. Die von den Elektroden aufgezeichneten Signale dienen nun als Trigger, das heißt als Auslöser oder zeitlicher Bezugspunkt einer Abfolge von Ereignissen. Denn mit ihrer Hilfe kann bei der Datenanalyse beispielsweise der fMRT-Scans, gezielt geschaut werden, was sich genau zum Zeitpunkt eines solchen Triggers verändert.
Kommunikation im Gehirn: Die roten Bereiche werden akiver, wenn im Hippocampus Ripples erzeugt werden.
Zeitlicher Zusammenhang
In der aktuellen Studie nutzten die Forscher als Trigger die Ripples des Hippocampus. Diese kann man sowohl in anästhesierten als auch wachen Rhesusaffen messen. Sie liegen im Bereich von 80 bis 160 Hertz. Die Wissenschaftler konnten mit ihrer Methode nun diejenigen Gehirnareale ermitteln, die ihre Aktivität immer in Abhängigkeit zu den Ripples erhöhten oder verringerten.
Mittels Messung der Feldpotenziale aus dem Hippocampus konnten die Forscher zeigen, dass die kurzen Abschnitte aperiodischer, wiederkehrender Schwingungen eng mit den robusten Aktivierungen der Hirnrinde verbunden sind. Diese wiederum treten zeitgleich mit einer umfangreichen Unterdrückung anderer Hirnstrukturen auf. Die Ripples spielen demnach offenbar tatsächlich eine wichtige Rolle für die Kommunikation von Hippocampus und Hirnrinde - und damit für die Konsolidierung unseres Gedächtnisses.
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