Freitag, 20. Dezember 2013

Unsere Neotenie haben uns die Bonobos vorgemacht.


Schimpanse
aus Die Presse, Wien, 20. 12. 2013

Bonobos bleiben das halbe Leben lang Kinder
Bei den sanften Schimpansen werden manche Hormone länger produziert, die der Schilddrüse.


Gar so lange sind sie noch nicht auseinander, die beiden Schimpansen, von denen die einen auch Schimpansen heißen (Pan troglodytes) und die anderen Bonobos (Pan paniscus): Erst vor 2,5 bis 0,85 Millionen Jahre trennten sich ihre Wege bzw. wurden sie getrennt, durch den Kongo. Eine Gruppe des gemeinsamen Ahnen kam irgendwie über den Fluss hinüber und fand wohlgedeckte Tische, deshalb konnte sich dieser Schimpanse zum „sanften Affen“ entwickeln. Während unter den anderen Schimpansen hohe Aggressivität herrscht, geht es unter Bonobos eher zu wie in einer Spielgruppe, die bekannte Strategie inbegriffen, Konflikte durch Sex zu entschärfen, oft auch nur gespielten.
 
Irgendwie wirken Bonobos wie Kinder – und sie sind es, zumindest über einen großen Teil ihres Lebens, man sieht ihnen die Verzögerung des Reifens an, die Konrad Lorenz generell „Neotonie“ nannte: Ihre Knochen wachsen langsamer als die von Pan troglodytes, ihre Zähne auch, die ganzen Gesichtszüge bleiben länger kindlich. Und das Verhalten bleibt es auch: Sie teilen noch in fortgeschrittenem Alter freundlich Futter, bei den anderen Schimpansen hört sich das mit dem Erwachsenwerden auf. Kurz: Schimpansen und Bonobos haben eine ganz andere Entwicklungsgeschwindigkeit („Heterochronie“), vermutlich werden die Bonobos auch älter, aber das hat man nur an gefangen gehaltenen Tieren beobachtet.

Wo kommt das alles her, wie wird das Leben im Paradies südlich des Kongo auf der molekularen Ebene umgesetzt in die Sanftmut? Vermutlich durch Hormone, und zwar durch die der Schilddrüse, Trijodtyronin (T3) und Thyroxin (T4). Die sind bei allen Wirbeltieren zentrale Spieler in der Entwicklung, auch bei uns. Da steigt die Produktion der entsprechenden Drüsen – sie gehören zu den endokrinen, die Hormone direkt ins Blut geben – gleich nach der Geburt stark an, in der Pubertät sinken sie wieder.

Und bei diesen Hormonen gibt es auch die erste bekannte endokrine Differenz zwischen uns und beiden Schimpansen: Sie haben doppelt so viele wie wir. Aber auch sie unterschieden sich stark, Verena Behringer (Leipzig) hat es bemerkt, an 200 Schimpansen und Bonobos im Alter zwischen einem und 56 Jahren bzw. am Hormongehalt ihres Kots: Der ist im Kindesalter bei beiden gleich hoch, bei Pan troglodytes sinkt er im Alter von zehn Jahren rasant – dann neigt sich auch das Wachstum dem Ende –, ähnlich wie bei uns. Bei Pan paniscus hingegen gehen die Werte erst im Alter von 20 Jahren zurück, das Wachstum ist längst abgeschlossen (Journal of Human Evolution, 12. 12.).

Dass sie trotzdem noch wie die Kinder sind, liegt möglicherweise daran, dass die Schilddrüsenhormone die Rezeptoren für andere Hormone beeinflussen, die für Adrenaline, sie hängen mit der Aggressivität zusammen. Und wohl auch mit der Milde der Bonobos. Die allerdings hat ihren Preis: Auch in der kognitiven Entwicklung kommen diese Cousins nur langsam voran.


Nota.

Nach herkömmlicher Auffassung können evolutionäre Spezialisierungen, die eine Gattung einmal vollzogen hat, nicht wieder rückgängig gemacht werden. Mit einer Ausnahme, die der holländische Biologe Ludwig Bolk vor fast hundert Jahren entdeckt hat: indem die Entwicklung der Individuen abgebrochen wird, bevor sie ihr biologisch 'eigentlich' vorgesehenes Reifestadium erreicht haben - und auf einer jugendlichen und gar kindlichen Stufe festgehalten wird: "Neotenie". Dass dafür endokrinale Vorgänge verantwortlich sind, wurde von Anfang an vermutet, und dass beim Menschen die Schilddrüse nur noch die Funktion hat, die geschlechtliche Reifung vom sechsten ins zehnte bis dreizehnte Lebensjahr zu verzögern, ist lange bekannt.

Nach Lorenz und nach einigen namhaften Vertretern der Philosophischen Anthropologie ist Neotenie das herausragende Kennzeichen bei der Entwicklung von Homo sapiens. Namentlich die spezifisch menschlichen Eigenschaften wie Neugier und Unternehmungslust seien ihnen geschuldet - und eo ipso die Ausbildung des Geistes.

Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um einen spezifisch männlichen Beitrag zu unserer Gattungsgeschichte handelt.
JE

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