Vor 75 Jahren wurde die Kernspaltung entdeckt
Durchgeführt von Otto Hahn und Fritz Straßmann, erklärt von Lise Meitner: Ein entscheidender Moment der Wissenschaftsgeschichte mit gravierenden Folgen
Berlin/München - Vor 75 Jahren wurde eine Entdeckung gemacht, die bis heute gravierende Folgen hat: Bei einem Experiment am 17. Dezember 1938 im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie gelang es den deutschen Chemikern Otto Hahn und Fritz Straßmann, erstmals eine Kernspaltung nachzuweisen. Dazu lieferte die österreichische Physikerin Lise Meitner eine erste physikalisch-theoretische Erklärung für die Spaltung von Atomkernen.
Die Rolle Lise Meitners
"Lise Meitner hat die Versuche, die letztlich zur Kernspaltung führten, initiiert", sagt ihre Biografin Charlotte Kerner. Die Physikerin gehörte zu den ersten in Österreich zum Studium zugelassenen Frauen und war 1906 die zweite Frau, die an der Universität Wien promoviert wurde. In Berlin habilitierte sie 1922 als erste Frau in Deutschland im Fach Physik. 1926 wurde sie in Berlin - als erste Frau im Bereich Physik - außerordentliche Professorin.
Sie sei fasziniert gewesen von den Experimenten des Italieners Enrico Fermi und überredete Hahn, sie ebenfalls zu machen. Fermi hatte Uran mit Neutronen beschossen. Sie sollten in den Atomkern eindringen. "Fermi wollte dadurch neue, künstliche und schwerere Elemente schaffen, die er Transurane nannte", erklärt Kerner.
Persönlich miterleben konnte Meitner die Versuche Hahns und Straßmanns nicht. Der vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflüchteten Jüdin blieb nur der Briefkontakt zu Hahn. Auf dem Postweg gab Meitner Hahn schließlich auch die theoretische Erklärung für die Versuchsergebnisse der beiden Chemiker.
Unerwartete Ergebnisse
Zu ihrer Überraschung fanden sie statt der Transurane Barium. "Nach dem damaligen Stand der Wissenschaft galt es als unmöglich, dass ein Atomkern in der Mitte auseinanderfliegen kann", sagt der Mainzer Chemiker und ehemalige Straßmann-Schüler Norbert Trautmann. Man sei damals davon ausgegangen, dass durch die Bestrahlung mit Neutronen nur Elemente entstehen können, die sich wenig vom Ausgangselement unterscheiden.
Hahn-Meitner-Straßmann-Tisch
Daher habe Hahn kurz nach dem Experiment Meitner um Hilfe bei der Interpretation der Ergebnisse gebeten, erläutert Trautmann. "Zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch konnte Meitner erklären, wie der Spaltungsprozess stattfindet." Außerdem hätten die beiden Physiker auch gleich erkannt, dass dabei sehr viel Energie frei werde. "Kurz danach wurde von anderen Forschern gezeigt, dass bei der Spaltung neue Neutronen entstehen, die in einer Kettenreaktion wiederum Atomkerne spalten können", erklärt der Chemiker.
Verwertung folgte auf dem Fuß
Diese Entdeckung machte sich die Atomindustrie nur wenige Jahre später zunutze. "Schon 1942 entstand in den USA der erste Atomreaktor", sagt Trautmann. Inzwischen versorgen Atomkraftwerke weltweit Millionen von Menschen mit Strom, sorgen aber bei Unfällen auch für großflächige radioaktive Kontaminationen wie in Tschernobyl (1986) oder in Fukushima (2011). Dazu kommen die Probleme mit der Endlagerung radioaktiver Abfallstoffe. Und diese Probleme bleiben über Jahrtausende hinweg aktuell - Deutschland hat mittlerweile einen Isolationszeitraum von einer Million Jahre festgelegt.
Die Entdeckung brachte aber auch die Atombomben, die US-Amerikaner 1945 auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abwarfen, mit verheerenden und bis dahin unvorstellbar schrecklichen Folgen. Und danach das nukleare Wettrüsten, das "Gleichgewicht des Schreckens" und heute die Angst vor nuklearem Terrorismus.
Nutzung: Ja, aber ...
"Hahn bezeichnete die Nutzung der Kernspaltung für militärische Zwecke später als "Schweinerei", mit der er "nichts zu tun habe", sagt Susanne Rehn-Taube, Kuratorin für Chemie im Deutschen Museum in München. Auch Straßmann sei sehr erschüttert gewesen, dass die Entdeckung diese Folgen hatte, ergänzt Trautmann.
Hahn und Straßmann gehörten daher auch zu den Unterzeichnern des Göttinger Manifests von 1957 gegen strategische Atomwaffen. "Auch Lise Meitner war immer gegen die Atombombe und für die friedliche Nutzung der Atomenergie", sagt Kerner. Damals habe man die Atomenergie als die Lösung des Energieproblems der Menschheit betrachtet und dabei die Folgen nicht bedacht.
Kein Nobelpreis für Meitner
Dass Hahn allein den Nobelpreis für Chemie bekam, habe Meitner akzeptiert, sagt Kerner. "Es hat sie aber furchtbar geärgert, dass sie noch lange nur als Mitarbeiterin Hahns bezeichnet wurde", ergänzt die Biografin. "Frauen galten per se als Zuarbeiterinnen". Aus heutiger Sicht sei die Entdeckung der Kernspaltung eine Gemeinschaftsarbeit.
Das verdeutlicht auch ein prominentes Exponat im Deutschen Museum: Jener Arbeitstisch, auf dem das seinerzeitige Experiment durchgeführt wurde. Der Tisch sei heute eine Ikone der Wissenschaftsgeschichte, sagt Rehn-Taube. Mehrere Jahrzehnte war er nach dem Chemiker Otto Hahn benannt gewesen - heute heißt er "Hahn-Meitner-Straßmann-Tisch". (APA/red.)
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