Wer die Kirche schmäht, verbessert die Gesellschaft
Kann man das Christentum "auf sich beruhen lassen"?
Zur Religionskritik von Kurt Flasch
Wien - Bei der Angelobung der neuen Regierung in Deutschland wollte kürzlich kein einziger Minister auf höheren Beistand verzichten: "So wahr mir Gott helfe", so lautete die Schlussformel bei allen Amtseiden, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zum Glück fragt in so einer Situation niemand, was denn mit dem Wort Gott dabei genau gemeint ist. Die Antworten darauf würden wohl ein hübsches Panoptikum der diffusen Religiosität in einem Land wie Deutschland ergeben. Die meisten Leute sind in einer nicht kontroversen Weise irgendwie gläubig. Das zieht auch der Religionskritik den Stachel.
Nur gute Erfahrungen
Von Zeit zu Zeit sieht sich allerdings jemand bemüßigt, die Wahrheitsfragen zu stellen. In diesem Jahr zum Beispiel der Philosoph Kurt Flasch, ausgewiesener Kenner der Denker vor allem des lateinischen Mittelalters, von Augustinus bis Nikolaus Cusanus. Er hat ein Buch mit dem Titel Warum ich kein Christ mehr bin (C. H. Beck) veröffentlicht, das eine Weile sogar in den Bestsellerlisten aufschien. Flasch führt eine Auseinandersetzung mit dem Christentum, die gut in unsere Zeit passt. Denn die entscheidenden Auseinandersetzungen um die christliche Religion sind schon geführt worden, nun geht es darum, ehrliche Konsequenzen zu ziehen. Und da hat Flaschs Stimme aus einem lebensgeschichtlichen Grund ein besonderes Gewicht. Er hat mit dem Glauben nämlich nur gute Erfahrungen gemacht. "Ich bin dem Christentum abhandengekommen, nicht weil die Kirche mich gedemütigt, gequält oder missbraucht hätte, sondern während sie mich verwöhnt hat."
Flasch entstammt dem rheinischen Katholizismus, ein Katholizismus, der während des Nationalsozialismus auch "politisch" war, also gegen das Regime. Ein katholischer Geistlicher brachte ihm "das Lesen mittelalterlicher Handschriften bei" und legte so den Grundstein für eine beachtliche wissenschaftliche Karriere. Nun, im neunten Lebensjahrzehnt, wird Flasch noch einmal grundsätzlich. Die "kirchlichen Lehren erfreuen sich großer Schonung". Aus dieser Schonung, die viel mit Faulheit, aber eben auch mit jenem Opportunismus zu tun hat, wie ihn die Politiker zeigen, will Flasch sich ausnehmen.
Er will dies in einem Geist "ruhiger, heiterer Distanz" tun, was nicht immer vollständig gelingt. Aber wie sollte das auch gehen angesichts der monumentalen Widersprüchlichkeit und Abstrusität, die als ein katholisches Lehrgebäude errichtet wurde, für das auch ein bescheidener Papst wie der populäre Franziskus nach wie vor Autorität reklamiert? "Formeln und Immobilienbesitz bleiben", schreibt Flasch in einem raren polemischen Moment seines Buches, der doch wichtig ist. Denn Religionskritik betreibt man nicht interesselos, sondern zur Verbesserung der Gesellschaft.
Einfach zum Nachdenken
Doch genau genommen ist diese längst auf den "poetischen" Wahrheitsbegriff übergegangen, den auch Flasch vertritt: Geschichten und Bildideen inspirieren zum Nachdenken, auf den Wortlaut der Dogmen würde kaum jemand einen Eid schwören. Die Bibel und die kirchliche Überlieferung enthalten entsetzliche Geschichten und herrliche Ideen, wer daran als Ganzes glauben will (und das allein wäre Christentum), kommt um einen Sprung ins Absurde nicht herum.
Flasch hingegen kommt gegen Ende eines langen, erfreulichen Lebens zu dem Schluss, das Christentum "auf sich beruhen" zu lassen. Sein Buch wäre vielleicht noch eine Spur aufrichtiger und nachvollziehbarer geworden, wenn er deutlicher zugelassen hätte, was sich an mancher Stelle unwillkürlich doch zu erkennen gibt: Seine "Heiterkeit" ist philosophische Haltung, darunter lodern die Leidenschaften einer Vernunft, die mitunter nicht weniger anmaßend ist als der Eifer derer, die zu wissen glauben, wer oder was Gott ist.
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