Wenn Wissen keine Folgen hat
Christoph Hoffmann räsoniert über den Wissenschaftsbetrieb
Christoph Hoffmann räsoniert über den Wissenschaftsbetrieb
von Urs Hafner · Die
Natur- und Sozialwissenschaften sind modern geworden. Sie legen dar, wie
man gesünder leben kann, berechnen Umweltrisiken und identifizieren
soziale Problemlagen. Politikerinnen nicht weniger als Bürger und
Konsumenten stützen ihre Entscheidungen und Präferenzen auf
wissenschaftliche Resultate und Erkenntnisse ab. Massenmedial unter der
Formel «Wissenschafter haben herausgefunden, dass . . .» verbreitet,
halten Forschungsergebnisse die Menschen an, sich zustimmend oder
ablehnend zu ihnen zu verhalten. Man trinkt also zum Beispiel viel
Wasser, auch wenn man keinen Durst hat, oder nimmt eben doch, wider
besseres Wissen, gesättigte Fettsäuren zu sich.
Den Status zu relativieren, den
Wissenschaft und Forschung in der «Wissensgesellschaft» einnehmen, hat
sich der an der Universität Luzern lehrende Wissenschaftsforscher
Christoph Hoffmann vorgenommen. Er möchte die «Arbeit der
Wissenschaften» - so der Titel seines Essays - quasi in ihrer Normalität
zeigen. Nicht anders als andere Tätigkeiten auch würden
wissenschaftliche Unternehmungen manchmal zu Ende geführt. Viel öfter
aber scheiterten sie, und zwar so, dass sich daraus nichts lernen lasse.
Dass ein Forschungsprojekt folgenlos bleibe, sei oft der Fall, werde
aber unter Forschenden tabuisiert, weil es unter dem heutigen
«Innovationsregime» nichts Schlimmeres gebe. Hoffmann zieht sogar die
«Erfolge» der Wissenschaften in Zweifel: Die sogenannte statistische
Signifikanz und die angeblich geglückten Replikationen kämen oft nur
deshalb zustande, weil die Forschenden an einem bestimmten Punkt ihrer
Experimente und Berechnungen von weiteren Differenzierungen absähen. Ob
sie nun für sich im Labor forschten oder für die staatliche
Programmforschung Empfehlungen zu Problemen abgäben (die zuvor von ihnen
als forschungswürdig definiert worden seien): Die prätendierte
Eindeutigkeit der Resultate und deren behauptete Relevanz für den
Erkenntnisfortschritt wie für die Gesellschaft insgesamt seien oft eine
Illusion.
So gesehen könnte man die von der
wissenschaftlichen Gemeinschaft verstärkten Massnahmen zum Aufdecken von
Plagiaten als Symptom bezeichnen, das von verdrängten Selbstzweifeln
zeugt. Vielleicht nämlich sind die Natur- wie die statistisch
operierenden Sozialwissenschaften ihrer Objektivität und Rationalität
doch nicht so sicher, wie sie gewöhnlich den Anschein erwecken (die
Geisteswissenschaften sind in diesem Punkt vorsichtiger). Den
überführten Übeltätern käme also die Funktion zu, die grosse Mehrheit
darin zu bestätigen, dass sie korrekt arbeite.
Nun ist Christoph Hoffmann
beileibe nicht der Erste, der den Fortschrittsglauben der Wissenschaften
infrage stellt. Zu betonen, dass das Scheitern zum Forschungsalltag
gehöre, dass der Erkenntnisprozess nicht linear verlaufe und dass manche
Erkenntnisse sich gerade Misserfolgen verdankten, ist ein Topos der
Wissenschaftsphilosophie und Wissenssoziologie. Doch Hoffmann geht, wie
er - nicht gerade von Selbstzweifeln gequält - anmerkt, weiter als
Ludwik Fleck, Thomas S. Kuhn und Bruno Latour. Trügen für diese Autoren
das Scheitern und die Irrtümer letztlich, auch oft durch die Hintertür,
doch immer wieder zum wissenschaftlichen Fortschritt bei, so bezweifelt
er ihn radikal. Indem er jedoch alle Wissenschaften in einen Topf wirft,
schiesst er übers Ziel hinaus.
In diesem Punkt mangelt es nicht nur dem
die Politik beratenden Politikwissenschafter, sondern auch ihm, dem
Wissenschaftsforscher, an Differenzierungswillen. Zudem sind die
technischen Fortschritte - im Guten wie im Schlechten - unbestreitbar,
welche die westliche Zivilisation seit der Freisetzung des
wissenschaftlichen Denkens erzielt hat; «Erfolge» gibt es also sehr
wohl.
Dennoch sind Hoffmanns provokative
Reflexionen bedenkenswert. Sein Essay liest sich angesichts der
volltönenden Nutzen- und Innovationsrhetorik des Wissenschaftsbetriebs
wohltuend nüchtern. Auch wenn es zu begrüssen ist, dass Forschende
Rechenschaft darüber ablegen, was sie tun und zu welchem Ende - es darf
nicht sein, dass der Legitimationsdruck zu dem Zwang führt, unbedingt
folgenreiche Ergebnisse vorzulegen.
Christoph Hoffmann: Die Arbeit der Wissenschaften. Diaphanes, Zürich, Berlin 2013. 174 S., Fr. 24.40.
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