aus scinexx NaCl3 - galt bislang als unmöglich. Die Farben symbolisieren die Elektronenlokalisation.
Chemiker erzeugen verbotene Verbindungen
Exotische Kochsalz-Varianten widersprechen Lehrbuch-Regeln und revolutionieren die Chemie
Dem Chemie-Lehrbuch nach dürfte es diese Verbindungen gar nicht
geben: Forscher haben bei hohem Druck und Hitze Kochsalz-Variante
hergestellt, bei denen jedes Natriumatom mit zwei oder mehr Chloratomen
verbunden ist. Das aber verstößt gegen die Regel, nach der jede
Verbindung eine volle Außenschale an Elektronen anstrebt. Die Erzeugung
solcher "verbotener" Verbindungen läute eine Revolution in der Chemie
ein, erklären die Wissenschaftler im Fachmagazin "Science". Das sei erst
der Anfang der Entdeckung völlig neuer Verbindungen.
Kochsalz,
mit chemischem Namen Natriumchlorid (NaCl), ist eine der bekanntesten,
meist untersuchten und stabilsten Verbindungen. Seine chemische
Zusammensetzung ist denkbar einfach: Je ein Natriumatom (Na) und ein
Chloratom (Cl) formen das kubische Salzgitter. Das gilt zumindest unter
normalen Druck- und Temperaturbedingungen. Andere Verbindungen der
beiden chemischen Elemente sind nach den Regeln der klassischen Chemie
verboten.
Denn die Oktett-Regel besagt, dass alle chemischen Elemente den Zustand
der Edelgase anstreben. Diese besitzen jeweils acht Elektronen in ihrer
äußeren Schale, die damit vollständig gefüllt ist. Natrium hat gerade
ein einzelnes Elektron zu viel für eine abgeschlossene äußere Schale, Chlor
fehlt dagegen genau eines. Tun sich beide zusammen, gibt das Natrium
sein überzähliges Elektron an das Chlor ab, so dass beide Atome eine
abgeschlossene äußere Schale mit jeweils acht Elektronen erreichen. So
entsteht eine starke Ionenbindung.
Verstoß gegen die Achter-Regel
Unter extremen Bedingungen sieht das jedoch anders aus, wie jetzt ein
internationales Forscherteam festgestellt hat. Sie hatten Kochsalz unter
mehr als 200.000-fachem Atmosphärendruck komprimiert und erhitzt, wobei
sie entweder eine Extraportion Natrium oder Chlor mit in die
Probenkammer gaben. Im Licht der Röntgenquelle PETRA III am Deutsches
Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg beobachteten die Forscher das
Ergebnis.
herkömmlicher Kochsalz-Kristall aus; NaCl - Natrium und Chlorid immer abwechselnd.
"Anknüpfend an theoretische Vorhersagen haben wir die Proben unter Druck
für eine Weile mit Lasern erhitzt", erläutert DESY-Forscherin Zuzana
Konôpková. Oganovs Team hatte zuvor bereits berechnet, dass sich unter
diesen extremen Bedingungen exotische Verbindungen bilden könnten, die
dann auch stabil bleiben, solange die Extrembedingungen anhalten. "Wir
haben verrückte Verbindungen vorhergesagt und erzeugt, die gegen die
Lehrbuchregeln verstoßen: NaCl3, NaCl7, Na3Cl2, Na2Cl, und Na3Cl,” sagt
Hauptautorin Weiwei Zhang vom DESY.
Besonders die Verbindungen Na3Cl und NaCl3 waren leicht zu erzeugen.
"Diese Verbindungen sind thermodynamisch stabil und bleiben das auch,
sobald sie einmal erzeugt wurden", betont Zhang. "Die klassische Chemie
verbietet ihre Existenz. Die klassische Chemie sagt auch, dass Atome
versuchen, die Oktett-Regel zu erfüllen - die Elemente nehmen oder geben
Elektronen, um die Elektronenkonfiguration des nächsten Edelgases zu
erreichen, mit einer voll besetzten äußeren Elektronenschale, was sie
sehr stabil macht. Nun ja, hier ist diese Regel nicht erfüllt."
Revolution in der Chemie
Die Experimente können den Blick der Chemie erweitern, betonen die
Autoren. "Ich denke, diese Arbeit ist der Anfang einer Revolution in der
Chemie", ist Oganov überzeugt. "Wir haben bereits bei vergleichsweise
niedrigen Drücken, die sich im Labor erreichen lassen, vollkommen
stabile Verbindungen gefunden, die den klassischen Regeln der Chemie
widersprechen. Schon bei einem vergleichsweise mäßigen Druck von 200.000
Atmosphären - im Zentrum der Erde herrscht ein Druck von 3,6 Millionen
Atmosphären - verliert viel von dem, was wir aus Chemie-Lehrbüchern
wissen, seine Gültigkeit."
Ein Grund für die überraschende Entdeckung ist, dass die Lehrbuchchemie
üblicherweise für die sogenannten Normalbedingungen gilt. "Hier auf der
Erdoberfläche sind diese Bedingungen vielleicht normal", erläutert
Konôpková. "Aber wenn man auf das Universum als Ganzes blickt, sind sie
ziemlich speziell." Was "verboten" unter irdischen Normalbedingungen
ist, kann unter extremen Bedingungen möglich werden. "'Unmöglich'
bedeutet tatsächlich, dass die Energie hoch ist", sagt Oganov. "Die
Regeln der Chemie sind nicht wie mathematische Theoreme, die nicht
gebrochen werden können. Die Regeln der Chemie lassen sich brechen, denn
'unmöglich' ist eingeschränkt unmöglich. Man muss nur die Bedingungen
finden, unter denen sich die Energiebilanz ändert, und dann gelten die
Regeln nicht mehr."
Neue Anwendungen möglich
Abgesehen von ihrer fundamentalen Bedeutung kann die Entdeckung auch zu
neuen Anwendungen führen. "Wenn man das theoretische Fundament der
Chemie verändert, ist das eine große Sache", betont Goncharov. "Was es
aber auch bedeutet, ist, dass wir neue Materialien mit exotischen
Eigenschaften herstellen können." Unter den Verbindungen, die die Gruppe
um Oganov erzeugt hat, sind beispielsweise zweidimensionale Metalle, in
denen Strom entlang der Strukturschichten fließt.
"Eines dieser Materialien - Na3Cl - hat eine faszinierende Struktur",
berichtet Oganov. "Es besteht aus NaCl-Schichten und Schichten reinen
Natriums. Die NaCl-Schichten wirken als Isolatoren, die reinen
Natriumschichten leiten den Strom. Systeme mit zweidimensionaler
elektrischer Leitfähigkeit haben eine Menge Interesse geweckt."
Die Kochsalzexperimente sind möglicherweise erst der Anfang der
Entdeckung völlig neuer Verbindungen. "Wenn dieses einfache System in
der Lage ist, sich unter Hochdruck in so eine vielfältige Reihe von
Verbindungen zu verwandeln, dann gilt das für andere wahrscheinlich
auch", erwartet Goncharov. "Das könnte helfen, offene Fragen etwa zu
jungen Planetenkernen zu beantworten, aber auch, neue Materialien von
praktischem Nutzen zu erzeugen." (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1244989)
(Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, 20.12.2013 - NPO)
Nota.
NaCl3 ist überhaupt ein merkwürdiges Stöffchen. Soeben berichtet scinexx, dass es bei schwangeren Frauen den Blutdruck nicht erhöht, sondern senkt.
JE
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