aus derStandard.at, 4. Oktober 2013, 10:51
Hirnstimulation kann Befolgung sozialer Normen beeinflussen
Rechter lateraler präfrontaler Kortex als entscheidend für Umgang mit sozialen Normen identifiziertWien/Zürich - Wissenschafter der Universität Zürich haben jene Region des Gehirns lokalisiert, die für die Einhaltung sozialer Normen zuständig ist. In der im Fachjournal "Science" veröffentlichten Arbeit hat das internationale Team mit österreichischer Beteiligung außerdem gezeigt, dass die Befolgung von Normen durch elektrische Stimulation der Hirnregion beeinflusst werden kann.
Kleidungsvorschriften, Tischmanieren, Einhaltung von Gesetzen - ob derartige soziale Normen von Menschen eingehalten werden, hängt offenbar vorrangig von einer bestimmten Gehirnregion ab - dem rechten lateralen präfrontalen Kortex (rLPFC). Wie die Forscher nun im Fachmagazin "Science" darlegen, kann eine Stimulation dieser Gehirnregion mit Hilfe schwacher elektrischer Ströme das Handeln beeinflussen. Dabei kann der für die Einhaltung sozialer Normen zuständige Mechanismus sowohl verstärkt als auch abgeschwächt werden.
Experiment zur Einhaltung der Fairnessnorm
In ihrer Studie gaben die Forscher um den Neuroökonomen Christian Ruff 63 Probanden Geld, das sie jeweils mit einem anonymen Partner teilen mussten. Dadurch wurde die Einhaltung der westlichen Fairnessnorm untersucht, wonach das Geld gerecht geteilt werden sollte. Bei einem weiteren Versuch ging es um die selbe Aufgabe, den Teilnehmern wurden diesmal allerdings im Vorfeld Sanktionen für unfaires Handeln angedroht.
Während des Experiments erhöhten bzw. reduzierten die Wissenschafter die Aktivität der Nervenzellen im rechten lateralen präfrontalen Kortex. Wurde die neuronale Aktivität in dieser Hirnregion gesteigert, folgten sie der Fairnessnorm stärker und gaben dem Partner deutlich mehr Geld. Ohne Sanktionsdrohung wurden die Teilnehmer mit erhöhter Aktivität allerdings deutlich knausriger. Bei einer Verringerung der neuronalen Aktivität in der Hirnregion verhielt es sich genau umgekehrt. Die Auswirkungen - in beide Richtungen - waren zudem jeweils stärker, wenn bei dem Experiment Menschen und nicht Computer als Partner eingesetzt wurden.
Direkte Beeinflussung möglich
"Die Befolgung der Fairnessnorm konnte also direkt durch die neuronale Stimulierung beeinflusst werden, sowohl für freiwillige Normbefolgung als auch wenn Strafe für Normverletzung angedroht wurde", so Studienleiter Ruff, der das Experiment gemeinsam mit dem aus Österreich stammenden Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr und dem derzeit an der Social, Cognitive and Affective Neuroscience Unit der Universität Wien tätigen Giuseppe Ugazio durchführte.
Gleichzeitig konnten die Wissenschafter zeigen, dass die neuronale Stimulierung zwar das Verhalten der Teilnehmer beeinflusste, nicht aber deren Wahrnehmung der Norm. Unverändert blieb auch die Erwartung der Teilnehmer darüber, ob und wie stark sie für normabweichendes Verhalten bestraft würden. "Der Gehirnmechanismus, der für die Einhaltung sozialer Normen verantwortlich ist, ist von den Prozessen getrennt, die Wissen und Glauben über die soziale Norm darstellen", so Fehr.
Debatte über Verantwortung für Normverstöße
Die Erkenntnisse der Wissenschafter könnten künftig für die Behandlung bestimmter psychischer und neurologischer Krankheiten relevant sein, schreibt "Science". Ruff verweist darauf, dass viele Krankheiten dadurch definiert seien, dass die Betroffenen sich in sozialen Situationen "unangemessen" verhielten. So seien bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen Normverstöße ein wichtiges Diagnosekriterium.
Die Autoren erwähnen aber auch bestimmte Kriminelle, die Schwierigkeiten mit der Einhaltung sozialer Normen hätten. Fehr verweist auf mögliche "wichtige Auswirkungen für das Rechtssystem, da die Fähigkeit, richtig von falsch zu unterscheiden, vermutlich für die Fähigkeit, soziale Normen einzuhalten, nicht ausreicht". Für Ruff könnten die Resultate eine Debatte darüber anstoßen, inwiefern jemand Verantwortung für das Verstoßen gegen soziale Normen übernehmen soll - auch wenn er voll über diese Normen Bescheid weiß. (APA/red)
Nota.
Nun wollte man gern auch wissen, wo im Gehirn gegebenenfalls die Entscheidung fällt, eine als solche bekannte soziale Norm - sei es aus Interesse, sei es aus höheren moralischen Erwägungen - nicht einzuhalten.
J.E.
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