Das (maschinelle) Gedankenlesen kommt rasant voran
Hirnforscher sind
beim Sichtbarmachen von Gedanken schon so weit, dass sich die Polizei
und Firmen wie Daimler-Benz dafür interessieren„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten? [...] Es bleibet dabei, die Gedanken sind frei!“ Der alte Volksliedtraum der Deutschen war nie ganz wahr, weder als er von Walther von der Vogelweide verdichtet wurde („joch sind iedoch gedanke fri“), noch als er 1806 in „Des Knaben Wunderhorn“ stand. Es gab zu allen Zeiten besonders Einfühlsame, die sich in andere hineinversetzen konnten – Handleserinnen etwa –, und ein Stück weit können wir es ja alle.
Aber im Großen und Ganzen hielt die revolutionäre Emphase weit ins 20. Jahrhundert, dann erodierte sie: Erst fiel Hirnforschern auf, dass unsere Gehirne Entscheidungen treffen, bevor wir sie bewusst treffen, damit kam die Freiheit (des Willens) in Zweifel.
Und dann kamen Maschinen, die die Vorgänge im Gehirn sichtbar machten, bildgebende Verfahren wie das der Magnetresonanz, das zeigt, welche Region aktiv ist. Damit kann man ablesen, was Testpersonen sehen oder was sie beschließen. Ersteres gelang 2001 Jim Haxby (New Hampshire): Er zeigte Probanden Objekte – eine Schere, eine Flasche etc. –, und hielt die Hirnaktivitäten fest. Dann baute er daraus ein Computerprogramm, das konnte in der nächsten Runde aus den Hirnaktivitäten auf gesehene Gegenstände rückschließen.
Das zweite Mirakel begab sich 2007 bei John-Dylan Haynes (Leipzig): Er bat Probanden, in Gedanken nach Belieben zwei Zahlen entweder zu addieren oder voneinander abzuziehen. Auch diese Wahl wurde sichtbar, lange bevor die Probanden sie bewusst trafen. Das waren natürlich ein schlichter Test, aber er weckte Aufmerksamkeit, etwa beim Automobilhersteller Daimler-Benz, er schickte Abgesandte zum Forscher: Ob er verborgene Kundenwünsche erkunden könne? John-Dylan winkte ab: Grundsätzlich gehe das schon, aber die herkömmlichen Instrumente der Marktforschung seien feiner, berichtete er Nature (502, S.428).
Das wird sich ändern: Im Labor von Jack Galland (Berkeley) sehen die Testpersonen Filme – etwa eine Doku über Seekühe –, dann interpretiert ein Computerprogramm das Gehirn und spuckt „Wal“ und „schwimmen“ aus. Beide bzw. ihre Muster im Gehirn kennt das Programm schon, und „Wal“ ist einfach dem neuen Objekt am ähnlichsten. Dass das eine Seekuh ist, wird das Programm in der nächsten Runde wissen. Und in Japan ist es im Frühjahr gelungen, Träume von Testpersonen sichtbar zu machen.
Das machte sogar den nüchternen „Economist“ hellhörig – er mahnte die Leser zur „Furcht“ – auch Kriminalisten spitzten die Ohren, vor allem über Haynes' jüngstes Experiment: In dem wurden Probanden Bilder von Innenräumen gezeigt, und dem Hirn ließ sich ablesen, ob die Person schon einmal in dem Raum war. Wenn also etwa in einem Raum ein Mord begangen wurde und die Polizei hätte einen Verdächtigen, der alles abstreitet!
Ähnliches wird schon kommerzialisiert, von Lügendetektorfirmen, aber vielleicht fehlt bei der Rechnung der Wirt: Wieder bei Galland spielten Probanden „Counterstrike“,ein Videospiel um Leben und Tod. Der Forscher wollte Informationen über geplante Bewegungen. Er bekam sie nicht, die Emotionen waren zu stark und überdeckten alles andere. „Es bleibet dabei“? Ja, das aufmüpfige Lied muss nur mit der richtiggen Emphase gesungen werden!
E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com
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