Der Wissenschafter - dein Freund und Helfer?
Das Bild von den Wissenschaften als die grossen Problemlöser ist kein realistisches
Die Schweiz soll eine innovative Wissensgesellschaft sein. Doch das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild der Wissenschaften ist einseitig. Schuld daran sind auch die Wissenschaften selber.
Das Bild von den Wissenschaften als die grossen Problemlöser ist kein realistisches
Die Schweiz soll eine innovative Wissensgesellschaft sein. Doch das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild der Wissenschaften ist einseitig. Schuld daran sind auch die Wissenschaften selber.
von Urs Hafner
Vor kurzem kam in einer
Talk-Sendung des Schweizer Radios ein denkwürdiger Dialog zustande.
Danach gefragt, was sein Spezialgebiet sei, antwortete der geladene
Philosoph: Phänomenologie. Darauf der Moderator, vom lachenden Publikum
begleitet: «Phä-no-me-no-lo-gie? Was ist das?» Nun lachte auch der
Philosoph: Wenn er den Begriff erklären würde, dauerte die Sendung viel
zu lang; die Phänomenologie sei eine andere Art, die Welt anzuschauen,
eine Art Wahrnehmungstheorie. Der Moderator: «Und was bringt das?»
Wieder lachte das Publikum. Der Philosoph: Sehr viel, es gehe um die
subjektiven Momente unserer Wahrnehmung. Der Moderator: Das könne man
also in der Psychologie anwenden?
Irgendwie dubios
Der Dialog bringt das Verhältnis
von Geisteswissenschaften und öffentlicher Meinung treffend zum
Ausdruck. Der Philosoph ist von Anfang an in der Defensive; er muss sich
verteidigen. Der Moderator dagegen greift an; er spricht das Wort
«Phänomenologie» wie den Namen einer exotischen Krankheit aus. Zwar ist
der Begriff ebenso wenig geläufig wie das, was er bezeichnet, doch hätte
der Gast «Quantenphysik» oder «Molekularbiologie» gesagt, hätte der
Moderator anders reagiert, wahrscheinlich sachlicher, vielleicht
bewundernd.
Der unter Legitimationsdruck
stehende Philosoph changiert zunächst zwischen Kapitulation und
Koketterie: Die Sache sei zu kompliziert, als dass man sie kurz erklären
könne. Damit bestätigt er das Vorurteil, dass seine Tätigkeit irgendwie
dubios sei. Dann versucht er, deren Wert hervorzustreichen, kann aber
nicht mehr aus der vom Moderator vorgegebenen Spur ausscheren. Dieser
biedert sich dem Publikum an: Er will nur den praktischen Nutzen und die
Anwendung dieser Wissenschaft kennen. Die Frage, die der Philosoph
aufzuwerfen versucht, dass man nämlich die Welt und ihre Gegenstände
verschieden wahrnehmen könne, übergeht er. Sich auf sie einzulassen,
wäre ihm zu viel an Reflexion gewesen.
Neuerdings erklären die Eliten die
Schweiz zur «Wissensgesellschaft». Demnach beruht der Wohlstand des
Lands hauptsächlich auf dem Wissen, das an seinen Hochschulen produziert
und dann in Dienstleistungsunternehmen, Industriebetrieben und
Bildungsinstitutionen verarbeitet wird. Das Schlagwort der
Wissensgesellschaft soll die identitäre Leerstelle auffüllen, die
entstanden ist, als das Selbstbild von der autarken Agrarrepublik, das
in der Schweiz bis zum Ende des Kalten Kriegs kultiviert wurde, zerfiel.
Die Rede von der
Wissensgesellschaft suggeriert, dass das über keine Rohstoffe verfügende
Land seine führende Position als Forschungsnation weiter ausbauen
müsse. Es versteht sich von selbst, dass die Mitglieder der
Wissensgesellschaft viel wissen und gebildet, also beispielsweise auch
selbstreflexiv sind. Die Bedingung dafür ist natürlich, dass Wissen
keine Ware ist, die man einfach konsumieren oder kaufen kann.
Unbestreitbar besitzt die Schweiz zwei hochangesehene Eidgenössische
Technische Hochschulen sowie ein dichtes Netz guter Universitäten mit
einem breiten Fächerkanon. Zudem belegt sie auf den internationalen
Innovations-, Patent- und Publikationsranglisten die vordersten Plätze.
Unbestreitbar ist aber auch: Die Wissensgesellschaft Schweiz ist, wie
der Radiodialog zur Phänomenologie belegt, bildungs- und
wissenschaftsskeptisch - wenn man unter Wissenschaft mehr versteht als
die technischen Wissenschaften. Ein Grund dafür liegt in der im
europäischen Vergleich tiefen Maturaquote. Die unteren sozialen
Schichten sind, wie Bildungsstatistiken belegen, praktisch
ausgeschlossen von der Gymnasialstufe und der akademischen Welt. Die
Schweiz ist denn auch gezwungen, sowohl einen beträchtlichen Teil des
akademischen Nachwuchses als auch universitär gebildete Arbeitskräfte zu
importieren. Das mag zwar im Moment ökonomisch vorteilhaft sein, ist
aber auf die Dauer dem Wohlergehen der Wissensgesellschaft abträglich,
die doch auf das Wissen ihrer Mitglieder angewiesen wäre.
Von der Wissenschaftsskepsis
betroffen sind jedoch nicht nur die Geisteswissenschaften, die in der
Öffentlichkeit ohnehin nicht als richtige Wissenschaften gelten, weil
sie keine objektiven Messungen durchführen, sondern auch die
Naturwissenschaften. Davon zeugen paradoxerweise die vielen
Veranstaltungen, an denen Hochschulen und Wissenschaften sich dem
grossen Publikum dialogbereit präsentieren. Um dabei zu punkten, setzen
sie vor allem auf ihre Praxistauglichkeit und Nützlichkeit. Doch beides
gehört nicht zum wissenschaftlichen Kerngeschäft oder ist zumindest nur
ein Aspekt davon.
Kürzlich fand an der Universität
Zürich und der ETH Zürich wiederum die Scientifica statt, der grösste
populäre Wissenschafts-Event der Schweiz. Dass an den «Zürcher
Wissenschaftstagen» jeweils die Naturwissenschaften und die technischen
Wissenschaften prominent vertreten sind, ist angesichts des
Co-Organisators ETH keine Überraschung. Doch die Geisteswissenschaften
und die Sozialwissenschaften sind nahezu inexistent. Offenbar gehen die
Veranstalter davon aus, dass sie nicht repräsentativ für «die
Wissenschaften» sind - oder dass ihre Präsentation das Publikum
langweilen oder gar irritieren würde. Und das darf nicht passieren.
Daher werden denn auch die Naturwissenschaften und die wenigen
Sozialwissenschaften von ihrer besten Seite gezeigt: Sie dürfen
demonstrieren, dass sie den Menschen für die praktische Lösung der
drängendsten Probleme dienen. Mit ihnen kann man den Klimawandel
bekämpfen und gegen Alterskrankheiten, Frühgeburten, Terrorismus und
Erdbeben vorgehen.
Kein Platz für Grübler
Mag sein, dass an den vielen
Ständen, an denen Laien und Forschende miteinander ins Gespräch kommen,
von Letzteren auch das Faktum des stets unsicheren Erkenntnisgewinns und
der Unsteuerbarkeit der Wissenschaften erörtert wird, doch das
offizielle Bild vermittelt etwas anderes: Die Wissenschaften sind ein
spektakuläres, erfolgreiches Unterfangen, wobei Erfolg mit technischer
Beherrschbarkeit in eins gesetzt wird. Auf der Bühne führten Roboter
ihre Kunststücke vor, während die sie fernsteuernden Forschenden hinter
dem schwarzen Vorhang verborgen blieben und der Moderator die zahlreich
anwesenden Kinder infantilisierte, indem er ihnen Naivität und Unwissen
unterstellte - ausgerechnet den Kindern, deren Neu- gier jeder Forschung
ein Vorbild sein könnte. Im «Science Talk» erzählte ein Westschweizer
Astronaut, dass man im Leben alles erreichen könne, wenn man nur wolle.
Der ältere Moderator sagte, der Beruf des Militärpilots sei für jeden
Buben ein Traum.
Die Scientifica ist kein
Einzelfall. In den einschlägigen Museen und an Wissenschafts-Events wird
immer wieder das Bild des Wissenschafters als Berufsmann kultiviert,
der technische Hindernisse meistert. Die theoretischen, intellektuellen
und grüblerischen Seiten der Wissenschaften sind ebenso wenig ein Thema
wie ihre Monotonie, ihre Routine und ihr Scheitern. Um in der
bildungsfeindlichen Wissensgesellschaft populär zu sein, präsentieren
die Wissenschaften dem Publikum ein unrealistisches Selbstbild.
Dieter Schütz, pixelio.de
Dieter Schütz, pixelio.de
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