«Effizient, rational, relevant?»
Christoph Hoffmann wünscht sich, dass die Leute sich von den Wissenschaften emanzipieren
Herr Hoffmann, als Wissenschaftsforscher haben Sie auch in Deutschland und in New York gearbeitet. Wie würden Sie das Profil umschreiben, das die Wissenschaften in der schweizerischen Öffentlichkeit besitzen?
Christoph Hoffmann wünscht sich, dass die Leute sich von den Wissenschaften emanzipieren
Herr Hoffmann, als Wissenschaftsforscher haben Sie auch in Deutschland und in New York gearbeitet. Wie würden Sie das Profil umschreiben, das die Wissenschaften in der schweizerischen Öffentlichkeit besitzen?
Der Blick aufs Geld ist hier
besonders wichtig: Man fragt danach, was ein Forschungsprojekt kostet.
Und das Wissenschaftssystem ist noch fester an Vorstellungen von
Nützlichkeit gebunden. Die Wissenschaften sollen in den Augen der
Öffentlichkeit Probleme lösen, Gefahren abwenden, Orientierung leisten,
das Leben verbessern und die Zukunft bewältigen.
Ein ambitiöses, aber
einseitiges Programm, das der Vielfalt der Wissenschaften kaum gerecht
wird. Manche Forscher interessieren sich ja einfach nur für eine alte
Tonscherbe.
Tatsächlich ist das Bild der
Nützlichkeit der Wissenschaften, das seit etwa 150 Jahren die
öffentliche Wahrnehmung dominiert, unvollständig. Was nicht zu diesem
Bild passt, wird übersehen - zum Beispiel die Tatsache, dass die
Wissenschaften oft einfach so vor sich hintreiben, ohne dass sie grosse
Entdeckungen machen. Dies zu akzeptieren, wäre für uns Laien
beunruhigend, weil wir den Wissenschaften unterstellen, dass sie
effizient und rational funktionieren und uns relevante Antworten geben.
Die Wissenschaften verlören die privilegierte Stellung, die sie in
unserer sogenannten Wissensgesellschaft innehaben. Und wir müssten uns
überlegen, was die Wissenschaften eigentlich sind und was sie können und
was nicht. Für die Wissenschafter jedoch wäre es eine grosse
Erleichterung, wenn das einseitige Bild korrigiert würde. Die zu hohen
Ansprüche, die an sie gestellt werden, würden gemindert.
Wissenschafts-Events wie zum Beispiel die Scientifica, die von der Universität und der ETH Zürich organisierten Wissenschaftstage, vermitteln das Bild, dass die Natur- und Sozialwissenschaften höchst praxisrelevant sind - notabene mit der Unterstützung der auftretenden Wissenschafter.
Das ist bedauerlich. Deren
unrealistische Selbstbilder und die unrealistischen Erwartungen der
Laien stabilisieren sich gegenseitig, dazu kommt ein wenig
differenzierender Wissenschaftsjournalismus, der alle Disziplinen
umfasst. Die meisten an der Scientifica gehaltenen Vorträge folgten dem
Muster, dass die Natur- und Sozialwissenschafter versprachen, für ein
anstehendes Problem die Lösung zu kennen, sei es, um den Klimawandel,
den Krebs oder Erdbeben abzuwenden. Wir alle aber, Forschende wie Laien,
wissen aus Erfahrung, dass für die versprochene Lösung meist der
entscheidende kleine Schritt fehlt. Für diesen letzten Schritt
vertrösten uns die Wissenschafter und Wissenschaftsjournalisten stets
auf morgen: «Gleich werden wir so weit sein.» Dabei weiss doch jeder,
wie unsicher der neuste Stand des Wissens ist, wie vorläufig die neusten
Erkenntnisse sind. Ich begreife nicht, wieso die Wissenschafter dies
der Öffentlichkeit nicht deutlicher sagen.
Wie würden Sie denn die Wissenschaften einem breiten Publikum präsentieren?
Die Wissenschafter und die sie
unterstützende Wissenschaftskommunikation sollten offenlegen, unter
welchen Voraussetzungen man zu welchen vorläufigen Ergebnissen gelangt
ist - und welche Punkte berücksichtigt werden müssten, wenn man daraus
weitergehende Konsequenzen ableiten will. Für die wissenschaftliche
Politikberatung wäre das besonders wichtig.
Ein neues Format, das an
Wissenschafts-Events praktiziert wird, ist der Science-Slam: Junge
Forschende wetteifern auf der Bühne, wer sein Forschungsthema in zehn
Minuten besser an den Mann bringt - das Laienpublikum bildet die Jury.
Sehen Sie in dieser Performance eine witzige Übung oder eine unzulässige
Verkürzung?
Das ist eine gute Sache.
Komprimierung muss nicht notwendigerweise zu Komplexitätsreduktion
führen. Man kann jede Forschungsarbeit kurz und in einfachen Worten
zusammenfassen - wenn man genügend gedankliche Klarheit erreicht hat.
Ist der prototypische
Wissenschafter, wie er in der Öffentlichkeit präsent ist und wie er an
Wissenschafts-Events wie der Scientifica dem Publikum präsentiert wird,
ein Mann?
Wahrscheinlich ja. Ich
unterscheide drei populäre Wissenschaftstypen, die allesamt männlich
codiert sind: den Experten, der in der Schweiz besonders beliebt ist,
den «mad scientist» und den weltfremden Gelehrten. Das
Wissenschaftssystem wird gemeinhin als Raum gedacht, in dem sich
männliche Eroberungs- und Abenteuerlust verwirklichen können. Der ideale
Wissenschafter ist der gute Vater, der alle Probleme löst. Eigentlich
ein trauriges Bild.
Wieso traurig?
Weil wir Laien uns den
Wissenschaften ausgeliefert haben. Ich wünschte mir, wir könnten die
Probleme, die uns im Alltag beschäftigen und zu deren Lösung die
Wissenschaften vielleicht etwas beitragen können, selbst artikulieren
und ein Stück weit auch selbst lösen. In Bezug auf die Gesundheit etwa
haben wir das Heft aus der Hand gegeben: Was gesund ist und was nicht,
definieren die Medizin und die mit ihr kooperierenden staatlichen und
suprastaatlichen Institutionen wie das Bundesamt für Gesundheit oder die
Weltgesundheitsorganisation. Ob wir uns gesund fühlen, sollte nicht
zuerst die Medizin entscheiden, sondern jeder Einzelne.
Interview: Urs Hafner
Christoph Hoffmann ist Professor für Wissenschaftsforschung an der Universität Luzern. Soeben ist sein Buch «Die Arbeit der Wissenschaften» erschienen (Diaphanes-Verlag).
Nota.
Wissenschaft ist öffentliches Wissen. Sie ist entstanden, um in der Öffentlichkeit ein Feld abzustecken, innerhalb dessen Meinungsverschiedenheiten, die immer auch von Interessen geprägt sind, vernünftiger Weise nicht mehr möglich sind. Dies ist ihr historischer Sinn.
Das Aufkommen der Wissenschaften im Abendland des siebzehnten, achtzehnten Jahrhunderts war das politische Weltereignis. Herrschaft konnte von nun an gemessen werden an dem, was 'als vernünftig erkannt' war. Und nur so ist eine repräsentative, nämlich die Staatsbürger repräsentierende politische Ordnung überhaupt denkbar.
Die Öffentlichkeit erwartet allerdings von der Wissenschaft, dass sie Gesetzestafeln erstellt, in die man die konkreten Fälle nur noch einzutragen braucht, um die richtige Lösung sogleich ablesen zu können. Es liegt daher im Interesse sowohl der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft selbst, ihre Grenzen möglichst scharf zu ziehen.aus öffentliche Angelegenheiten
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