Freitag, 15. November 2013

Wie schön, es ist ein Junge.

aus NZZ, 14. 11. 2013

Es ist ein Mann
Der historisch bedeutsame «Löwenmensch» ist zurück im Ulmer Museum

Die 30,1 Zentimeter grosse Statuette aus der Eiszeit ist eines der ältesten Kunstwerke der Menschheit. Sie wurde auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland gefunden und ist nun zurück im Ulmer Museum.

von Marianne Erath

Eine aufrecht stehende Figur mit Löwenkopf und menschlichem Rumpf, vor 35 000 bis 40 000 Jahren von unseren Vorfahren aus einem Mammutstosszahn geschnitzt - das ist der Löwenmensch. Nun konnten viele Fragen beantwortet werden, denn bei neuen Ausgrabungen am alten Fundort, der Stadelhöhle des Hohlensteins im Lonetal, sind neue Teile aufgetaucht. Damit hatte man nicht gerechnet, denn schon bei der Entdeckung war die Figur in Hunderte von Fragmenten zerbrochen.
Die vergessene Entdeckung

Als sie am 25. August 1939 entdeckt wurde, stand der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unmittelbar bevor. Der örtliche Grabungsleiter Otto Völzing hatte mit vielen anderen Grabungshelfern seinen Einberufungsbefehl in der Tasche, und die Ausgrabung in der Stadelhöhle musste abgebrochen werden. Einer der Funde des letzten Tages war der Löwenmensch. Der verantwortliche Grabungsleiter Robert Wetzel, Völzings Vorgesetzter, erkannte zwar Bruchstücke einer Elfenbeinplastik, doch dann verliert sich das Wissen um die gerade erst entdeckte Figur. 

Dreissig Jahre später, am 8. Dezember 1969, wird sie wiederentdeckt, als der Urgeschichtsforscher Joachim Hahn im Ulmer Museum die Schachtel mit den Funden vom letzten Grabungstag in der Stadelhöhle öffnet. Die bearbeiteten Elfenbeinstücke fallen ihm gleich ins Auge, und er versucht mit zwei Studenten die etwa 200 Bruchstücke zusammenzusetzen. Nach wenigen Tagen ist «der Ulmer Tiermensch» erkennbar, wie ihn die «Die Zeit» am 27. März 1970 nennt. Spätere Anfügungen der Archäologin Elisabeth Schmid zeigen, dass der Tiermensch ein Löwenmensch ist. Da unter anderem die äussere Schicht des Oberkörpers abgeplatzt ist und die meisten Menschendarstellungen aus dieser frühen Zeit weiblich sind, glaubt sie, es handle sich um eine Löwenfrau.

2008 beginnen erneute Grabungen am Hohlensteinstadel. Die Höhle soll zusammen mit drei weiteren in die Welterbeliste der Unesco aufgenommen werden. Denn in der Region um die Flüsschen Lone und Ach lag ein kulturelles Innovationszentrum, ein urgeschichtlicher Think-Tank, wo die ältesten bisher bekannten Schnitzereien der Welt gefunden wurden. Die meisten der Fundstücke sind nur handtellergross; Mammuts, Höhlenbären und weitere Tiere. In einer der Höhlen wurde sogar eine Frauendarstellung entdeckt: die sogenannte Venus vom Hohlefels. Aus diesen Höhlen kommen auch die ältesten bekannten Flöten und eine besondere Schmuckform, die nur in dieser Region vorkommt: die doppelt durchlochte Perle. Die Forscher wollen nun durch kleine Sondierungsschnitte klären, ob sich in der Stadelhöhle überhaupt noch Fundschichten befinden und aus welcher Zeit sie stammen.
Doch keine Löwenfrau

Im zweiten Jahr der Kampagne stösst das Team um den Archäologen Claus-Joachim Kind völlig überraschend auf weitere Teile des Löwenmenschen. Die neuen Funde ermöglichen es, den genauen Ort festzulegen, wo die Figur gelegen hatte: Nicht im Arbeits- und Wohnbereich der Höhle, sondern in einer Kammer, in die kein Tageslicht mehr fiel. «Der Löwenmensch gehörte zur religiösen Vorstellungswelt der Menschen damals», meint Kind auf der Pressekonferenz zum Löwenmenschen. Mit den neu gefundenen Bruchstücken liess sich auch die lange umstrittene Frage um das Geschlecht der Statuette klären: Es ist ein Mann.

Die Sonderausstellung «Die Rückkehr des Löwenmenschen» stellt den Fund in einen grösseren Zusammenhang. Sie wird ab heute Freitag bis zum 9. Juni 2014 im Ulmer Museum gezeigt und präsentiert das Innovationszentrum im Lone- und im Achtal, visualisiert die Zusammenhänge mit Tier-Mensch-Darstellungen aus anderen Regionen und erzählt, wie wichtig der Löwe für die Jäger der Eiszeit gewesen ist: Er wurde nicht nur religiös verehrt, sondern auch ganz profan gegessen.

www.loewenmensch.de


Nota.

Was ist am Geschlecht so interessant? Dies: bei den ältesten bisher bekannten Menschndarstellungen handelte es sich um winzige in Elfenbein geschnitzte Frauenfigürchen, wie die Venus von Willendorf und die vom Hohlefels und ihre Kolleginnen. Von da schien eine gerade Linie zu führen zum Kult der Großen Mutter in Catal Hüyük. Der Lösenmensch ist älter und sehr viel größer, und er ist ein Mann. Nur ob er wirklich einen Menschen oder nicht eher einen Löwen darstellt, das bleibt unklar.
JE 

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