Die Wüste Sahara in allen Köpfen und Herzen
In Darmstadt sind Leben und Werk des vor 200 Jahren geborenen Dichters und Revolutionärs Georg Büchner zu besichtigen.
Von Roman Bucheli
Wie zeigt man das Leben und Werk eines Dichters, wenn sich an Spuren nicht viel mehr als ein paar Manuskripte und eine Haarlocke erhalten haben? In Darmstadt holt man weit aus und inszeniert Georg Büchners Leben und Schaffen im Reflex der Zeitgeschichte.
Erst gerade 23-jährig war Georg Büchner, als er am 19. Februar 1837 in Zürich an Typhus starb. Drei Monate zuvor hatte er an der hiesigen Universität zur Zulassung als Privatdozent eine Probevorlesung über Schädelnerven gehalten und darin eine These formuliert, die er gewiss in streng anatomischem Sinne verstanden hatte, die aber zugleich als Maxime seines Lebens und Schaffens gelten könnte: «Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da.» Waren es das bedingungslose Bekenntnis zur Freiheit und die Abscheu gegenüber der Knechtung grosser Teile der Bevölkerung, die Büchner im Weg der Analogie zu der Auffassung brachten, dass jedes seiner Organe so sehr wie der Mensch insgesamt sich selber Zweck genug sein müsse? Oder waren es umgekehrt die naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien, die das revolutionäre Denken des jungen Mannes beförderten?
In Darmstadt sind Leben und Werk des vor 200 Jahren geborenen Dichters und Revolutionärs Georg Büchner zu besichtigen.
Von Roman Bucheli
Wie zeigt man das Leben und Werk eines Dichters, wenn sich an Spuren nicht viel mehr als ein paar Manuskripte und eine Haarlocke erhalten haben? In Darmstadt holt man weit aus und inszeniert Georg Büchners Leben und Schaffen im Reflex der Zeitgeschichte.
Erst gerade 23-jährig war Georg Büchner, als er am 19. Februar 1837 in Zürich an Typhus starb. Drei Monate zuvor hatte er an der hiesigen Universität zur Zulassung als Privatdozent eine Probevorlesung über Schädelnerven gehalten und darin eine These formuliert, die er gewiss in streng anatomischem Sinne verstanden hatte, die aber zugleich als Maxime seines Lebens und Schaffens gelten könnte: «Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da.» Waren es das bedingungslose Bekenntnis zur Freiheit und die Abscheu gegenüber der Knechtung grosser Teile der Bevölkerung, die Büchner im Weg der Analogie zu der Auffassung brachten, dass jedes seiner Organe so sehr wie der Mensch insgesamt sich selber Zweck genug sein müsse? Oder waren es umgekehrt die naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien, die das revolutionäre Denken des jungen Mannes beförderten?
Ein weltliterarisches Zeugnis
Dass die Frage nicht müssig, aber
gleichwohl nicht zu entscheiden ist, ergibt sich allein aus der Kürze
von Büchners Leben. In der Zeitspanne zwischen seiner Immatrikulation an
der medizinischen Fakultät in Strassburg im November 1831 und seiner
Probevorlesung in Zürich nur gerade fünf Jahre später explodiert
förmlich ein Lebenswerk. Es ist zwar nicht viel, was Büchner im Februar
1837 hinterlassen hat: ein im Druck erschienenes Drama («Dantons Tod»),
die politische Flugschrift «Hessischer Landbote», von der im Einzelnen
nicht schlüssig zu sagen ist, was auf Büchner und was auf den
Mitverfasser Ludwig Weidig zurückgeht, das fast abgeschlossene Lustspiel
«Leonce und Lena» sowie als Fragmente das Stück «Woyzeck» und die
Erzählung «Lenz», schliesslich die Dissertation über das Nervensystem
der Flussbarbe.
Nein, das ist - gemessen am Umfang
- nicht viel, aber es ist Weltliteratur. Und es ist das Zeugnis eines
Menschen, der unerschütterlich daran glaubte, dass es unveräusserliche
Rechte gebe - und dass zu viele und zu lange davon ausgeschlossen waren.
So gründete er 1834 in Giessen und Darmstadt nach französischem Vorbild
Sektionen der Gesellschaft der Menschenrechte, gleichzeitig aber liest
man in einem seiner Briefe an die Eltern: «Wenn in unserer Zeit etwas
helfen soll, so ist es Gewalt.» Er war, so sagte es Wolfgang
Hildesheimer, «alles in einer Person, politischer Agitator,
Wissenschafter, Schriftsteller, potenzieller Menschenfreund,
Menschenverächter aus bitterer Erfahrung».
Es entbehrt nicht einer gewissen
Ironie, dass ausgerechnet der in Fragmenten überlieferte «Woyzeck» zum
weltweit erfolgreichsten deutschsprachigen Theaterstück werden konnte.
Wie kaum eine andere Theatervorlage bietet es lediglich das Material,
aus dem sich jede Aufführung nicht nur nach Gusto bedienen kann, sondern
geradezu muss. Es zwingt damit zum performativen Nachvollzug dessen,
wovon der Inhalt des Stücks u. a. handelt: von der völligen
Selbstentfremdung und Entwertung des Subjekts zum blossen
Menschenmaterial. Nirgends sonst hat Büchner seine Überzeugung, alles,
was ist, sei um seiner selbst willen da, bestürzender ins Gegenteil
verzerrt.
Und wie dieser Text gerade als
unvollendetes Werk seine Wirkungsmacht umso entschiedener entfaltet, so
treten umgekehrt vielleicht an keinem anderen Text die Tragik Büchners
und die Tragödie seiner Epoche deutlicher hervor als an dem «Hessischen
Landboten». Was wir heute als revolutionäres Gründungsdokument feiern,
hat Büchner ins Exil getrieben, den Tod seines Mitverfassers zur Folge
gehabt - und gewiss keinem Bauern und Handwerker, zu deren politischer
Agitation die Schrift gedacht war, zur Freiheit verholfen. Es war Hans
Magnus Enzensberger, der mit beissendem Sarkasmus, der vielleicht
weniger gegen Büchner als dessen späte Nachbeter gerichtet war, darauf
hingewiesen hatte, dass nicht Flugschriften, aber wissenschaftliche
Errungenschaften die Landwirtschaft verändert hatten.
Wie soll ein solches Leben und
Werk dargestellt werden, wenn nicht viel mehr als ein paar Manuskripte,
ein paar allerdings ebenso bewegende wie aufschlussreiche Briefe
überliefert sind? Wie soll man Büchner zeigen, von dem kaum ein
authentisches Porträt, aber eine Haarlocke sich erhalten hat? In
Darmstadt hat man aus Anlass des 200. Geburtstags entschieden, ein
grosses Zeitpanorama auszubreiten. Und weil das Museum auf der
Mathildenhöhe derzeit umgebaut wird, fand man im Kongresszentrum
Darmstadtium räumliche Voraussetzungen, die zur architektonischen
Inszenierung eines in sich verwinkelten und sich auf engstem Raum
überlagernden Lebenswegs einluden. So haben die Ausstellungsmacher einen
auf mehreren Ebenen angelegten Parcours entworfen, der das
Nebeneinander und Miteinander (vielleicht auch: das Durcheinander)
dieses Lebens nachvollziehbar, begehbar und lesbar macht.
Der dreidimensional in den hohen
Raum hineingebaute Parcours mit Durchblicken in alle Richtungen macht es
denn möglich, dass sich alles durchdringen kann, was sich in der kurzen
Zeitspanne dieser fünf ereignisreichen Lebensjahre ereignet hat. So
steht der Besucher auf einem Balkon, besichtigt Büchners Strassburger
Zeit und blickt bereits voraus auf den «Hessischen Landboten», auf die
anatomischen Studien, auf das Lustspiel «Leonce und Lena» oder in die
Dunkelkammer des «Woyzeck», dessen letzte beide Handschriften in den
Zürcher Monaten entstehen. Und wo er über Treppen und Galerien dem
Lebensweg nach Zürich folgt (und hier über den Audioguide den Brief von
Büchners Mutter eingespielt erhält, in dem sie dem Sohn ihre
Erleichterung über dessen Ankunft in der Stadt mitteilt), blickt der
Besucher zurück auf die Guillotine im zentralen Ausstellungsraum, die
den Schrecken der Revolution wie die Hoffnung auf Beseitigung der
Despoten gleichermassen versinnbildlicht.
Ausgangspunkt und Fluchtpunkt
dieser Vita finden sich räumlich klar abgegrenzt zu diesem
mehrdimensionalen Kernstück der Ausstellung: Der Prolog zur Schau zeigt
die Jugend- und Schuljahre in Darmstadt sowie nach den zwei Strassburger
Studienjahren die Rückkehr in die Heimatstadt, wo Büchner geistige
Ödnis findet, «die Wüste Sahara in allen Köpfen und Herzen», wie es in
einem Brief vom August 1833 heisst. Ein Epilog führt ein in das lange
Nachleben dieses Werkes mit dessen Rezeption bis in unsere Tage. Und
hier begegnet dann der Besucher Klaus Kinskys Woyzeck in Werner Herzogs
Verfilmung von 1979. Er blickt nur in ein Gesicht und begreift
schlagartig die Worte aus dem «Woyzeck»: «Jeder Mensch ist ein Abgrund,
es schwindelt einem, wenn man hinabschaut.»
Zerrissen von den Extremen
Man mag es geschmäcklerisch
finden, wenn die Ausstellung nicht nur das Wohnzimmer der Familie
Büchner nachbaut, sondern uns geradezu in Büchners Sterbezimmer und dort
auf ein Stillleben mit Sektionsbesteck, in Alkohol eingelegten
Tierpräparaten und Manuskripten blicken lässt. Trotzdem vermittelt das
Bild die Anmutung und Anschauung einer Existenz, in der alles auf
engstem Raum und in kürzester Zeit geschah: In seinem Zürcher Zimmer an
der heutigen Spiegelgasse soll Büchner nicht nur gewohnt und an seinen
vergleichenden anatomischen Studien gearbeitet, sondern auch seine
Vorlesungen vor allerdings nur wenigen Studenten abgehalten haben, ehe
am 2. Februar 1837 die Typhuserkrankung ausbrach.
Die Komplexität dieses Lebens und
die Gedrängtheit von Büchners Schaffen, das sich an den Extremen der
Epoche zerreisst, lassen sich in einer Ausstellung nur in solchen
bildhaften Kompositionen nachvollziehen. Dass alles, was ist, um seiner
selbst willen sei, hat diese Jubiläumsschau indessen aufs
Eindrücklichste sich selber zu eigen gemacht: Sachlich, aber nicht ohne
Emotion wird den Besuchern der Dichter und Naturwissenschafter, der
Revolutionär und Philosoph Büchner vorgeführt. Ludwig Börne stirbt
wenige Tage vor Büchner in Paris, und abermals vier Tage später
schneidet sich im Darmstädter Arresthaus Ludwig Weidig, der Mitverfasser
des «Hessischen Landboten», zermürbt von Haft, Verhören und Folter, mit
Glasscherben Pulsadern und Kehlkopf auf. Die Ausstellung sagt nicht,
indem sie die Daten nennt, dies sei das Fanal einer gescheiterten
Revolution. Sie lässt nur wortlos in den historischen Abgrund blicken.
«Georg Büchner - Revolutionär mit Feder und Skalpell», Darmstadtium, Darmstadt; bis 16. Februar. Der Katalog (Hatje Cantz) kostet 58 Euro.
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