Samstag, 30. November 2013

Intelligenz entstand mehrmals und auf getrennten Wegen.

aus derStandard.at, 29.11.2013                                                 Katharina Wieland Müller  / pixelio.de

Die Intelligenz der Rabenvögel neurophysiologisch betrachtet
Bei schwierigen Entscheidungen spielen sich im Gehirn der Vögel ähnliche Mechanismen ab wie bei Primaten, fanden deutsche Forscher heraus

Tübingen - Rabenvögel fertigen und gebrauchen Werkzeuge, merken sich Futterplätze und planen ihr Sozialverhalten, indem sie die Handlungen anderer Gruppenmitglieder mit einbeziehen. Verhaltensbiologen sind schon lange an den intelligenten Tieren interessiert. Wissenschafter der Universität Tübingen erforschten nun erstmals die hirnphysiologischen Grundlagen dieses intelligenten Verhaltens und stellten dabei fest: Bei schwierigen Entscheidungen sind im Gehirn der Vögel ähnliche Muster zu beobachten wie bei Primaten. Die Ergebnisse wurden nun im Fachblatt "Nature Communications" veröffentlicht.
    Die Forscher trainierten Rabenkrähen, Gedächtnisaufgaben am Computer zu lösen. Die Krähen bekamen ein Musterbild präsentiert, mussten sich dieses merken, und bekamen kurz darauf erneut zwei Bilder gezeigt: Das bereits gesehene und ein anderes. Auf einem Touchscreen mussten die Tiere mit dem Schnabel nun eines der Bilder auswählen: Ob das gleiche ("gleich-Regel") oder ungleiche Testbild ("ungleich-Regel") die richtige Lösung war, wurde den Krähen in jedem Versuchsdurchlauf durch einen Hinweisreiz neu angezeigt. Je nach Regel mussten die Tiere also die Aufgabe blitzschnell wechseln. Das erfordert höchste Konzentration und eine geistige Flexibilität, die bei weitem nicht alle Tierarten aufbringen können und die selbst für Menschen eine Herausforderung ist.
     
    Einblicke in evolutionäre Intelligenzentwicklung

    Die Rabenkrähen lösten diese Aufgabe nach einiger Zeit selbst mit völlig neuen Musterbildern souverän. Dabei beobachteten die Forscher in einem umgrenzten Hirngebiet der Krähen Nervenzellen mit erstaunlichen Eigenschaften. Die eine Gruppe der Nervenzellen reagierte ausschließlich und immer dann, wenn die Krähe die „gleich-Regel" anwenden musste, während eine andere Gruppe von Nervenzellen immer nur bei der „ungleich-Regel" aktiv war. Anhand der Regelzellen war oft vorherzusehen, welche Regel die Krähen befolgen würden, noch bevor sie die Auswahl trafen.

    Das Ergebnis der Studie biete wichtige Einblicke, wie intelligentes Verhalten mehrmals unabhängig voneinander hervorgebracht und hirnorganisch verwirklicht wurde, sagte die Neurobiologin Lena Veit von der Universität Tübingen. "Bei Vögeln sind viele Funktionen anders verwirklicht, uns trennt eine sehr lange evolutionäre Entwicklung von diesen direkten Nachfahren der Dinosaurier", so Veit. "Wir können also im Gehirn der Vögel eine alternative Lösung dafür finden, wie mit verschiedenen anatomischen Voraussetzungen die gleichen Intelligenzleistungen hervorgebracht werden können."

    Trotz der Unterschiede im Gehirn seien sich die Regelzellen bei Krähen und Primaten zum Verwechseln ähnlich ‒ sie deuten also auf ein allgemeines Prinzip hin, das sich im Laufe der Evolution immer wieder bewährt habe: "So wie man durch den Vergleich der grundsätzlich verschieden aufgebauten Flügel von Vögeln und Fledermäusen allgemeine Prinzipien der Aerodynamik ableiten kann, so können wir auch durch die Untersuchung der funktionalen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der entsprechenden Areale des Vogel- und Säugergehirns auf allgemeine Prinzipien der Funktionsweise des Gehirns schließen", erläuterte der Leiter des Projekts, Andreas Nieder. (red/APA)
     

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