aus NZZ, 27. 11. 2013
Der Affe als Gottsucher
Kaspar von Greyerz' Untersuchungen zu Religion, Magie und Wissenschaft in der frühen Neuzeit
Kaspar von Greyerz' Untersuchungen zu Religion, Magie und Wissenschaft in der frühen Neuzeit
von Urs Hafner · Auch
wenn die Leute sich ereifern in Glaubensfragen, so ist doch das
Religiöse seit dem Säkularisierungsschub der siebziger Jahre in unserer
Weltgegend nur mehr schwach und blass präsent. In welchem Ausmass es aus
unserem Alltag, aber auch etwa aus der Sphäre der Wissenschaften
verschwunden ist, verdeutlicht der vergleichende Blick in die frühe
Neuzeit, in eine Epoche also, die stark durch die Kirchen, den Glauben
an überweltliche Mächte und durch konfessionelle Auseinandersetzungen
geprägt war. Kundig lässt sich dieser Blick mit Kaspar von Greyerz
werfen.
Diesseits der Gegensätze
Anlässlich seiner Emeritierung
haben zwei seiner Schüler ein gutes Dutzend Aufsätze versammelt, die in
den letzten vierzig Jahren publiziert worden sind. Vor allem zeugen sie
von der ansteckenden Neugier des Basler Historikers. Unaufgeregt und
unprätentiös kehrt er die überraschenden Seiten der von ihm untersuchten
Dinge hervor. Was man über die Gegensätze zwischen den Konfessionen,
den Gegensatz von - besonders katholischem - Glauben und den
Naturwissenschaften oder jenen von religiöser Orthodoxie und - offiziell
untersagter - Magie zu wissen glaubte, unterzieht er, bevorzugt für den
englischen, elsässischen und Basler Raum, einer kritischen Revision.
Kaspar von Greyerz: Von Menschen, die glauben, schreiben und wissen.
Ausgewählte
Aufsätze. Herausgegeben von Kim Siebenhüner und Roberto Zaugg.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 260 S., Fr. 53.-.
Die Magie etwa, der Glaube also,
dass die Materie durch Geister beseelt sei und dass man mit deren Hilfe
Menschen und Dinge aus der Ferne manipulieren könne: Sie lässt sich laut
Greyerz erst im 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung, deutlich von
der Religion unterscheiden. Vorher sei sie weit verbreitet gewesen,
auch im Protestantismus, der die Magie des Gebets gekannt habe, auch in
den Bildungsschichten, unter den Mitgliedern der 1660 gegründeten Royal
Society etwa, der ersten naturwissenschaftlichen Gesellschaft Englands,
und sogar im Denken Isaac Newtons, des grossen Naturforschers des 17.
Jahrhunderts. Dieser habe sich zwar mit Astronomie, Optik und Mathematik
beschäftigt, aber viel intensiver mit Prophezeiungen, Theologie,
Kirchengeschichte und Alchemie.* Von Letzterer habe er sich neue
Einsichten in die Grundfragen der Wissenschaft erhofft.
Ebenfalls keinen systematischen
Gegensatz sieht Kaspar von Greyerz zwischen den im 17. Jahrhundert
entstehenden Naturwissenschaften, die damals noch als Naturphilosophie
firmierten, und der Religion, auch nicht dem angeblich magisch gefärbten
und daher tendenziell irrationalen Katholizismus. Der Autor braucht für
seine Argumentation nicht einmal die wissenschaftsinteressierten
Jesuiten und ihren prominentesten Vertreter, Athanasius Kircher, gross
ins Feld zu führen. In den Reaktionen aller Konfessionen auf den Fall
Galilei, also auf dessen Verurteilung durch den Vatikan 1633, macht er
keine grundsätzliche Ablehnung der Wissenschaft aus, sondern eine
skeptische Haltung gegen eine allzu autonome und selbstbewusste
Wissenschaft.
Die Trennlinie zwischen Religion und Wissenschaft verläuft also nicht so eindeutig, wie sie später eine enggeführte, rationalistische Wissenschaftsgeschichte gezogen hat. Kaspar von Greyerz betreibt Wissenschaftsgeschichte als eine Kulturgeschichte des Wissens, das er nicht von der Welt des Sozialen isoliert.
Die Trennlinie zwischen Religion und Wissenschaft verläuft also nicht so eindeutig, wie sie später eine enggeführte, rationalistische Wissenschaftsgeschichte gezogen hat. Kaspar von Greyerz betreibt Wissenschaftsgeschichte als eine Kulturgeschichte des Wissens, das er nicht von der Welt des Sozialen isoliert.
Kosmologisch war die frühe Neuzeit
eine reichhaltige und vielfältige Epoche. In den Weltbildern und Lehren
des Neuplatonismus, der aristotelischen Scholastik oder des Paracelsus,
die sich alle nicht präzis von der Sphäre des Religiösen scheiden
lassen, seien der menschliche Mikrokosmos und der Makrokosmos der Sterne
und Engel eng miteinander verwoben gewesen. Über dieser «great chain of
being» (Arthur O. Lovejoy) habe Gott gethront. Auf einer Darstellung
dieses Zusammenhangs aus dem frühen 17. Jahrhundert hockt überraschend
in der Mitte ein Affe auf der Erdkugel. Der Affe sei hier positiv
konnotiert, erläutert der Autor: Er fordere die Menschen auf, die Natur
nachzuahmen, sozusagen nachzuäffen, um Fortschritte in den
Wissenschaften zu erzielen. Als Nachäffer sei der Affe ein Gottsucher.
Bis ins frühe 18. Jahrhundert sei die wissenschaftliche Beschäftigung
mit der Natur primär eine Gottessuche gewesen, die sich nicht nur dem
Protestantismus zuordnen lasse.
Max Webers These
Man ahnt es: Eine der Absichten
Kaspar von Greyerz' ist die Revision einer zu einfachen Vorstellung von
der Rationalisierung der Welt, die laut Max Webers sogenannter
Protestantismus-These vom Calvinismus angestossen und dann von den
Wissenschaften beschleunigt worden sei. In seiner Analyse der
Selbstzeugnisse englischer Puritaner, Webers Paradebeispiel, kommt
Greyerz zu dem Schluss, dass diese keine reinen Calvinisten gewesen
seien. Weber habe das theologische Dogma verabsolutiert. Freilich möchte
man an dieser Stelle den Soziologen vor dem Historiker, der für jeden
Fall wissen will, wie es wirklich war, in Schutz nehmen: Weber arbeitete
mit kontrafaktischen Idealtypen, um den grossen Entwicklungslinien auf
die Spur zu kommen. Auch wenn wir dem umfassenden Anspruch seiner
Rationalisierungstheorie heute skeptisch gegenüberstehen: Was für ein
intellektueller Verlust, gäbe es sie nicht!
*Nota.
Newtons Leidenschaft für die Alchemie - das Goldmachen - sollte nicht als irrationale Abschweifung ins Okkulte verstanden werden. Dass eine Scheidelinie zwischen organischer und anorganischer Chemie verläuft, war eine Erkenntnis erst des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts. Bis dahin war es selbstvertänd- lich, chemische Reaktionen im Sinne von organischen Stoffwechsel- und Wachstumsprozessen aufzufassen. Dass also etwa Gold aus kristallinen Vorstufen 'herauswuchs', war nichts, was die Vernunft hätte irritieren müssen.
JE
*Nota.
Newtons Leidenschaft für die Alchemie - das Goldmachen - sollte nicht als irrationale Abschweifung ins Okkulte verstanden werden. Dass eine Scheidelinie zwischen organischer und anorganischer Chemie verläuft, war eine Erkenntnis erst des fortgeschrittenen 19. Jahrhunderts. Bis dahin war es selbstvertänd- lich, chemische Reaktionen im Sinne von organischen Stoffwechsel- und Wachstumsprozessen aufzufassen. Dass also etwa Gold aus kristallinen Vorstufen 'herauswuchs', war nichts, was die Vernunft hätte irritieren müssen.
JE
Hallo Jochen, sehr interessanter Artikel über deinen Blickwinkel zum Stichwort "Rationalisierung". Da ich demnächst meine Facharbeit darüber schreibe und leider wenig Infomaterial finde, ist dein Artikel pure Abwechslung :)! Bisher zielten die meisten Artikel darauf ab, dass Rationalisierung das neue Zeitalter Industrie 4.0 (http://www.siemens.de/industrie-4.0/index.html) einläutet. Hät gerne mehr von Artikel wie deinen! Danke :)
AntwortenLöschen