Dienstag, 3. September 2013

Verriss eines Flachmanns.

aus Der Standard, Wien, 3. 9. 2013                                               Stefan Schiegl  / pixelio.de

 

Mogelpackung eines Erkenntnisoptimisten


Dem Philosophen Markus Gabriel ist mit "Warum es die Welt nicht gibt" ein in seiner Disziplin seltener Bestseller geglückt - Das gelang ihm jedoch nur mit einer flachen Übersetzung von Philosophie in Alltagsdeutsch
von Bert Rebhandl 
Berlin - Wenn die Philosophen streiten, dann hört die Welt meist nicht hin. Das hat gute Gründe, denn in vielen Fällen werden dabei sehr spezielle Teilprobleme bis in feinste Verästelungen verfolgt. Manchmal tritt aber jemand nach vorn und erinnert daran, dass Philosophie eigentlich von dem handelt, was alle angeht: also von den grundsätzlichen Fragen.
 
In diesem Sommer hat es wieder einmal ein Buch von einem Philosophen auf die Bestsellerlisten geschafft: Warum es die Welt nicht gibt von Markus Gabriel (Ullstein). Es ist keine kühne Unterstellung, dass hier ähnliche Mechanismen am Werk sind wie bei dem Erfolg von Richard David Prechts Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?. In beiden Fällen haben wir es mit fotogenen, jungen Denkern zu tun, und in beiden Fällen haben wir es mit einem Versuch zu tun, die komplexen Probleme, an denen sich die Philosophie seit Jahrtausenden abarbeitet, auf Konversationston zu bringen. 

Markus Gabriel ist Jahrgang 1980, er lehrt in Bonn Erkenntnistheorie, und in dieses Feld fällt auch sein Buch. Es handelt sich dabei um ein Plädoyer für einen "neuen Realismus", dessen Behauptung in etwa darin liegt, dass da immer auch etwas ist, wo wir etwas sehen oder hören oder auf andere Weise sinnlich erfahren. Wenn wir jemand an unsere Tür klopfen hören, dann klopft da draußen tatsächlich jemand. Die Gegenposition der verschiedenen Konstruktivismen wäre, dass wir niemals vollständig sicher sein können, ob es sich bei diesem Klopfen nicht um ein rein innerpsychisches Phänomen handelt.
 
Philosophiehistorisch sind Gabriels Ausführungen vor allem gegen Kant gewandt, der in seiner Kritik der reinen Vernunft eine radikale Begrenzung der menschlichen Vernunftkapazitäten vorgeschlagen hatte. Aber damit sind wir schon mitten in einer Fachdiskussion, und diese wird dem Buch gar nicht gerecht. Denn es handelt sich nicht um ein philosophisches Buch, sondern eben um einen Versuch, Philosophie zu übersetzen. Doch in welche Sprache? 

Sinnfeld Buchmarkt

Das alltägliche Deutsch tritt uns bei Gabriel in einer besonderen Spielart entgegen: Es ist ein Talkshow-Deutsch, das gesprochen besser "rüberkommt" (um ein Wort aus diesem Deutsch zu bemühen) als gedruckt. "Die Leitfrage des Buches ist also die Frage, was das Ganze soll", heißt es an einer Stelle. Das Buch ist eine Antwort darauf als Mogelpackung. Denn eigentlich steckt in dieser Frage ja der gute alte Wunsch nach einer Letztbegründung, wie das manche Philosophen nennen, und die kann und will Gabriel nicht bieten. Stattdessen serviert er einen Großbegriff ab (die Welt gibt es dann eben nicht mehr) und setzt einen anderen an dessen Stelle: den Sinn. Die Welt löst sich bei ihm auf in "Sinnfelder", womit er auf dem Sinnfeld Buchmarkt schon einmal gut reüssiert hat.
 
Die Welt gibt es auch deswegen nicht, weil sich die Naturwissenschaften mit immer neuen Welttheorien wichtig machen. So inszeniert Gabriel nebenher kleine Schaukämpfe: Denn "der als Intellektueller weit überschätzte britische Physiker Stephen W. Hawking" versucht ja im Grunde nichts anderes als er selbst, nämlich von einer wissenschaftlichen Position aus (und Gabriel kennt sich ja aus) eine allgemeinere Position zu beziehen.
 
Dass von der Lektüre des Buches eine gewisse Betretenheit zurückbleibt, liegt gerade daran, dass Gabriel als Intellektueller eine dürftige Figur abgibt. Seine Beispiele aus der populären Kultur (von Pumuckl bis Seinfeld) sind ranschmeißerisch gewählt, und dass er in einem "Nachspann: Fernsehen" auch noch eine kleine Eloge auf die Qualitätsserien hält, ist nackter Zeitgeist. "Das Fernsehen kann uns von der Illusion befreien, es gebe die eine, umfassende Welt", schreibt er und deklariert Sinne als "objektive Strukturen, in denen wir uns vorfinden".
 
Zwischen diesen beiden Aussagen stecken rund hundert Jahre Medientheorie, von denen Gabriel geringe Notiz genommen hat. So schillert sein Buch zwischen ehrwürdigen Begriffs-Sudokus und einem schwungvoll behaupteten, aber schlecht begründeten Erkenntnisoptimismus als ein Beispiel dafür, dass Sinn und Unsinn in der Unterhaltungsindustrie gut aufgehoben sind, während die Philosophie vielleicht doch stärker auf die Anstrengungen des Begriffs beharren sollte. Siehe dazu die Plätze 5000 und dahinter auf Bestsellerlisten, die auch gleich mehr "Sinn machen", wenn man sie sich als unendlich vorstellt. 


Nota.

Dass sich einer bemüht, philosophische Fragestellungen in populärer Sprache darzustellen, ist in jedem Fall löblich. Weniger um des großen Publikums willen: Irgendeinen Einstieg muss jeder finden, den es in die Philosophie zieht, und da ist es gar nicht mal ratsam, wenn er allzu mühelos gelingt, das kann nur in die Irre leiten. Und hinaus über den Einstieg muss man dann sowieso, sonst lohnt er sich gar nicht. So dass es fast egal ist, bei welcher Einführung in die Philosophie man anfängt, und davon gibt es ja bereits einige.

Wirklich lobenswert ist das Bemühen um populäre Darstellung vielmehr in Hinblick auf den Philosophen selbst. Kaum ein Fach, wo es leichter fällt und länger unbemerkt bleibt, dass einer den Wald vor Bäumen nicht sieht. Da ist die populäre Darstellung ein Exerzitium in Selbstreinigung.

Allerdings nicht, wenn sie vorab darauf ausgelegt ist, gut verkauft zu werden.
J.E.


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