Eureka und Heureka
Vom Wissen des Netzes
Vom Wissen des Netzes
von Eduard Kaeser · Im
Jahre 2009 entwickelten die Robotiker Hod Lipson und Michael Schmidt ein
Programm für Data-Mining namens Eureqa. Man füttert den Algorithmus mit
Daten, und er spuckt Gesetze aus, die einem das verborgene Muster in
der amorphen Datenmenge offenbaren. Die Gleichungen sind zwar da, sie
erlauben sogar Voraussagen, aber meist weiss man nicht, was sie
bedeuten; das heisst, es gibt keinen theoretischen oder konzeptuellen
Rahmen, in den sie sich einfügen liessen. Eureqa erinnert an «Deep
Thought», den allwissenden Computer in Douglas Adams Kultbuch «Per
Anhalter durch die Galaxis». Er gibt eine einfache und elegante Antwort
auf alle Fragen: 42! - und niemand versteht sie.
Was ist der Unterschied von Eureka
und Heureka? «Heureka», ruft der Mensch, der etwas entdeckt hat, dem
ein Licht aufgegangen ist. Einem Algorithmus geht kein Licht auf. Er ist
ein einsichtsloser Daten-Bulimiker. Dennoch fällt auf, wie sich in
einschlägigen Kreisen seit längerem schon eine neue Redeweise
eingebürgert hat: Das Netz «weiss», Algorithmen «analysieren» Daten,
Eureqa «entdeckt» Zusammenhänge. Seit Howard Rheingolds Buch «Smart
Mobs» ist die Schwarmintelligenz in aller Munde.
Heute nimmt ein Autor wie David
Weinberger diese Redeweise wörtlich. In seinem Buch «Too Big to Know»
schreibt er: «Wissen lebt heute nicht nur in Bibliotheken und Museen und
akademischen Zeitschriften. Es lebt nicht nur in den Schädeln von
Individuen. Unsere Schädel und unsere Institutionen sind schlicht nicht
gross genug, um Wissen zu behalten. Wissen ist nun eine Eigenschaft des
Netzes.»
Wenn man eine solche Aussage
erkenntnistheoretisch ernst nimmt, dann erweist sie sich schnell als
nebulös und dubios. Denn was bedeutet «Wissen ist eine Eigenschaft des
Netzes» anderes, als dass Menschen seit Jahrtausenden über ein
kommunikatives Netz Wissen generieren, vermitteln, austauschen,
kritisieren? In diesem Sinn ist Wissen genauso eine Eigenschaft von
Eingeborenenstämmen, Forschungsinstituten oder der CIA.
Der Philosoph Gilbert Ryle hat von
einem Kategorienfehler gesprochen, wenn man Ausdrücke, die in einem
bestimmten Zusammenhang sinnvoll sind, in einem Zusammenhang verwendet,
in dem sie sinnlos werden. Die Rede vom Wissen des Netzes ist im
gleichen Sinne fehlerhaft, wie wenn ich in einer Bibliothek stehe und
frage: Ich sehe Bücher, aber wo ist denn nun die Bibliothek?
Wissen, das sind Bits mit
Bedeutung, und Bedeutung entsteht immer durch Zusammenarbeit von
Einzelnen. Gewiss, das Internet ermöglicht eine neue Art von
Kollaboration, und es mag ungeahnte Lösungsfähigkeiten entwickeln. Nur
sollte das Geschwafel über eine «globale Superintelligenz namens die
Wolke» uns nicht von einem wichtigen Problem ablenken: Im Zeitalter der
ins Netz ausgelagerten Information verliert die im Individuum
angelagerte Information an Wert und Bedeutung. Sie ist aber die Basis
unserer Kreativität. Um «Heureka» zu rufen, braucht der Mensch seine
ganze intellektuelle Raffinerie von Neugier, Staunen, intuitivem Urteil,
Erinnern und Vergessen, Kreativität, Skepsis - lauter individuelle
Qualitäten also, die auf einem uralten Netzwerk in seinem Schädel
basieren. Vielleicht wird eine zukünftige Geschichtsschreibung ohnehin
einmal erzählen, die nachhaltigste Errungenschaft des Netzes sei die
Wiederentdeckung unseres Kopfes gewesen.
Nota.
Merke: Wissen heißt Bedeutungen verstehen und nicht Daten sammeln.
J.E.
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