Vergleich der Hirnaktivität sowie der strukturellen Verknüpfungen von
Hirnarealen beim Verarbeiten einfacher oder komplexer sprachlicher
Regeln. A: Das frontale Operculum ist beim Verarbeiten beider Regeltypen
beteiligt (obere Abb.). Hingegen wird nur bei komplexen Regeln das
Broca Areal hinzugezogen (untere Abb.). B: Faserverbindungen zwischen
den Hirnregionen einzelner Versuchspersonen. Links: Das frontale
Operculum ist verknüpft mit vorderen Bereichen des Schäfenlappens über
den fasciculus uncinatus. Rechts: Das Broca Areal hält durch den
fasciculus longitudialis superior Verbindung mit oberen Arealen im
Schläfenlappen.
aus scinexx
Gehirn: Grammatik ist Teamarbeit
Neue Erkenntnisse zu den Ursachen der menschlichen Sprachfähigkeit
Warum verstehen wir Menschen komplizierte Sätze und unsere nächsten
Verwandten - die Affen - hingegen nur einzelne Worte? Was genau die
Ursachen für die menschliche Fähigkeit zur Sprache sind, ist bis jetzt
noch nicht endgültig geklärt. Nun haben Leipziger Wissenschaftler
herausgefunden, dass im menschlichen Gehirn zwei Hirnareale für
verschiedene Verarbeitungsleistungen der Sprache zuständig sind. Sie
stellten fest, dass einfache Sprachstrukturen in einem evolutionär
älteren Hirnareal verarbeitet werden, über das auch Affen verfügen.
Komplizierte Strukturen jedoch aktivieren Prozesse in einem
entwicklungsgeschichtlich jüngeren Hirnareal, das nur der Mensch
besitzt.
Wie
die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und
Neurowissenschaften in der Fachzeitschrift PNAS berichten, liefern diese
Befunde einen wichtigen Baustein zum Verstehen des menschlichen
Sprachvermögens.
Zwei grundlegende Muster von Grammatik
Sprache verstehen und erzeugen zu können, ist ein wesentliches Merkmal,
das uns von nicht-menschlichen Primaten unterscheidet. Speziell das
Anwenden komplexer sprachlicher Regeln wird dafür verantwortlich
gemacht, dass Menschen im Gegensatz zu anderen Spezies lange Sätze
erzeugen und verstehen können.
Wenn man die Regeln der Sprache (Syntax) analysiert, kann man zwei
grundlegende Muster von Grammatik unterscheiden. Eine einfache Regel ist
das richtige Bilden von typischen (wahrscheinlichen) Wortverbin- dungen,
wie z.B. bei Artikel und Substantiv ("ein Lied") oder bei Artikel und
Verb ("ein gefällt"). So ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Substantiv
auf einen Artikel folgt, sehr hoch, dass ein Verb einem Artikel
nachsteht, hingegen sehr gering.
Um aber längere Sätze verstehen zu können, benötigt man ein komplexeres
Strukturmodell, die so genannte "Hierarchie". Dabei werden hierarchische
Abhängigkeiten zwischen Satzverbindungen gebildet, um diese miteinander
zu verknüpfen, wie ein eingeschobener Nebensatz: "Das Lied [das der
Junge sang] gefiel dem Lehrer". Ansatz der Max-Planck-Studie war
demzufolge, die Hirnaktivitäten bei der Verarbeitung dieser beiden
Modelle, also "Verknüpfungswahrscheinlichkeit" und "Hierarchie",
miteinander zu vergleichen.
In einem Verhaltensexperiment hatten Wissenschaftler in den USA zuvor
gezeigt, dass nicht-menschliche Primaten (Tamarin-Äffchen) zwar in der
Lage sind, Regeln mit lokalen Verknüpfungswahrscheinlichkeiten zu
verarbeiten, nicht aber hierarchische Regeln. Das Ergebnis veranlasste
die Leipziger Forscher zu der Hypothese, dass komplexe grammatische
Regeln von Hirnarealen verarbeitet werden, die 'phylogenetisch jünger'
sind. Diese Annahme untersuchten die Forscher in einem funktionellen
Kernspintomografie-(fMRT) -Experiment an Menschen.
Dazu
erzeugten die Wissenschaftler künstliche Grammatiken mit sinnlosen,
aber strukturierten Silben (z.B. de bo gi to). Die Aneinanderreihung
dieser Silben erfolgte entweder gemäß der einfachen Regel
("Verknüpfungs- wahrscheinlichkeit") oder der komplexeren Regel
("Hierarchie"). Die Silben wurden in zwei Kategorien unterteilt. Silben
der Kategorie A endeten mit lautlich hellen Vokalen (de, gi, le ...),
Silben der Kategorie B mit dunklen Vokalen (bo, fo, gu, ...). Die
einfache Regel bildete abwechselnde Folgen von den Kategorien A und B
(z.B. AB AB = de bo gi ku), die komplexe Regel bildete dagegen
Hierarchien durch das Verknüpfen beider Kategorien (z.B. AA BB = de gi
ku bo).
Dieses Prinzip entspricht dem Versuch, Grammatik auf die einfachsten
formalen Regeln zu reduzieren. Der Vorteil von künstlichen Grammatiken
besteht im Experiment - im Gegensatz zu natürlich gesprochener Grammatik
- darin, dass andere Strukturelemente der Sprache (Semantik,
Phonologie, Morphologie) keine zusätzlichen Einflüsse auf den
neurologischen Verarbeitungsprozess nehmen können.
Die Versuchspersonen trainierten beide Grammatiktypen zwei Tage vor der
Kernspinuntersuchung. Eine Gruppe lernte die
"Verknüpfungswahrscheinlichkeit", die andere Gruppe die "Hierarchie".
Während der fMRT-Untersuchung wurden neue Abfolgen von Silben über einen
Bildschirm präsentiert, die syntaktisch "richtig" (korrekte Sequenzen)
oder "fehlerhaft" (inkorrekte Sequenzen) waren. Auf diese Weise wurde
das Anwendungsvermögen der gelernten Regeln gemessen bzw. die
Versuchspersonen sollten jede Sequenz nach der Grammatikalität bewerten
(richtig/falsch).
Beim Verarbeiten beider Regeltypen konnten die Leipziger Forscher bei
ihren Testpersonen Aktivitäten in einem menschheitsgeschichtlich älteren
Hirnareal (frontales Operculum) nachweisen. Wie sie vermutet hatten,
zeigte eine jüngere Hirnstruktur, das Broca Areal, nur dann Aktivitäten,
wenn von den Versuchspersonen hierarchische Regeln verarbeitet wurden.
Weitere Forschung nötig
In einem zweiten Schritt wurde die Methode der diffusionsgewichteten
Bildgebung (DTI) verwendet, um strukturelle Verknüpfungen
(Konnektivität) der beiden Hirnregionen zu untersuchen. Als Ergebnis
konnten auch hier beide Hirnareale voneinander abgegrenzt werden. Das
frontale Operculum war über spezielle Faserverbindungen (fasciculus
uncinatus) mit den vorderen Bereichen des Schläfenlappens verknüpft.
Hingegen wies das Broca-Areal Verknüpfungen auf, welche über den
fasciculus longitudialis superior zu oberen Bereichen des
Schläfenlappens führten.
Durch zwei unterschiedliche Verfahren (fMRT- und DTI-Messung) konnten
die Max-Planck-Forscher beide Hirnareale in Struktur wie Funktion
voneinander abgrenzen. Werden also einfache Regeln vom Gehirn
verarbeitet, wie dies beim Affen offenbar auch erfolgt, so wird das
stammesgeschichtlich ältere Areal im Gehirn aktiviert. Hingegen wird
beim Anwenden komplexerer Regeln, die ein Affe nicht beherrscht, das
Broca Areal herangezogen.
Dieser Befund ist zum einen höchst aufschlussreich für die Lokalisierung
jener Funktionsbereiche im menschlichen Gehirn, die
Sprachverarbeitungsprozesse steuern. Zum anderen führt er exemplarisch
vor, auf welche Weise komplexe Fragestellungen - wie etwa die Entstehung
des menschlichen Sprachvermögens - disziplin- und fachübergreifend in
der modernen Forschung aufgegriffen und untersucht werden. Für die
Grundlagenforscher in Leipzig heißt das, als nächstes zu fragen, was die
unterschiedlichen Verknüpfungen zum Schläfenlappen für die
Sprachverarbeitung im Detail bedeuten.
(idw - MPG, 10.02.2006 - DLO)
Fortsetzung folgt morgen.
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