aus scinexx
Abschweifende Gedanken machen unglücklich
Zusammenhang zwischen Leben im „Hier und Jetzt“ und gefühltem Glück bestätigt
Die Hälfte unserer Zeit sind wir mit den Gedanken nicht bei der Sache – und genau das könnte unserem Glück im Wege stehen. Eine jetzt in „Science“ veröffentlichte Studie hat einen deutlichen Zusammenhang zwischen der geistigen Präsenz im „Hier und Jetzt“ und dem Grad des Glücklichseins nachgewiesen. Je häufiger und länger die Gedanken abschweiften, desto unglücklicher fühlten sich die gut 2.000 getesteten Probanden.
Im Gegensatz zu anderen Tieren verbringen wir Menschen eine Menge Zeit damit, an Dinge zu denken, die nichts mit dem aktuellen Geschehen zu tun haben: Wir erinnern uns an Ereignisse der Vergangenheit oder denken an etwas, das möglicherweise in der Zukunft oder aber gar nicht stattfinden könnte. Man könnte fast annehmen, dass das Wandern und Abschweifen der Gedanken die normale Art ist, wie unser Gehirn funktioniert.
Probanden-Befragung per iPhone-App
Die Psychologen Matthew A. Killingsworth und Daniel T. Gilbert von der Universität Harvard wollten es genauer wissen. Sie interessierte vor allem, welche emotionalen Auswirkungen dieses Abschweifen der Gedanken haben könnte. Für ihre Untersuchung wählten sie eine ungewöhnliche Methode: Sie entwickelten eine spezielle iPhone Applikation, „trackyourhappiness“, die 2.250 freiwillige Teilnehmer der Studie in bestimmten Abständen kontaktierte. Die Probanden aller Altersstufen und beider Geschlechter wurden dann gefragt, was sie gerade taten, wie glücklich sie waren und ob sie gerade an ihre augenblickliche Tätigkeit dachten oder an etwas anderes positives, negatives oder neutrales.
Die Hälfte der Zeit geistig abwesend
Das Ergebnis: Im Durchschnitt 46,9 Prozent der Zeit waren die Teilnehmer nicht bei der Sache, sondern hingen anderen Gedanken nach. Insgesamt sank der Anteil dieser geistigen Abwesenheit bei allen Aktivitäten kaum unter 30 Prozent. Einzige Ausnahme: beim Sex. „Wandernde Gedanken scheinen über alle Aktivitäten hinweg verbreitet zu sein“, erklärt Killingsworth. „Diese Studie zeigt, dass unsere mentale Lebenswelt in bemerkenswertem Maße von dem nicht Gegenwärtigen durchdrungen ist.“
Wandernde Gedanken als ‚Indiz für Glück’?
Und das Ausmaß dieser Nicht-Gegenwärtigen Gedanken scheint eng mit unserem Glücklichsein verknüpft zu sein. Denn am glücklichsten waren die Versuchspersonen meist bei den Aktivitäten, die noch am ehesten die Präsenz im „Hier und Jetzt“ erforderten wie Sex, Sport oder im Gespräch. Nach Berechnungen der Forscher trägt die spezifische Aktivität dabei nur zu 4,6 Prozent zum Grad des Glücks zu einem bestimmten Zeitpunkt bei. Immerhin ein Anteil von 10,8 Prozent dagegen wird durch die Gegenwart oder Abschweifung der Gedanken bedingt.
„Das Abschweifen der Gedanken ist ein exzellenter Indikator für das Glücklichsein von Menschen“, so Killingsworth. „Tatsächlich erlaubt die Häufigkeit, mit der unsere Gedanken die Gegenwart verlassen und der Trend, wohin sie dabei gehen, eine bessere Voraussage unseres Glücks als die Tätigkeiten, die wir gerade durchführen.“ Die Analysen der zeitlichen Abläufe stellten dabei sicher, dass das Wandern des Geistes im Allgemeinen wirklich die Ursache und nicht die Folge des Unglücklichseins war.
Bestätigung traditioneller Lehren
„Viele philosophische und religiöse Traditionen lehren, dass Glück durch das Leben im Moment gefunden werden kann. Viele Praktiken trainieren daher, das Wandern der Gedanken zu stoppen und im ‚Hier und Jetzt‘ zu sein“, so der Psychologe. Seiner Ansicht nach bestätigen die neuen Erkenntnisse diese alten Lehren durchaus.
„Der menschliche Geist ist ein wandernder Geist und ein wandernder Geist ist ein unglücklicher Geist”, so das Fazit von Killingsworth und Gilbert. „Die Fähigkeit an etwas zudenken, das nicht gerade passiert ist eine kognitive Leistung nicht ohne emotionale Kosten.“
(Harvard University, 12.11.2010 – NPO)
_____________________________________________________________________
Nota.
Wirklich keine neue Erkenntnis. Wär der Mensch bei dem geblieben, was ihm seine tierische Herkunft auf den Weg gegeben hat, nämlich Stoffwechsel und Fortpflanzung, und hätte er nie vom Baum der Erkenntnis gekostet – er würde sich noch heute im Garten Eden wähnen. Der Geist, den wir uns am oberen Ende unserer Gattungsgeschichte angehext haben, ist kein Freudenspender wie ein Babyschnuller. Glücklich macht das Denken nicht. Aber es hat andere Vorzüge.
J.E.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen