Donnerstag, 2. Mai 2019

Asiens Neanderthaler.


aus Tagesspiegel.de, 1. 5. 2019                 Unterkiefer eines Denisova-Menschen, der 1980 im Nordosten der Tibetischen Hochebene gefunden wurde

Denisova-Menschen waren in Asien weit verbreitet
Neues über die Zeitgenossen der Neandertaler: Ein Fund in Tibet beweist, dass Denisova-Menschen dort schon vor 160.000 Jahren lebten.

Manchmal löst ein einzelner Fund gleich mehrere Rätsel – wenn auch erst mit jahrzehntelanger Verzögerung. Im Jahr 1980 fand ein buddhistischer Mönch in einer großen Karsthöhle im Nordosten der Tibetischen Hochebene einen gut erhaltenen Unterkiefer. Nun, fast 40 Jahre später, liefern Analysen dieses Knochens neue Erkenntnisse zur Besiedlung Asiens durch den Denisova-Frühmenschen. Diese dem Neandertaler ähnlichen Homininen lebten dort vor etwa 160.000 Jahren – lange bevor der moderne Mensch (Homo sapiens) aus Afrika aufbrach.

Dabei scheuten sie offensichtlich sogar extreme Regionen wie das Dach der Welt nicht: Der Fundort des Kiefers, die Baishiya-Höhle, liegt auf dem Tibetischen Plateau in fast 3300 Metern Höhe in der chinesischen Provinz Gansu. Der Mönch übergab den Xiahe-Kiefer, benannt nach der Fundregion, einem hohen buddhistischen Würdenträger, dem 6. Gungthang Rinpoche, der den Knochen der chinesischen Universität Lanzhou überließ.
Die Höhle der Denisova-Menschen in Tibet. Am Eingang befinden sich buddhistische Kultstätten.
Deren Forscher, darunter Ko-Studienleiter Dongju Zhang, untersuchten den Kiefer wie auch den Fundort zuletzt zusammen mit Wissenschaftlern des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie um Institutsdirektor Jean-Jacques Hublin. Ihre Erkenntnisse, die sie nun im Fachblatt „Nature“ vorstellen, werfen ein neues Licht auf die recht rätselhaften Denisova-Menschen, über die bislang nur wenig bekannt war. 

2010 durch Leipziger Max-Planck-Forscher entdeckt

Dieser Frühmensch, der nicht als eigene Spezies gilt, sondern als Schwestergruppe der Neandertaler, wurde erst 2010 durch Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts identifiziert – anhand eines Fingerknochens, der in der Denisova-Höhle im russischen Teil des Altai-Gebirges entdeckt wurde. Erbgut-Analysen ergaben später, dass sich Denisova-Menschen, Neandertaler und moderne Menschen im Lauf der Zeit miteinander vermischt haben.

„Spuren von Denisova-DNA sind im Erbgut heute lebender asiatischer, australischer und melanesischer Populationen zu finden, was darauf hindeutet, dass diese Menschenform einst weit verbreitet gewesen sein könnte“, sagt Hublin. Bisher war es – trotz der wohl weiten Verbreitung – allerdings nicht gelungen, diesen Frühmenschen ein Fossil außerhalb der Denisova-Höhle eindeutig zuzuordnen. Das macht den jetzigen Fund umso bedeutender.

Mit der Uran-Thorium-Methode bestimmten die Forscher das Alter anhand einer Karbonat-Kruste am Kiefer auf mindestens 160.000 Jahre. Das entspricht etwa der Zeit, aus der die ältesten Funde aus der Denisova-Höhle stammen. Erschwert wird die eindeutige Zuordnung des Unterkiefers, der zwei Backenzähne und auch Zahnwurzeln enthält, durch das Fehlen verwertbarer DNA-Spuren. Allerdings ähneln sowohl die robuste Form des Kiefers als auch die großen Zähne sehr stark denen von Neandertalern und anderen Funden in Ostasien aus jener Zeit. 

Eng verwandt mit Menschen aus der Denisova-Höhle 

Zudem konnten die Forscher aus einem der Backenzähne Eiweiße isolieren. „Diese alten Proteine sind stark zersetzt und klar von modernen Proteinen zu unterscheiden, die eine Probe verunreinigen könnten“, sagt Ko-Autor Frido Welker. „Unsere Protein-Analyse hat ergeben, dass der Xiahe-Unterkiefer zu einer Population gehörte, die eng mit den Denisova-Menschen aus der Denisova-Höhle verwandt war.“

Der Fund belegt damit, dass Denisova-Menschen sehr viel weiter in Zentral- und Ostasien verbreitet waren als bisher bekannt. Das passt dazu, dass ihr Erbgut bei Ureinwohnern dieser und benachbarter Regionen nachweisbar ist. „Sehr wahrscheinlich gehören alle Fossilien aus Ostasien von vor etwa 350.000 Jahren bis vor 50.000 Jahren zu Denisova-Menschen“, sagt Hublin. Diese hätten dort den Homo erectus ersetzt, bevor sie vor etwa 50.000 Jahren selbst durch den Homo sapiens ersetzt wurden.
Die Umgebung der Fundstelle in Tibet heute.
Und die Entdeckung klärt ein weiteres Rätsel: Denisova-DNA enthält das Gen EPAS1, das es dem Körper ermöglicht, mit den geringen Sauerstoffkonzentrationen in großer Höhe umzugehen. Dieses Gen haben Bewohner der Himalaya-Regionen wie etwa die Tibeter und die Sherpas wohl von den Denisova-Menschen geerbt. Allerdings rätselten Forscher bislang, wozu diese Frühmenschen das Gen überhaupt brauchten – schließlich liegt die Denisova-Höhle in nur 700 Metern Höhe. Doch die Erbanlage dürften auch jene Denisova-Menschen schon gehabt haben, die vor 160.000 Jahren auf der Tibetischen Hochebene lebten. „Niemand wusste, warum die Denisova-Menschen dieses Gen hatten“, sagt Hublin. „Jetzt haben wir die Erklärung.“ 

Sie nutzten einfache Steinwerkzeuge

Schließlich gibt der Fund auch Aufschluss über die Besiedlung des Tibetischen Plateaus, das der moderne Mensch nach bisherigem Kenntnisstand erst vor etwa 40.000 Jahren erschloss. „Die erfolgreiche Besiedlung und die Gewöhnung an die große Höhe wie im Himalaya galten allgemein als beschränkt auf den modernen Homo sapiens, vor allem wegen der widrigen Bedingungen wie Ressourcenknappheit, niedrige Temperaturen und Sauerstoffmangel“, schreibt das Team in „Nature“. Stattdessen aber zeigt der Xiahe-Kiefer, dass schon archaische Frühmenschen das Tibetische Plateau bewohnten und sich erfolgreich an solche Umgebungen anpassten. „Bei dem Xiahe-Unterkiefer handelt es sich wahrscheinlich um das älteste Fossil eines Homininen im Hochland von Tibet“, sagt Erstautor Fahu Chen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking.

Was das über die kognitiven Fähigkeiten dieser Homininen aussagt, ist allerdings offen. Zwar fanden die Forscher in der Baishiya-Höhle schlichte Steinwerkzeuge wie etwa Schaber. Belege für eine fortgeschrittenere Technologie fehlen jedoch. Nicht auszuschließen aber, dass diese eines Tages noch gefunden werden. Schließlich hat auch die Lösung des Rätsels um den Xiahe-Kiefer ihre Zeit gebraucht. (Walter Willems, dpa)


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