Dienstag, 30. April 2019
Transzendentale Synthesis?
aus derStandard.at, 30. April 2019
Unser Gehirn kombiniert Sinneseindrücke nur, wenn dies sinnvoll ist Wissenschafter untersuchten die Flexibilität der Sinneswahrnehmung
Unser Gehirn ist permanent damit beschäftigt, zahlreiche unterschiedliche Sinnesreize zu verarbeiten und miteinander zu verknüpfen. Um der Flut von Wahrnehmungen Herr zu werden, bedient es sich einer Art Filtersystem. Dabei werden Sinneseindrücke nur dann kombiniert, wenn es für die aktuelle Aufgabe erfor- derlich und sinnvoll ist. Diese enorme Flexibilität hat nun ein internationales Team genauer analysiert.
"Uns interessiert, wie das Gehirn Sinnesreize verarbeitet", sagt Christoph Kayser von der Universität Bielefeld. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit multisensorischer Integration, also der Kombination verschiedener Sinnesinformationen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man einen Film schaut: Hier hört man, wie die Figuren miteinander sprechen, und sieht gleichzeitig ihre Lippenbewegungen. Es ist jedoch nicht immer sinnvoll, dass auditive und visuelle Informationen automatisch im Gehirn kombiniert werden, etwa wenn ein fremdsprachiger Film synchronisiert ist und die Lippenbewegungen nicht zum Ton passen.
Drei Modell im Test
In ihrer Studie haben die Wissenschafter erforscht, in welchen Bereichen des Gehirns Sinnesreize flexibel integriert werden. Dazu haben sie drei mögliche Modelle getestet. Während verschiedene Sinnesreize im ersten Modell komplett getrennt verarbeitet werden, werden sie im zweiten Modell automatisch kombiniert. Die dritte Variante ist schließlich das Modell der "kausalen Inferenz": Verschiedene Sinnesreize werden nur dann kombiniert, wenn sie nicht räumlich oder zeitlich voneinander entfernt sind. Hört man zum Beispiel immer einen Ton und sieht gleichzeitig ein Bild, kombiniert das Gehirn die Informationen. Tauchen Ton und Bild jedoch zusammen auf, obwohl sie vorher getrennt waren, werden sie nicht kombiniert. "Im Modell der kausalen Inferenz schließt das Gehirn also auf eine mögliche gemeinsame Quelle der Sinnesreize. Sinnes- reize werden nicht einfach automatisch integriert, sondern nur, wenn sie eine gemeinsame Quelle haben", sagt Kayser.
Um die drei Modelle zu vergleichen, wurden Testpersonen mit Licht- und Tonreizen konfrontiert. Licht und Ton tauchten dabei manchmal gleichzeitig auf, manchmal mit unterschiedlichen Häufigkeiten. Während- dessen zeichneten die Wissenschafter die Hirnaktivität der Testpersonen mithilfe einer Magnetenzephalogra- phie (MEG) auf. Das Ergebnis: Die drei Modelle passen jeweils zu unterschiedlichen Bereichen des Gehirns und damit auch zu unterschiedlichen Stufen der Verarbeitung.
Filter im Frontallappen
Auf der niedrigsten Stufe werden die Informationen getrennt in der Seh- und der Hörrinde abgebildet. Da- nach werden sie im Parietallappen – das ist der obere Teil des Gehirns – automatisch kombiniert. Erst auf einer höheren Verarbeitungsstufe liest das Gehirn die Informationen aus den vorherigen Stufen aus und filtert bei Bedarf störende Sinnesreize. Diese Flexibilität in der Wahrnehmung wird in speziellen Arealen des Fron- tallappens verortet, die für abstraktere Denkprozesse zuständig sind. "Auf der Ebene des Verhaltens weiß man schon länger, wie Menschen mit verschiedenen Sinnesinformatio- nen umgehen. Mit unserer Studie können wir erstmals zeigen, wie und wo das Gehirn solche Infor- mationen verarbeitet", sagt Kayser.
Die Ergebnisse der im Fachjournal "Neuron" erschienen Studie können in verschiedenen weiteren For- schungsbereichen genutzt werden. Sie sind zum Beispiel hilfreich für die Erforschung des abstrakten Denkens, weil dort Flexibilität und kausale Zusammenhänge eine wichtige Rolle spielen. "Wie das Gehirn Sinnesinformationen verarbeitet, ist zudem für technische Anwendungen relevant, etwa bei der Interaktion zwischen Mensch und Maschine", sagt Kayser. Damit befassen sich seine Kolleginnen und Kollegen im Bielefelder Exzellenzcluster CITEC. Und schließlich sind die Studienergebnisse im klinischen Kontext von Bedeutung. Dort können sie helfen, Krankheiten wie Autismus besser zu verstehen, bei denen Menschen Schwierigkeiten haben, Sinnesinformationen richtig zu verarbeiten. (red.)
Abstract
Neuron: "Causal Inference in the Multisensory Brain."
Nota. - Nach Kant gehört die Transzendentale Synthesis, in der mannigfaltige Sinneseindrücke zu sinnvollen Wahrnehmungen zusammengefasst wird, schon zur Verstandestätigkeit, und er folgt damit Baumgarten, der unter Ästhetik das 'untere', sinnliche Erkenntnisvermögen verstand. Hier nun zeigt sich, dass das Auslesen, Sortieren, Kombinieren und Synthetisieren schon auf diesen untersten drei Stufen - von Blau über Pink bis Rot - beginnt. Mit andern Worten, das Bestimmen von Sinneskomplexen zu bedeutungsvollen Einheiten nimmt seinen Lauf, bevor nach Fichte mit der Anschauung eine erste Reflexion eingetreten ist.
Wenn der Übergang vom Fühlen zum Reflektieren nicht als gleitend, aber auch nicht als ein Sprung, sondern als Folge von Sprüngen aufgefasst würde, wäre eine Wendung 'gegen sich selbst' etwas plausibler; nicht lo- gisch, aber in der lebendigen Vorstellung: Eine mehrfach gebrochene Distanz erscheint als eine qualifizierte- re Distanz. Das 'Zusammenfassen' geschieht nacheinander in drei Schritten; das Angeschaute - Rot - ist schon Eines (ein Ganzes), es 'fehlt nur noch' die qualifizierende Bestimmung. Fragt sich, ob die Reflexion dieser Vorarbeit notwendig folgen muss oder ob sie sich darüber hinwegsetzen und das Ganze auch neu ordnen kann.
Die Tatsache der Reflexion ist ein Rätsel, aber eben eine Tatsache. Wo man nicht erklären kann, muss man raten, und da ist Plausibilität besser als gar nichts.
JE
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen