aus nzz.ch, 26. 4. 2019 Das Bild der Grossen Magellanschen Wolke wurde mit einem erdgebundenen Teleskop gemacht, die Detailansicht mit dem Hubble-Teleskop. Sie zeigt einen von vielen Sternhaufen in der Galaxie
Eine neue Messung der Hubble-Konstante verstärkt die Zweifel am Standardmodell der Kosmologie
Es
gibt verschiedene Methoden, die Expansionsrate des heutigen Universums
zu messen. Zum Verdruss vieler Astronomen liefern sie unterschiedliche
Resultate. Es wird immer wahrscheinlicher, dass sich dahinter mehr als
nur Zufall verbirgt.
Die Kontroverse um die Expansionsrate unseres Universums spitzt sich zu. Im «Astrophysical Journal»
hat eine Arbeitsgruppe um den Nobelpreisträger Adam Riess von der Johns
Hopkins University in Baltimore die bisher genaueste Messung der
Hubble-Konstante vorgestellt. Der mit dem Hubble-Teleskop gemessene Wert
legt nahe, dass sich das Universum heute um neun Prozent schneller
ausdehnt, als es Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung erwarten
lassen.
Ein ungenügendes Modell?
Diese
Diskrepanz hatte sich bereits in früheren Messungen der
Hubble-Konstante abgezeichnet. Nun ist der Messfehler aber so klein,
dass man kaum mehr von einem Ausreisser sprechen kann. Die
Wahrscheinlichkeit für eine statistische Fluktuation betrage nur noch 1:
100 000, heisst es in einer Pressemitteilung
der Johns Hopkins University. Damit muss man der Möglichkeit ins Auge
blicken, dass das Standardmodell der Kosmologie die Entwicklung unseres
Universums nicht korrekt beschreibt.
Die
Hubble-Konstante ist eine fundamentale Grösse der Kosmologie, die
angibt, wie schnell sich unser Universum heute ausdehnt. Grundsätzlich
gibt es zwei Möglichkeiten, diese Grösse zu messen. Die eine Methode
setzt 380 000 Jahre nach dem Urknall an, als die kosmische
Mikrowellenhintergrundstrahlung freigesetzt wurde. Mit dem
Planck-Satelliten der ESA haben Forscher in den letzten Jahren die
winzigen Temperaturschwankungen dieser Strahlung vermessen. Auf dieser
Grundlage lässt sich mit dem Standardmodell der Kosmologie
extrapolieren, wie schnell sich das Universum heute ausdehnen sollte.
Die
andere Methode zur Messung der Hubble-Konstante setzt im Hier und Jetzt
an. Indem man die Geschwindigkeit misst, mit der sich Galaxien in
unserer kosmische Nachbarschaft von uns wegbewegen, und gleichzeitig die
Entfernung dieser Galaxien bestimmt, lässt sich ebenfalls die Rate
berechnen, mit der sich das Universum heute ausdehnt.
Der
schwierige Teil dabei ist die Entfernungsbestimmung. Dazu konstruieren
Astronomen anhand von pulsierenden Sternen (den Cepheiden) und
Supernovaexplosionen eine sogenannte Entfernungsleiter. Diese Leiter
erlaubt es, die Distanz zu entfernten Galaxien Schritt für Schritt auf
die Distanz zu näher gelegenen Galaxien zurückzuführen.
Fehler schrumpft, Diskrepanz bleibt
In
ihrer jüngsten Arbeit ist es der Gruppe von Riess gelungen, diese
Entfernungsleiter genauer zu kalibrieren. Dazu analysierten die
Astronomen mit dem Hubble-Teleskop das Licht von 70 Cepheiden in der
Grossen Magellanschen Wolke, einer Nachbargalaxie der Milchstrasse.
Zudem zogen sie eine Messung anderer Forscher heran, die kürzlich die
Entfernung zu dieser Galaxie neu bestimmt hatten. So konnten sie die
unterste Sprosse der Leiter besser verorten. Das schlug sich in einem
genaueren Wert für die Hubble-Konstante nieder. Der Messfehler beträgt
jetzt nur noch 1,9 Prozent. Damit ist der Fehlerbalken viel kleiner als
die Abweichung von dem Wert, den die Planck-Arbeitsgruppe anhand der
kosmischen Hintergrundstrahlung ermittelt hatte.
Riess
und seine Mitarbeiter halten es für unwahrscheinlich, dass diese
Diskrepanz auf systematische Fehler in einer der Messungen
zurückzuführen ist. Denn es gebe unabhängige Messungen, die den
kleineren Wert der Hubble-Konstante bestätigen würden und andere
Messungen, die ebenfalls einen grösseren Wert favorisieren.
Das
hatte vor drei Jahren noch ganz anders geklungen. Damals hatte Riess
davor gewarnt, die Diskrepanz überzubewerten. Jetzt aber scheint für ihn
der Punkt erreicht zu sein, wo man sich ernsthafte Sorgen über das
Standardmodell der Kosmologie machen muss. Die Wahrscheinlichkeit sei
gross, dass in dem Modell, das die beiden Ären miteinander verbinde,
etwas fehle, wird Riess in der Pressemitteilung seiner Universität
zitiert.
Das Problem
orten er und seine Mitarbeiter im «dunklen» Sektor des Universums.
Gemeint ist damit die ominöse dunkle Energie, die durch ihren negativen
Druck dafür sorgt, dass sich das Weltall seit einigen Milliarden Jahren
immer schneller ausdehnt. Im Standardmodell der Kosmologie geht man
davon aus, dass diese Energieform unbekannten Ursprungs konstant ist. Es
könnte jedoch auch sein, dass sie sich im Laufe der Zeit verändert. Ob
das die Diskrepanz zum Verschwinden bringen würde, lässt sich derzeit
noch nicht mit Sicherheit sagen. Ziemlich sicher ist hingegen, dass sich
in nächster Zeit die Vorschläge häufen werden, wie das Standardmodell
zu modifizieren ist, um das Gestern mit dem Heute in Einklang zu
bringen.
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