Mittwoch, 24. April 2019

Egozentrisch von Natur.

 aus spektrum.de, 24.04.2019

Gedächtnis
Der Egozentriker in uns
Unser Arbeitsgedächtnis verarbeitet Informationen besser, wenn sie mit uns selbst zu tun haben.

von Anna Lorenzen

Auch wenn es niemand gern zugibt: Uns allen wohnt eine gewisse Selbstbezogenheit inne. So erinnern wir uns etwa nach einer Veranstaltung mit fremden Menschen am ehesten an diejenigen, mit denen wir über uns selbst gesprochen haben. Dieser Selbstreferenzeffekt beim Langzeitgedächtnis ist gut untersucht. Doch findet er sich ebenfalls bereits auf der Ebene des Arbeitsgedächtnisses, das als Bindeglied zwischen Mensch und Umwelt dient?

Wissenschaftler aus China, Großbritannien und den USA haben diese Vermutung nun mit Hilfe eines Experiments bestätigt. Hierzu lernten 104 Studenten drei verschiedene Farbkreise mit den Begriffen »Ich«, »Freund« oder »Fremder« zu assoziieren. Anschließend erschienen eine Sekunde lang zwei der Farbkreise auf einem Bildschirm. Nach fünf Sekunden sahen die Probanden einen schwarzen Kreis und sollten so schnell wie möglich per Tastendruck entscheiden, ob sich dieser an der gleichen Stelle befand wie einer der beiden Farbkreise zuvor.

Die Reaktion erfolgte signifikant schneller, wenn es sich bei der Position um diejenige des ich-assoziierten Farbkreises handelte. Dieser Selbstreferenzeffekt trat selbst dann auf, wenn der schwarze Kreis doppelt so häufig auf Positionen des »Freund«- und »Fremder«-Farbkreises erschien. Die Bevorzugung der Ich-Reprä- sentation im Arbeitsgedächtnis erfolgt also offenbar automatisch, schlussfolgern die Forscher. Somit stellt sich die Frage, inwieweit sich ich­zentriertes Denken überhaupt beeinflussen lässt. Da das Arbeitsgedächtnis eine zentrale Rolle bei der ­Handlungsplanung spielt, ist es wahrscheinlich, dass der Effekt auch unser sozia- les Leben prägt. In weiteren Studien wollen die Forscher deshalb herausfinden, ob sich durch Experimente dieser Art beispielsweise der Grad egozentrischen Verhaltens vorhersagen lässt. 


Nota. - Das größte Rätsel der Hirnforschung ist - und dürfte für eine gute Weile bleiben - das Faktum der Reflexion: dass das Bewusstsein eines Individuums sich gegen sich 'selber' wenden und zur Vorstellung von einem Ich ausbilden kann. 

Egozentrik ist offenbar das Gegenteil: Der Egozentriker richtet fast alle seine Aufmerksamkeit zwar auf, aber nicht gegen sich - nämlich nicht so, dass er sich von Anderem unterschiede, sondern so, dass alles Andere hinter dem Selbst verschwindet.

Der springende Punkt wäre also nicht schon das Hervorheben von 'sich', sondern: das Unterscheiden vom Anderen. Doch ist der zweite Schritt erst nach dem ersten möglich. Die Bevorzugung des Selbstbezugs im Arbeitsgedächtnis wäre mithin die Bedingung des Bewusstseins. Daraus folgte, dass bei den Tieren eine solche Bevorzugung nicht vorkäme - schon weil sie ein Arbeitsgedächtnis gar nicht haben?

Merke: Wer nur in den Spiegel schaut, sieht nicht bloß sich selbst, sondern sieht das Andere nicht.
JE

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