Fördert Hypnose verschüttete Erinnerungen zu Tage? Findet man in Trance wirklich Zugang zu längst Vergessenem oder handelt es sich dabei um einen Mythos? Der Psychologe Dirk Revenstorf bringt Licht ins Dunkel.
von Dirk Revenstorf
Der Mensch vergisst ständig: Wichtiges, Unwichtiges, Namen, Telefonnummern, Termine. Doch nicht nur bei alltäglichen Erinnerungen lässt uns unser Gedächtnis im Stich. So versteckte eine meiner Klientinnen vor zehn Jahren einmal 10 000 Euro – und vergaß wo. Diese einfache Form des Vergessens kann gelegentlich durch eine hypnotische Trance rückgängig gemacht werden.
Während einer Hypnose schläft der Patient nicht, er befindet sich vielmehr in einem Zustand entspannten Wachseins und wechselt dabei zwischen bewussten und unbewussten Momenten. Dabei sind häufig gerade solche Gehirnareale aktiv, die es einem ermöglichen, sich Dinge vorzustellen oder Erinnerungen abzurufen. Die erwähnte Patientin konnte das Versteck ihres Geldes auf diese Weise allerdings zunächst nicht finden – sie entdeckte die Scheine jedoch kurz darauf zufällig in einem Buch.
Neben der alltäglichen Art des Vergessens existieren auch schwere Formen. Beispielsweise erinnern sich einige Patienten nicht an bestimmte Handlungen, weil diese sich nicht mit ihrem Selbstbild vereinbaren lassen. Manchmal vergessen sie dadurch sogar einen Teil ihrer Identität, wie ein Klient von mir, der ganze Vormittage in der Spielhalle verbrachte, aber abends ein braver Familienvater war, ohne sich an das Kasino oder seine Spielsucht erinnern zu können.
Manchmal hat Vergessen auch eine Schutzfunktion. Wenn es etwa um sehr schreckliche Erfahrungen geht, nutzt das Gehirn einen Mechanismus zur »Abspaltung«: Der Abruf der Erinnerung ist blockiert, und sie tritt nur bruchstückhaft als Flashback auf. Damit der Hypnotiseur das Trauma therapeutisch bearbeiten kann, muss das Erlebte wieder an die Oberfläche des Bewusstseins gebracht werden.
Dabei kann eine »Affektbrücke« helfen. Der Hypnotiseur bittet den Betroffenen, sich eine aktuelle Situation vorzustellen. So sollte sich eine Patientin mit einer Autobahnphobie in Trance vorstellen, wie sie auf der Autobahn fährt. Über das Gefühl der Angst konnte ich erfragen, wann diese Empfindung zum ersten Mal entstanden ist – es diente als eine Art Brücke in die Vergangenheit. In dem Fall konnte sich die Patientin erinnern, dass sie drei Jahre zuvor in einen Schneesturm gefahren war und seitdem Angst hatte, von hinten von einem Laster überrollt zu werden. Die aktuelle und die vergangene Situation waren über das gleiche Gefühl miteinander verknüpft. Eine solche Affektbrücke taucht mitunter von allein auf: Ist ein bestimmter Reiz, etwa ein Geruch oder ein Geräusch traumatisch verankert, kann er als Trigger wirken. Plötzlich überwältigen den Patienten die gleichen Gefühle wie in der vergangenen traumatischen Situation. In einer Therapie kann die Brücke dann als Instrument dienen, das Trauma zu bewältigen.
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Eine weitere Methode, um sich das Traumaerlebnis zu vergegenwärtigen, funktioniert über Imagination. Nach Hervorrufen einer Trance führt der Psychologe den Patienten mental an einen imaginären, sicheren Ort. Dazu stellt sich der Patient zum Beispiel eine Tür vor, die zum »Vorzimmer des Gedächtnisses« führt. In diesem Raum kontrolliert ein Wächter die Erinnerungen. Durch den Wächter kann die Tür zu einem bestimmten Tag geöffnet und ein Ereignis ins Gedächtnis gerufen werden – jedoch nur als subjektive Wahrheit. Wie viel dies mit der real erlebten Situation zu tun hat, lässt sich kaum beurteilen. Klinisch ist diese Vorstellung dennoch relevant. Sie hilft häufig, die emotionale Belastung zu verringern. Allerdings ist ein solches Zurückschauen ein komplexer Vorgang, in dem Fakten, Selbstbild und Schutzblockaden zusammenwirken.
Die durch Hypnose wiedererlangten Erinnerungen können verzerrt sein und sind dadurch unzuverlässig. Deshalb haben durch Hypnose geweckte Erinnerungen vor Gericht keine Beweiskraft. Beispielsweise erinnerte sich ein Zeuge durch Hypnose an Buchstaben und Zahlen, die er auf dem Kfz-Kennzeichen eines Autos gesehen haben wollte, dessen Halter Fahrerflucht begangen hatte. Später stellte sich dann heraus, dass diese im eigenen Nummernschild des Zeugen vorkamen. Hypnotisch ermittelte Erinnerungen liefern bei forensischer Anwendung also nur eine Spur, die durch andere Indizien bestätigt werden muss.
Massive Erinnerungslücken können noch eine weitere Ursache haben: Alkohol. Durch einen Rausch verursachte Blackouts lassen sich allerdings nicht durch Hypnose aufklären – der Alkohol verhindert, dass überhaupt Erinnerungen gebildet werden.
Dirk Revenstorf war bis 2004 Professor für klinische Psychologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Inzwischen leitet er die Regionalstelle Tübingen der Milton H.Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose. Das Institut führt Fortbildungen durch und beschäftigt sich mit den Forschungsfragen und der wissenschaftlichen Anerkennung von Hypnose.
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