aus derStandard.at, 17. Mai 2019
Was Affen meinen, wenn sie kreischen
Forscher analysierten die Laute von Titi-Affen und Grünmeerkatzen und stießen dabei auf äußerst differenzierte Bedeutungen
Neuenburg – Die Schreie von Affen sind keine einfachen Lautäußerungen. Sie vermitteln vielmehr differenzierte Informationen auf eine Weise, die sich teils von menschlichen Spracheigenheiten unterscheidet, berichten Wissenschafter der Universität Neuenburg.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher die Lautäußerungen von zwei Affenarten in Brasilien und Südafrika und beschrieben die Ergebnisse in zwei Studien in den Fachjournalen "Science Advances" und "Plos One". Demnach sind die Schreie der Tiere weitaus differenzierter als oft angenommen.
Raubtier-Warnungen
In Brasilien zeichnete das Team um Melissa Berthet die Laute von Titi-Affen (Springaffen) auf, nachdem die Wissenschafter ein ausgestopftes Raubtier – einen Raubvogel oder eine Raubkatze – am Boden oder im Blätterdach in unmittelbarer Nähe der Gruppe platziert hatten. Später spielten sie der Gruppe die aufgezeichneten Laute wieder vor, um die Reaktionen der Affen zu beobachten. Demnach konnten die Tiere durch die Laute Informationen über den Typ des Raubtiers und seinen Standort vermitteln, schienen dabei jedoch keine Kategorisierung zu verwenden, wie es beim Mensch der Fall ist.
"Wir neigen dazu, die Ereignisse, die uns umgeben, in Kategorien einzuteilen, auch wenn die Unterscheidung zwischen diesen Kategorien tatsächlich unklar ist", sagte Berthet. "Zum Beispiel bilden die Farben eines Regenbogens ein Kontinuum, aber Menschen bevorzugen es, über sieben Farbbänder zu sprechen", so die Forscherin.
Probabilistische Informationsübermittlung
In ähnlicher Weise würden Menschen in der den Affen präsentierten Situation dazu neigen, vier Kategorien zu unterscheiden: bodenlebendes Raubtier am Boden, Flug-Raubtier am Boden, bodenlebendes Raubtier im Blätterdach, Flug-Raubtier im Blätterdach.
Nicht so bei den Affen: Sie stellen diese vier Situationen als Kontinuum dar, und zwar durch Lautfolgen aus Kombinationen von Schreipaaren, die aus Schrei A und/oder Schrei B bestehen können. Je weniger Kombinationen von zwei B-Schreien in der Lautfolge vorhanden sind, desto mehr schauen die zuhörenden Affen in die Luft, um dort nach einem Raubtier zu suchen. Aber sobald die Anzahl der Kombination mit zwei B-Schreien zunimmt, schauen die Affen eher zum Boden. Diese als probabilistisch bezeichnete Informationsübermittlung wurde bisher bei keiner anderen Tierart beschrieben.
Grünmeerkatzen-Keilereien
In der zweiten Studie befasste sich ein Team um Stephanie Mercier mit Konflikten in wildlebenden Gruppen der südlichen Grünmeerkatzen in Südafrika. Ihren Ergebnissen zufolge verraten die Lautäußerungen der Beteiligten einer Schlägerei ihre Identität sowie ob es sich um Opfer oder Angreifer handelt. "Die Schreie der Opfer sind länger und häufiger als die der Angreifer", sagte Mercier. Dies stimme mit theoretischen Studien überein, die vorhersagen, dass Laute in feindlichen und aggressiven Situationen mit geringerer Häufigkeit abgegeben werden. In Angstsituationen nimmt die Frequenz zu und der Laut wird tonaler.
Diese Variationen erlauben es den Affen, die die Schreie abgeben, zum einen den Angreifer abzuwehren, zum anderen Artgenossen zur Hilfe zu rufen, vor allem während intensiver Streitigkeiten. Obwohl bei vielen Arten die Kampfschreie dem menschlichen Ohr sehr ähnlich erscheinen, sind die Konfliktschreie der südlichen Grünmeerkatzen laut der Studie sehr differenziert, je nach Rolle im Konflikt und nach der Intensität des Streits. (APA, red,)
Abstracts
- Science Advances: "Titi monkeys combine alarm calls to create probabilistic meaning"
- Plos One: "Correlates of social role and conflict severity in wild vervet monkey agonistic screams"
Nota. - Die Auffassung der Erscheinungen der Welt als eindeutig zu Unterscheidende nennen wir die digi- tale, die Auffassung der Erscheinungen als gleitendes Kontinuum nennen wir eine analoge. Um die digitale Wahrnehmung so wiederzugeben, dass ein Anderer sie identifizieren kann, braucht man ein unmissverständ- liches Zeichen, ein digit, am besten ein - Wort. Eine analoge Wiedergabe bedarf eines kontinuierlichen Sig- nalsystems.
Was war eher da - die digitale Wahrnehmungsweise des Menschen oder seine sprachliche Mitteilungsweise? Ich wage mal eine Spekulation: Es war die Wiedergabe durch spezifische Wortzeichen, die durch Äonen das menschliche Bewusstsein geprägt, nämlich überhaupt erst möglich gemacht hat, und diese Bewusstseinsver- fassung hat ihrerseits seine Wahrnehmung geprägt.
Und siehe da: Eine 'vernünftige' Weltanschauung, und darunter verstehen wir seit gut 200 Jahren eine, die die Phänomene einander als Ursachen und Wirkungen zuordnet, ist nur bei einer digitalen Unterscheidung der Wahrnehmungen möglich: Eine Erscheinung muss als diese Eine spezifiziert worden sein, um ihr 'diese eine' Ursache zuschreiben zu können. Wessen Wahrnehmung aus ineinander übergehenden Bildern besteht, muss sich mit erfahrungsmäßiger Wahrscheinlichkeit bescheiden.
Merke: Die Unterscheidung nach Ursache und Wirkung ist reflexiv, sie schaut sich um: 'Da' ist die Erschei- nung, die Ursache muss als hinter ihr verborgen angenommen werden - als schon geschehene, und durch sie ist sie bestimmt. Der probabilistische Blick in die Welt sieht nach vorne, er erwartet etwas; doch das Etwas ist analog, nur ungefähr, noch unbestimmt.
JE
siehe auch:
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