Sonntag, 19. Januar 2014

Kosmische Raserei.

Das Universum in bis zu einer Milliarden Lichtjahre Entfernung von der Erde. Der Shapley-Superhaufen befindet sich rechts von der Milchstraße. (Bild R. Powell)
aus derStandard.at, 19. 1. 2014, 18:17

Warum die Lokale Gruppe mit zwei Millionen km/h durchs Weltall rast Untersuchung legt nahe, dass neben dem Shapley-Superhaufen eine weitere riesige Masse mit ihrer Gravitation auf den Galaxiehaufen einwirkt: die Sloan Great Wall

Bonn - Die Lokale Gruppe - also jener Galaxienhaufen, dem die Milchstraße angehört - rast mit rund zwei Millionen km/h durch das Weltall. Wissenschafter rätseln, was die Ursache für diese "kosmische Raserei" ist. Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Physikern der Universität Bonn kommt zu dem Schluss, dass neben dem gigantischen Shapley-Superhaufen eine weitere riesige Masse mit ihrer Gravitation massiv auf die Lokale Gruppe einwirkt. Die Ergebnisse wurden nun online im Fachjournal "Astronomy & Astrophysics" veröffentlicht.

Milchstraße

Mit der Andromeda-Galaxie, der Dreiecksgalaxie und kleineren Galaxien bildet das Milchstraßensystem die Lokale Gruppe, die mit rund zwei Millionen km/h durch das Universum rast. "Der Grund für die rasante Fahrt und die Ursache für ihre Bewegungsrichtung sind bis heute nicht schlüssig erklärt", sagt Marek Kowalski vom Physikalischen Institut der Universität Bonn. Ein internationales Forscherteam hat nun einen Ansatz gefunden, der das Bewegungsprofil der Lokalen Gruppe erklären könnte. In dem Konsortium ist auch der US-Astrophysiker Saul Perlmutter vertreten, der im Jahr 2011 den Physik-Nobelpreis erhielt.

Im Rahmen des Supernova-Factory-Projekts nutzte das internationale Team mehr als 100 Supernovae-Beobachtungen vom Typ Ia mit dem 2,2-Meter-Teleskop der Universität Hawaii auf dem Gipfel des Vulkans Mauna Kea. Bei Supernovae handelt es sich um Sterne, die am Ende ihrer Lebenszeit in einer gigantischen Explosion so hell wie eine ganze Galaxie aufleuchten. Die Forscher nutzten sie. Leuchttürmen gleich, als Bezugspunkte im All: "Anhand ihrer Helligkeit können wir feststellen, wie weit entfernt die Supernovae sind und mit welcher Geschwindigkeit sie sich im Weltraum bewegen", so der Astrophysiker Kowalski.

Der Weltraum als Zwiebel

Wie bei einer Zwiebel teilten die Forscher den Weltraum um die Erde in einzelne kugelförmige Schalen auf und bestimmten anhand der sich darin befindenden Supernovae die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung dieser Teilräume. "Unsere Hypothese war, dass für die Bewegung der Lokalen Gruppe die Anziehungskraft einer gigantische Masse die Ursache ist", berichtet der Bonner Forscher Ulrich Feindt. In der Vorzugsrichtung der durch das Universum rasenden Lokalen Gruppe befindet sich der Shapley-Superhaufen (SCI 124), die größte Ansammlung von Sternensystemen in einer Entfernung von 650 Millionen Lichtjahren zur Milchstraße.

Sloan Great Wall

"Unsere Berechnungen ergaben jedoch, dass die Gravitation des Shapley-Superhaufens nicht ausreicht, um das Geschwindigkeitsprofil der Lokalen Gruppe zu erklären", so Kowalski. "Wir müssten eine zweite, noch einmal annähernd gleichgroße Masse hinzufügen, um auf die erforderliche Anziehungskraft zu kommen." Die Wissenschafter vermuten, dass es sich bei dieser rätselhaften gigantischen Masse um eine lockere Ansammlung verschiedener Galaxien handeln könnte, der sogenannten Sloan Great Wall. Die Gravitation dieser Ansammlung und des Shapley-Superhaufens zusammen könnten nach den Erkenntnissen der Forscher sowohl die Geschwindigkeit als auch die Bewegungsrichtung der Lokalen Gruppe erklären.

Einfluss noch aus einer Milliarde Lichtjahre Entfernung

Die aktuelle Studie ist die bislang umfassendste zum Thema. Das internationale Forscherkonsortium verwendete ein Schalenmodell und Daten, die nahezu doppelt so tief in den Weltraum hineinreichen wie die vorangegangener Arbeiten. "Wir konnten damit zeigen, dass Strukturen in rund einer Milliarde Lichtjahre Entfernung noch einen Einfluss auf die Bewegung der Lokalen Gruppe haben", berichtet Kowalski. Damit verbunden sind sehr grundsätzliche Fragen der Kosmologie: Ist das Universum auf großen Skalen in alle Raumrichtungen gleichartig beschaffen? 

"Unsere Untersuchungen zeigen, dass diese Grundannahme im Standardmodell der Kosmologie hier an ihre Grenzen stößt", schließt der Astrophysiker. Denn die Kräfte, die die Strukturen im Weltraum beeinflussen, wirkten auch im ganz Großen. (red.)
 

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