Lehre unseres Jahrhunderts?
Die Kabbala zieht weit über Israels Grenzen hinaus Interessierte an
von Daniela Segenreich
Die Kabbala zieht weit über Israels Grenzen hinaus Interessierte an
von Daniela Segenreich
Seit einigen Jahren versuchen immer mehr Laien,
den Rätseln der Kabbala auf die Spur zu kommen. Sind es Stars wie
Madonna, die durch ihr Interesse an jüdischer Mystik einen Kabbala-Boom
ausgelöst haben?
Safed, auf Hebräisch Zfat, das malerische Städtchen im Norden Israels, soll die Geburtsstätte der Kabbala sein. Hierher strömen jährlich Tausende von Besuchern aus dem In- und Ausland, um die Geheimnisse der Kabbala zu ergründen. Jeder Stein in den verwinkelten Gässchen der Altstadt scheint mit der mystischen Lehre in Verbindung zu stehen. Die vielen kleinen Bethäuser und Synagogen, die alten unterirdischen Gänge, die Galerien und Ateliers der Künstler und sogar die Kerzen und Souvenirshops. Die Grenze zum Kitsch ist fliessend, vom Hochgelehrten bis zum einfachen Touristen kommt hier jeder auf seine Rechnung.
Safed, auf Hebräisch Zfat, das malerische Städtchen im Norden Israels, soll die Geburtsstätte der Kabbala sein. Hierher strömen jährlich Tausende von Besuchern aus dem In- und Ausland, um die Geheimnisse der Kabbala zu ergründen. Jeder Stein in den verwinkelten Gässchen der Altstadt scheint mit der mystischen Lehre in Verbindung zu stehen. Die vielen kleinen Bethäuser und Synagogen, die alten unterirdischen Gänge, die Galerien und Ateliers der Künstler und sogar die Kerzen und Souvenirshops. Die Grenze zum Kitsch ist fliessend, vom Hochgelehrten bis zum einfachen Touristen kommt hier jeder auf seine Rechnung.
Nur für «Erleuchtete»
Viele Generationen von wichtigen
Rabbinern und Interpreten der spirituellen Lehre haben in Zfat gelebt
und sind hier begraben. Darunter Schimon Bar Yochai, der der Legende
nach vor über zwei Jahrtausenden dreizehn Jahre lang in einer Höhle in
der Nähe der Stadt versteckt gewesen sein und dort die geheimen
Schriften des «Zohar» verfasst haben soll. Zohar bedeutet «Glanz» oder
«Leuchten» und ist eine spirituelle Interpretation der Thora, des Kerns
der Bibel, und eine wichtige Grundlage der Kabbala. Nach ihrer
Wiederentdeckung im 13. Jahrhundert waren diese Weisheiten nur für eine
kleine Elite von «Erleuchteten» bestimmt. Man befürchtete, dass die
esoterischen, mystischen Texte, die sich unter anderem mit Fragen über
die Unendlichkeit, das Universum und die Existenz Gottes befassen, für
die breite Masse zu mächtig und verwirrend sein könnten.
War damals das Studium der Kabbala
geheim und nur gelehrten jüdischen Männern über vierzig erlaubt, so
kann heute jeder Kabbala lernen. In Israel gibt es Studienzentren, einen
Kabbala-Fernsehkanal, eine Zeitung und einen Blog mit einem der
führenden Kabbala-Rabbiner. Das Studienzentrum in Zfat bietet Seminare
und Vorlesungen zu den verschiedensten Themen an. In einem der Kurse
geht es um Licht und Erleuchtung. Der Vortragende stellt die Frage:
«Sind Licht und Sonne dasselbe?» Nachdenkliches Schweigen unter den
Anwesenden, junge, moderne Leute aus dem Zentrum des Landes. «Sie sind
dasselbe, aber ihre Namen sind nicht gleich: Or - Licht und Maor - die
Sonne, die Quelle des Lichts. Wenn wir das Licht in die Sonne
zurückwerfen, dann gibt es nur noch Sonne. Das bedeutet, dass das Licht
keine eigene Existenz hat. Der Kabbala nach sendet Gott diese Energie
ständig aus, zum Zweck der Schöpfung. Wenn diese Schöpfung Licht ist,
ist sie Teil Gottes, ist sie Gott selbst.»
Eine Familie aus Kalifornien mit
zwei Kindern kommt zufällig vorbei, doch ein wenig auch wegen des
Pop-Stars Madonna: «Ich weiss, dass sie an der Kabbala interessiert ist,
sie auch wieder bekannt gemacht hat», erzählt die Mutter und gibt zu:
«Ich bin neugierig, warum sich Madonna und andere Stars plötzlich für
die Kabbala interessieren, wo es sie doch schon seit Jahrtausenden gibt,
während selbst viele Juden nichts darüber wissen. Das möchte ich gerne
herausfinden.»
Ein Botschafter der Kabbala in
unserem Jahrhundert (und mit Madonna bestens bekannt) war der vor kurzem
verstorbene Star-Rabbiner Phillip Berg. Schon sein Vorgänger, Rabbiner
Jehuda Ashlag, hatte Interpretationen und Übersetzungen des «Zohar»
verfasst und so den Grundstein zur Verbreitung der Kabbala gelegt. Er
sah die Menschheit als eine einzige, physisch und spirituell
interdependente Entität und glaubte fest daran, dass nur ein
Wirtschaftssystem, das dieser Sicht gerecht werde, die Menschen befreien
und zu einer kollektiven Erleuchtung führen könne. Israels Gründervater
Ben Gurion erwähnt in seinem Tagebuch zahlreiche Begegnungen mit
Ashlag, bei denen er immer wieder überrascht war, «dass, während ich
über Kabbala sprechen wollte, er über Sozialismus sprach».
Ashlag lebte in Armut und hatte
kaum das Geld, um seine Schriften drucken zu lassen. Rabbiner Berg
dagegen errichtete moderne Kabbala-Zentren, die wie
Business-Corporations geführt wurden, und genoss grosse Bekanntheit und
angeblich auch beträchtlichen Reichtum. Bei seinem Begräbnis in Zfat
trauerten Anhänger aus aller Welt, alle in Weiss gekleidet, darunter der
Hollywood-Star Ashton Kutcher mit Freundin und Leibwächtern.
Hat Berg mit seinen Studienzentren
in Los Angeles und in Tel Aviv, aber auch durch seine persönlichen
Kontakte zu den Stars und Prominenten die Lehre wieder ins Rampenlicht
gerückt? Seine Gegner werfen ihm vor, die Kabbala zu einer Art Sekte
gemacht und sich durch geschickte Vermarktung bereichert zu haben. Eyal
Riess, der Direktor des Kabbala-Centers in Safed, will sich nicht zur
Kritik an Rabbiner Berg hinreissen lassen und schlägt eine andere
Sichtweise vor: «Das Phänomen kommt nicht aus Hollywood oder Los
Angeles. Es ist ein Teil der Kabbala selbst, die Seele der Kabbala, die
überall hinreicht. Wir brauchen dieses Grenzen, Kulturen und Zeitalter
überschreitende Wissen gerade jetzt, in unserem Jahrhundert; wir sind
auch reif, es zu verstehen, und wir können es jetzt in seiner
authentischen Form studieren.»
Das Wort Kabbala kommt im
Hebräischen von «empfangen» und auch von Hakbalah, das bedeutet
«Parallelität». Es geht, laut Meister Riess, um die Parallelen zwischen
dem Materiellen, dem Geistigen und dem Göttlichen, das darüber steht:
«Die Kabbala lehrt uns, wie wir durch das Einhalten der Gebote des
Schöpfers mit ihm auf eine sehr spezielle Art in Verbindung treten
können.» Riess selbst hat die Kabbala vor etwa zwanzig Jahren für sich
entdeckt. Damals war er ein junger, säkularer Musiker in Tel Aviv. Heute
ist er ein religiöser Gelehrter, mit langem Bart, Schläfenlocken,
schwarzem Hut und Kaftan. Doch er betont, dass Religiosität im
herkömmlichen Sinne zum Studium der einstigen Geheimlehre nicht
unbedingt nötig sei: «Diese spirituelle Weisheit ist nicht an Religion
gebunden. Jeder Einzelne kann davon nehmen und sich damit bereichern.»
Das scheint sich herumzusprechen, seine Kurse sind ständig ausgebucht,
und viele Kabbala-Schüler kommen jedes Jahr wieder.
Vorsicht vor Scharlatanen
Dr. Shelly Goldberg, die auf
Universitäten und in religiösen Institutionen in Israel unterrichtet,
sieht in dieser Popularität der Kabbala auch eine gewisse Gefahr: «Es
gibt auch viele Scharlatane und ein Abrutschen in die Magie, die
eigentlich nichts mit der Kabbala zu tun hat - etwa die roten Bändchen
am Handgelenk, die zwar zu einem Symbol der Kabbala geworden sind, aber
auf einer falschen Interpretation beruhen.» Wichtig seien die richtigen
Lehrer und die richtige Einstellung. «Kabbala-Instant», also Selbsthilfe
und Erleuchtung im Schnellverfahren, gebe es nicht, die Annäherung an
die Lehre sei vielmehr ein lebenslanger Prozess, bei dem man
schrittweise reif genug werde, um das Wissen der Kabbala zu empfangen. -
In Zfat jedenfalls gewinnt man den Eindruck, dass sich jeder und jede
Interessierte ein wenig von dieser spirituellen Welt aneignen und
vielleicht auch eine kleine persönliche Erleuchtung erleben kann.
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