Philosophisch verbrämter Antisemitismus
Heideggers «Schwarze Hefte» geben zu reden, bevor sie veröffentlicht sind
Heideggers «Schwarze Hefte» geben zu reden, bevor sie veröffentlicht sind
von Uwe Justus Wenzel ·
«Wege - nicht Werke», so lautet das Motto, das Martin Heidegger der
Gesamtausgabe seiner Schriften und Vorlesungen vorangestellt wissen
wollte. Die Edition, es ist eine Ausgabe «letzter Hand», hat 1975 bei
Vittorio Klostermann zu erscheinen begonnen, ein Jahr vor dem Tod des
Philosophen. Allmählich neigt sich das Unternehmen - dannzumal über
hundert Bände umfassend - seinem Ende zu. Heidegger hatte bestimmt, dass
zum Schluss auch seine «Schwarzen Hefte» zu veröffentlichen seien, eine
Art Denktagebuch, das er von Anfang der dreissiger bis in die siebziger
Jahre hinein geführt hatte. Im kommenden Februar und März sollen die
Aufzeichnungen aus den Jahren 1931 bis 1941 in drei Bänden (mit
insgesamt über 1300 Seiten) vorgelegt werden. Ihren Schatten werfen sie
indes bereits seit längerem voraus.
Gerüchte kursierten, wonach über
die philosophischen Motive der bekannten politischen «Verstrickungen»
Heideggers im Deutschland nach der Machtübergabe an Hitler
Aufschlussreiches zu erfahren sei. Und nun zirkulieren sogar Zitate, die
der Herausgeber der «Hefte», Peter Trawny, als Kostproben französischen
Heidegger-Experten vertrauensvoll zur Kenntnis gebracht hatte - Zitate,
die anscheinend bestätigen, was Karl Jaspers in seiner «Philosophischen
Autobiografie» zu berichten wusste: Heidegger habe die Legende von
einer jüdischen Weltverschwörung nicht für den «bösartigen Unsinn»
gehalten, der sie sei, sondern (in einem Gespräch 1933) eingewandt, es
gebe «doch eine gefährliche internationale Verbindung der Juden». Trawny
hat nun in einem Artikel in der «Zeit» angekündigt, die
Veröffentlichung der «Schwarzen Hefte» werde zeigen, dass Jaspers'
Anekdote «einen wahren Kern» enthalte.
Die Rede ist nicht - oder nicht
nur - von jenem antijüdischen Ressentiment, das in gelegentlichen
privaten Äusserungen Heideggers bereits überliefert ist. Ans Licht kommt
vielmehr - so deutet Trawny es an - ein philosophisch geadelter,
grundierender «seinsgeschichtlicher Antisemitismus», der in eine
«erschreckende Dimension» weise. Demnach scheint Heidegger - nicht
anders als dem weniger tiefsinnigen Antisemitismus jener Zeit auch - das
«Weltjudentum» als Verkörperung der wurzellosen Modernität, des
Liberalismus und Kapitalismus gegolten zu haben: als Inbegriff dessen,
was ein «anderes» Weltverhältnis zu überwinden hätte, ein
Weltverhältnis, das Heidegger sendungsbewusst im Dichten und Denken
Griechenlands und Deutschlands Gestalt gewinnen und - zeitweise - in der
«deutschen Revolution» von 1933 in die Wirklichkeit drängen sah.
Wenn sich ein gewissermassen
systematischer Antisemitismus in Heideggers Denken und Schreiben jener
Zeit artikuliert, dann wird auch der Umstand, dass der Philosoph zur
Judenvernichtung nach 1945 - weitgehend - geschwiegen hat, in noch
schwärzeres Licht getaucht. In Frankreich, wo es noch immer kritiklose
Apologeten wie auch besinnungslose Gegner der Heideggerschen Philosophie
gibt - mehr vermutlich als in Deutschland -, sind die Gemüter, nachdem
einige Zitatfragmente den Weg in die weitere Öffentlichkeit gefunden
haben, erhitzt. Eine neuerliche «Heidegger-Affäre» scheint ihren Lauf zu
nehmen - es wäre die fünfte seit 1946/47. Von Vorteil wäre es gewiss,
die Debatte erst dann fortzusetzen, wenn die Textpassagen im Kontext des
gesamten, voluminösen Konvoluts der «Schwarzen Hefte» jener Jahre
gelesen werden können.
Eine Frage allerdings drängt sich
vorab auf: Warum hat Heidegger die Aufzeichnungen überhaupt in die
Gesamtausgabe - und offenbar unverändert - aufgenommen? Die Frage stellt
sich auch und besonders vor dem Hintergrund, dass Heidegger - wie
Trawny schreibt - «seinen ihm spezifischen Antisemitismus in Texten
sekretierte, die er nur wenigen Menschen zur Einsicht überliess». Der
Herausgeber, der die Publikation der «Hefte» mit einem Buch über
«Heidegger und die jüdische Weltverschwörung» begleitet, erwägt, «ob
Heidegger nicht vielleicht zeigen wollte, wie sehr sich eine
philosophische Entscheidung versteigen und verirren kann».
Eine solche Spekulation, wie
leicht auch immer sie in den Verdacht allzu grosser Nachsichtigkeit
geraten mag, liegt angesichts eines Denkers, der die «Irre» und die
«Irrnis» für seinsgeschichtlich ebenso unumgänglich wie
wahrheitserschliessend hielt, in der Tat nahe. Vielleicht aber ist bei
Heidegger auch eine anhaltende Ratlosigkeit im Spiel gewesen - eine
Ratlosigkeit, die sich womöglich mit der Hoffnung verband, die Nachwelt
möge zu einem «gerechten» Urteil gelangen. Wie dem auch sei: Die letzten
Bände der Gesamtausgabe «letzter Hand» wird man kaum buchstäblich als
Heideggers letztes Wort in eigener Sache verstehen können.
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