aus scinexx
Seeanemone ist Pflanze und Tier zugleich
Forscher finden bei dem Nesseltier genetische Merkmale von Pflanzen
Pflanze oder Tier? Die Seeanemone sieht aus wie ein Gewächs, dennoch
gehört sie zu den Nessel"tieren". Wissenschaftler aus Österreich haben
in genetischen Untersuchungen festgestellt, dass die Seeanemone bei
weitem nicht so ein einfacher Organismus ist, wie bislang angenommen: In
zwei Publikationen im Fachjournal "Genome Research" erläutern sie,
warum die Seeanemone sowohl Tieren als auch Pflanzen gleicht.
Seit
den 1990er Jahren sind die vollständigen Gen-Sequenzen von einer immer
größeren Zahl von Organismen bekannt. Anhand dieser Genome können
Wissenschaftler mit zunehmender Genauigkeit die
Verwandtschaftsverhältnisse einzelner Arten, aber auch ganzer Stämme von
Lebewesen bestimmen. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die Größe
des Erbguts nicht unbedingt anzeigt, wie komplex ein Organismus ist.
Eine ebenso große Rolle spielt dafür die interaktion der Gene
untereinander und ihre Regulation. Dieses genregulatorische Netzwerk
haben Ulrich Technau von der Universität Wien und seine Kollegen nun bei
der Seeanemone entschlüsselt – und dabei einiges Überraschendes
gefunden.
Komplexe Genregulation in einfachem Organismus
Für ihre "Gen-Landkarte" identifizierten die Forscher bestimmte Elemente
in der DNA-Sequenz, sogenannte "Enhancer" und "Promotoren". An diesen
Elementen docken spezifische Proteine an, die wiederum beeinflussen, wie
oft und wie stark ein Gen aktiviert und kopiert wird. Je komplexer das
regulatorische Netzwerk eines Lebewesens ist, desto häufiger kommen
diese Enhancer und Promotoren im Genom vor.
Bei der Seeanemone stellte sich heraus: Das eher primitive Tier verfügt
über ein ähnlich komplexes Netzwerk wie der Mensch oder die
Fruchtfliege. "Für uns liegt daher der Schluss nahe, dass dieses
Prinzip von komplexer Genregulation auf gemeinsame Vorfahren von Mensch,
Fliege und Seeanemone zurückgeht", erklärt die Mikrobiologin Michaela
Schwaiger. Das gemeinsame System der Genregulation wäre demnach
mindestens 600 Millionen Jahre alt.
Gemeinsamer Vorfahr auch mit Pflanzen?
Die Seenanemone erweist sich aber noch in einer anderen Hinsicht als
überraschend. Denn auch in einem weiteren System der Genregulation
zeigten sich unerwartete Besonderheiten. Bei diesem binden sogenannte
mikro-RNAs an die RNA-Kopien eines aktivierten Gens. So verhindern sie,
dass das Gen in ein funktionierendes Protein übersetzt wird. Dieses
zweite System ist sehr verbreitet, bei vielen Tieren sind 100 bis 200
solcher mikro-RNAs bekannt, beim Menschen sogar über 1.000. Auch bei
Pflanzen existiert diese Art der Regulation, allerdings gehen
Wissenschaftler davon aus, dass sie sich
völlig unabhängig entwickelt hat: Die pflanzlichen mikro-RNAs haben so
gut wie nichts mit den tierischen gemeinsam, sie entstehen auf anderem
Wege und wirken unterschiedlich.
In der Seeanemone fand das Team insgesamt 87 dieser mikro-RNAs.
Überraschenderweise zeigten sie alle Eigenschaften pflanzlicher mikro-RNA.
Außerdem wiesen die Forscher ein wichtiges Protein für die Produktion
der mikro-RNA nach, das bislang ausschließlich in Pflanzen gefunden
wurde. Dies deutet darauf hin, dass diese Eigenheiten der Seeanemone
weit zurück gehen bis zum gemeinsamen Vorfahren der Tiere und Pflanzen.
Einerseits ist also die Genregulation bei der Seeanemone auf DNA-Ebene
dem System der "höheren" Tiere erstaunlich ähnlich. Andererseits gleicht
sie bei der RNA-Regulation den Pflanzen. Die Wissenschaftler sehen
darin einen bedeutenden Nachweis, wie sich wichtige Ebenen der
Genregulation unterschiedlich entwickeln können.
(Genome Research, 2014; doi:10.1101/gr.162529.113, 10.1101/gr.162503.113
(Universität Wien, 19.03.2014 - AKR)
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