Samstag, 8. März 2014

Lamarck im Epigenom.

aus Die Presse, Wien, 7. 3. 2014                                                         DNA-Methylierung

Opas Lebenserfahrung kommt genetisch auf die Enkel - nur wie?
Gene werden von der Umwelt moduliert, und das wird vererbt. Aber die Aufdeckung der Mechanismen kann Jahrzehnte dauern.


„Es gibt so viele Arten, wie sie am Beginn vom Unendlichen Wesen erschaffen wurden“, publizierte 1737 Linnaeus, später fügte er hinzu, dass „nie neue Arten entstehen“. Denn der große Systematisierer, der Ordnung bzw. Nomenklatur in die Natur brachte, war ein frommer Mann. Und er brauchte zum Systematisieren Merkmale, die sich nicht wandeln, bei Blütenpflanzen die Zahl und Form der Blütenblätter, das Echte Leinkraut (Linaria vulgaris) etwa hat Lippenblüten, die am unteren Ende einen Sporn tragen. Aber im Sommer 1743 fand man ein Leinkraut mit fünf Spornen, es kam zu Linnaeus, dem brach die Welt zusammen: „Das ist nicht weniger bemerkenswert, als es eine Kuh wäre, die ein Kalb mit dem Gesicht eines Wolfs zur Welt bringt.“

Er nannte die Pflanze Peloria, das heißt im Griechischen Monster (und er strich in späteren Buchauflagen den Satz, dass keine neuen Arten entstehen). Peloria machte Karriere, Goethe bewunderte sie, Darwin nahm sie als Beleg für die Evolution. Aber das ist sie nicht, zumindest nicht im Sinn der Darwinisten, bei denen Genkombinationen und -mutationen für neue Formen sorgen. In den Genen jedoch ist Peloria identisch mit Linaria. Wo der Unterschied liegt, bemerkte man erst in den 1990er-Jahren. Bei Peloria ist die Aktivität eines Gens verändert – bzw. völlig stillgestellt –, durch Methylierung, das Anhängen einer Methylgruppe.

Lamarck ist wieder da!

Damit war ein neues Feld eröffnet, das der Regulierung der Gene – Epigenetik –, entweder durch andere Gene oder auch durch die Umwelt. Dieses Feld blühte auf, just in dem Moment, als die klassische Genetik ihren größten – und abschließenden – Triumph feierte, die Sequenzierung des Humangenoms.Das „Buch der Natur“ war aufgeschlagen, so pries es Bill Clinton, alles schien getan: Die Evolution schreitet voran, indem in Zellen der Keimbahn – Eizellen, Spermien – die Gene neu zusammengewürfelt werden, bisweilen auch mutiert. Und in den heranwachsenden Kindern werden die resultierenden Phänotypen dann von der Umwelt getestet, selektiert. Die Epigenetik drehte das um, in ihr war die Umwelt von Anfang an treibende Kraft. Und Lamarck war wieder da: Erfahrungen, die jemand im Leben macht, schlagen auf seinen Körper durch, und das wird vererbt. Eines von Lamarcks Beispielen war der Sohn des Schmieds, der schon mit kräftigen Armmuskeln zur Welt kam.

Vergleichbares fand sich durchaus, nicht nur bei Pflanzen wie Peloria, sondern auch bei Mäusen und bei Menschen: Eine Studie in Schweden zeigte etwa, dass Enkel von Männern, die in ihrer Jugend gehungert hatten, seltener an Herzkrankheiten und Diabetes litten als Gleichaltrige, deren Großväter sich hatten satt essen können; in England zeigte sich, dass der Tabakkonsum der Großväter das Gewicht der Enkel mit beeinflusst. Aber diese Studien waren epidemiologische – anfällig dafür, dass irgendwelche Faktoren übersehen werden –, härtere Belege lieferten Experimente an Mäusen. Im letzten wurden sie auf Furcht vor einem Duft konditioniert, sie vererbten das in die dritte Generation.

Das ist eigentlich unmöglich, die Zunft reibt sich die Köpfe: Wie kommen Methylierungen in Keimzellen hinein? Die Eizellen von Frauen sind bei ihrer eigenen Geburt schon da, und die Spermien von Männern sind auch vom restlichen Körper getrennt! Mehr noch: Wenn Eizellen und Spermien verschmelzen, werden alle epigenetischen Markierungen ausradiert – die DNA wird„reprogrammiert“ –, und in den Zellen, die später Keimzellen werden, wird das wiederholt.

Geprägte Gene, Histone, Prionen?

Wie kommen epigenetische Markierungen doch durch? Einen denkbaren Weg weisen Gene, die nicht reprogrammiert werden, „geprägte“, die gibt es, aber nicht viele; alternativ sucht man in Proteinen, um die herum DNA aufgewickelt wird, den Histonen; auch kleine RNA-Stücke sind Kandidaten, und Prionen, fehlgefaltete Proteine (Nature 507, S.22). „Es kann auch etwas völlig Neues sein“, schließt Oliver Rando (Worcester), der das Phänomen als Erster bei Tieren gezeigt hat, „dann können wir Jahrzehnte brauchen, es zu klären.“


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