aus NZZ, 26. 3. 2014
Die Nachwehen der Inflation
Mit dem Nachweis von primordialen Gravitationswellen beginnt in der Kosmologie eine neue Zeitrechnung
von Christian Speicher
In der kosmischen Hintergrundstrahlung haben
Forscher einen Beleg dafür gefunden, dass das Universum kurz nach dem
Urknall inflationär gewachsen ist. Manche Forscher sprechen von einer
Jahrhundertentdeckung.
Vergangene Woche durfte man einem
Ereignis beiwohnen, das in der Welt der Wissenschaft Seltenheitswert
besitzt. Die Bicep2-Arbeitsgruppe hatte mit einem Teleskop am Südpol in
der kosmischen Hintergrundstrahlung den Fingerabdruck von urzeitlichen
Gravitationswellen (also sich wellenförmig ausbreitenden Störungen der
Raumzeit) nachgewiesen. Fast alle Forscher, die sich zu der Entdeckung
äusserten, waren begeistert. Zwar wurde pflichtschuldig darauf
hingewiesen, dass die Ergebnisse noch der Bestätigung bedürfen. Von der
Skepsis, mit der bahnbrechende Entdeckungen oft aufgenommen werden, war
diesmal jedoch wenig zu spüren.
Seltene Eintracht
Kosmologen feiern den Nachweis der
primordialen Gravitationswellen als Bestätigung für die Inflation.
Astronomen freuen sich über eine weitere indirekte Bestätigung, dass die
von Albert Einstein postulierten Gravitationswellen existierten. Und
die Teilchenphysiker sind aus dem Häuschen, weil die Entdeckung eine
Energieskala ins Spiel bringt, auf der mit neuer Physik zu rechnen ist.
So viel Eintracht war selten.
Der Nachweis der primordialen
Gravitationswellen wirft ein Schlaglicht auf eine noch unerforschte
Epoche des Universums. Zur Rettung des Urknallmodells hatte der
amerikanische Physiker Alan Guth 1981 postuliert, der heute sichtbare
Teil des Universums habe 10-35 Sekunden nach dem Urknall eine
kurze Phase der Inflation durchlaufen, in der er sich von subatomarer
Grösse auf die Grösse eines Fussballs aufgebläht habe. Mit dieser
Hypothese konnte Guth zum einen erklären, warum das Universum flach ist
(weil jegliche Krümmung glatt gezogen wird), zum anderen, warum das
Universum auf grossen Skalen weitgehend homogen und isotrop ist (weil
das heute sichtbare Universum vor der Inflation so kompakt war, dass
sich Unterschiede ausgleichen konnten).
Als Erfolg für die Inflation darf
man auch werten, dass sie ein Spektrum von Dichtefluktuationen
vorhersagt, das sehr gut zu den Temperaturschwankungen in der kosmischen
Hintergrundstrahlung passt. Das ist allerdings kein
Alleinstellungsmerkmal der Inflation. Auch andere kosmologische Modelle
prognostizieren ein ähnliches Spektrum an primordialen
Dichtefluktuationen. Dazu gehört beispielsweise das zyklische Modell von
Paul Steinhardt und Neil Turok aus dem Jahr 2002. Dieses Modell geht
davon aus, dass das Universum keinen Anfang hat, sondern unendlich viele
Zyklen der Expansion und der Kontraktion durchläuft.
Wie die Forscher der
Bicep2-Arbeitsgruppe nun festgestellt haben, weist die kosmische
Hintergrundstrahlung aber nicht nur Inflations-typische
Temperaturschwankungen auf, sie ist auch auf eine ganz besondere Art
polarisiert. Für dieses Polarisationsmuster gibt es im Wesentlichen nur
zwei Erklärungen. Entweder wurde es der kosmischen Hintergrundstrahlung
durch primordiale Gravitationswellen aufgeprägt, die in der
Inflationsphase erzeugt wurden. Oder die kosmische Hintergrundstrahlung
wurde erst nachträglich polarisiert, etwa durch die Streuung an
Staubpartikeln in der Milchstrasse. Diese Möglichkeit halten die
Forscher der Bicep2-Arbeitsgruppe allerdings für sehr unwahrscheinlich.
Für die Kosmologin Ruth Durrer von
der Universität Genf steht deshalb fest: Sollten sich die Ergebnisse
der Bicep2-Arbeitsgruppe bestätigen lassen, so wäre das ein klares Votum
für die Inflation. Das zyklische Modell von Steinhardt und Turok lasse
nur ein schwaches Gravitationswellen-Signal erwarten, so Durrer. Damit
sei dieses Modell nun ausgeschlossen. Das Gleiche gelte aber auch für
viele Inflationsmodelle.
Inflationsmodelle gibt es wie Sand
am Meer. Je nachdem, wie stark sich das die Inflation antreibende Feld
während der Inflation verändert, machen sie unterschiedliche Aussagen
über die Stärke und das Spektrum der Gravitationswellen. Das nun
gemessene Gravitationswellen-Signal sei so stark, dass man rund 90
Prozent der sogenannten Small-Field-Modelle ausschliessen könne, schätzt
Durrer. Weitere Einschränkungen erhofft sie sich durch eine genaue
Vermessung der Grössenverteilung der Gravitationswellen. Kenne man neben
der Stärke auch das Spektrum der Gravitationswellen, so lasse sich eine
Konsistenzrelation überprüfen, die von einfachen Inflationsmodellen
vorhergesagt werde.
Eine neue Energieskala
Nicht minder interessant sind die
teilchenphysikalischen Implikationen der neuen Entdeckung. Aus der
Messung der Bicep2-Arbeitsgruppe lässt sich ableiten, dass sich die
Inflation auf einer Energieskala von 1016 Gigaelektronenvolt
abgespielt hat. Damit erschliesst sich den Teilchenphysikern eine Welt,
die ihnen mit irdischen Beschleunigern niemals zugänglich sein wird. Es
springe ins Auge, dass die Energieskala der Inflation nahezu identisch
mit der sogenannten GUT-Skala sei, sagt Thomas Gehrmann von der
Universität Zürich. Diese Energieskala taucht in teilchenphysikalischen
Modellen auf, die die elektromagnetische, die schwache und die starke
Kraft auf eine Urkraft zurückzuführen versuchen. Eine zentrale
Vorhersage dieser Modelle ist eine endliche Lebensdauer des Protons. Da
ein Protonenzerfall bisher trotz hinreichender Sensitivität der
Experimente nicht nachgewiesen worden sei, so Gehrmann, hätten diese
Modelle in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. Er könne sich
aber vorstellen, dass sie nun wieder Auftrieb erhielten.
Damit ist allerdings nicht
gesagt, dass die Inflation zwingend mit neuer Physik einhergehen muss.
In den letzten Tagen ist auf dem Arxiv-Preprint-Server eine lebhafte
Diskussion darüber entbrannt, ob man die Inflation auch im Rahmen des
Standardmodells erklären kann. Die Diskussion geht auf eine Arbeit
zurück, die Fedor Bezrukov und Mikhail Shaposhnikov von der ETH Lausanne
im Jahr 2008 veröffentlicht haben. Darin wurde gezeigt, dass auch das
Higgs-Feld des Standardmodells die treibende Kraft hinter der Inflation
sein kann, wenn es in geeigneter Weise an die Gravitation koppelt.
Nach der Publikation der
Bicep2-Arbeitsgruppe sei diese Idee vorschnell für tot erklärt worden,
sagt Shaposhnikov. Denn in der Arbeit von 2008 sei ein sehr kleiner Wert
für die Stärke der primordialen Gravitationswellen vorhergesagt worden.
Inzwischen habe man aber festgestellt, dass die Theorie auch mit
stärkeren Gravitationswellen verträglich sei. Dafür müsse die Masse des
Higgs-Teilchens allerdings sehr nahe bei einem kritischen Punkt liegen,
der seinerseits empfindlich von der Masse des Top-Quarks abhänge. Eine
solche Feinabstimmung von Parametern geht der Arbeitsgruppe von Lawrence
Krauss von der Arizona State University in Tempe allerdings zu weit. In
einem Preprint argumentieren die Forscher, dass die Idee, die Inflation
alleine mit dem Higgs-Feld des Standardmodells zu erklären, dadurch an
Reiz verliere.
ebd.
«Die Stärke des Signals hat uns überrascht»
Jan Tauber, bei der
ESA für die Planck-Mission zuständig, äussert sich zum Nachweis von
Gravitationswellen durch ein konkurrierendes Experiment
Herr Tauber, die
Planck-Arbeitsgruppe hat ebenfalls nach Spuren von Gravitationswellen in
der kosmischen Hintergrundstrahlung gesucht. Waren Sie überrascht, dass
Ihnen ein konkurrierendes Experiment zuvorgekommen ist?
Es gab Gerüchte, dass die
Bicep2-Arbeitsgruppe mit einem aufsehenerregenden Resultat an die
Öffentlichkeit treten würde. Insofern traf uns das nicht völlig
unvorbereitet. Aber die gesamte Fachwelt war erstaunt, wie stark das von
Bicep2 nachgewiesene Signal ist. Die Temperaturdaten des
Planck-Satelliten hatten uns Anfang 2013 erlaubt, unter gewissen
Modellannahmen eine obere Grenze abzuleiten, die nur halb so gross ist.
Die Ergebnisse der Polarisationsmessungen werden wir vermutlich Ende des
Jahres publizieren. Dann wird man sehen, ob wir das Resultat der
Bicep2-Arbeitsgruppe bestätigen können.
Gibt es denn einen Grund, an den Resultaten zu zweifeln?
Auf den ersten Blick kommt mir die
Auswertung sehr solide vor. Zwar gibt es einzelne Punkte, die man noch
überprüfen muss. Aber bei der Analyse möglicher Fehlerquellen sind die
Forscher sehr sorgfältig vorgegangen.
Was unterscheidet das am Südpol stationierte Bicep2-Experiment vom satellitengestützten Planck-Experiment?
Das Bicep2-Experiment ist dafür
ausgelegt, einen kleinen, sehr sauberen Ausschnitt des Himmels mit hoher
Empfindlichkeit zu vermessen. Unsere Strategie ist eine andere. Wir
vermessen den gesamten Himmel und hoffen, so die geringere
Empfindlichkeit unserer Detektoren kompensieren zu können. Der Nachteil
ist, dass die Sicht auf den Mikrowellenhintergrund nicht überall so
ungestört ist wie in dem kleinen Ausschnitt, den die
Bicep2-Arbeitsgruppe gewählt hat. Deshalb müssen wir den störenden
Vordergrund von unseren Daten subtrahieren, bevor wir nach primordialen
Gravitationswellen und anderen interessanten Signaturen suchen können.
Das macht die Analyse unserer Daten deutlich komplexer.
Lohnt sich dieser Aufwand denn, wenn man die gleichen Resultate auch mit einem billigeren
Teleskop am Boden gewinnen kann?
Bicep2 ist auf ein enges Ziel
ausgerichtet, nämlich den Nachweis der sogenannten B-Moden in der
kosmischen Hintergrundstrahlung. Unsere wissenschaftliche Zielsetzung
ist viel breiter. Ein Beispiel: Mit dem Bicep2-Teleskop lässt sich nur
ein kleiner Bereich von Winkelskalen untersuchen. Es gibt in der
kosmischen Hintergrundstrahlung aber sehr interessante Signaturen, die
sich über grosse Winkelbereiche erstrecken. Solche grossräumigen
Signaturen sieht man nur, wenn man den ganzen Himmel vermisst. Und das
ist von der Erde aus nicht möglich. Anhand solcher Signaturen wollen wir
zum Beispiel mehr über jene Epoche erfahren, in der die Materie im
Universum reionisiert wurde.
Für den Nachweis der primordialen Gravitationswellen ist das aber offenbar nicht nötig?
Die Strategie der
Bicep2-Arbeitsgruppe war riskant. Denn man musste damit rechnen, dass
die Signatur der Gravitationswellen auf mittleren Winkelskalen komplett
von einem anderen Effekt überlagert wird. Die Strategie ging nur deshalb
auf, weil das Signal so unerwartet stark ist. Ein solches Risiko kann
man eingehen, wenn die Kosten für ein Experiment relativ niedrig sind.
Bei einem Experiment wie Planck muss man sehr viel konservativer
vorgehen.
Was bleibt für die
Planck-Arbeitsgruppe jetzt noch zu tun? Bleibt Ihnen nur noch die
undankbare Aufgabe, das Resultat der Bicep2-Arbeitsgruppe zu bestätigen -
oder es zu widerlegen?
Was die B-Moden betrifft, steht
das nun sicherlich im Vordergrund. Es wird aber nicht unser einziges
Ziel sein. Die Messungen der Bicep2-Arbeitsgruppe liefern bis anhin nur
einen einzigen Parameter. Dieser macht Aussagen darüber, bei welcher
Energie die Inflation stattgefunden hat. Ich bin mir sicher, dass wir
durch die genaue Vermessung des Polarisationsspektrums über einen
grossen Himmelsbereich noch viel mehr über die Inflation und spätere
Zeiten lernen können als nur diese eine Zahl. Sie müssen wissen, dass
die Inflation eigentlich keine Theorie ist, sondern eine Idee, die sich
auf ganz verschiedene Arten realisieren lässt. Es gibt Hunderte von
Modellen, und wir hoffen, dass wir diese in Zukunft noch stärker
einschränken können.
Würden Sie rückblickend sagen, man hätte die Analyse der Polarisationsdaten forcieren sollen?
Manche Forscher in unserer
Arbeitsgruppe sind natürlich enttäuscht, dass wir nicht die ersten
waren, die die primordialen Gravitationswellen nachgewiesen haben.
Trotzdem sehe ich keine Alternative zu unserem Vorgehen. Wie gesagt ist
die Auswertung der Planck-Daten eine komplexe Angelegenheit, gerade auf
grossen Skalen. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Selbst wenn es
Konkurrenzdruck gibt, dürfen wir nicht vorschnell an die Öffentlichkeit
gehen. Ich hoffe, dass wir daran auch in Zukunft festhalten werden.
Interview: Spe.
Nota.
Dies für den Fall, dass einer meiner Leser versteht, wovon die Rede ist. Dann würde ich ihn um ein paar Erläuterungen bitten; ich verstehe es nicht.
JE