Sprachforschung
Warum wir beim Reden so viele Fehler machen
Auch einfache Gespräche folgen ganz bestimmten Regeln, die unser Gehirn zu Multitasking zwingen. Deshalb machen wir beim Sprechen so viele Fehler.
Im
Aufzug beschwert man sich kollektiv über das schlechte Wetter. Beim
Kaffee fragt der Kollege nach den Ferienplänen, und am Abend bespricht
man mit dem Partner die Einkaufsliste. Kurze, banale Unterhaltungen
machen einen Grossteil unseres sozialen Lebens aus. Und obwohl man es
den unvollständigen oder grammatikalisch oft falschen Sätzen nicht
anhört, unterliegt dieses Geplauder komplexen Regeln.
Eine
der Knacknüsse dabei ist das sogenannte «Turn-Taking»: Einer spricht,
der andere hört zu, bis er mit Reden an der Reihe ist. Es ist eine
einfache Benimmregel aus dem Kindergarten, doch für das Gehirn bedeutet
es eine enorme Herausforderung.
Normalerweise
herrscht bei einem Dialog immer zwischen 150 und 300 Millisekunden lang
Stille, bevor der andere das Wort ergreift. «Bei so einer Pause klingt
die Unterhaltung flüssig», sagt die Psychologin Antje Meyer vom
Max-Planck-Institut (MPI) für Psycholinguistik im niederländischen
Nimwegen, wo dieser Aspekt der Psycholinguistik besonders intensiv
untersucht wird. Dauere die Pause eine Sekunde oder länger, nehme der
andere an, dass sie eine Bedeutung habe oder etwas nicht stimme. Die
Zeitspanne von bis zu 300 Millisekunden gilt nicht nur in westlichen
Sprachen, sondern auch in anderen Kulturen als optimal.
Allerdings
ist diese Zeitspanne für das Gehirn viel zu kurz, um ein Wort,
geschweige denn einen ganzen Satz vorzubereiten. Selbst so einfache
Aussagen wie «Der Knabe spielt Ball» brauchen schon etwa anderthalb
Sekunden, ein einzelnes Wort immerhin noch 750 Millisekunden. Die
üblichen Pausen von gerade einmal 300 Millisekunden vor einem
Sprecherwechsel reichen also bei weitem nicht aus, um seine eigenen
Vorstellungen vom Abendessen zu formulieren.
Lösen
lässt sich das Dilemma nur, wenn der Zuhörer seine Antwort gedanklich
vorbereitet, während der andere noch spricht. Jeder beiläufige
Wortwechsel erfordert also Multitasking vom Gehirn. Dies kostet viel
Mühe und ist fehleranfällig. Deshalb machen wir beim Sprechen wohl so
viele Fehler, wie Gerard Kempen vom Nimweger MPI und Karin Harbusch von
der Universität Koblenz-Landau kürzlich demonstrierten.
Die Forscher untersuchten, warum selbst Muttersprachler immer wieder
grammatikalisch falsche Kausalsätze bilden, etwa «Ich kann nicht kommen,
weil dann arbeite ich».
Dazu
analysierten Kempen und Harbusch in einer Datenbank gespeicherte
Dialoge, in denen sich zwei Freunde telefonisch verabreden. Dabei
achteten die Wissenschafter vor allem auf Kausalsätze, beginnend mit
«weil», «denn» und «da». Die meisten Menschen dürften wissen, dass das
Verb am Satzende stehen müsste, wenn der Kausalnebensatz mit «weil»
eingeleitet wird. Doch wie die Auswertung der Gespräche zeigte, ordneten
viele Sprecher die Wörter wie in einem Hauptsatz an – vor allem dann,
wenn ihnen nicht genügend Zeit blieb, die vergleichsweise komplexe
Kombination aus Haupt- und Nebensatz zu planen. Vermutlich plane das
Gehirn den weiteren Verlauf der Antwort noch, nachdem man bereits zu
reden begonnen habe, folgern die Forscher.
Immerhin
scheinen die Gesprächspartner die Dauer der geteilten Aufmerksamkeit
möglichst gering zu halten. Mit der Vorbereitung ihrer Antwort beginnen
sie so früh wie nötig, um ein flüssiges Gespräch zu ermöglichen – und so
spät wie möglich, um lange zuzuhören. Dies zumindest folgern Antje
Meyer und Matthias Sjerps, ebenfalls vom MPI für Psycholinguistik, aus
Messungen von Augenbewegungen. Den Blick lenkt ein Mensch meist in die
gleiche Richtung wie seine Aufmerksamkeit. In Sjerps' Studie
folgten die Probanden den gezeichneten Objekten, die ein Helfer laut
benannte, so lange wie möglich, ehe sie ihre Aufmerksamkeit im
letztmöglichen Moment auf jene Bilder richteten, die sie selbst benennen
sollten. So findet das Gehirn einen Kompromiss in einer Situation, die
laut Meyer «schwieriger ist, als man es sich normalerweise vorstellt».
Je
detaillierter die Erkenntnisse der Psycholinguisten werden, als umso
grösseres Wunder erscheint jeder Wortwechsel. Warum funktionieren diese
Gespräche trotzdem, obwohl sie derart viel Aufwand erfordern? «Wir üben
das jeden Tag, deshalb klappt es meistens», sagt Meyer. Hinzu komme eine
Art Abkürzung, die das Gehirn nehme, vermutet Stephen Levinson vom
Nimweger MPI. Demnach ist es in vielen Situationen gar nicht nötig, den
gesamten Satz zu hören, um passend antworten zu können.
Das gilt sogar
für Sprachen wie das Deutsche, in denen das Verb oft erst am Satzende
steht. Denn wichtiger als die Wortwahl des Sprechers ist oft der
Zusammenhang. Sitzt man beispielsweise im Restaurant und der Kellner
nähert sich mit der Weinflasche, spielt es keine Rolle, ob er fragen
wird «Darf ich Ihnen noch Wein nachschenken?» oder «Möchten Sie noch
etwas Wein?». Schon bei den ersten Worten erkennt der Gast, worum es
geht, und kann sich seine Antwort überlegen.
Doch können solche Tricks auch in die Irre führen. Verliert man deshalb den Faden im Redefluss des anderen, braucht es ein SOS-Signal: «Stopp, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Bitte alles noch einmal und ganz langsam.» Tatsächlich kennen vermutlich alle Kulturen so einen Hilferuf, um Konversationen zu retten. Im Deutschen ist es die unmissverständliche Frage «Hä?». Das klingt zwar nicht schön, ist aber so kurz und einfach, dass es sich auch in grösster Verwirrung noch artikulieren lässt.
Nota. - Es reicht ein einfaches Gedankenexperiment, um zu erkennen, dass die Sprachen, nämlich ihr Vokabular und ihre Grammatik, aus der Gesprächsführung entstanden sein müssen, und nicht umgekehrt. Nicht erstens, dann zweitens, sondern das andere während und aus dem einen: Die Sprachen werden Jahrhunderttausende gebraucht haben, um einen Grad von Perfektion zu erreichen, der es heutigen Forschern erlaubt, in ihnen Gesetzmäßigkeiten aufzufinden. Das Verständigen war aber schon ganz am Anfang nötig - und sei's mit Händen und Füßen.
JE
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