Donnerstag, 23. Juni 2016

Ernst Machs Vermächtnis.

aus Der Standard, Wien,  23. Juni 2016

Das Vermächtnis des Ernst Mach
Im Februar jährte sich der Todestag des Physikers und Erkenntnistheoretikers zum 100. Mal. Diesem Anlass war nun eine Konferenz gewidmet

von Tanja Traxler

Wien – Wie kommt ein ordentlich begabter Naturforscher dazu, sich um Erkenntnistheorie zu kümmern – gibt es in seinem Fach nicht wertvollere Arbeit? Diese provokante Frage warf Albert Einstein in seinem Nachruf auf den Experimentalphysiker und Erkenntnistheoretiker Ernst Mach im März 1916 auf. "Nein", lautete Einsteins Antwort. Schon als Student war der um 40 Jahre jüngere Physiker beeindruckt von Machs umfassenden Analysen, in denen sich dieser vorbildlos über die Grenzen der Einzelwissenschaften hinwegsetzte – heute würde man sie interdisziplinär nennen. Aus Anlass des 100. Todestages von Mach und des 25-jährigen Bestehens des Instituts Wiener Kreis fand vergangene Woche an der Universität Wien und der Akademie der Wissenschaften die Konferenz "Ernst Mach – Life, Work, Influence" statt. 

Was Machs Vermächtnis betrifft, stand das Verhältnis zwischen ihm und Einstein in mehreren Vorträgen im Zentrum, wobei auch mit so manchem Mythos aufgeräumt wurde. Posthume Fälschung So präsentierte der deutsche Wissenschaftshistoriker Gereon Wolters seine Recherchen zur Entstehung von Machs Werk "Optik", das posthum 1921 erschienen ist. Da Mach im Vorwort darin "mit Entschiedenheit" ablehnt, "den Relativisten vorangestellt zu werden", hielt sich in der Fachwelt jahrzehntelang und teilweise bis heute die Meinung, Mach habe die Relativitätstheorie abgelehnt – auch Einstein selbst muss unter diesem Eindruck gestanden sein. 

Indem er neue Quellen aus Machs Nachlass an der Universität Konstanz analysierte, konnte Wolters zeigen, dass das Vorwort nicht von Mach stammt, sondern von dessen Sohn Ludwig gefälscht wurde. Dieser war, freundlich gesagt, ein wesentlich weniger begabter Physiker, wollte sich aber als Widerleger der Relativitätstheorie hervortun. Um sein Vorhaben voranzutreiben, schrieb er also 1921 das Einstein-kritische Vorwort im Namen seines Vaters und datierte es auf 1913 zurück. 

Anglophone Dominanz 

Wolters' Recherchen reichen zwar schon einige Jahre zurück, in der angloamerikanischen Wissenschaftsforschung sind sie aber dennoch noch nicht angekommen – werden sie wohl auch nicht, wenn sich nicht zufällig ein Wissenschaftshistoriker von einer amerikanischen Elite-Uni findet, der zufällig des Deutschen mächtig ist, um seine Recherchen zu bestätigen, merkte Wolters nicht ohne Ironie an. Ganz nebenbei übte er so auch Kritik an der anglophonen Dominanz im heutigen Wissenschaftsbetrieb. 

Auch Richard Staley von der Cambridge University beleuchtete in seinem Vortrag eine Facette der vielschichtigen Verflechtung von Mach und Einstein. Im Zentrum stand dabei das Gedankenexperiment, das Einstein seinen "glücklichsten Gedanken" nannte. An seinem Schreibtisch im Berner Patentamt sitzend, fragte er sich eines Tages: Würde ein Mensch, der sich im freien Fall befindet, sein eigenes Gewicht spüren? Schließlich sollte dieser Gedanke zur Entwicklung der allgemeinen Relativitätstheorie führen, die Einstein 1916 vollendete. 

Körper im freien Fall 

Wie Staley zeigte, hatte Mach in seinem Buch "Die Mechanik in ihrer Entwicklung" von 1883 ebenfalls ein Gedankenexperiment mit freifallenden Körpern aufgestellt, das Einstein zu seinem "glücklichsten Gedanken" inspiriert haben dürfte. Mit ihrer interdisziplinären Ausrichtung wäre die Konferenz ganz im Sinne Machs gewesen, wie der Hauptorganisator Friedrich Stadler, Professor für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Wien, betonte. 

 Nach Professuren in Graz und Prag wurde der renommierte Experimentalphysiker Mach schließlich auf einen für ihn geschaffenen Lehrstuhl für "Philosophie, insbesondere Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften" an die Universität Wien berufen. Zwar bestritt Mach, Philosoph sein zu wollen, doch inspirierte er mit seinem philosophischen Interesse einen neuen Schlag von Physikern. 

Das kommt auch in Einsteins Antwort auf die eingangs gestellte Frage zum Ausdruck: "Tatsache ist, dass Mach durch seine historisch-kritischen Schriften (...) einen großen Einfluss auf unsere Generation von Naturforschern gehabt hat." Und weiters: "Von mir selbst weiß ich mindestens, dass ich insbesondere durch Hume und Mach direkt und indirekt sehr gefördert worden bin."

Link
mach16.univie.ac.at


Nota. - Welch herrliche Zeit für die Wissenschaften, als sich ein Experimentalphysiker mit Erkenntnis-theorie befasste!

Heute haben wir selbst Philosophieprofessoren, die sich nicht damit befassen. Ernst Machs Vermächtnis hätte es verdient, auch in Deutschland gepflegt zu werden.
JE



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