Wie Licht das Gehirn illuminiert
Licht,
vor allem blaues, ermuntert uns nicht nur auf dem Weg, auf dem wir es
sehen. Es kommt auch unvermerkt ins Gehirn, stellt die innere Uhr und
fördert die Kognition. Und an die Schatten dieses Lichts erinnert sich
das Gehirn lange.
"Mehr Licht“ soll Goethe gehaucht haben, als das seine am Flackern war, gesichert ist es nicht, vielleicht wollte er „mehr nicht“. Aber selbst wenn sich die Zeugen verhört haben, taten sie es mit Grund, wir leben vom Licht. Das beginnt mit der allfrühjährlichen Erfahrung, wie man aufblickt und -atmet, wenn das drückende Grau sich verzogen hat; und das geht so weit, dass lästige Kilos los wird, wer sich dem Licht des Morgens aussetzt, es muss nicht lang sein, es darf mild sein, aber es muss morgens sein. Das bemerkte Phyllis Zee (Chicago) an Probanden, die sie entweder vor Mittag oder danach 20, 30 Minuten spazieren gehen schickte. Den Rest des Tages verbrachten die Leute in ihrem Alltagsleben, zu Hause und/oder im Büro.
Dort werden sie mit 200 bis 300 Lux bestrahlt, im Freien kommen selbst bei verhangenem Himmel 1000. Die Hälfte reicht, und eine Woche reicht, dann ist der Body-Mass- Index – das Maß für den Wuchs in die Breite – bei denen mit Morgensonnne signifikant niederer als bei denen, die nachmittags draußen sind (PLoS One, 2.4.). Zee führt das darauf zurück, dass das Morgenlicht beim Justieren der inneren Uhr hilft, der „circadian clock“, sie schlägt ungefähr den Tagestakt und wird jeden Morgen an der Sonne gestellt. Dass sie durch Kunstlicht und verkürzten Schlaf verwirrt wird – die Dauer nahm in den letzten 50 Jahren um eine Stunde ab –, spielt bei der Epidemie der Fettleibigkeit mit. Länger schlafen hilft, und nun eben auch das Morgenlicht.
Innere Uhr braucht Morgenbläue
Die Rolle als Taktgeber ist die erste, die das Licht für das Leben spielte – lange bevor der Sehsinn entwickelt wurde –, früh stellte es sich auf die Rhythmen des Tages ein. Aber man bemerkte es spät, in den 1950er-Jahren, und erst in den 90ern fiel auf, dass dieses Licht ganz anders wahrgenommen wird als das, was wir bewusst sehen: Letzteres aktiviert die Fotorezeptoren der Netzhaut, jene in Stäbchen und Zapfen, die zwei Typen gab es, mehr nicht, so stand es in den Büchern. Aber dann bemerkte man an Mäusen, die blind waren und ihre innere Uhr doch im Takt hielten, einen dritten Zelltyp, er sitzt im „ganglion layer“, der verbindet Stäbchen/Zapfen mit dem Gehirn. Und er hat ganz eigene lichtempfindliche Zellen – „intrinsic photosensitive retinal ganglion cells“ (ipRGCs) –, ihr Pigment Melanopsin registriert vor allem blaues Licht, das ist jenes, das jeden Tag zuerst auf die innere Uhr fällt, im Dämmer des Morgens.
Und es wirkt nicht nur auf die Uhr, sondern auch direkt auf manche Hirnregionen, das war die nächste Überraschung: Blaues Licht steigert die Reaktionsfähigkeit, auch kognitiver Leitungen. Das leuchtet ein: Auch bei dem Licht, das wir sehen, pries der Dichter das blaue Band des Frühlings, und als der späte Wilhelm Reich in höchster Verzweiflung war, suchte er im Blau des Himmels eine Energie, die sämtliche Leiden heilt, er nannte sie „Orgon“ und wollte das einfangen.
In hellerer Form geht seit einigen Jahren die „Blue Light Group“ – Forscher, Augenärzten, Lichttechniker – den Vor-/Nachteilen des blauen Lichts nach. Mitgründer Steve Lockey (Boston) hat als Erster bemerkt, dass blaues Licht – via ipRGCs – das Gehirn mehr anregt als grünes, er hält es deshalb für das „gesünderes Licht“. Aber es steht auch im Verdacht, zu Erblindung durch Makuladegeneration beizutragen (Nature 469, S.284).
Diese Ungewissheit besorgt nicht nur die Grundlagenforschung, sie hat höchst praktische Relevanz: Die Innenbeleuchtung wird derzeit umgestellt, auf Sparbirnen und Leuchtdioden – mit viel Blau –, und niemand kann sagen, wie das neue Licht sich auf den Körper, die Augen, das Gehirn auswirkt. Man weiß nicht einmal, ob und wie Stäbchen/Zapfen und ipRGCs zusammenspielen, ihre Effekte sind schwer trennbar. Aber Sarah Chellappa (Liège) hat einen Weg gefunden: Wenn eine fotosensitive Zelle von einem Photon getroffen wird, reagiert sie mit Veränderung ihrer Form. Die muss rückgängig gemacht werden, bevor das nächste Photon wahrgenommen werden kann. Dafür sorgen in Stäbchen/Zapfen Enzyme; in ipRGCs ist es anders: Fotosensitiv sind sie in 11-cis-Form, und zwar für blaues Licht; schlägt ein Photon ein, kommt die All-trans-Form. Aus ihr zurück führt kein Enzym, sondern das nächste Photon, und das muss in Orange kommen.
Das hat Chellapa genutzt: Sie hat Probanden in Hirnscanner gelegt und zehn Minuten monochromem Licht ausgesetzt, kurzwelligem Blau (461 Nanometer) oder längerwelligem Orange (589). Dann kam eine Stunde Dunkelheit. In der wurden die Stäbchen/Zapfen in ihren Ausgangszustand gebracht; in den ipRGCs war das nicht möglich, es gab ja keine Photonen. Dann kam wieder Licht, und die Gehirne der Probanden, die Orange gesehen hatten, wurden in jenen Regionen aktiv, an die die ipRGCs melden (Pnas, 1.4.).
Vorsicht vor Verseuchung mit Farben!
Das heißt, dass Licht bzw. Melanopsin die Kognition beeinflusst, über einen weiten zeitlichen Abstand – im Experiment eine Stunde –, es wirft einen langen Schatten in das Gehirn. Das macht alles viel komplizierter, als es ganz am Anfang war: als es Licht ward (Genesis 1, 3). Welches Licht soll denn werden? Soll man bei Orange einschlafen, damit das Hirn anderntags leistungsfähiger ist? Oder sollte man lieber von der Lichtorgel lassen? Russel Van Gelder (Seattle), Hirnforscher, Augenarzt und Mitglied der Blue Light Group, mahnt zu Vorsicht: „Könnten wir unsere Gesundheit schädigen, indem wir die Welt mit Wellenlängen verseuchen, die wir von unserer Evolution her nicht gewohnt sind?“
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