Entstehung des Universums
Risse in der Urknall-TheorieSignale aus der Geburtsstunde des Universums: Mitte März jubelte ein Forscherteam über eine bahnbrechende Messung vonGravitationswellen. Möglicherweise haben die Physiker sich zu früh gefreut.
Von Marlene Weiß
Wer meint, die Welt erklären zu können, indem er am kleinen n schraubt, bekommt es mit Viatcheslav Mukhanov zu tun. "Vollkommener Unsinn", schimpft der an der Uni München aktive russische Physiker, "die Zeitschriften sind voll davon, aber es bleibt trotzdem Unsinn!" Auch wer sonst nichts von seinem Vortrag kürzlich am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München verstanden hat, eines dürfte jedem Zuhörer klar geworden sein: Das kleine n
in den Formeln über den Beginn des Universums, auch "spektraler Index"
genannt, sollte man in Ruhe lassen, wenn man sich nicht mit Mukhanov
anlegen möchte.
Das sind schlechte Nachrichten für all die Fachleute, die
Mitte März jubelten, als es hieß, man habe mit einem Teleskop am Südpol
Signale aus den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall gemessen: Vielleicht war der Jubel verfrüht, das Ergebnis widerspricht anderen Messungen. Spuren von Gravitationswellen, die vor 13,82
Milliarden Jahren entstanden sein sollen, als das Universum sich rasant
ausdehnte, meinten die Physiker um John Kovac von der
Harvard-Universität mit dem Teleskop Bicep2 am Südpol gemessen zu haben. Leider passte die Messung nicht so recht zu früheren Ergebnissen. Da kam das kleine n
ins Spiel, eigentlich nur ein harmloser Parameter in den Formeln. Lässt
man diesen etwas variieren, löst sich der Widerspruch auf. Doch das
Geschraube an dem Parameter bringt Mukhanov in Rage, und sein Wort hat
Gewicht. Kaum einer kennt sich besser aus mit der Geburt des Universums.Wie gut verteilter Himbeersirup im Wasserglas Andererseits: Auch der Russe war nicht dabei, als einst aus dem
Nichts der Kosmos entstand. Daher führen viele heute aktuelle Fragen
zwangsläufig ins Reich der Spekulationen: Warum sieht das Weltall
überall recht ähnlich aus? Ob nah, ob fern, in jeder Richtung: ähnliche
Galaxien-Strukturen, ähnliche Dichte, ähnliche Temperatur. Als wäre das
Universum ein Wasserglas, in dem der Himbeersirup durch kräftiges
Schütteln gut verteilt wurde - was nicht so ohne Weiteres erklärbar ist. Vor mehr als drei Jahrzehnten schlug der US-Physiker Alan Guth
eine Lösung für dieses Problem vor: Demnach hätte sich das Universum in
den Sekundenbruchteilen nach dem Urknall viel schneller ausgedehnt als später. Diese sogenannte Phase der Inflation
hätte das junge Universum sozusagen glattgezogen. Nur eine minimale,
gleichmäßige Zerknitterung wäre danach noch übrig geblieben, geringe
Dichteschwankungen, aus denen später so Kleinigkeiten wie Sterne und
Galaxien entstanden. Und die Inflation müsste Gravitationswellen
hinterlassen haben, winzige Kräusel in der Raumzeit.
Die Kollegen eines anderen Teams wollen vermeiden, dass es wie ein Konkurrenzkampf aussieht Das inflationäre Universum gilt daher als Favorit für die
Entstehungsgeschichte des Kosmos. Nur steht der Nachweis noch aus, dass
es wirklich so war - wer ihn präsentiert, dürfte gute Chancen auf den
Nobelpreis haben. Der Beweis könnte im Nachglimmen des Urknalls
versteckt sein, in den schwachen Lichtwellen aus der Geburtssekunde des
Universums, die als "kosmischer Mikrowellen-Hintergrund" das
All durchfluten. Zwei Experimente haben gute Chancen, darin den Abdruck früher Gravitationswellen und damit auch die Inflation nachzuweisen: Bicep2 am Südpol, und das Weltraumteleskop Planck, dessen nächster Datensatz im Herbst ausgewertet sein soll. Das Planck-Teleskop
ist es auch, das den Ergebnissen vom Südpol in die Quere kommt: Es
hatte in einer früheren Messung keine Spuren von Gravitationswellen
gefunden, genau dort, wo Bicep2 nun fündig geworden sein soll. Beides
gleichzeitig kann nicht stimmen. Mit der Veröffentlichung im März hat sich die Bicep2-Gruppe im
Rennen um den Inflations-Nachweis in Führung gebracht. Verfrüht, meinen
nun Fachleute. "Sie hätten nicht so viel Lärm machen sollen", sagt
Mukhanov. "Es passt alles nicht zusammen." Dabei glaubt auch er, dass
der Abdruck der Gravitationswellen existieren müsste, und die
Bicep2-Gruppe mache "heldenhafte Arbeit". Das ändere aber nichts daran,
dass es eine sehr ernsthafte Unstimmigkeit gebe.
"An der Grenze des Wissens gibt es keine festen Wahrheiten" Im Planck-Team ist man derweil bemüht, das Ganze nicht nach einem
unwürdigen Konkurrenzkampf aussehen zu lassen. "Wir sind alle gute
Freunde", sagt Andrew Jaffe vom Imperial College London,
der an der Planck-Messung beteiligt ist. Dann lacht er, wohl weil es so
albern klingt, aber trotzdem: "Das Bicep-Team ist sehr vorsichtig und
gründlich, sie haben gesagt, was sie getan haben, und getan, was sie
gesagt haben." Mehr könne man nicht verlangen: "Experimente sind fast
immer zu einem gewissen Grad falsch." Die Ursache der Diskrepanz zwischen Bicep2 und Planck könnte
indes in unserer eigenen Heimatgalaxie verborgen sein, in der
Milchstraße. Staub und andere Hindernisse könnten in den kosmischen
Mikrowellen ähnliche Spuren hinterlassen wie Gravitationswellen. Diesen
sogenannten Vordergrund-Effekt muss man herausrechnen. Aber um ihn genau
abzuschätzen, braucht man Daten, und auch die wird erst die nächste
Planck-Lieferung bringen. Auf die Erfolgsnachrichten von Bicep2 hin habe die Freude überwogen, behauptet Torsten Enßlin, der das in Garching
angesiedelte deutsche Planck-Team leitet. Auch ihm machen einige Punkte
Sorgen, nicht überall passen die Messwerte vom Südpol auf die
theoretischen Kurven. "Das könnte heißen, dass nicht alles perfekt unter
Kontrolle ist", sagt Enßlin. Aber prinzipiell findet er es gut, dass
seine Kollegen früh an die Öffentlichkeit gegangen sind: Das bilde die
wissenschafts-interne Diskussion ab. "So ist Wissenschaft eben: An der
Grenze des Wissens gibt es keine festen Wahrheiten."
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