Freitag, 22. Februar 2019

Paarbildung im Atomkern.

Atomkern
aus scinexx

Paarbildung im Atomkern
Kurzlebige Überlappung von Proton und Neutron könnte 35 Jahre altes Rätsel lösen
 
Verborgene Wechselwirkung: Eine kurzlebige Paarbildung von Proton und Neutron im Atomkern könnte eine lange rätselhafte Diskrepanz klären. Denn Messungen zeigen, dass sich die Quarks solcher Kernbausteine anders verhalten als in ungebundenen Protonen und Neutronen. Dass dieser sogenannte EMC-Effekt durch starke Interaktion nur einiger weniger Kernbausteine zustande kommt, könnten Physiker nun in einem Experiment enthüllt haben. 

Sie bilden die Grundbausteine der Materie: Alle Atomkerne sind aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen zusammengesetzt. Diese Kernbausteine wiederum bestehen aus jeweils drei Quarks, die von den Gluonen der starken Kernkraft zusammengehalten werden. Soweit, so bekannt. Doch dieser Teilchenzoo zeigt einige überraschende Eigenheiten. So können einige Protonen im Kern zu „Ausreißern“ werden: Sie bilden gemeinsam mit einem Neutron ein kurzlebiges Paar, das mit hohem Impuls durch den Atomkern rast.

Rätselhafte Unterschiede

Noch seltsamer aber ist eine Beobachtung, die Physiker schon 1983 am Forschungszentrum CERN machten: Misst man die Impulsverteilung der Quarks in frei umherfliegenden Protonen und Neutronen, unterscheidet sie sich von der der Nukleonen im Atomkern. Dieser sogenannte EMC-Effekt widersprach der gängigen Theorie: „Man hatte erwartet, dass die Quark-Gluon-Unterstruktur der Kernbausteine unabhängig von ihrer Umgebung sein müsse“, erklären Barack Schmookler vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen.

SRC-Paar
Proton-Neutron-Paare wie hier könnten das abweichende Verhalten der Quarks beim EMC-Effekt erklären.

Doch das ist nicht so, wie seitdem zahlreiche Versuche bestätigt haben. Stattdessen reagieren freie Protonen und Neutronen offenbar anders als im Kern gebundene. Aber warum? „Dafür gibt es zurzeit zwei Modelle“, erklärt Koautor Douglas Higinbotham von der Thomas Jefferson National Accelerator Facility. „Dem einen Modell nach sind alle im Atomkern gebundenen Nukleonen leicht modifiziert. Das andere besagt, dass die meisten Kernbausteine unverändert bleiben, aber einige dafür stark verändert sind.“

Bei dieser Veränderung bilden jeweils ein Proton und ein Neutron vorübergehend eine sogenannte Short-Range-Korrelation (SRC). Dabei interagieren die beiden Nukleonen so stark miteinander, dass ihre Strukturen kurzzeitig überlappen. Diese Wechselwirkung soll der Theorie nach ausreichen, um das Verhalten aller Nukleonen im Kern leicht zu verändern.

Atomkerne unter Beschuss

Doch welches der beiden Modelle trifft zu? „Bisher gibt es noch immer keine allgemein akzeptierte Erklärung für den EMC-Effekt“, sagen die Forscher. Sie haben deshalb mithilfe des Elektronenstrahls am Jefferson Lab erneut das Verhalten der Kernbausteine untersucht. Für ihr Experiment ermittelten sie die Elektronenstreuung der Atomkerne von Deuterium, Kohlenstoff, Aluminium, Eisen und Blei und rekonstruierten daraus Verhalten und Zustand der Kernbausteine.

Das Ergebnis: Offenbar liegen die Nukleonen im Atomkern nicht alle im gleichen Zustand vor, was das erste Erklärungsmodell widerlegt. „Denn dieses Modell besagte, dass die Quarks aller Protonen und Neutronen durch die Bindung im Atomkern langsamer werden“, sagt Schmookler. Doch das ist nicht der Fall: Zwar ist der größte Teil der Protonen und Neutronen unverändert, aber rund 20 Prozent der Nukleonen bilden kurzlebige SRC-Paare aus jeweils einem Proton und einem Neutron, wie die Physiker feststellten.

Paare schaffen mehr Platz für Quarks

Damit scheint klar, dass es die kurzlebigen SRC-Paare tatsächlich gibt – und dass sie offenbar in allen Atomkernen vorkommen. Denn die Physiker konnten Indizien dafür in allen getesteten Kernen nachweisen. Ihrer Ansicht nach bestätigt dies das zweite Erklärungsmodell des EMC-Effekts. „Wenn sich Protonen und Neutronen als SRC-Paare überlappen, haben die Quarks in ihnen mehr Platz“, erklärt Schmookler. „Deshalb bewegen sie sich langsamer als in einem freien Proton oder Neutron.“

Doch kann diese Paarung einiger Kernbausteine tatsächlich den EMC-Effekt erklären? Um das herauszufinden, entwickelten die Forscher aus ihren Beobachtungsdaten eine Gleichung, die den EMC-Effekt und die Zahl der möglichen SRC-Paare mit wachsender Atomkerngröße beschreibt. Es zeigte sich: Die errechneten Werte stimmten mit den im Experiment gemessenen überein. Wie vorhergesagt erhöhten sich mit steigender Kerngröße die Wahrscheinlichkeit für SRC-Paare und der EMC-Effekt.

Rätsel gelöst?

Nach Ansicht der Forscher könnte damit das 35 Jahre alte Rätsel um den EMC-Effekt gelöst sein. „Wir können nun mit einem physikalischen Prozess sowohl den EMC-Effekt erklären, als auch die Short-Range-Korrelationen“, sagt Higinbotham. Die von ihm und seinen Kollegen aufgestellte Gleichung verbinde alle Elemente des Rätsels auf schlüssige Weise. Sollte dieses Modell stimmen, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf viele klassische Experimente in der Teilchenphysik – unter anderem zum Verhalten der Quarks.

Noch allerdings muss dies in weiteren Experimenten bestätigt werden, wie auch Koautor Lawrence Weinstein von der Old Dominion University in Norfolk einräumt: „Dies sind starke Hinweise auf eine Antwort, aber noch ist sie nicht definitiv.“ Die Physiker haben jedoch bereits damit begonnen, die nächsten Versuche vorzubereiten. Dabei wollen sie unter anderem die Quarkstruktur von ungebundenen Protonen mit der von Protonen in SRC-Paaren vergleichen. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-0925-9)

Quelle: DOE/Thomas Jefferson National Accelerator Facility

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