Paarbildung im Atomkern.
aus scinexx
Paarbildung im Atomkern
Kurzlebige Überlappung von Proton und Neutron könnte 35 Jahre altes Rätsel lösen
Verborgene Wechselwirkung: Eine kurzlebige Paarbildung von
Proton und Neutron im Atomkern könnte eine lange rätselhafte Diskrepanz
klären. Denn Messungen zeigen, dass sich die Quarks solcher
Kernbausteine anders verhalten als in ungebundenen Protonen und
Neutronen. Dass dieser sogenannte EMC-Effekt durch starke Interaktion
nur einiger weniger Kernbausteine zustande kommt, könnten Physiker nun
in einem Experiment enthüllt haben.
Sie bilden die Grundbausteine der Materie: Alle Atomkerne sind aus positiv geladenen Protonen
und neutralen Neutronen zusammengesetzt. Diese Kernbausteine wiederum
bestehen aus jeweils drei Quarks, die von den Gluonen der starken Kernkraft
zusammengehalten werden. Soweit, so bekannt. Doch dieser Teilchenzoo
zeigt einige überraschende Eigenheiten. So können einige Protonen im
Kern zu „Ausreißern“ werden: Sie bilden gemeinsam mit einem Neutron ein kurzlebiges Paar, das mit hohem Impuls durch den Atomkern rast.
Rätselhafte Unterschiede
Noch seltsamer aber ist eine Beobachtung, die Physiker schon 1983 am
Forschungszentrum CERN machten: Misst man die Impulsverteilung der
Quarks in frei umherfliegenden Protonen und Neutronen, unterscheidet sie
sich von der der Nukleonen im Atomkern. Dieser sogenannte EMC-Effekt
widersprach der gängigen Theorie: „Man hatte erwartet, dass die
Quark-Gluon-Unterstruktur der Kernbausteine unabhängig von ihrer
Umgebung sein müsse“, erklären Barack Schmookler vom Massachusetts
Institute of Technology (MIT) und seine Kollegen.
Proton-Neutron-Paare wie hier könnten das abweichende Verhalten der Quarks beim EMC-Effekt erklären.
Doch das ist nicht so, wie seitdem zahlreiche Versuche bestätigt
haben. Stattdessen reagieren freie Protonen und Neutronen offenbar
anders als im Kern gebundene. Aber warum? „Dafür gibt es zurzeit zwei
Modelle“, erklärt Koautor Douglas Higinbotham von der Thomas Jefferson
National Accelerator Facility. „Dem einen Modell nach sind alle im
Atomkern gebundenen Nukleonen leicht modifiziert. Das andere besagt,
dass die meisten Kernbausteine unverändert bleiben, aber einige dafür
stark verändert sind.“
Bei dieser Veränderung bilden jeweils ein Proton und ein Neutron
vorübergehend eine sogenannte Short-Range-Korrelation (SRC). Dabei
interagieren die beiden Nukleonen so stark miteinander, dass ihre
Strukturen kurzzeitig überlappen. Diese Wechselwirkung soll der Theorie
nach ausreichen, um das Verhalten aller Nukleonen im Kern leicht zu
verändern.
Atomkerne unter Beschuss
Doch welches der beiden Modelle trifft zu? „Bisher gibt es noch immer
keine allgemein akzeptierte Erklärung für den EMC-Effekt“, sagen die
Forscher. Sie haben deshalb mithilfe des Elektronenstrahls am Jefferson
Lab erneut das Verhalten der Kernbausteine untersucht. Für ihr
Experiment ermittelten sie die Elektronenstreuung der Atomkerne von
Deuterium, Kohlenstoff, Aluminium, Eisen und Blei und rekonstruierten
daraus Verhalten und Zustand der Kernbausteine.
Das Ergebnis: Offenbar liegen die Nukleonen im Atomkern nicht alle im
gleichen Zustand vor, was das erste Erklärungsmodell widerlegt. „Denn
dieses Modell besagte, dass die Quarks aller Protonen und Neutronen
durch die Bindung im Atomkern langsamer werden“, sagt Schmookler. Doch
das ist nicht der Fall: Zwar ist der größte Teil der Protonen und
Neutronen unverändert, aber rund 20 Prozent der Nukleonen bilden
kurzlebige SRC-Paare aus jeweils einem Proton und einem Neutron, wie die
Physiker feststellten.
Paare schaffen mehr Platz für Quarks
Damit scheint klar, dass es die kurzlebigen SRC-Paare tatsächlich
gibt – und dass sie offenbar in allen Atomkernen vorkommen. Denn die
Physiker konnten Indizien dafür in allen getesteten Kernen nachweisen.
Ihrer Ansicht nach bestätigt dies das zweite Erklärungsmodell des
EMC-Effekts. „Wenn sich Protonen und Neutronen als SRC-Paare überlappen,
haben die Quarks in ihnen mehr Platz“, erklärt Schmookler. „Deshalb
bewegen sie sich langsamer als in einem freien Proton oder Neutron.“
Doch kann diese Paarung einiger Kernbausteine tatsächlich den
EMC-Effekt erklären? Um das herauszufinden, entwickelten die Forscher
aus ihren Beobachtungsdaten eine Gleichung, die den EMC-Effekt und die
Zahl der möglichen SRC-Paare mit wachsender Atomkerngröße beschreibt. Es
zeigte sich: Die errechneten Werte stimmten mit den im Experiment
gemessenen überein. Wie vorhergesagt erhöhten sich mit steigender
Kerngröße die Wahrscheinlichkeit für SRC-Paare und der EMC-Effekt.
Rätsel gelöst?
Nach Ansicht der Forscher könnte damit das 35 Jahre alte Rätsel um
den EMC-Effekt gelöst sein. „Wir können nun mit einem physikalischen
Prozess sowohl den EMC-Effekt erklären, als auch die
Short-Range-Korrelationen“, sagt Higinbotham. Die von ihm und seinen
Kollegen aufgestellte Gleichung verbinde alle Elemente des Rätsels auf
schlüssige Weise. Sollte dieses Modell stimmen, hätte dies weitreichende
Auswirkungen auf viele klassische Experimente in der Teilchenphysik –
unter anderem zum Verhalten der Quarks.
Noch allerdings muss dies in weiteren Experimenten bestätigt werden,
wie auch Koautor Lawrence Weinstein von der Old Dominion University in
Norfolk einräumt: „Dies sind starke Hinweise auf eine Antwort, aber noch
ist sie nicht definitiv.“ Die Physiker haben jedoch bereits damit
begonnen, die nächsten Versuche vorzubereiten. Dabei wollen sie unter
anderem die Quarkstruktur von ungebundenen Protonen mit der von Protonen
in SRC-Paaren vergleichen. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-0925-9)
Quelle: DOE/Thomas Jefferson National Accelerator Facility
22. Februar 2019
- Nadja Podbregar
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