Urknall und Kosmologie:
Quasare sprechen für neue extreme Dunkle Energie
Seit
Jahrzehnten streiten Kosmologen über die Expansionsgeschwindigkeit des
Alls. Eine neue Messung könnte den Streit auflösen – und nebenbei das
kosmologische Weltbild über den Haufen werfen.
von Andreas Müller
Seit das Universum vor 13,8 Milliarden Jahren im Urknall entstand, war seine Entwicklung Spielball von kosmischen Materie- und Energieformen. Die uns vertraute gewöhnliche Materie, nämlich die Atome, die uns umgeben, spielen dabei so gut wie keine Rolle. Dies gehört zu den wichtigsten Entdeckungen der Astrophysik im 20. Jahrhundert. Laut dem Standardmodell der Kosmologie, das durch zahlreiche Beobachtungen gestützt wird, prägen vor allem rätselhafte dunkle Komponenten die Entwicklung des Universums. Anfangs spielte die Dunkle Materie die Hauptrolle: Sie sorgte dafür, dass sich mittels Gravitation Galaxienhaufen bilden konnten.
Dann trat die Dunkle Energie auf den Plan, eine Art Antischwerkraft: Sie mauserte sich erst im Lauf mehrerer Milliarden Jahre zum dominanten Beeinflusser. Nun treibt sie das Universum immer weiter auseinander. Seit 1998 ist bekannt, dass sich die Expansion sogar beschleunigt: Ferne Galaxien fliegen ausnahmslos von uns weg – und das umso rascher, je weiter sie entfernt sind.
Die Kosmologen können das am besten mit der kosmologischen Konstante beschreiben, die Albert Einstein 1917 einführte und die in Form der Dunklen Energie 1998 ein Comeback erfahren hat. Die meisten Experten gehen seitdem davon aus, dass die Energiedichte der rätselhaften Antischwerkraft überall und für alle Zeiten konstant ist. Die Expansionsgeschwindigkeit nimmt diesem Modell zufolge trotzdem zu, schließlich entfernen sich die Materiehaufen, deren Gravitation der Ausdehnung entgegenwirkt, immer weiter voneinander. Aber ist die Dunkle Energie wirklich so statisch wie angenommen? Immer wieder stellen Kosmologen und Teilchenphysiker diese Annahme in Frage.
Nun könnte die Säule des gegenwärtigen Weltbilds der Kosmologie erstmals einen sichtbaren Riss bekommen haben: Die Astronomen Guido Risaliti von der Universität Florenz und Elisabeta Lusso von der Universität Durham haben die energiereiche Strahlung von Quasaren zur Entfernungsbestimmung und zur Messung der Dunklen Energie genutzt, wie sie in der Zeitschrift »Nature Astronomy« beschreiben. Dabei entdeckten sie, dass sehr weit entfernte Quasare eine andere Form der Dunklen Energie nahelegen als die bislang favorisierte.
Risaliti und Lusso nutzten für ihre Analyse 1598 Quasare, die mit den Röntgenteleskopen XMM-Newton und Chandra sowie dem Sloan Digital Sky Survey und dem Swift-Teleskop untersucht wurden. Die kosmologische Rotverschiebung, die ein Maß für die Entfernung ist, rangierte zwischen Werten von 0,04 und 5,1, was einer Zeit von 1,2 und 13,2 Milliarden Jahren nach dem Urknall entspricht. Damit blickten sie in eine Epoche, aus der es bisher nur wenige genaue Messungen gibt: Die besten Daten der Kosmologie stammen entweder aus der jüngeren Vergangenheit oder aus der Zeit 380 000 Jahre nach dem Urknall, als das junge All die kosmische Hintergrundstrahlung freisetzte.
Quasare sind extrem helle Kerne von Galaxien, deren Leuchtkraft durch den Einfall von Materie auf ein extrem massereiches Schwarzes Loch gespeist wird. Die Löcher haben Massen im Bereich von hundert Millionen bis eine Milliarde Sonnenmassen und gehören zu den größten des Universums. Durch die Quasar-Maschine leuchten die Galaxienkerne über den gesamten Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Entscheidend für die nun gemachten Messungen waren die Ultraviolett- (UV) und Röntgenstrahlung.
Die UV-Strahlung des Quasars entsteht im Materiestrudel um das Schwarze Loch, der flachen Akkretionsscheibe. Durch den Einfall der Materie wird potenzielle Energie in Wärme umgewandelt, die die Scheibe aufheizt. Die UV-Strahlung ist letztlich Wärmestrahlung des heißen Plasmas in der Scheibe. Die Röntgenstrahlung kommt aus einer anderen Region rund um das Schwarze Loch, nämlich aus einer Ansammlung eines noch heißeren Plasmas, der Korona, das vor allem aus schnellen Elektronen besteht.
Dieses heiße Koronagas befindet sich in der Nähe der Akkretionsscheibe. Die genaue Geometrie ist noch nicht geklärt. Die UV-Strahlung der Scheibe dringt jedenfalls in die Korona ein und nimmt durch Streuung Energie der Elektronen auf. Danach hat die Strahlung Energie gewonnen und liegt daher im Röntgenbereich. Beide, UV- und Röntgenstrahlung, kommen aus dem Herzen des Quasars.
Risaliti und Lusso fanden schon 2015 eine Relation, die es ihnen erlaubt, die Helligkeit des Quasars vor Ort zu ermitteln; Astronomen sprechen von Leuchtkraft. Vergleicht man sie mit der Helligkeit eines Objekts in einem irdischen Teleskop, lässt sich so die Entfernung zum Quasar bestimmen.
Genauso wie veränderliche Cepheiden-Sterne oder Supernovae vom Typ Ia können die aktiven Galaxienkerne somit als »Standardkerzen« verwendet werden. Das klappt wegen ihrer enormen Helligkeit sogar bei gewaltigen Entfernungen, bei denen andere Methoden versagen.
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Um die Verlässlichkeit der neuen Quasarmethode zu überprüfen, verglichen sie Risaliti und Lusso bei geringer Entfernung mit dem Supernova-Verfahren, was gute Übereinstimmungen lieferte. Für den Bereich großer Entfernungen offenbarte die neue Methode eine Überraschung: Je weiter ein Quasar entfernt ist, je weiter er also in der kosmischen Vergangenheit liegt, desto weniger stark war er von der Dunklen Energie erfasst worden. Die Energiedichte der mysteriösen Energieform nehme also mit der Zeit zu, folgern die beiden Astrophysiker.
Sollte sich der Befund erhärten lassen, wären die Folgen enorm: Damit wäre die Dunkle Energie nicht mehr mit Einsteins kosmologischer Konstante zu beschreiben, sondern als Phantomenergie. Sie würde für einen Zerriss des Universums in ferner Zukunft sorgen, den »Big Rip« – zumindest sofern sie sich künftig nicht wieder abschwächt. Die neuen Quasardaten legen auch nahe, dass die Energiedichte von gewöhnlicher und Dunkler Materie zusammengenommen höher ist als bisher angenommen – mehr als 40 Prozent an Stelle der bislang zugedachten 30. Die neuen Messungen könnten auch einen zähen Streit in der Kosmologie auflösen: Andere Methoden zur Bestimmung der kosmischen Expansionsgeschwindigkeit kommen zu unvereinbaren Ergebnissen. So herrscht Uneinigkeit über den Wert der so genannten Hubble-Konstanten, mit der Forscher die Ausdehungsrate des Alls angeben.
Eine variable Dunkle Energie könnte den Streit beilegen. In der Community herrscht allerdings noch Skepsis vor: Die Kollegen von Risaliti und Lusso fragen sich, ob die beiden die systematischen Fehler der neuen Methode gut genug verstanden haben. Aufregend sind die neuen Erkenntnisse aber allemal. Es bleibt nun abzuwarten, ob weitere Beobachtungen ein neues Zeitalter der Dunklen Energie einläuten können.
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