aus derStandard.at,13. Dezember 2018, 17:43 Neanderthaler lks., moderner Mensch r.
Wie Neandertaler-Gene
unser Gehirn beeinflussen
Zwei bis vier Prozent der DNA heutiger Europäer und Asiaten stammen von
Neandertalern. Forscher entdeckten darunter Gene, die Auswirkungen auf
die Gehirnentwicklung haben
von David Rennert
Zu den einzigartigen biologischen Merkmalen des modernen Menschen zählt
definitiv sein Kopf: Im Vergleich zu früheren Menschenarten wie den
Neandertalern haben wir eine ungewöhnlich runde Schädelform.
Wissenschafter nehmen an, dass sich der "Rundkopf" bei unseren Vorfahren
erst langsam entwickelte und er bedeutende Veränderungen in der
Gehirnorganisation widerspiegelt. Womöglich hängen sogar spezifische
Verbindungen verschiedener Gehirnareale und damit auch kognitive
Fähigkeiten mit der veränderten Kopfform zusammen.
Ein internationales Forscherteam hat sich nun auf die Suche nach Genen
und biologischen Mechanismen gemacht, die bei dieser Formwandlung eine
Rolle gespielt haben könnten. Wie die Wissenschafter im Fachblatt
"Current Biology" berichten, fanden sie dabei nicht nur bemerkenswerte
Unterschiede zwischen heute lebenden Menschen, sie stießen auch auf
DNA-Fragmente von Neandertalern, die nach wie vor einen Einfluss auf
unsere individuellen Schädelformen haben.
Virtuelle Abdrücke
Dass viele von uns ein bisschen Neandertaler in sich tragen, wissen
Genetiker schon länger. Genom-Vergleiche brachten ans Licht, dass
zwischen einem und vier Prozent der DNA heutiger Europäer und Asiaten
vom Homo neanderthalensis stammen – unsere Vorfahren haben sich vor mehr
als 30.000 Jahren mit Neandertalern gepaart. Freilich trägt nicht jeder
die gleichen Genfragmente in sich, Forscher schätzen daher, dass sich
insgesamt an die 40 Prozent des Neandertaler-Genoms, verteilt über
nichtafrikanische Populationen, bis heute erhalten haben.
Diesen Umstand machten sich Forscher um Philipp Gunz vom
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zunutze.
Zunächst erstellten sie aus Fossilien mithilfe computertomografischer
Aufnahmen virtuelle Abdrücke des Schädelinneren von Neandertalern und
modernen Menschen. Anhand hunderter Messpunkte konnten die
Wissenschafter die Gestalt der jeweiligen Gehirnschädel erfassen und
vergleichen.
Im nächsten Schritt untersuchten sie mittels MRT-Gehirnscans auch die
innere Schädelform mehrerer Tausend lebender Menschen. Das
Zwischenergebnis: Alle Homo-sapiens-Gehirnschädel unterscheiden sich
deutlich von denen der Neandertaler – das war nicht sonderlich
überraschend. Allerdings gibt es auch erhebliche Formunterschiede
zwischen den heute lebenden modernen Menschen.
Veränderte Genaktivität
Im nächsten Schritt fahndeten die Forscher im Erbgut der
Studienteilnehmer nach Neandertaler-DNA, die in diesem Zusammenhang
relevant sein könnte. Tatsächlich entdeckten sie auf den Chromosomen 1
und 18 Erbgutfragmente unserer ausgestorbenen Cousins, die mit einer
länglicheren Kopfform in Verbindung stehen dürften. Wie sich
herausstellte, verändern sie auch die Aktivität der Gene UBR4 und
PHLPP1, die wiederum bei der Gehirnentwicklung eine Rolle spielen.
UBR4 ist unter anderem an der Bildung von Nervenzellen in der
Großhirnrinde beteiligt. PHLPP1 ist in die Entstehung der sogenannten
Myelinscheide, eine Schutzschicht von Nervenzellfortsätzen, involviert.
"Die Auswirkungen dieser seltenen Neandertaler-DNA-Fragmente sind
subtil, aber aufgrund der Stichprobengröße nachweisbar", sagt
Studienkoautor Simon Fisher vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik
in Nijmegen und fügt hinzu: "Das ist nur der erste Blick auf die
molekularen Grundlagen der Gehirngestalt. Wie andere Aspekte der
Gehirnstruktur ist auch die rundliche Form ein Merkmal, das
wahrscheinlich durch die kombinierten Wirkungen vieler verschiedener
genetischer Varianten beeinflusst wird."
Einflussreiches Erbe
Rückschlüsse auf die geistigen Fähigkeiten von Neandertalern lässt die
aktuelle Studie aber nicht zu, betonen die Wissenschafter. "Unser Fokus
liegt allein auf der Erforschung der ungewöhnlichen Gehirnform des
modernen Menschen", sagt Erstautor Gunz und warnt auch noch vor einer
anderen Fehlinterpretation: Die Resultate würden nicht bedeuten, dass
heutige Menschen mit länglicheren Köpfen genetisch "mehr Neandertaler"
sind als andere.
Hinweise darauf, welche Folgen das genetische Erbe der Neandertaler
sonst noch für uns hat, liegen inzwischen jedenfalls einige vor: So
vermuten Wissenschafter, dass die im Vergleich zu Afrikanern höhere
Anfälligkeit der Europäer für Herz-Kreislauf-Probleme ebenso darauf
zurückgeht wie ihre effektivere Virenabwehr. Auch bei der hellen
Hautpigmentierung und dem Fettstoffwechsel dürfte
Homo-neanderthalensis-DNA mitmischen. (David Rennert, 13.12.2018)
Abstract
Current Biology: "Neandertal introgression sheds light on modern human endocranial globularity"
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