Sonntag, 23. Dezember 2018

Das Hirn ist kein Rechenautomat, sondern ein Stratege.


aus welt.de, 10. 10. 2018
 
Das passiert im Gehirn, wenn du die Qual der Wahl hast

Zu viel Auswahl lässt uns schnell verzweifeln. Schuld daran ist unser Gehirn. Verhaltenspsychologen haben nun ganz genau hingeschaut, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir die Qual der Wahl haben. 



Das Gefühl, die Qual der Wahl zu haben, kann uns in den Wahnsinn treiben. Woher soll man auch wissen, welches der zehn Nudelgerichte im Restaurant am besten schmeckt. Geschweige denn, was nach dem umfangreichen Wocheneinkauf zuerst gekocht werden soll.

Falls du glaubst, dass dieses Wohlstandsproblem erst durch den Massenkonsum in der heutigen Zeit entstanden ist, irrst du dich. Wissenschaftler der Universität Kalifornien stießen nämlich schon vor über 20 Jahren auf das Phänomen der Auswahlüberforderung.

Eigentlich wollten die Psychologen nur beweisen, dass eine große Produktauswahl für Kunden attraktiv ist. Für ihre Studie stellten sie in einem Lebensmittelgeschäft 24 Marmeladengläser zum Probieren zur Verfügung. Im zweiten Durchlauf waren es gerade einmal sechs Marmeladensorten.

Der überfüllte Tisch mit den 24 Marmeladengläsern stieß bei den Kunden auf große Nachfrage, und sie probierten fleißig.

Allerdings waren sie überraschenderweise kaum daran interessiert, etwas zu kaufen. Bei den sechs Sorten hielten zwar weniger Menschen an dem Tisch an, jedoch war es zehnmal wahrscheinlicher, dass sie am Ende ein Glas mitnahmen. Eine zu große Auswahl schien die Menschen also letztendlich abzuschrecken.

Psychologen nennen dieses Gefühl Wahlüberlastung.

Wenn das Gehirn mit einer überwältigenden Anzahl ähnlicher Optionen konfrontiert ist, hat es große Mühe, Entscheidungen zu treffen.

So weit, so gut. Was bei diesem Prozess in dem Gehirn genau vor sich geht, konnte vor 20 Jahren mangels technischer Möglichkeiten nicht genauer untersucht werden.

Colin Camerer, Professor für Verhaltensökonomie am California Institute of Technology, führte deswegen erneut eine Studie durch, um das Phänomen der Wahlüberforderung auf kognitiver Ebene zu untersuchen.

Freiwillige Teilnehmer wählten aus Bildersets mit sechs, zwölf oder 24 Bildern aus, welches Motiv sie auf eine Tasse drucken lassen wollen. Während sie ihre endgültige Entscheidung trafen, zeichnete eine funktionelle Magnetresonanztomografie-Maschine die Gehirnaktivität auf. Dabei stießen die Psychologen auf eine besonders hohe Aktivität in zwei Regionen des Gehirns.

Neben dem vorderen Teil des cingulären Cortex, der potenzielle Kosten und Nutzen von Entscheidungen abwiegt, war auch das Striatum, das für Wertebestimmung verantwortlich ist, beim Treffen der Entscheidung aktiv beteiligt.

In den beiden Gehirnregionen zeigte sich die höchste Aktivität, als zwölf Bilder zur Auswahl standen. Bei den sechs und 24 Bildersets waren sie dagegen nicht besonders aktiv.

Die zwei Gehirnregionen wägen gemeinsam das zunehmende Potenzial für Belohnung gegen die Arbeitsmenge ab, die das Gehirn tun muss, um mögliche Ergebnisse zu bewerten. Steigt die Anzahl der Optionen, erhöht sich auch die potenzielle Belohnung. Allerdings pendelt sich diese bei steigenden Auswahlmöglichkeiten ein.

Der Aufwand, die vorhandenen Möglichkeiten zu bewerten, steigt nämlich mit zunehmender Anzahl der Optionen. Unser Gehirn muss also einen Ausgleich zwischen mentalen Anstrengungen und möglichen Belohnungen finden. Schließlich soll am Ende die Belohnung nicht zu niedrig und Anstrengung nicht zu hoch sein.

Von einer zu großen Auswahl profitieren wir demnach nicht. Es wird eher die Gehirnfähigkeit behindert, eine Entscheidung zu treffen.

Die Verhaltenspsychologen schätzen, dass die ideale Anzahl von Optionen zwischen acht und 15 liegt, damit wir uns einigermaßen gut entscheiden können. Natürlich spielt dabei die wahrgenommene Belohnung und die Bewertungsschwierigkeit eine Rolle. 


Nota. - Bin das schon ich, oder ist das erst noch mein Hirn?  - Immerhin läuft es auf dasselbe hinaus. Die Abwägung zwischen nötigem Aufwand und möglichem Gewinn müsste ich vernünftigerweise ja selber auch treffen, doch das Hirn "hat darin mehr Erfahrung" als meine Verunft, es wägt schneller ab. Aber Ich werde ich in eminentem Sinn, indem ich meinem Gehirn ja stets gewissermaßen auf die Finger schaue: Ist das alles richtig? Und ich kann jederzeit Halt! rufen - und mir vornehmen, mich  doch nochmal etwas gründlicher umzusehen. 'Ich' sind wir eigentlich immer nur beide zusammen; einen von beiden allein gibt es in Wahrheit nicht.
JE



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