Dienstag, 16. September 2014

Nur mit der Amygdala sieht man gut.

aus Die Presse, Wien 16. 9. 2014

Hirnforschung
Altruisten spüren die Angst ihrer Nächsten stärker
Organspender reagieren stärker auf negative Emotionen in Gesichtern als andere Menschen.

  

„Wann wir nicht durch eigene, sondern durch fremde Leiden zum Weinen bewegt werden; so geschieht dies dadurch, dass wir uns in der Fantasie lebhaft an die Stelle des Leidenden versetzen“, schrieb Schopenhauer, der das Mitleid als Basis der Ethik sah. Was Abigail Marsh und Kollegen an der Georgetown University in Washington herausgefunden haben, scheint den Philosophen zu bestätigen.

Man weiß, dass Psychopathen, die sich besonders asozial verhalten, weniger auf Angst in den Gesichtern von Mitmenschen reagieren als andere. Das lässt sich auch durch NMR-Spektroskopie im Hirn nachweisen. Genauer: in der Amygdala. Das ist eine paarige Struktur in den beiden Schläfenlappen des Großhirns. Sie ist auf Angst spezialisiert, zunächst auf eigene, aber eben auch auf die von Mitmenschen. Psychopathen zeigen dort weniger Aktivität, ihre Amygdala ist sogar kleiner als die anderer Menschen.

Marsh fragte sich nun: Wie sieht es am anderen Ende des Spektrums aus? Bei Menschen, die sich besonders altruistisch verhalten? Als Testpersonen wählte sie Menschen, die eindeutig Selbstlosigkeit gezeigt haben: durch Spenden einer Niere, nicht an Bekannte oder Verwandte, sondern an Fremde.

Tatsächlich war bei den ausgewiesenen Altruisten die Amygdala größer und reagierte stärker auf ängstliche Gesichter. Der Unterschied in der rechten Amygdala war stärker ausgeprägt; bei höheren Funktionen ist das Hirn eben durchaus nicht symmetrisch.

Dass sich Altruismus so klar im Hirn verorten lässt, passt gut zu Indizien dafür, dass genetische Faktoren – selbstverständlich neben Kultur und Erziehung – beeinflussen, wie sozial sich ein Mensch verhält. Jedenfalls sprechen die neuen Ergebnisse dafür, dass Altruismus eine Gefühlssache ist, dass das Wort Mitleid wörtlich zu verstehen ist.

Das widerspreche nicht „vernünftigeren“ Erklärungen für Hilfsbereitschaft – etwa nach dem Motto: Gib, dann wird dir gegeben –, schreiben die Hirnforscher, aber es sei eben ein Teil der biologischen Basis des Altruismus. Eine Wurzel dieser starken Reaktion auf negative Emotionen in Gesichtern liege wohl „in der uralten neuralen Architektur von Säugetieren, die dazu dient, die Fürsorge für verletzliche Jungen zu fördern“.


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