Was unsere Träume wirklich verraten
Wissenschaftsautor Stefan Klein über Sigmund Freud, neurobiologische Traum-Neuigkeiten und darüber, wie sie sich nützen lassen
Wien - Können Sie sich an die Träume der heutigen Nacht erinnern? Wenn Sie in Farben geträumt haben, dann sind Sie höchstwahrscheinlich jünger als 55 Jahre alt. Wie der US-Forscher Eric Schwitzgebel vor rund zehn Jahren herausfand, stellt sich das aber nicht automatisch mit höherem Alter ein: Nur Menschen der Nachkriegsgeneration, die mit Schwarz-Weiß-Filmen im Kino und im Fernsehen aufgewachsen sind, nehmen ihr nächtliches Hirnkino viel eher in Grautönen wahr.
Dank der neueren Traumforschung wissen wird aber auch mehr über die Themen, die unser Traumgeschehen beherrschen: 80 Prozent aller Erwachsenen weltweit können sich an geträumte Verfolgungsjagden, den freien Fall, Sex oder eine vergebliche Anstrengung (wie etwa die erfolglose Maturavorbereitung) erinnern - allesamt Sujets, die mit starken Gefühlen wie Angst, Lust, Scham und Ärger verbunden sind. Besonders häufige Traummotive in unseren Breiten sind zudem verpasste Treffen oder versäumte Verkehrsmittel.
Das sind nur zwei der zahllosen Erkenntnisse, die Stefan Klein für sein jüngstes Buch zusammengetragen hat, in dem er die Leser auf "eine Reise in unsere innere Wirklichkeit" mitnimmt, so der Untertitel. Der 50-jährige Klein wäre aber nicht der erfolgreichste deutsche Wissenschaftsautor der letzten Jahre, wenn er in Sachen Traumsujets nicht noch spektakulärere Forschungen zu bieten hätte. So ist es japanischen Forschern um Yukiyasu Kamitani unlängst gelungen, allein anhand der Hirnaktivitätsmuster ihrer schlafenden Probanden mit ziemlicher Sicherheit zu sagen, welche Themen in ihren Träumen vorkamen.
Noch ist solches nächtliches Ausspionieren aber recht aufwändig: Die Forscher mussten mit den Studienteilnehmern erst einmal "üben", indem sich diese in einen Kernspintomografen legten, dort schliefen und danach ihre Träume mitteilten. Die Traumerinnerung wurde von den Forschern dann mit den Hirnscans verglichen. Nach einigen Durchgängen konnten die Forscher dann aber allein aus den Scans erstaunliche Details ablesen.
Eine neue Ära der Traumforschung
Für den promovierten Biophysiker Klein ist offensichtlich, dass dank der Fortschritte in den Neurowissenschaften eine neue Ära der Traumforschung angebrochen ist, an deren Experimenten auch Sigmund Freud Gefallen gefunden hätte, wie Klein im Interview mit dem Standard vermutet: "Freud war ein genialer Neurobiologe. Leider hat er diese Forschungen zugunsten seiner Praxis und der Traumdeutung aufgegeben."
Freuds erstes Hauptwerk aus dem Jahr 1899 hält Klein für "gnadenlos verfrüht": Viele der darin aufgestellten Theorien seien aus heutiger Sicht nicht haltbar, obwohl der Schöpfer der Psychoanalyse ein genialer Beobachter gewesen sei: "Freud erkannte ganz richtig, dass Träume in erster Linie visuelle Phänomene sind, dass Emotionen eine entscheidende Rolle spielen und dass sie mit der Verarbeitung von Erinnerung zu tun haben."
Freud habe noch nicht wirklich verstehen können, was das Unbewusste wirklich tut. "Das hat er durch einige Theorien kompensiert, die eher unhaltbar sind", behauptet Klein und nennt als Beispiel die Kernthese Freuds, dass Träume immer mit Wunscherfüllung zu tun hätten: "Das ist eine sehr naive Vorstellung." Für Klein sind Träume viel eher "Spiele mit Möglichkeiten. Und in einigen dieser möglichen Welten werden Wünsche erfüllt. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder Traum eine Wunscherfüllung ist."
Freud hatte als einzigen Zugang zum Unbewussten nur die Erinnerung der Träumenden, die naturgemäß unzuverlässig ist. Das änderte sich erst ein wenig, als 1953 die REM-Phasen entdeckt wurden - jene Abschnitte des Schlafes, in denen es zu schnellen Augenbewegungen kommt und in denen, wie man zunächst annahm, die Träume mit verwickelten Szenen und starken Gefühlen stattfinden. In Phasen des sogenannten Spindelschlafs würde hingegen nur in Gedankenfetzen geträumt und in Phasen des Tiefschlafs so gut wie gar nicht.
Neueste Experimente des italoamerikanischen Neurobiologen Giulio Tononi, die Klein für "absolut faszinierend" hält, deuten aber in eine andere Richtung: Warum Träume so unterschiedlich ausfallen, hängt vor allem davon ab, wie lange man schon geschlafen hat. In der Früh werden die Träume besonders intensiv, weil das Gehirn dann schon regeneriert ist und das Bewusstsein bereits heraufdämmert. Klein folgert daraus, dass Träume nicht nur ein "Königsweg zum Unbewussten" sind, sondern indirekt auch verstehen helfen, wie Bewusstsein entsteht - nämlich als spontane Eigenleistung unseres Gehirns.
Gefährlich kann es werden, wenn sich nachts Bewusstes und Unbewusstes auf ungewöhnliche Art vermischen, wie Klein eindrücklich vor Augen führt. Ein solcher Fall lag bei Kenneth Parks vor, der in einer Nacht im Mai des Jahres 1987 in Toronto einige Kilometer mit dem Auto fuhr, die Schwiegermutter umbrachte und sich dann völlig verwirrt und schwer verletzt auf ein Polizeirevier begab. Psychiater untersuchten den Mann, führten Tests mit ihm im Schlaflabor durch und mussten erkennen, dass sich der Verstand von Parks in der Nacht in extremer Form aufspaltete und er tatsächlich die Mordnacht im Tiefschlaf verbracht hat. Parks wurde freigesprochen.
Klein widmet sich in seinem umfassend recherchierten und kurzweilig erzählten, aber nie trivialen Buch nicht nur abstrakten Fragen zum Bewusstsein und wahr gewordenen Albträumen. Wie in seinen früheren Beststellern über das Glück, die Zeit oder das Geben, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden, hat Klein einige Ratschläge parat, wie sich die neuen Erkenntnisse der Traumforschung auch ganz praktisch nutzen lassen.
Ein mögliches Hoffnungsgebiet seien die sogenannten Klarträume, wie Klein schildert, also Träume, in denen wir ganz bewusst das Traumgeschehen steuern. Das war bis jetzt nur relativ wenigen Menschen möglich. Doch wie die deutsche Forscherin Ursula Voss im Mai dieses Jahres in "Nature Neuroscience" berichtete, lassen sich Klarträume durch eine elektrische Anregung des Gehirns mit der Frequenz von 40 Hertz auslösen. Solche luziden Träume lassen sich etwa von Sportlern nützen, um bestimmte Bewegungsabläufe zu trainieren, erklärt Klein, der es für absolut denkbar hält, dass auf diese Weise Abfahrtsläufer in Zukunft die Bewältigung der Streif gleichsam im Traum perfekt trainieren.
Das kreative Potenzial der Träume
Klein selbst habe durch die Arbeit an seinem Buch vor allem sein eigenes Traumgedächtnis weiter geschärft, wie er im Gespräch erklärt: "Vor eineinhalb Jahren hätte ich gesagt, dass es unmöglich ist, im Traum ein ganzes Musikstück zu hören oder Schmerz zu empfinden. Inzwischen habe ich diese Erfahrungen gemacht." Bestimmte wiederkehrende Motive hätten ihn einiges über die eigenen Macken und Verwundbarkeiten gelehrt.
Die intensive Beschäftigung mit Träumen schärfe auch die Sensitivität dafür, wie schöpferische Prozesse überhaupt funktionieren. Dabei könne man auch von Schriftstellern wie Franz Kafka lernen, der das kreative Potenzial der Träume voll ausgeschöpft hat und auch seine Tages- und Schlafeinteilung ganz auf die Hervorbringung von "Halbschlaffantasien" ausrichtete, wie Klein schildert. Ein anderes vorbildliches Beispiel war der französische Dichter Saint-Pol-Roux. Wenn dieser sich des Nachmittags zum Schlafen niederlegte, hängte er ein Schild mit dem Hinweis: "Le poète travaille" an die Tür - "Der Dichter arbeitet".
Nota. - Es ist höchste Zeit, mit der ewigen Schweifwedelei um den Scharlatan Freud endlich Schluss zu machen - und in allererster Linie mit der scheinkritischen Sülze, bei allen Fehlern bleibe doch sein unsterbliches Verdienst, für so Vieles "die Tür aufgestoßen" zu haben; denn das Gegenteil ist der Fall: Er hat an tausend Dingen wahnwitzig herumdilettiert und damit auf so vielen Gebieten - durch Monopolisierung hier, durch Diskreditierung dort - alle ernsthafte Forschung unmöglich gemacht, dass es bis heute nicht gelungen ist, überall den Müll zu entsorgen. Sein Lebenswerk, das kann man sagen, war der Größte Wissenschaftsschwindel Aller Zeiten.
Man mag um die Wissenschaft im Twitterzeitalter manche Sorgen haben; aber so etwas kann es nun nicht mehr geben.
JE