Conditio techno-humana
Brauchen Computer uns noch?
Eduard Kaeser ⋅ Seit Günter Ander's «Antiquiertheit des Menschen» suchen uns in wiederkehrenden Schüben Anfälle von Selbstverleugnung heim; tischen uns Zukunftsbeschwipste das Szenario eines Post- oder Transhumanismus in immer neuen Versionen auf. Die bekannteste lautet: Sollte der Computer ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht haben – Dialog- und Lernfähigkeit, Sprach- und Mustererkennungsvermögen –, braucht er uns dann überhaupt noch? Koppelt er sich von der Koevolution Mensch-Maschine ab?
Der österreichische Autor Clemens Setz hat neulich mit dem Gedanken einer künstlichen Intelligenz gespielt, die eben gerade nicht unsere Intelligenz ist. «Intelligente Maschinen», so Setz, «sollen sich immer dem ‹vernünftigen Gespräch› annähern, man trainiert ihnen sogar mühevoll Humor und Ironie an. Durch diese seltsame Dressur können wir nur eines erreichen: unsere eigene menschliche Intelligenz zu entzaubern und transparent zu machen. Aber es bleibt ein Party-Trick, ein Stunt. Dabei existieren riesige Kontinente fremder Intelligenz, die wir erschaffen könnten, wenn wir darauf verzichteten, sie in menschliche Muster zu zwängen.»
Nun gut. Wir wären dadurch mit uns unbekannten Formen von Intelligenz und Subjektivität konfrontiert, quasi wie Ethnologen mit neuen Sitten und Bräuchen. Bereits gibt es Lingodroids, eine Spezies von Robotern, die sich miteinander in einer uns fremden artifiziellen Sprache verständigen. Eine Robo-Ethnologie würde also die kommenden künstlichen Generationen studieren, wobei wahrscheinlich deren Verständnis zunehmend den humanen Horizont überstiege. Der nächste Schritt wäre der emanzipatorische. Noch einmal Setz: «Ich glaube, die Zukunft der künstlichen Intelligenz liegt in der Emanzipation vom Menschlichen. Sprachroboter, die (. . .) sich selbst überlassen sind, bilden eine fremde reale Intelligenz, unabhängig von den absurden Anforderungen der altmenschlichen Kommunikationswelt. Sie müssen nicht so klingen, nicht so schlussfolgern und auch nicht so irren wie wir. Doch solange wir intelligente Wesen, auch wenn sie aus anorganischer Materie bestehen, vollständig an der kurzen Leine des Menschlichen halten, werden sie über das Niveau überzüchteter Haustiere nicht hinauskommen.»
Das ist nun freilich ein halbgarer Gedanke. Wie kann ich nur schon in Erfahrung bringen, dass das Artefakt vor mir auf fremde Weise schlussfolgert, wenn ich nicht auf meine «alt-menschliche» Vorstellung von Schlussfolgern zurückgriffe – und sei es auch nur, um festzustellen, dass die fremde Intelligenz eben nicht so ist wie die meine? Das Verständnis des Maschinenverhaltens und das menschliche Selbstverständnis sind, anders gesagt, auf eine innige Weise aneinandergekoppelt. Deshalb zwingt uns der Automat auf jeder Stufe der Entwicklung zur Rechenschaft darüber, was wir als unabdingbare Komponenten des Begriffs «Mensch» betrachten.
Es ist durchaus möglich, dass wir die neue Intelligenz nicht mehr verstehen werden. Aber wenn wir sie «einbürgern» wollen und wenn uns an einer Koexistenz mit ihr gelegen ist, sollten wir uns neu verstehen lernen. Das bedeutet Rückbesinnung auf «altmenschliche» Vermögen, solange im Bild, das wir von uns machen, nicht die intelligente Maschine das Diktat übernimmt. Es geht nicht um Maschinenbau, sondern um Anthropologie, genauer: um den letzten Akt im Drama mit dem Titel «Selbstentfremdung des Menschen».
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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