Montag, 4. August 2014

Ein Grinsen ohne Katze.

aus scinexx

Quanten-Version einer "Cheshire-Katze" erzeugt
Physiker trennen erstmals ein Teilchen von einer seiner Grundeigenschaften

Skurriler Quanteneffekt: So wie die Cheshire-Katze bei "Alice im Wunderland" verschwindet und nur ihr Grinsen zurücklässt, ist es Forschern gelungen, Teilchen von einer ihrer Grundeigenschaften räumlich zu trennen. In ihrem Experiment trennten sie ein Neutron vorübergehend von seinem magnetischen Moment. Das klingt paradox, ist aber in der Welt der Quanten möglich, wie die Forscher nun im Fachmagazin "Nature Communcations" belegen.

Die Cheshire-Katze aus "Alice im Wunderland" ist gleich in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich: Zum einen ziert ein breites, völlig unkätzisches Grinsen ihr Gesicht, zum anderen aber scheint dieses Grinsen nur lose mit ihr verbunden zu sein. Denn von Zeit zu Zeit verschwindet die Katze und lässt dabei ihr Grinsen zurück – zur großen Verblüffung der Hauptfigur Alice: "Ich habe schon oft eine Katze ohne ein Grinsen gesehen. Aber noch nie ein Grinsen ohne Katze!" Und Alice ist zu Recht verwundert, weil normalerweise die Grundeigenschaften eines Wesens oder Objekts untrennbar mit diesem verbunden sind.

Doch in der Quantenwelt gelten andere Regeln, wie Tobias Denkmayr von der Technischen Universität Wien und seine Kollegen erklären: "Es kann der überraschende Effekt auftreten, dass die Position eines Systems von einer seiner Eigenschaften getrennt wird." Übertragen auf Quantenteilchen in einem geteilten Strahlengang bedeutet dies: Die Katze reist den einen Strahlengang entlang, ihr Grinsen den anderen.

Neutronenstrahlen auf zwei Wegen

Um diesen Effekt experimentell nachzuweisen, nutzen die Forscher die Neutronen-Interferometrie. Bei dieser wird ein Neutronenstrahlen an einem Siliziumkristall in zwei kohärente Teilstrahlen getrennt. Diese laufen unterschiedliche Wege entlang und treffen dann wieder aufeinander. Treten dabei in einem der Strahlen Störungen auf, lässt sich dies am Interferenzmuster des zusammengeführten Strahls ablesen.


Das Prinzip des Experiments: Im Strahlengang nehmen Katze (Neutronen) und Grinsen(magnetisches Moment) einen unterschiedlichen Weg.
Das Prinzip des Experiments: Im Strahlengang nehmen Katze (Neutronen) und Grinsen(magnetisches Moment) einen unterschiedlichen Weg.
Der Theorie nach müsste der Effekt einer Quanten-Cheshire-Katze aufteten, wenn die Strahlen durch bestimmte äußere Einflüsse vorher und nachher manipuliert werden. Dann trennen sich die Neutronen kurzzeitig von ihrem magnetischen Moment. Das Neutron wäre dann die Katze, das magnetische Moment ihr auf getrenntem Weg reisendes Grinsen, wie die Physiker erklären. Daher dürfte man dann in einem der beiden Teilstrahlen nur die Neutronen, im anderen aber nur das magnetsche Moment registrieren.

Magnetisches Moment hier, Neutronen da

Tatsächlich zeigte sich im Experiment der erhoffte Effekt: Angelegte zusätzliche Magnetfelder zeigten nur in einem der beiden Strahlengänge Wirkung. Demnach war nur in diesem Teilstrahl ein magnetisches Moment präsent. Umgekehrt ließen sich nur im anderen Strahl Neutronen nachweisen, wie die Forscher berichten. Dieses System verhalte sich damit so, als wenn die Teilchen und ihr Merkmal voneinander getrennt wären – wie eine quantenphysikalische Cheshire-Katze.

Wie die Forscher betonen, ist dieser Effekt dabei nicht spezifisch: Das Phänomen der Quanten-Cheshire-Katze sei auf jedes Quantenobjekt anwendbar. Entscheidend dafür ist nur, dass das System dabei durch schwache Messungen nur gerade so leicht gestört wird, dass diese scheinbare Trennnung auftritt.

Nach Ansicht von Denkmayr und seine Kollegen könnte sich die quantenphysikalische Variante der Cheshire-Katze durchaus als nützlich auch für praktische Anwendungen erweisen. So könnte damit beispielweise in der Metrologie oder Quantentechnologie das störende magnetische Moment entfernen, wenn eine andere Eigenschaft des Teilchens hochpräzise und ohne Störungen gemessen werden soll. (Nature Communications, 2014; doi: 10.1038/ncomms5492)

(Nature, 30.07.2014 - NPO)

aus derStandard.at,
 
Verblüffendes Quantenexperiment
Die Katze verschwindet, ihr Grinsen bleibt
Wiener Experimentalphysiker bauen ein System, in dem Teilchen und ihre Eigenschaften räumlich getrennt werden

Wien - Die Quantenmechanik hat den Menschen schon einige Erkenntnisse beschert, die einer intuitiven Auffassung von physikalischen Vorgängen entgegenläuft. Sie beschreibt Teilchen, die durch eine Barriere "tunneln", an der sie eigentlich abprallen sollten. Unteilbare Einheiten nehmen plötzlich zwei Wege gleichzeitig. Und Messungen verändern den Zustand des gemessenen Systems und führen zu immer neuen Ergebnissen.

Am Atominstitut der TU Wien haben Quantenphysiker nun ein weiteres quantenmechanisches Phänomen bewiesen, das der von der makroskopischen Welt geprägten Erfahrung des Menschen grundsätzlich entgegenläuft. Yuji Hasegawa, Leiter einer Forschungsgruppe für experimentelle Quantenphysik, hat mit seinen Kollegen ein System geschaffen, in dem Teilchen von ihren Eigenschaften getrennt werden.

In einem Neutronenstrahl, der auf zwei Teile aufgeteilt wird, nehmen die Teilchen den einen Weg, ihr magnetisches Moment, ihr Spin, kann aber im anderen Weg nachgewiesen werden, erklärt Hasegawa, der mit Tobias Denkmayr, Hermann Geppert und Stephan Sponar in der Wiener Gruppe an dem Versuch arbeitete.

In ihrer Arbeit, die am Dienstag im Fachjournal "Nature Communications" erschien, vergleichen die Wissenschafter das Phänomen mit der Grinsekatze aus Lewis Carolls Alice in Wunderland. Die Grinsekatze in Alices Fantasiereich kann verschwinden. Ihre Eigenschaft, das Grinsen, bleibt aber bekanntlich zurück.
 
Traditionsreiche Neutroneninterferometrie

Experimente in den Bereichen Quantenkommunikation und -informationsverarbeitung arbeiten zumeist mit masselosen Lichtteilchen. Die Quanten-Grinsekatze von Hasegawa und Kollegen wurde dagegen mit Hilfe der Interferometrie massiver Teilchen - Neutronen - nachgewiesen. Die Neutroneninterferometrie hat am Wiener Atominstitut, wo sie in den 1970er-Jahren mithilfe des Versuchsreaktors im Prater entwickelt wurde, große Tradition.

Die Methode lässt experimentell nachvollziehen, dass sich Teilchen den Gesetzen der Quantenphysik entsprechend in einer Überlagerung unterschiedlicher Zustände befinden können. - Was an eine berühmte Artgenossin der Quanten-Grinsekatze erinnert: Schrödingers Katze, die durch eine Überlagerung der Zustände zugleich tot und lebendig ist.

In einem Neutroneninterferometer wird ein Strahl von Neutronen durch einen Silizium-Kristall in zwei Strahlen aufgeteilt. Neutronen weisen keine elektrische Ladung auf, haben dafür aber ein magnetisches Moment. In dem Versuch wird dieser Spin der Neutronen so manipuliert, dass er in einem oberen Strahl in Flugrichtung zeigt, im unteren aber in die gegenläufige Richtung. Durch die einige Zentimeter voneinander getrennten Strahlen bewegen sich einige hundert Neutronen pro Sekunde, erklärt Hasegawa. Wenn man im unteren Pfad einen Filter einbaut, der einen geringen Anteil der Neutronen verschluckt, dann bleibt die Anzahl der am Ende gemessenen Neutronen mit Spin in Flugrichtung gleich. Baut man den Filter oben ein, sinkt die Zahl dieser Neutronen.

Allerdings kann man auch nur den Spin der Neutronen messen, in dem man ihn durch ein Magnetfeld leicht verändert, und die Auswirkungen beobachtet, die nach einer Überlagerung der Strahlen entstehen. Und siehe da: Der magnetische Einfluss, der den vorwärtsgerichteten Spin verändern soll, hat am oberen Strahl keine Auswirkungen. Am unteren Strahl, dort wo sich eigentlich keine Neutronen mit Vorwärts-Spin aufhalten, löst das Magnetfeld aber eine Veränderung aus. Das System verhält sich also so, als wären Teilchen räumlich von ihren Eigenschaften getrennt.
 
Anwendung bei hochpräzisen Messungen

Eine Anwendung könnte die Quanten-Grinsekatze bei hochpräzisen Messungen finden, die auf dem Prinzip der Quantenüberlagerung beruhen. "Wenn ein Quantensystem eine Eigenschaft hat, die man messen will, und eine andere, die das System anfällig gegen Störungen macht, kann man mit einer Quanten-Grinsekatze beides trennen und so möglicherweise die Beeinträchtigung des Experiments durch die Störung minimieren", erklärt Stephan Sponar aus Hasegawas Gruppe.

Das Experiment wurde an der Neutronenquelle des Instituts Laue-Langevin in Grenoble durchgeführt, wo die Wiener Forscher eine eigene Messstation betreiben, an der sie mehrmals im Jahr Experimente durchführen. Der Versuch stellt den ersten experimentellen Nachweis einer Theorie dar, die von Yakir Aharonov und dessen Team an der Universität Tel Aviv vorgeschlagen wurde. (pum)


Abstract
Nature Communications: Observation of a quantum Cheshire Cat in a matter-wave interferometer experiment

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