Mittwoch, 6. August 2014

Nucleus accumbens.

aus nzz.ch, 6. August 2014, 10:00

Chronischer Schmerz
Veränderungen an Nervenenden im Belohnungssystem
Chronischer Schmerz führt zu Antriebslosigkeit. Diese beruht allerdings nicht nur auf der Angst vor schmerzender Bewegung, wie in Untersuchungen bei Mäusen festgestellt wurde.

von Stephanie Lahrtz

Wer kennt das nicht: Leidet man an starken Schmerzen, dann hat man zu gar nichts Lust. Entsprechend führt chronischer Schmerz bei vielen Betroffenen zu einer ausgeprägten Antriebslosigkeit oder gar zu Depressionen. Dies liegt jedoch nicht nur daran, dass Schmerzen Bewegungen und damit Aktivitäten erschweren. Vielmehr werden die psychischen Probleme laut Schmerzspezialisten zu eigenständigen und behandlungsbedürftigen Krankheiten. Eine neue Arbeit amerikanischer Wissenschafter liefert dafür nun eine mögliche Erklärung: Demnach beeinträchtigt der Schmerz die Motivation, indem er gewisse Gehirnstrukturen verändert.¹

Als Versuchstiere dienten den Forschern Mäuse, die unter zwei verschiedenen Formen chronischer Schmerzen litten, einmal ausgelöst durch eine Infektion im Hinterfuss, einmal durch eine Verletzung des Ischiasnervs. Die Tiere waren vor ihren Erkrankungen in einem mit Hindernissen gespickten Labyrinth genauso eifrig auf der Suche nach Leckerbissen wie ihre anderen gesunden Artgenossen. Doch bereits nach einer Woche ständiger Schmerzen waren sie nur noch halb so oft unterwegs wie die Kontrolltiere. Das lag nicht an mangelndem Hunger: Stellte man den Schmerz-Mäusen nämlich Futter vor die Schnauze, so frassen sie. Selbst die Gabe starker Schmerzmittel erhöhte weder ihr Arbeitspensum noch ihre Suchlust.

Die Bereitschaft, eine gewisse Begeisterung für und Lust auf Aktivitäten zu entwickeln, wird von einer kleinen Gehirnregion namens Nucleus accumbens gesteuert. Dieser ist eine Ansammlung von Nervenzellkernen im unteren Vorderhirn und ein wichtiger Teil jenes Systems, das unter anderem Emotionen verarbeitet. Dieses System produziert auch die positiven Gefühle nach erfolgreichen Aktivitäten.

Durch anhaltende Schmerzsignale kam es bei den Mäusen im Experiment in speziellen Nervenbahnen des Nucleus accumbens zu einem Anstieg der Konzentration des Botenstoffs Galanin. Daraufhin verminderten die Nervenzellen die Anzahl gewisser Andockstationen für stimulierende Botenstoffe. Dies minderte insgesamt die Erregbarkeit der Nervenzellen. Doch was einerseits dem Schutz der Nerven diente, führte andererseits auch dazu, dass die Motivation massiv sank. Denn diese wird von demselben neuronalen Netzwerk wie die Schmerzverarbeitung gesteuert. Wie lange diese strukturellen Veränderungen bestehen bleiben, ist noch nicht geklärt.

Frühere Untersuchungen an Menschen haben gezeigt, dass auch in unserem Gehirn die Nerven-Netzwerke für Belohnung – und Motivation – und jene für Schmerzverarbeitung im Nucleus accumbens überlappen. Die Autoren halten es daher für wahrscheinlich, dass bei Menschen ähnliche neuronale Veränderungen bei chronischen Schmerzen entstehen und die Ursache der Antriebslosigkeit sind. Dies könnte auch erklären, warum Schmerzpatienten psychotherapeutische Behandlungen oft abbrechen. Ihnen fehlt nicht der Wille zur Veränderung, sondern ihr Gehirn liefert keinen Motivationsschub.

¹ Science 345, 513–514 sowie 535–542 (2014).

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