Wie weit denken Pflanzen voraus?
Berberitzen
regen die Debatte um die Intelligenz der Flora wieder an: Sie treffen
Entscheidungen, zu denen es Gedächtnis braucht und einen weiten Blick in
die Zukunft.
Er behandelt den Sonnentau wie eine lebende Kreatur, und ich vermute, dass er am Ende noch beweisen will, dass es sich um ein Tier handelt.“ Das schrieb Emma Darwin 1860 in einem Brief über ihren Mann, sie machte sich Sorgen um seinen Verstand, weil es für ihn, Charles, durchaus vorstellbar war, dass auch Pflanzen einen Verstand haben: Beim Wachsen der Wurzeln etwa ließen sie sich „von etwas gleich dem Gehirn niederer Tiere“ leiten. Das stammt von ihm, und es war nicht so dahergeschrieben, Darwin experimentierte viel und bahnbrechend mit Pflanzen und bemerkte etwa, dass sie auf Reize an einer Stelle ihres Körpers auf einer ganz anderen Stelle reagieren, dass sie also Information übertragen können, durch Nervenbahnen. Ihm fiel auch auf, dass sich etwa der Sonnentau extrem rasch bewegen kann, wenn er mit seinen Tentakeln Beute macht, die Signale müssen blitzschnell laufen, eben wie in Nerven.
Neuronen, zu Deutsch: Pflanzenfasern
Folgen wollte dieser Spekulation kaum jemand, obgleich Alexander von Humboldt schon bemerkt hatte, dass sich in Pflanzen elektrische Erregungen fortpflanzen, er vermutete ein gemeinsames bioelektrisches Prinzip bei Flora und Fauna. Aber die Zellwände der Pflanzen sind so dick, dass man ihnen wenig elektrische Kommunikation zutraut, also kein peripheres Nervensystem wie das der Tiere. Und ein zentrales – ein Gehirn – schon gar nicht, auch wenn die Gehirnzellen der Tiere ihren Namen wunderlicherweise aus dem Pflanzenreich haben: Das griechische „Neuron“ bedeutet „pflanzliche Faser“.
Sonnentau
Dieser Zufall besage überhaupt nichts, erklärte eine 33-köpfige Phalanx von Botanikern, als sie sich 2007 in Trends in Plant Science mit Wucht über Revolutionäre hermachte, die die Pflanzenkunde um ein neues Feld erweitern wollten, die Pflanzen-Neurobiologie. Die ist hinter der Intelligenz von Pflanzen her – breit definiert als „Fähigkeit, Probleme zu lösen“ –, sie sieht sie etwa, wie Darwin, in Wurzeln am Werk. Die bahnen sich ihren Weg nicht irgendwie, sondern mit Bedacht, sie weichen anderen Wurzeln aus. Ist das Intelligenz? Oder zeigt die sich bei der „Kommunikation“ der Pflanzen? Wenn eine von hungrigen Mäulern verletzt ist, fahren noch unattackierte Nachbarn ihre Abwehr hoch. Denn verletzte Pflanzen senden Duftstoffe aus. Wollen sie etwas mitteilen, wollen sie die Nachbarn warnen? Eher nicht: Was sie aussenden, sind Duftstoffe – zur Abwehr der Attacken –, keine Signale; aber diese Duftstoffe können von anderen Pflanzen als Signale wahrgenommen und interpretiert werden, das spräche schon für Intelligenz, die der Empfänger. Bemerken sie eine kommende Bedrohung und sorgen vor? Oder reagieren sie schlicht auf einen Reiz?
Ultima Ratio: Abtreibung des Samens
Letzteres kann es bei Berberitzen (Berberis vulgaris) kaum sein, diese Dornsträucher haben ein Problem, das sie mit Weitsicht lösen müssen, Katrin Meyer (Leipzig) hat es erkundet (American Naturalist, März 2014): Berberitzenfrüchte können von Parasiten befallen werden, Fruchtfliegen, deren Larven sich über die Samenkörner hermachen. Von denen gibt es in jeder Frucht entweder einen oder zwei. Sind es zwei, dann greift die Berberitze häufig, aber nicht immer und automatisch zu einer Ultima Ratio: Sie treibt den befallenen Samen ab – dieses Mittel gibt es auch anderswo im Pflanzenreich –, um den noch nicht befallenen Samen zu retten, am abgetriebenen verendet die Fruchtfliegenlarve, sie kommt nicht zum gesunden.
Ist hingegen nur ein Same in der Frucht, tut die Berberitze nichts, sie gibt ihn verloren und will nicht noch Energie für das Abtreiben aufwenden. „Es ist eine komplexe Entscheidung“, interpretiert Meyer, sie braucht „Erinnerung“ – daran, wie viele Samen da sind – und wägt „unter Vorwegnahme künftiger Risken – Verlust des zweiten Samens – ab“.
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