Mittwoch, 5. Februar 2014

Dein autobiographische Gedächtnis lügt gewohnheitsmäßig.


aus Süddeutsche.de,

Fälschungen am laufenden Band

Die Ferien waren phantastisch? Die Kindergeburtstage damals das pure Glück? Auf kaum etwas ist so wenig Verlass wie auf die eigene Erinnerung. Das menschliche Gedächtnis verzerrt, beschönigt und löscht Unliebsames. Forscher haben nun die Zentrale der großen Fälschung identifiziert.

Von Katrin Blawat

Zu den schönsten Kindheitserinnerungen von Carol Tavris zählten lange Zeit jene Momente, in denen der Vater ihr aus James Thurbers Märchenbuch "Das wundervolle O" vorgelesen hatte. Noch als Erwachsene hörte Tavris im Geiste sich und ihren Vater lachen über die Hauptperson Ophelia Oliver. Bis Travis Jahre später zufällig das Erscheinungsdatum des Buches bemerkte: 1957 - ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters. Er konnte ihr also unmöglich daraus vorgelesen haben.

Für die Psychologin Tavris war diese Entdeckung ein Schock - und eindrücklicher Beleg für eine Erkenntnis, die sich im Alltag wie in wissenschaftlichen Studien immer wieder bestätigt: Auf kaum etwas ist so wenig Verlass wie auf die eigene Erinnerung. Das menschliche Gedächtnis ist notorisch unzuverlässig, vor allem, was die eigene Biografie betrifft. Nicht nur, weil man vergisst. Sondern vor allem, weil das Gedächtnis Fakten und Erlebnisse verdreht, falsch zusammenmontiert, um wesentliche Aspekte beraubt oder ausschmückt.

Immer genauer kommen Forscher auch den neuronalen Grundlagen dieser Nachbearbeitung auf die Spur. Federführend für das Verfälschen der Erinnerung sei die Hirnregion Hippocampus, berichten Neurowissenschaftler um Donna Bridge von der Northwestern University in Chicago im Journal of Neuroscience.

Das schließen sie aus Aufnahmen eines Magnetresonanztomografen, in dem Probanden während eines einfachen Gedächtnisspiels falsche Erinnerungen formten und anschließend abriefen. Der Hippocampus ist seit Langem bekannt dafür, Gedächtnisinhalte vom Kurz- ins Langzeitgedächtnis zu übertragen.

Hippocampus als Regisseur

Das Team um Bridge schreibt ihm nun noch eine weitere entscheidende Rolle zu. Er arbeite wie ein Regisseur, der einzelne, unzusammenhängende Sequenzen so zusammenfügt, dass sie eine schlüssige Geschichte ergeben.

In Tavris' Erinnerungen zum Beispiel passte alles zusammen. Ihr Vater sei ein liebevoller Mensch gewesen, der sich stets um seine Tochter gekümmert habe. Da erscheint es nur folgerichtig, dem Vater auch das Vorlesen des Lieblingsbuches zuzuschreiben, argumentiert die Psychologin in ihrem Buch "Ich habe recht, auch wenn ich mich irre".

Es mag frustrierend wirken, sich nicht mal auf die eigene Erinnerung verlassen zu können. Doch dient all das Verzerren, Beschönigen, Ausschmücken und Wegschneiden einem guten Zweck. Es hilft, sich selbst - oder geliebte Menschen wie den Vater - in gutem Licht zu sehen. Der geschickten Regie des Hippocampus ist es zu verdanken, wenn mittelmäßige Leistungen im Rückblick zu Heldentaten werden und selbstverschuldeter Bockmist zur kleinen Nachlässigkeit schrumpft.

Das autobiografische Gedächtnis, schrieb der Psychologe Anthony Greenwald einmal, benehme sich wie ein Diktator. Unliebsame Wahrheiten zerstöre es skrupellos, um die Geschichte anschließend neu zu schreiben - nun aber vom Standpunkt des Siegers aus. So wird die letzte Wanderung mit jeder Erinnerung ein paar Kilometer länger und der ebenso langweilige wie verregnete Urlaub zur gelungenen Erholung. Wer will sich schon die Dummheit eingestehen, als passionierter Bergsteiger zwei Wochen Strandurlaub gebucht zu haben?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen